Skip to main content
Top

02-03-2022 | Fahrerassistenz | Schwerpunkt | Article

So wird der Fußgängerschutz intelligenter

Author: Christiane Köllner

5:30 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
loading …

Fußgänger sind im Straßenverkehr besonders gefährdet. Um ihren Schutz zu verbessern, sind bereits viele aktive und passive Sicherheitssysteme für Pkw entstanden. Doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. 

Trotz fallender Verkehrstotenzahlen stagniert die Anzahl getöteter Fußgänger gerade im städtischen Bereich, wie die Springer-Autoren um Mark Gonter im Kapitel Fahrzeugsicherheit aus dem Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik erklären. Die Ursachen der tödlichen Unfälle seien in über 80 % der Fälle Fehleinschätzung der Fußgänger und eine zu späte Reaktion der Fahrzeugführer. Obwohl es in den vergangenen Jahren einige positive Entwicklungen im Fußgängerschutz gab, sind auch bei aktuellen Fahrzeugen daher noch Optimierungen nötig. Dabei werden die Sicherheitssysteme für Pkw und Fußgänger immer komplexer – und intelligenter. 

Editor's recommendation

2021 | OriginalPaper | Chapter

Fahrzeugsicherheit

Die Sicherheit des Transports für Menschen und Güter hat weltweit einen hohen Stellenwert. Obwohl in den Industrieländern erhebliche Fortschritte erzielt wurden, waren 2013 ca. 1,24 Mio. Verkehrstote zu verzeichnen, mehr als 20 Mio. wurden verletzt. 80 % der tödlichen Verkehrsunfälle geschahen dabei in „middle-income Countries“. In der Prognose von Murray et al. würden die Verkehrsunfälle nach Herzkrankheiten und Depressionen an die dritte Stelle der Todes- und Erwerbsunfähigkeitsgründe rücken. Zahlreiche Organisationen wie die UN, Regierungen, Forschungseinrichtungen und Industrie haben Programme initiiert um diesen Trend umzukehren.

Intelligenterer Schutz

Die Tage, in denen Fußgängerschutz ausschließlich passiv erfolgte, sind vorbei. Bei passiven Maßnahmen galt und gilt es vor allem Materialien, Wandstärken und Formgebungen so auszulegen, um den Aufprall eines Fußgängers bestmöglich zu dämpfen und Verletzungen zu verringern. Doch passive Maßnahmen wie Fußgängerschutz-Schaum im Frontbereich und deformierbare Hauben sind begrenzt. Daher werden auch aktive Systeme für unvermeidliche Unfälle entwickelt. Vielfach eingesetzt, allerdings nicht flächendeckend, ist dabei die aktive oder auch aufstellende Motorhaube, ergänzend ist auch der Einsatz eines Außen- oder Scheibenairbags möglich.

Jedoch setzen diese Maßnahmen eigentlich zu spät an, denn Ziel muss es sein, einen Unfall möglichst gar nicht erst geschehen lassen. Denn was nutzen Airbag-gepolsterte Fahrzeuge mit aufstellenden Motorhaube, wenn ein Fußgänger im sogenannten sekundären Aufprall auf dem Asphalt aufschlägt und dadurch ein erhebliches Verletzungsrisiko, insbesondere für Kopfverletzungen, entsteht? Um das zu verhindern, muss es gelingen, die Kollisionsgeschwindigkeit durch aktive Bremsung des Fahrzeugs nennenswert zu verringern. Aktive Sicherheitssysteme, die den Fahrer vor Passanten warnen oder automatisch bei drohenden Kollisionen bremsen, sind also vielmehr Mittel zum Zweck und müssen die passiven Maßnahmen ergänzen. 

Fußgängererkennung hat es bei Nacht schwer

In erster Linie sind hier vor allem die Notbremsassistenten (Autonomous Emergency Braking, AEB) zu nennen. Mit Fußgängererkennung sollen sie die Zahl der im Straßenverkehr verunfallten oder getöteten Fußgänger senken. Allerdings gibt es hier einen Haken: Notbremsassistenten mit Fußgängererkennung funktionieren zwar gut bei Tageslicht und beleuchteten Straßen. Wenn es aber dunkelt wird, nimmt deren Wirksamkeit ab, wie aktuelle Tests des Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) ergeben haben. 

So zeigen die Untersuchungen des IIHS zwar, dass die Fußgängererkennung dazu beitrug, die Schwere von Unfällen mit Fußgängern um 27 % zu reduzieren, verglichen mit Fahrzeugen, die nicht über diese Funktion verfügen. Auch die Zahl der Unfälle mit Verletzten war um 30 % niedriger. Die automatische Notbremsung mit Fußgängererkennung ist also zweifellos eine Technologie, die Unfälle vermeidet. Betrachteten die Forscher jedoch nur die Fußgängerunfälle, die sich nachts auf Straßen ohne Straßenbeleuchtung ereigneten, gab es keinen Unterschied im Unfallrisiko zwischen Fahrzeugen mit und ohne Fußgänger-AEB. 

