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2022 | Book

‚Öffentliches Leben‘: Gesellschaftsdiagnose Covid-19

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About this book

Mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie beobachten wir plötzlich gravierende Veränderungen des sozialen Lebens, die die aktuelle Situation als tragisches Krisenexperiment fungieren lassen – ein Experiment, das sich besonders auch im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Öffentlichkeit und die soziologische Beobachtung empirischer Öffentlichkeiten zeigt. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks öffentlicher Kommunikation hat die Covid-19-Pandemie global zu fast vergleichbaren gesellschaftspolitischen Reaktionen geführt: Das öffentliche Leben ist innerhalb kürzester Zeit und flächendeckend wie nie zuvor eingeschränkt worden. Diese Einschränkung wird als fraglose Gegenmaßnahme kommuniziert, die sich aus der Art der pandemischen Bedrohung rational ableitet. Aus einer öffentlichkeitssoziologischen Sicht manifestiert sich in dieser Reaktion eine Gesellschaftsdiagnose mit Universalismusanspruch, die indes ambivalent bleibt: In Zeiten von Epidemien gilt öffentliches Leben als ebenso gefährlich wie gefährdet.

Table of Contents

Frontmatter
‚Öffentliches Leben‘: Gesellschaftsdiagnose Covid-19
Bemerkungen zur Einführung
Zusammenfassung
Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie steht das öffentliche Leben als Problem im Brennpunkt: zunächst ganz konkret im Alltag als Problem des ‚Weitermachens‘ unter Bedingungen von social distancing, aber auch in der politischen Kommunikation und den Diskursen der Wissenschaft. Wir beobachten damit ein ungeplantes und tragisches Krisenexperiment, das sich auch auf die Konzeptualisierung von Öffentlichkeit und die soziologische Beobachtung empirischer Öffentlichkeiten auswirkt. Der Band arbeitet die Chiffre des ‚öffentlichen Lebens‘ anhand seiner pandemiebedingten massiven Einschränkung als gesellschaftspolitischer Tatbestand wie auch in seinen technologiebasierten Transformationen in empirischer und theoretischer Weise gegenwartsdiagnostisch auf.
Kornelia Hahn, Andreas Langenohl

Digital vermittelte politische Öffentlichkeiten

Frontmatter
Krisenbilder in der Frühphase der Covid-19-Pandemie – Zur Visualisierung und Verbreitung des Stay-at-home-Appells des medizinischen Personals
Zusammenfassung
Der Beitrag zoomt in die Bildwelten der Frühphase der Covid-19-Pandemie und fokussiert dabei besonders auf die sich in vernetzten Öffentlichkeiten schnell verbreitende Stay-at-home-Kampagne des medizinischen Personals, das als Schutz- und Präventionsmaßnahme solidarisches Handeln der Bevölkerung einfordert. Es wird der Frage nachgegangen, welche Wirkung und Dynamiken die Postings aus den Krankenhäusern entfalteten, für wen sie von Wert gewesen sind und welchen Beitrag der Bilderschwarm mitunter zu einem Solidaritätsbewusstsein in der Covid-19-Krisenkommunikation hat leisten können.
Dagmar Hoffmann
Publizität in der Corona-Krise: Zum Diabolischen der Wissenschaftskommunikation
Zusammenfassung
Der Beitrag Publizität in der Corona-Krise: Zum Diabolischen der Wissenschaftskommunikation unterscheidet wissenschaftliche Kommunikation von Wissenschaftskommunikation, um rekonstruieren zu können, wie Wissenschaftskommunikation in der Pandemie popularisiert, aber auch politisiert – und dies mit einem Risiko für Forscherinnen und Forscher, deren Beiträge von der breiten Öffentlichkeit für politisch motiviert gehalten und die selbst parteipolitischen Fraktionen zugerechnet werden, während zugleich der wissenschaftlichen Kommunikation lege artis selbst immer weniger Gewicht zukommt. Am Beispiel Christian Drostens kommt der Beitrag zum Schluss, dass erfolgreiche und das heißt: populäre Wissenschaftskommunikation die Autonomie wissenschaftlicher Kommunikation gefährden kann. Je populärer eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler, je größer die Reputation, die in der Außenbeobachtung die Prominenz der Person begründet, desto größer das Risiko, als Parteigängerïn markiert und als öffentliche Person mit den Konjunkturen der Parteipolitik verknüpft zu werden.
Niels Werber
Zum experimentellen Denkstil der Corona-Gesellschaft
Quantifizierte Wissenskommunikation und digitale Wissensherstellung in der Pandemie
Zusammenfassung
Am empirischen Beispiel der Pandemiesituation gehen wir der Frage nach, wie sich vor dem Hintergrund eines gesellschaftlich-politischen Entscheidungs- und Handlungsdrucks der öffentliche Umgang mit einem qua Definition konflikthaften und stets vorläufigen wissenschaftlichen Wissen gestaltet. Dabei nehmen wir an, dass sich die Corona-Gesellschaft an einem experimentellen Denkstil orientiert und unter Rückbezug auf das Objektivitätsversprechen digitaler Medien danach strebt, das fragile Wissen zur Pandemiesituation sukzessiv in alltagstaugliches Entscheidungswissen zu transformieren.
Nicole Zillien, Nico Wettmann

