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Published in: Wirtschaftsinformatik & Management 5/2023

Open Access 13-10-2023 | Schwerpunkt

Digitalisierung durch Produkthybridisierung und Nutzerzentrizität: Neue Erwartungen, verändertes Verhalten und der Fall der Dopaminausschüttung bei Nutzern und Kunden

Author: Frederik M. Metzger

Published in: Wirtschaftsinformatik & Management | Issue 5/2023

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„Heute bestellt. Morgen ein Held.“ Dieser Slogan, der lange Zeit die Dienste von Amazon Prime bewarb, gibt einen Hinweis darauf, was uns als Kunden und Nutzern das digitale Einkaufserlebnis von heute verspricht: Nämlich die Unmittelbarkeit zwischen dem Kauf von Produkten und deren Lieferung. Die Digitalisierung macht das möglich, indem sie physische Produkte durch Hybridisierung zu Eigenschaften verhilft, die wir zuvor nur bei rein digitalen Produkten wahrgenommen haben. Ein Gartenwerkzeug im Onlineshop zu kaufen, ähnelt inzwischen dem Benutzererlebnis des Herunterladens einer Software im App Store. Als Kunde oder Nutzer erwarten wir, dass der Bestell- und Auslieferungsvorgang physischer Produkte fast ebenso einfach und schnell funktioniert, wie die Handhabung bei der Beschaffung von Software.
Dieses Beispiel zeigt auf, wie sehr die Digitalisierung unsere Alltagswelt verändert. Doch oft sind die Veränderungen nur vage greifbar und werden aus einer Perspektive geschildert, die anekdotisch vorgeht. Zudem sind die Entwicklungen der Digitalisierung über die vergangenen 20 Jahre hinweg allmählich gewachsen, sodass ein Vergleich zwischen dem Anfangszustand und der heutigen Lage objektiv schwerfällt. Der vorliegende Beitrag soll deshalb dazu beitragen, den Einfluss der Digitalisierung auf das Verhalten von Kunden und Nutzern prägnant herauszustellen und kritisch zu beleuchten. Digitalisierung wird im vorliegenden Beitrag als Transformation von physischen Produkten und Dienstleistungen zu digitalen Produkten und Dienstleistungen definiert, die für Nutzer durch elektronische Geräte zugänglich werden. Im Beitrag soll anhand von zwei Eigenschaften der Digitalisierung vorgegangen werden, nämlich der Produkthybridisierung und der Nutzerzentrizität [13]. Sie sind nicht die einzigen Eigenschaften, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Doch mögen sie stellvertretend darstellen können, welche Veränderungen bei den Erwartungen und dem Verhalten von Kunden und Nutzern einhergehen. Sie sind wichtige Faktoren, die auf die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle einwirken und hierüber auch in die Alltagswelt der Nutzer und Kunden Eingang finden [4]. Zudem zeigt insbesondere die Nutzerzentrizität auf, dass auch kritische Aspekte im Zusammenhang mit der Digitalisierung auf Nutzer und Kunden einhergegangen sind.
Die Nutzerzentrizität macht es auf der einen Seite möglich, dass Unternehmen den Kunden die Zügel bei der Erstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung mit in die Hand geben, und zeigt sich beispielsweise in einer erhöhten Transparenz über den gesamten Bestellprozess hinweg. Die Produkthybridisierung bringt zum anderen Eigenschaften in die physische Welt, die von digitalen Produkten bekannt sind. Was genau ist die Produkthybridisierung und wie wirkt sie sich auf das Verhalten von Kunden und Nutzern im Zusammenhang mit den Anbietern aus? Und was hat es mit der Nutzerzentrizität auf sich und wie wirkt sich diese wiederum auf das Verhalten der Nutzer aus? Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag nach.
Um die Fragen zu beantworten, werden zunächst die Phänomene der Produkthybridisierung und Nutzerzentrizität dargestellt. Die Produkthybridisierung wird beispielhaft anhand des schrittweisen Aufbaus von Geräten des Internet of Things (IoT) erläutert. Die Nutzerzentrizität digitaler Produkte und Dienstleistungen wird insbesondere im Gegensatz zu Eigenschaften klassischer Dienstleistungen aufgezeigt. Anschließend wird auf die neuen Erwartungen und das veränderte Verhalten von Kunden und Nutzern eingegangen. Schließlich kann abschließend aufgezeigt werden, auf welche Weise insbesondere die Nutzerzentrizität kritisch zu sehen ist, weil sie die Gefahr birgt, Kunden zu Produkten zu machen, eine Filterblase entstehen lässt sowie neuropsychologische Reaktionen auslöst, die von Menschen kaum noch bewusst gesteuert werden können und sie abhängig von Smartphone und sozialen Medien machen können. Der Beitrag schließt mit einer Schlussbetrachtung, um die hier dargestellten Erkenntnisse kurz zusammenzufassen und nochmals kritisch zu evaluieren.

