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24-02-2014 | IT-Sicherheit | Schwerpunkt | Article

Ist das Internet unser Verderben?

Author: Andreas Burkert

4:30 min reading time

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Weil die Komplexität moderner Kommunikationsnetze Teile der Industrie und der Bevölkerung überfordert, hält Springer-Autor Thomas Grüter das unvermeidliche Ende des Internets und den Untergang der Informationsgesellschaft für möglich.

Springer für Professionals: Herr Grüter, der Untergang der Informationsgesellschaft steht sicher in keinem Maya-Kalender? Woher nehmen Sie die Erkenntnis, dass die digitale Welt bald untergeht?

Thomas Grüter: Wir verlassen uns auf eine zunehmend komplexe Infrastruktur, ohne sie ausreichend abzusichern. Schon jetzt ist die Erhaltung von Straßen, Stromnetzen und Wasserversorgung teurer als wir uns leisten können, die Systeme verfallen langsam. In Zukunft werden die aufwendigen Kommunikationsnetze ebenfalls erhalten werden müssen. Das ist im günstigsten Fall schwierig, vielleicht aber ganz unmöglich.
Fast alle digitalen Komponenten kommen aus Ostasien, die Rohstoffe dafür aus aller Welt. Sie halten nur wenige Jahre, deshalb sind wir auf einen ständigen weltweiten Warenstrom angewiesen. Weder der Handel darf niemals unterbrochen werden, der Transport muss stets billig bleiben. Bisher verlassen wir uns einfach darauf, dass das immer weiter funktioniert. Das könnte sich eines Tages als leichtsinnig herausstellen.

Sie mahnen, dass die wachsende Abhängigkeit vom Internet ein nichtkalkuliertes Risiko ist. Vor was genau fürchten Sie sich?

Da gibt es nichts zu fürchten. Wir müssen uns nur überlegen, ob die gegenwärtige Lebensweise uns wertvoll genug ist, um sie gegen Störungen oder Katastrophen abzusichern. Wenn in Zukunft Verwaltungen, Universitäten und die Industrie kritisch von der ständigen Funktion des Internet abhängen, sollte man Krisenszenarien durchspielen und Vorsorge treffen.

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Sie beklagen unter anderem, die beschränkte Daten-Haltbarkeit moderner Medien. Ein Buch, so sagen Sie, lasse sich selbst nach Jahrhunderten noch lesen. Wer aber benötigt heute „alte“ Datensätze?

Jeder von uns sammelt sein Leben lang Unterlagen. Ärztliche Befunde sind auch nach Jahren noch wichtig. Kataster, Besitztitel, Rentenansprüche, Versicherungsurkunden, ja selbst die Geburtsurkunden bleiben auch nach Jahrzehnten noch wichtig. Unser gesamtes Leben hängt davon ab, dass Informationen jahrzehntelang zuverlässig verwahrt werden. Genau diese Sicherheit geht aber heute verloren, weil digitale Daten nur durch ständige Migration erhalten werden können. Sie sterben, wenn sie nicht ständig bewegt werden.

Gefährdet heute nicht auch das Informations-ADS-Syndrom den Fortschritt? Also das Überangebot an Informationen, zwischen denen man kopflos hin-und-her springt?

Bitte verwechseln Sie nicht die Daten und den Umgang damit. Die Menschen müssen lernen, sich nicht ständig ablenken zu lassen. Andererseits: Der ständige Zugang zu digitalen Daten wird in wenigen Jahren eine notwendige Grundlage für das Geschäftsleben, die Verwaltung und den Handel sein. Eventuell sind auch Stromversorgung und Verkehr bald darauf angewiesen. Trotzdem sind diese Systeme völlig unzureichend abgesichert.

Zudem tummeln sich gefühlt mehr Falschinformationen im Internet als verifizierte Daten.

Das war früher nicht anders. Auch Zeitungen und Bücher wird nachgesagt, dass sie lügen „wie gedruckt“. Heute können Falschinformationen mehr Schaden anrichten, weil sie sich schneller verbreiten. Allerdings laufen sie sich ebenso schnell wieder tot. In der Summe hat sich da nicht viel geändert.

Sie fordern, das digitale Datennetz besser abzusichern und auszubauen, sowie vor Angriffen zu schützen. Haben Sie dazu schon konkrete Vorstellungen?

Wenn man das Internet erhalten will, muss man auch für größere und länger anhaltende Funktionsstörungen vorsorgen. Das geschieht bisher nicht. Es gibt zum Beispiel keine Szenarien für den Fall eines mehrere Monate oder Jahre dauernden Lieferausfalls. Auch ein massiver Cyberangriff ist bisher nie durchgespielt worden. Wenn die NSA, wie berichtet, mehr hunderttausend Server infiltriert hat, kann sie damit den Betrieb des Internets weltweit massiv behindern. Russische und chinesische Geheimdienste werden ähnliche Fähigkeiten besitzen.

Wenn das Internet zusammenbrechen sollte, dann verschwinden damit auch alle Falschinformationen. Das sollte den Nachteil, sich dauernd auf Facebook rumzutreiben, doch aufwiegen.

Wenn das Internet zerfällt, ist das nicht etwa die Strafe für unseren Missbrauch von Daten und sozialen Netzen. Sollte das Straßennetz irgendwann mangels Instandhaltung zum Verkehrsinfarkt führen, läge das auch nicht an der Rücksichtslosen Raserei einiger Zeitgenossen. Vielmehr werden wir uns den Aufwand und die Kosten für die Erhaltung irgendwann nicht mehr leisten können. Vielleicht führt der Klimawandel irgendwann zu einer weltweiten Hungersnot, die wiederum Kriege auslöst und Seuchen hervorruft. Dann würde die digitale Infrastruktur als erstes zerfallen, weil sie so kurzlebig ist. Die ökonomischen Schäden wiederum wären so hoch, dass unser ganzes, auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem zusammenbricht.

Ein anderer Aspekt aber ist. Wie sollen künftig Geheimdienste ihrem Broterwerb nachkommen, wenn es die digitale Gesellschaft nicht mehr gibt?

Geheimdienste sind flexibel. Sie haben zu allen Zeiten die jeweils vorhandenen Möglichkeiten genutzt. Das werden sie auch in Zukunft tun. Die Jobs der Spione sind sicherer als die anderer Menschen.

Hat sich das „Internet“, der Internetuser, durch die NSA-et cetera-Aktivitäten erkennbar geändert?

Es gibt Umfragen, nach denen sich das Internet-Verhalten der meisten Benutzer kaum geändert hat. Der NSA-Schock war schnell verflogen, und die meisten gehen davon aus, dass es für sie keinen Unterschied macht, ob die NSA ihre Internet-Aktivitäten kennt.

Zur Person
Dr. Thomas Grüter ist Mediziner und Geschäftsführer seines eigenes Softwareunternehmens. Seit 2009 ist er Affiliate am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Universität Bamberg.
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