Neue Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit

Frontmatter
Intime Beziehungen und physische Nähe im Covid-19-Krisenkontext: Über Coronogamie, Dating und pragmatische Lösungen
Zusammenfassung
Im Rahmen einer qualitativen Studie wurden 18 Menschen, die sich im Corona-Krisenkontext 2020 in keiner oder in mehr als einer Partnerschaft befunden haben, zu ihren Intimpraxen befragt. Wechselwirkungen zwischen Corona-Öffentlichkeit(en) und diesen Praxen stehen im Fokus der Analyse. Hier zeigt das Material, dass die Notwendigkeit zur Begrenzung physisch-naher Kontakte auf ein absolutes Minimum, Abstandsgebote und die Schließung öffentlicher Begegnungsräume gravierende Auswirkungen auf die Ausgestaltung intimer Beziehungen haben.
Andrea Newerla
Frontline – Was ist (nicht mehr) ‚normal‘ im face-to-face Kontakt?
Zusammenfassung
In der Pandemie wird meist über eine durch das sogenannte social distancing entstandene neue Normalität diskutiert, obwohl Theorien zur Moderne bereits die Entwicklung einer zunehmenden sozialen Distanzierung als eine der charakteristischen Veränderungen diagnostiziert hatten. In diesem Beitrag wird argumentiert, dass die bloße Nutzung digitaler Technologie keineswegs eine neue und alte Normalität hinreichend unterscheidet. Die Frage, was das spezifisch Neue an der neuen Normalität des face-to-face ist, muss vielmehr auf der Grundlage einer Analyse der alten Normalität des face-to-face beantwortet werden. Dies wird hier am Beispiel der Anbahnung intimer Beziehungen gezeigt.
Kornelia Hahn
Corona-Warn-App: Die Aushandlung von Öffentlichkeit und Privatheit in den Debatten um das Contact-Tracing
Zusammenfassung
In den ‚juridischen Debatten‘ um das Problem des Datenschutzes der Corona-Warn-App sind diskursive Verschiebungen hin zur Reaktualisierung bestimmter Aspekte des klassisch-bürgerlichen Verständnisses von Öffentlichkeit und Privatheit erkennbar: Erstens wird hier – anders als beim Datenschutz – Privatheit erneut als räumliches Problem verhandelt; und zweitens geht es – entgegen der Debatten um Postprivacy und Überwachungskapitalismus – fast ausschließlich um die Frage der Zulässigkeit des Zugriffs der öffentlichen Gewalt auf Daten. Abschließend wird auf mögliche Folgen solcher Verschiebungen hingewiesen.
Doris Schweitzer