Digitalisierung bewirkt Produkthybridisierung

Produkthybridisierung bedeutet, dass ehemals rein physische Produkte und Dienstleistungen mittlerweile digitale Anteile beinhalten. Dabei wird das Produkt als Ganzes von Kunden zwar als physisch wahrgenommen, das digitale Nutzenversprechen rückt jedoch immer mehr in den Vordergrund. Ein Beispiel ist die digital zu bedienende LED-Lampe, die über eine mobile App bedient werden kann. Zwar ist der physische und lokale Nutzen noch immer derselbe. Doch bietet sie dank Digitalisierung neue Merkmale, die zu relevanten Verkaufsargumenten werden. Kennzeichnende Merkmale solcher Produkthybride sind die Datenverfügbarkeit in Echtzeit, die Transparenz durch Daten und intuitiv zu verwendende Systeme und Produkte [1]. Sie werden somit zur Ubiquität für Produkte. Es stellt sich die Frage: Wie lässt sich die Produkthybridisierung darstellen? Dieser Vorgang kann beispielhaft anhand von IoT-Geräten aufgezeigt werden.
Am Anfang stehen immer physische beziehungsweise analoge Produkte und Dienstleistungen. Diese werden dann in einem zweiten Schritt mit Sensoren und Aktuatoren (Reglern) ausgestattet sowie WLAN- oder mobilfunkfähig gemacht. In dieser Stufe handelt es sich um smarte Geräte, wie die LED-Leuchte, die mit einer Fernbedienung verbunden oder per WLAN übers Smartphone steuerbar ist und per Knopfdruck die Farbtemperatur wechseln kann. Der dritte Schritt, der Schritt der Konnektivität, besteht entweder darin, die Daten auszuwerten, oder in der Kommunikation des Geräts mit anderen Geräten. In einem vierten Schritt werden die Sensordaten gesammelt, gespeichert und ausgewertet. Hierbei handelt es sich um die Stufe der „Data Analytics“. Sie ermöglicht nutzenbringende Zusatzdienste. Ein fünfter Schritt befasst sich mit der Ableitung digitaler Dienstleistungen aus den Daten. So kann ein Aktuator in einem Smart Home beispielsweise der Waschmaschine den Befehl zum Start geben, wenn das Elektrizitätsnetz oder der Haushaltsverbrach ein Minimum erreicht hat. Ergänzend kann der Anbieter dem Smart-Home-Anwender eine Dienstleistung zur Verfügung stellen, die es ihm beispielsweise ermöglicht, seinen Energieverbrauch zu kontrollieren. Der sechste und letzte Schritt in dieser Kette besteht darin, aus den digitalen Diensten über die Wertschöpfung und Wertabschöpfung ein neues Geschäftsmodell zu erstellen. In einem Smart Home können die dort verwendeten Dienste, die den Stromverbrauch steuern, beispielsweise für Leistungen an Drittanbieter verwendet werden, die dafür bezahlen [5].
Eine entscheidende Konsequenz der Produkthybridisierung ist die Wahrnehmung durch Kunden und Nutzer als ein Produkt: Das physische Produkt und die digitale Dienstleistung verschmelzen miteinander. Mit den Komponenten Sensor/Aktuator, Konnektivität, Analytics und digitaler Service werden dem physischen Produkt neue Dienste und Lösungen hinzugefügt und dadurch eine Veredelung aus Kundensicht bewirkt. Hierbei nehmen Kunden zwar das physische Produkt wahr, empfinden die digitalen Services inzwischen jedoch oft als notwendige Bedingung für ihre Kaufentscheidung [3]. Im obigen Beispiel des Stromzählersensors und des Aktuators, der die Waschmaschine bei niedrigem Stromverbrauch aktiviert, wurde vom Hersteller eine Dienstleistung auf Grundlage der Datenanalyse zur Verfügung gestellt. Diese wird von Kunden als gegeben wahrgenommen. Physisches Produkt und digitale Zusatzdienstleistung lassen sich nicht mehr getrennt denken.