Bessere Sichtbarkeit bei Dunkelheit

Es gilt daher, die Fußgängererkennung bei Dunkelheit zu verbessern, da drei Viertel der tödlichen Fußgängerunfälle nachts passieren. Zum Beispiel kann eine in die Frontpartie integrierte Wärmebildkamera (Infrarotkamera) die von Lebewesen ausgehende Infrarotstrahlung registrieren. Werden von dieser Kamera Menschen oder Tiere erkannt, warnt ein Assistent den Fahrer. Um die Leistung der von autonomen Bremssystemen für Fußgänger deutlich zu verbessern, sei die Fusion der Daten einer Nachtsichtkamera mit denen des Radars und der konventionellen Kameras ein nächster Schritt, so Paul Hansen im The Hansen Report On Automotive Electronics aus der ATZelektronik 5-2021

Abhilfe können auch intelligente LED-Scheinwerfer schaffen, die frühzeitig Fußgänger selbstständig anstrahlen und so die Aufmerksamkeit des Fahrers steuern. "Auf der Fahrbahn lassen sich Warnsymbole anzeigen, um die Fahrenden über kritische Situationen wie rutschige Straßen, Verkehrsunfälle etc. zu informieren. Neben diesen für den Fahrer nützlichen Funktionen ermöglicht die HD-Beleuchtung die Fahrzeugkommunikation also mit Personen in der Umgebung durch Projektion von Symbolen", erklärt Marelli Automotive Lighting im Artikel Soft- und Hardware für hochauflösende Automobil-Lichtsysteme aus der ATZelektronik 4-2021. Mit zunehmend autonom fahrenden Fahrzeugen werde dies immer wichtiger.

Akustischer Fußgängerschutz

Auch Fahrzeuge mit alternativem Antrieb sind eine neue Herausforderung für den Fußgängerschutz. Eine Analyse des britischen Beratungsunternehmens TAS Partnership für den Personenverkehr habe gezeigt, so Harman, dass Fußgänger 40 % häufiger von einem Hybrid- oder Elektroauto angefahren werden als von einem Fahrzeug mit Otto- oder Dieselmotor. "Angesichts der ständig steigenden Zahl von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen auf den Straßen ist das Risiko für Fußgänger, Radfahrer und andere gefährdete Gruppen im Laufe der Jahre exponentiell gestiegen", erklärt der Akustikspezialist im Artikel Klangerzeugung für mehr Sicherheit im Straßenverkehr aus der ATZ 1-2020.

Ein vergleichsweise neues Instrument im Fußgängerschutz ist daher das Acoustic Vehicle Alerting System, kurz AVAS, das die Behörden für Elektro- und Hybridfahrzeuge vorschreiben. Das akustische Warnsystem gehört seit Juli 2021 zur Pflichtausstattung aller Neuwagen in der Europäischen Union (EU) und soll Fußgänger vor geräuscharmen Fahrzeugen schützen. 

Mit künstlicher Intelligenz ganze Straßenszenen deuten 

Weiter in die Zukunft blicken Fraunhofer-Forschende im Projekt Horis. Sie arbeiten an einem Radar-Sensorsystem, dass Autofahrer und autonom fahrende Fahrzeuge künftig frühzeitig warnen soll, wenn ein Fußgänger in Richtung Straße und Auto rennt. Denn gerade an Verkehrsknotenpunkten, an denen viele Autos, Radfahrer, Busse und Straßenbahnen aufeinandertreffen, wird es schnell unübersichtlich. "Statt wie bisher allein auf eine Abstandswarnung im Auto zu setzen, steht hier eine zuverlässige Verhaltensvorhersage im Fokus", erklärt Dr. Reinhold Herschel, Gruppenleiter am Fraunhofer FHR. Läuft ein Kind auf die Straße, sollen die Sensoren die drohende Gefahr bereits am Anfang einer Bewegung erkennen.

In einem Folgeprojekt wollen die Forschenden auf die Horis-Ergebnisse aufsetzen und den Sensor weiter optimieren. Das System der Wissenschaftler soll dann sogar ganze Straßenszenen deuten können. Mithilfe künstlicher Intelligenz und einer zusätzlichen Infrarotkamera soll das System nicht nur sehen, dass sich jemand auf das Auto zubewegt, sondern die Szene verstehen. Dies soll die Reaktionszeit des Systems verbessern. Das System erkenne dann die gesamte Szene statt nur die Bewegungen einzelner Personen. Damit sollen wertvolle Sekunden gewonnen werden, um den Fahrer zu warnen und gefährliche Situationen zu entschärfen.

Related topics

Background information for this content

Premium Partner