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24-06-2020 | Produktion + Produktionstechnik | Interview | Article

"Globale Produktionsnetzwerke müssen agil und resilient werden"

Author: Thomas Siebel

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Interviewee:
Andreas Gützlaff

ist Oberingenieur und Abteilungsleiter für Produktionsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen. Er koordiniert die anstehende Benchmark-Studie „Globale Produktion - Erfolgreich produzieren in schnelllebigen Märkten“.

Die Corona-Pandemie hat die Schwachstellen globaler Produktionsnetzwerke offengelegt. Wie die Produktion in schnelllebigen Märkten flexibel und krisenfest wird, erläutert Andreas Gützlaff im Interview.

springerprofessional.de: Die Lieferketten der meisten Maschinenbauer wurden durch die Corona-Pandemie massiv beeinträchtigt. Hätten sich die Unternehmen besser vorbereiten können?

Andreas Gützlaff: Ja und nein. Die Krise war in dieser Form nicht vorherzusehen, insofern konnte man sich auch schlecht vorbereiten. Allerdings macht die Krise ein Grundproblem moderner Lieferketten sichtbar: Sie sind global und sehr komplex geworden.

Eine Folge der Globalisierung, …

… die ja mittlerweile sehr weit vorangeschritten ist. Sehr viele Unternehmen, auch mittelständische, sind heute global aufgestellt. Dabei fokussieren sie sich sehr stark auf Economies of Scale, was teilweise zu langen Transportwegen geführt hat. Transporte sind eben nicht besonders teuer. Die Kostenoptimierung an sich war zwar nicht falsch, sie hat Netzwerke aber fragil und störungsanfällig gemacht.

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Mit steigender Volatilität der Umwelt müssen Unternehmen in der Lage sein, schnell auf Veränderungen wie zum Beispiel verkürzte Produktlebenszyklen, verstärkten Preisdruck, höhere Individualisierung, höhere Produktkomplexität, neue Wettbewerbssituationen und neue Technologien zu reagieren. 

Hat es erst der Corona-Krise bedurft, um das zu erkennen?

Nein. Das Problem hat man beispielsweise auch schon erkannt, als die USA ­– einstmals großer Verfechter des Freihandels – auf einmal neue Zölle eingeführt haben, die im Grunde Local Content Anforderungen gleichen. Die Fähigkeit, Produktionsnetzwerke sehr schnell zu adaptieren, wird zunehmend zum Wettbewerbsvorteil. Die weltweiten Rahmenbedingungen für produzierende Unternehmen verändern sich seit einigen Jahren immer schneller, und so müssen auch globale Produktionsnetzwerke zunehmend agil und resilient werden, während sie nach wie vor die Kosten im Blick behalten müssen.

Einige Experten wähnen uns am Beginn einer Deglobalisierung. Werden Unternehmen bald wieder mehr heimische Zulieferer beauftragen und in die eigene Fertigungstiefe investieren?

Diese Entwicklung würde ich nicht Deglobalisierung nennen. Unternehmen werden weiterhin international tätig sein, weil sie damit ihr Absatzrisiko ausgleichen können. Trotzdem gibt es einen Trend hin zur Local-for-Local-Produktion, der sich auch noch beschleunigen dürfte. Das heißt, Lieferketten werden wieder regionaler gestaltet. Das fällt unter den Oberbegriff Resilienz, denn es hilft Unternehmen, besser mit Krisen umzugehen.

Was macht ein resilientes Produktionsnetzwerk aus?

Zum einen verfügt es über agile Strukturen. Es kann einen Markt beispielsweise auch regional beliefern. Lokales Sourcing wird sich verstärken und man wird dabei zunehmend auf mehrere Lieferanten setzen, um sich so mehr Sicherheit zu verschaffen. Wo man nicht mit mehreren Zulieferern zusammenarbeiten kann, wird man den eigenen Wertschöpfungsumfang erhöhen. Dabei muss ein Stückweit zwischen einem kostenoptimalen und einem krisensicheren Netzwerk abgewägt werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt für die Resilienz ist es auf Veränderungen kurzfristig reagieren zu können. Dazu muss man Veränderungen frühzeitig erkennen und dann schnell entscheiden können.