Digitalisierung ermöglicht Nutzerzentrizität

Die Nutzerzentrizität beschreibt das Phänomen, dass Nutzer eine zentrale Rolle im Wertschöpfungsprozess einnehmen. Konsumentenmärkte werden zunehmend von Kunden und Nutzern mitgestaltet, anstatt durch die alleinigen Vorgaben von Anbietern dominiert zu werden. Nachfrager werden infolge der Verschiebung von Angebots- zu Nachfragemärkten zunehmend fordernd in Beziehung auf die Anbieter. Hierauf reagieren Anbieter mit neuen Formen der Nutzereinbeziehung. Nutzer werden aktiv in den Prozess der Wertschöpfung einbezogen. Hierdurch werden sie auf der einen Seite aktive Akteure auf dem Markt [6], auf der anderen Seite übernehmen sie neue Rollen im Wertschöpfungsprozess [1]. Es stellt sich die Frage, was der entscheidende Unterschied zur Dienstleistungserstellung im klassischen Sinne ist.
Die Erstellung einer digitalen Dienstleistung ist schließlich, wie alle Dienstleistungen, direkt abhängig vom Verbraucher beziehungsweise Nutzer. Bei einer klassischen Dienstleistung, wie dem Haareschneiden, ist der Kunde ebenfalls direkt in den Erstellungsprozess eingebunden, seine Anwesenheit ist notwendig und seine Wünsche sind ausschlaggebend. Der Unterschied zu einer klassischen Dienstleistungserstellung jedoch ist, dass die aus dem digitalen Dienstleistungserstellungsprozess erhobenen Daten gespeichert werden können und somit einer separaten oder späteren Verwendung zugeführt werden können. Hieraus erwächst ein fundamentaler Unterschied zu einer klassischen Dienstleistung. Das Verfallsdatum verändert sich vom Charakter des Momentanen während der Erstellung bei einer klassischen Dienstleistung hin zum Charakter unendlich abrufbarer Daten bei digitalen Dienstleistungen ab dem Moment ihrer Erfassung. Dieses Herauslösen oder Entkoppeln von Merkmalen des Nutzers oder Kunden in einen virtuellen Raum macht aus ihm einen digitalen Zwilling. Dabei weist der digitale Zwilling den Vorteil auf, dass er für zukünftige Nutzung speicherbar, mit Algorithmen modellierbar und für Simulationszwecke nutzbar ist.
Leistungs- und Preismerkmale sind heutzutage keine Faktoren, die in gesättigten Märkten eine große Differenzierung mehr ermöglichen. Sie sind vielmehr egalisiert worden, und Kunden können sie nicht mehr zur Differenzierung der Anbieter heranziehen. Zudem sind die Grenzkosten für die Erstellung von digitalen Produkten so niedrig, dass sie den Kunden nicht in Rechnung gestellt werden können. Digitale Produkte sind zur Ubiquität geworden und werden meist kostenlos zur Verfügung gestellt.
Die Nutzerzentrizität äußert sich in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist die Erstellung der digitalen Dienstleistung nicht mehr möglich, ohne dass Kunden Daten beisteuern. Dies zeigt die große Abhängigkeit der Anbieter von den Nutzenden. Zum anderen profitieren Anbieter durch die Einbeziehung der Nutzer und Kunden von deren Inputs, um gezielt auf sie einzugehen. Und zum Dritten profitieren Nutzer und Kunden von einer auf sie maßgeschneiderten Leistung durch die Anbieter.
Da das gewichtigste Charakteristikum digitaler Geschäftsmodelle der Rückgriff auf Daten als Hauptressource ist, weisen Anbieter eine große Abhängigkeit von ihren Datenquellen auf. Datenquellen, das sind zunächst einmal über Drittunternehmen akquirierte Daten, aber – vielmehr – auch die selbst gesammelten Daten von den Kunden und Nutzern. Hierzu dienen große Datenplattformen, wie sie von sozialen Netzwerken, aber auch vom Onlineshopping oder von Fahrdienstvermittlern bekannt sind. Durch die Daten und Benutzerprofile, die entstehen, können neue Leistungen quersubventioniert werden oder benutzerspezifische Werbung geschaltet werden.
Die Rolle des Nutzers erweitert sich dahin gehend, dass er selbst zur Erstellung seiner Dienstleistung beitragen und gestaltend eingreifen kann. Konkret äußert sich dies beispielsweise bei Co-Creation von Videos auf Youtube, Fotos, Videos und sogenannten „Reels“ auf Instagram oder auch der kreativen Gestaltung eigener Sportschuhe bei Nike. Hierbei, so ist herausgefunden worden, ist die richtige Balance zwischen dem Informationsbedürfnis von Kunden und der Informationsbereitstellung von Anbietern zentral. Stehen diese in einem richtigen und ausgewogenen Verhältnis, wird die Co-Creation als wertsteigernd von den Nutzern wahrgenommen, ansonsten als wertmindernd [6].