Hierarchisierung und Moralisierung öffentlichen Lebens

Frontmatter
„Biosicherheit“ oder „Maschinenmedizin“? Über die diskursive Dialektik von Ausnahmezustand und Widerstandspraktiken in der Corona-Krise
Zusammenfassung
Als biopolitische Eingriffe verändern die Maßnahmen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 die Grundlagen von ‚Leben‘ und politischer Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund einer Politik des globalen Ausnahmezustandes wird der Widerstand gegen das Corona-Hygieneregime in diesem Beitrag als (Deutungs-)Konflikt um eine ‚menschliche‘ Lebensform gelesen. Hegemoniale Erzählungen einer „Neuen Normalität“ oder eines „Great Reset“ werden in diesem Konflikt als transhumanistische Dystopien umgedeutet, die das Menschliche dem Maschinellen unterordnen und damit die Grundlagen politischer Freiheit und Öffentlichkeit bedrohen.
Alan Schink
Das konnektive Zuhause und die Öffentlichkeit: Der Umgang mit der Pandemie im infrastrukturellen Imaginären
Zusammenfassung
Der Umgang mit der Pandemie wurde in weltweitem Maßstab in Begriffen von Eindämmung, Einschränkung und Zurückfahren öffentlichen Lebens diskutiert. Demgegenüber argumentieren wir am Beispiel von Maßnahmen und Debatten in Deutschland und der Europäischen Union, dass viele der getroffenen Maßnahmen weniger der Logik einer Beschränkung bestimmter gesellschaftlicher Sektoren folgten als eher der Rekonfiguration gesellschaftlicher Funktionen im Rahmen eines gesellschaftlichen Imaginären, das als infrastrukturell bezeichnet werden kann. Gesellschaftliche Sektoren erscheinen im Rahmen dieses Imaginären nicht als funktional eindeutig spezifiziert und voneinander abgegrenzt, sondern als Matrix modularer Komponenten, die bestimmte gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen, aber sektoral nicht eindeutig fixiert sind. Am Beispiel des pandemischen Imperativs, ‚zuhause zu bleiben‘, zeigen wir, dass im Rahmen des infrastrukturellen Imaginären dem ‚Zuhause‘ eine Bedeutung zugeschrieben worden ist, die sich aus einer Konzentration verschiedener gesellschaftlicher Funktionen ergab: die Bedeutung nämlich, ein ‚sicherer Hafen‘ zu sein, der komplementär zu anderen infrastrukturellen Komponenten der Zirkulation entworfen wurde. Darin zeigt sich die Anrufung einer liberalen Lebensform wie zugleich Anmutungen an Subjekte, diese Lebensform zu bewohnen.
Andreas Langenohl, Carola Westermeier
„Achtung, Gefahr!“ Kinder-Figurationen als Bruchstellen politischer Öffentlichkeit in der Corona-Krise
Zusammenfassung
Im Verlauf der Corona-Krise kam Kinder-Figurationen eine besondere Bedeutung zu. Von tradierten Öffentlichkeits- und Intimitätsvorstellungen ausgehend diskutiert der Beitrag zirkuläre Denk- und Handlungsmuster in der Krise. Die kritische Analyseperspektive arbeitet Zusammenhänge zwischen Krise, Öffentlichkeit und Kindern heraus. Dabei verweisen dichotome Kategorisierungen wie rational – irrational, Schutz – Gefahr oder selbst – fremd auf theoretische wie empirische Bruchstellen. Mit dem Blick auf das Andere kristallisieren sich Kinder als Sphärenunterbrechung entpolitisierter gesellschaftlicher Diskurse und Realitäten heraus. Die empirischen Diagnosen liefern Impulse, die Konzentration der klassischen (politischen) Öffentlichkeitsforschung auf normative und kommunikative Momente zu diskutieren.
Dirk H. Medebach
Metadata
Title
‚Öffentliches Leben‘: Gesellschaftsdiagnose Covid-19
Editors
Kornelia Hahn
Andreas Langenohl
Copyright Year
2022
Electronic ISBN
978-3-658-37440-2
Print ISBN
978-3-658-37439-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37440-2