Wie gelingt das?

Mit Mitteln der Digitalisierung und der damit einhergehenden Erreichung von Transparenz. Dies ist insbesondere bei komplexen Produktionsnetzwerken eine Herausforderung aber auch eine große Chance, neue Potenziale auszuschöpfen. Es geht darum, das Produktionsnetzwerk aktiv zu überwachen, Änderungsbedarf frühzeitig zu erkennen und schließlich datenbasiert und fundiert entscheiden zu können. Die beiden Bausteine agile Strukturen und schnelle Entscheidungsfindung werden ein entscheidender Stellhebel sein, um zukünftig auch in einem schnelllebigen Umfeld erfolgreich zu sein.

Welche digitalen Technologien können Unternehmen für eine agilere Produktion nutzen?

In der einzelnen Fabrik fängt es mit digital durchgängigen Prozessen oder mit Over-the-Air-Updates für Maschinen an. Weitere Beispiele sind Condition Monitoring und Predictive Maintenance. Im Produktionsnetzwerk ist das Thema Global Load Balancing sehr wichtig, um Kapazitäten in den Werken mit den Entwicklungen auf dem Absatzmarkt in Einklang zu bringen.

Was ist der Knackpunkt beim Load Balancing?

Entscheidend ist es zunächst, echtzeitnah Transparenz über das eigene Netzwerk zu haben. Das ist nur über Digitalisierung und mit einer ausgereiften IT-Infrastruktur möglich. Gleichzeitig müssen Daten mit Partnern so geteilt werden, dass man einen besseren Demand-Forecast bekommt, als es bislang der Fall ist.

Werden auch Themen wie Robotik und Automatisierung neuen Schub erfahren?

In Deutschland und in anderen Hochlohnländern gibt es bereits eine relativ starke Automatisierung. Dass die vor ein paar Jahren diskutierte Lights-Out-Factory, in der kein Mensch mehr arbeitet, nun Realität wird, glaube ich allerdings nicht. Möglicherweise erfahren Easy-to-Use-Technologien wie kollaborative Roboter sowie neue Wege der Datenauswertung oder Dashboards, die Apps und KPIs anwenderspezifisch zusammenstellen, neuen Schub, was letztlich auch zu einem höheren Grad an Automatisierung führt.

Wird die Lagerhaltung nach Jahren der Just-in-Time-Produktion eine Renaissance erfahren?

Deutlich mehr einzulagern wird nicht die Lösung sein. Es wäre ab dem Moment Verschwendung, ab dem die Krise vorüber ist. Gleichzeitig binden Lagerbestände Kapital, das nicht zur Krisenbekämpfung zur Verfügung steht. Die Lösung liegt vielmehr in einem transparenteren Forecast und der Flexibilität, schneller auf andere Lieferanten ausweichen zu können.

Beim Trend hin zur globalen Produktion ging es bislang vor allem darum, Kosten zu senken. Wie hoch ist der Preis für eine globale Produktion, die nicht nur günstig, sondern auch krisenfest ist?

Pauschal lässt sich das nicht sagen aber ich glaube, dass man zunehmend bereit sein wird für Flexibilität und Resilienz höhere Kosten in Kauf zu nehmen, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Allerdings dürften diese Kosten nicht so hoch ausfallen, wenn man auf frühzeitiges Erkennen von Krisen und schnelles Reagieren anstelle von höheren Beständen und Überkapazitäten setzt. Praxiserprobte Erfolgsfaktoren von Unternehmen, die eine solche agile, resiliente Produktion bereits aufgebaut haben sammeln wir übrigens im Rahmen unserer Benchmark-Studie „Globale Produktion“, die im September startet. Diese kann durch Konsortialpartner aktiv mit begleitet werden.

Herr Gützlaff, vielen Dank für das Interview.

Alle tagesaktuellen Beiträge rund um die Corona-Krise finden Sie hier

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