Neue Erwartungen und verändertes Verhalten bei Kunden und Nutzern

Die vorangehend beschriebenen Entwicklungen der Produkthybridisierung und der Nutzerzentrizität bewirken, dass zum einen neue Erwartungen bei Kunden und Nutzern entstehen und zum anderen ein verändertes Verhalten hervorgerufen wird. Wie Abb. 1 zeigt, werden später auch kritische Aspekte von Digitalisierung behandelt. Im Sinne von sich selbst verstärkenden Kreisläufen stehen die Entwicklungen mit den Reaktionen der Anbieter sowie den Anpassungen durch die Nutzenden im Zusammenhang. Durch die Digitalisierung sind Kosteneinsparungen möglich, wie das oben genannte Beispiel der nahe bei null liegenden Grenzkosten zeigt. Hierdurch findet der Wettbewerb anhand anderer Merkmale statt als über die Leistungserbringung oder den Preis.
Die Erwartungen von Kunden und Nutzern verschieben sich dementsprechend in Richtung der räumlichen, zeitlichen und kostenfreien Unmittelbarkeit von digitalen Diensten – die sich schließlich auf physische Produkte überträgt. Durch die Integration und Kombination von Dienstleistungen in physische Produkte wird der Dienstleistungscharakter gestärkt und von Kunden schnell angenommen [1]. Wie oben gesehen, wird dabei primär die Intangibilität hybrider Produkte von Kunden wahrgenommen. Auch wenn beides – das physische Produkt und die digitale Dienstleistung – nicht mehr voneinander zu trennen sind, wird Letztere zur notwendigen Bedingung bei der Nutzerakzeptanz in Form des hauptsächlich wahrgenommenen Nutzenversprechens. Die Erwartung, dass Produkte, die über digitale Kanäle erworben werden, auch instant verfügbar sind, verstärkt sich immer mehr. Diese Entwicklung ist beobachtbar anhand der Dienste von Onlinewarenhäusern, die unter bestimmten Umständen eine Lieferung am Tag der Bestellung anbieten.
Digitale Produkte und Dienstleistungen bieten die Möglichkeit der Identifikation. Auch physische Produkte tun dies. Doch ermöglicht die Digitalisierung dank ihrer nahe bei null liegenden Grenzkosten und ihrer Algorithmen eine spezifische Ansprache, sodass auf Ebene einzelner Personen Kunden und Nutzer individuell erreicht werden können. In einer Gesellschaft, in der Hierarchien einst eine Orientierung zwischen oben und unten stifteten, wurden solch eindeutige Zuordnungen des sozialen Standes und der sozialen Zugehörigkeit abgelöst durch netzwerkorientierte Parameter. Sie sind gekennzeichnet durch zeitlich und strukturell instabile Netzwerke, die weder ein Oben noch ein Unten haben, sondern lediglich Zentralität und Isolation. Zudem können, wie bereits gesehen, der Wettbewerb und der Zugang zu den Kunden nicht mehr allein über Preis- und Qualitätsmerkmale ausgespielt werden. Die Digitalisierung ermöglicht hierbei über die Produkthybridisierung und die Nutzerzentrizität die Möglichkeit, Identität zu schaffen, indem die digitalen Anteile dazu genutzt werden, qualitative Informationen über das Produkt zu transportieren. Diese Identifikationsleistung wird in einer zunehmend unstrukturierten, netzwerkorientierten Gesellschaft von Konsumenten gerne angenommen. Man denke hierbei an die Instagram-Story, welche die Produkteinführung eines neuen Lifestylegetränks begleitet. Junge Menschen zeigen dabei ihre Sportkünste, sie sind ansprechend und zeitgemäß gekleidet und übermitteln dem Zuschauer ein attraktives Bild. Hierbei wird deutlich, wie dem Nutzer eine Geschichte erzählt wird, eine Geschichte, wie sie sich das Zielpublikum wünschen mag. Storytelling ermöglicht eine Identifikationsleistung von Produkten und Dienstleistungen und baut eine Brücke zwischen identitätsstiftenden Anbietern und identitätssuchenden – potenziellen – Nutzern und Kunden [7].

Kritische Aspekte und der Fall der Dopaminausschüttung

Im Zusammenhang der Produkthybridisierung und Nutzerzentrizität sind auch kritische Aspekte zu nennen. Einige Autoren sind der Auffassung, dass der Nutzer zum Produkt wird [2], weil er dazu dient, Daten zu spenden. Als weiterer kritischer Aspekt kann die „Filterblase“ gesehen werden, die sich bildet, wenn Algorithmen darauf optimiert sind, Zeit und Aufmerksamkeit für das jeweilige soziale Netzwerk zu erhöhen [8]. Schließlich ist die Wahl der Mittel von digitalen Dienstleistern, und hier insbesondere sozialer Netzwerke, kritisch zu hinterfragen. Hierzu gehört die bewusste Nutzung neuropsychologischer Phänomene, wie die Ausschüttung von Dopamin als Belohnungsmechanismus, um das Aufrufen der mobilen Applikation zu einer Gewohnheit zu machen [9].
Die Nutzerzentrizität ist unter anderem daran gekoppelt, dass Nutzer zu Produkten werden [2]. Da die Daten an Benutzerprofile gekoppelt sind, kann davon gesprochen werden, dass Nutzer einem Produkt gleichgesetzt werden. Zunächst geben Nutzer bereitwillig ihre Daten in ein digitales Formular ein, um den Zugang zu den Onlinediensten zu erhalten. Auffällig ist, dass bei der Anmeldung eines jedweden Dienstes immer wieder ähnliche Daten eingegeben werden müssen, wie Alter, Geschlecht und Wohnort. Aber auch weitergehende und sensible Daten, wie die sexuelle Ausrichtung, Rauschmittelkonsum und Ähnliches, werden beispielsweise in Dating-Apps abgefragt. Dies gibt den Anbietern ein spezifisches Profil ihrer Benutzer. Die Bereitschaft zum Teilen sensibler Daten scheint umso größer, je grundlegender die menschlichen Bedürfnisse sind, die in einer fragmentierten und netzwerkorientierten Gesellschaft immer mehr unbefriedigt zu sein scheinen. Dabei gehört das Bindungsbedürfnis des Menschen zu einem der grundlegendsten [10]. Durch Sammlung von Profil- und Aktivitätsdaten werden Algorithmen gespeist, die schließlich zur Optimierung der Systeme dienen. Dies macht Nutzer zu Produkten von digitalen Plattformen [2].
Besonders kritisch wird der Aspekt der Sammlung von Profil- und Aktivitätsdaten dann, wenn sich die Nutzer dessen nicht vollständig bewusst sind. Dies war vor allem in den Anfängen der Internetökonomie der Fall, als Daten ohne explizite Einwilligung gesammelt wurden. Zwar hat sich die Sensibilisierung für die Verarbeitung benutzergebundener Daten mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung in der Europäischen Union spürbar verändert. Doch sind Privatheit und Privatsphäre noch immer ein Thema, das auch im Zusammenhang der Anonymisierung von Daten diskutiert wird, um somit den Personenbezug vollständig aus den Daten zu entfernen [11].
Für den Nutzer bedeutet die spezifisch auf ihn ausgerichtete digitale Dienstleistung, dass er auf der einen Seite zwar anscheinend genau das bekommt, was er sich wünscht. Auf der anderen Seite jedoch verstärken die Algorithmen Inhalte dahin gehend, dass die bekannte „Filterblase“ entsteht, in der Benutzer vermehrt die Inhalte zu sehen bekommen, die ihren erfassten und errechneten Interessen entsprechen [8].
Ein weiterer kritischer Aspekt liegt darin begründet, dass digitale Dienstleistungen meist kostenfrei sind, wodurch die Anbieter Zeit und Aufmerksamkeit der Nutzer auf sich ziehen müssen, um Werbetreibenden ausreichend Möglichkeit zur Platzierung ihrer Angebote zu bieten. Somit verwandeln Anbieter ihre Abhängigkeit von den Nutzern als Datengeber in eine Abhängigkeit der Nutzer. Studien erklären die Abhängigkeit von Smartphones und sozialen Medien mit dem Ausstoß des Botenstoffs Dopamin im menschlichen Körper, der mit ihrer Benutzung einhergeht. Benachrichtigungen von sozialen Medien bewirken einen Belohnungsmechanismus, der eine Dopaminausschüttung zur Folge hat. Dopamin, das evolutionär gesehen dafür zuständig ist, ein Gefühl des Wohlbefindens zu erzeugen, führt dazu, dass wir diese Verhaltensweisen wiederholen. Anbieter sozialer Plattformen nutzen die Belohnungserwartung beim Posten von Beiträgen durch Benutzer bewusst, indem zufällig erzeugte Belohnungen in das System eingespielt werden. Zufällig erzeugte Belohnungen kommen in Form von Benachrichtigungen und Likes und sind für den Benutzer nicht vorhersehbar. Wie Experimente gezeigt haben, ist die Schwelle für das Antrainieren einer Gewohnheit am geringsten, wenn der Aufwand dafür ebenfalls gering ist und die Belohnung dafür zufällig [9].

Schlussbetrachtung

Der vorliegende Beitrag fragte nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf Nutzer und Kunden von Produkten und Dienstleistungen. Letztere werden vermehrt als digitale Hybride angeboten, also als physische Produkte, die digitale Anteile aufweisen. Die Zunahme an solchen Produkten führt zum einen dazu, dass eine räumliche, zeitliche und kostenfreie Unmittelbarkeit zwischen dem Bestellvorgang und der Auslieferung physischer Produkte erwartet wird, wie sie bei der Handhabung rein digitaler Produkte bekannt ist. Zum anderen steht die Nutzerzentrizität im Zusammenhang mit einer Identifikationsleistung der Anbieter, indem bei diesem Vorgang eine Orientierung in der vermehrt schwierig zu durchschauenden Netzwerkstruktur der Gesellschaft angeboten wird. Hier treffen Identitätsanbieter auf identitätssuchende Nutzer und Kunden.
Kritisch anzumerken ist, dass die verschiedenen digitalen Angebote um die strikt begrenzte Aufmerksamkeits- und Zeitverfügbarkeit von Kunden und Nutzern konkurrieren. Um immer mehr von der knappen Ressource Zeit abzufangen, bauen Anbieter bewusst auf Phänomene, die in der neuropsychologischen Forschung beschrieben werden, um Benutzer von ihren Anwendungen abhängig zu machen. Es stellt sich die Frage, wer nun mehr abhängig voneinander ist: der Anbieter von den Daten der Nutzer und Kunden oder Letztere von den Anwendungen der Anbieter? Eine vorsichtige Antwort auf die Frage könnte angesichts der Darstellungen in diesem Beitrag lauten, dass das Spiel derzeit zugunsten der Anbieter verläuft. Ein Anzeichen dafür ist der Umgang mit Cookie-Bannern, die im Zuge der europäischen Datenschutz-Grundverordnung eingeführt wurden, aber im Alltag schnell unter der vollen Bandbreite an Einwilligungen von den Benutzern weggeklickt werden. Hier hat die gewünschte Bewusstmachung des Wertes eigener Daten durch ein Cookie-Banner seine Wirkung mehr als verfehlt, wenn man bedenkt, dass auf einigen Internetseiten gar die scheinbare Wahl zwischen freiem Zugang – aber mit Dateneinwilligung – und Bezahlzugang gegeben wird. Initiativen, wie die Hürde der Cookie-Banner, sind im Vergleich zur Kraft neuropsychologischer Mechanismen offensichtlich machtlos.
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Literature
2.
go back to reference Daum, T. (2020). Das Auto im digitalen Kapitalismus: Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen. Schriftenreihe, Bd. 10590. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Daum, T. (2020). Das Auto im digitalen Kapitalismus: Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen. Schriftenreihe, Bd. 10590. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
5.
go back to reference Iansiti, M., & Lakhani, K. R. (2014). Digital ubiquity: how connections, sensors, and data are revolutionizing business. Harvard Business Review, 92, 91–99. Iansiti, M., & Lakhani, K. R. (2014). Digital ubiquity: how connections, sensors, and data are revolutionizing business. Harvard Business Review, 92, 91–99.
8.
go back to reference Pariser, E. (2011). The filter bubble: what the Internet is hiding from you. London: Viking. Pariser, E. (2011). The filter bubble: what the Internet is hiding from you. London: Viking.
10.
go back to reference Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen Bern: Hogrefe. Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen Bern: Hogrefe.
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go back to reference Roßnagel, A., & Geminn, C. L. (2021). Vertrauen in Anonymisierung. Zeitschrift für Datenschutz, 11(9), 487–490. Roßnagel, A., & Geminn, C. L. (2021). Vertrauen in Anonymisierung. Zeitschrift für Datenschutz, 11(9), 487–490.
Metadata
Title
Digitalisierung durch Produkthybridisierung und Nutzerzentrizität: Neue Erwartungen, verändertes Verhalten und der Fall der Dopaminausschüttung bei Nutzern und Kunden
Author
Frederik M. Metzger
Publication date
13-10-2023
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
Published in
Wirtschaftsinformatik & Management / Issue 5/2023
Print ISSN: 1867-5905
Electronic ISSN: 1867-5913
DOI
https://doi.org/10.1365/s35764-023-00495-x

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