Störe sind ein wesentliches Faunenelement der Donau und stellten in der Vergangenheit durch ihre Migration ein prägendes ökologisches Verbindungsglied zwischen dem alpinen Donauraum und dem Schwarzen Meer dar. Heute sind zwei von sechs Donaustörarten bereits ausgestorben und die verbliebenen Arten sind durch Wilderei, Beifang, Migrationsbarrieren und Habitatverlust vom Aussterben bedroht. Eine Vielzahl von Projekten forciert Bemühungen zum Schutz und zur Wiederansiedelung, welche jedoch nur koordiniert und in internationaler Kooperation Aussicht auf Erfolg haben. Ziel des LIFE-Sterlet-Projekts war es, den Bestand des in der Oberen Donau stark bedrohten Sterlets (Acipenser ruthenus) zu stärken sowie das Wissen über Habitatnutzung, Migration und Autökologie zu steigern.
Notes
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Seit mehr als 200 Mio. Jahren bewohnen Störe bereits die Gewässerökosysteme der nördlichen Hemisphäre, weshalb sie zurecht als lebende Fossilien bezeichnet werden. Mittlerweile sind die Bestände jedoch an einem historischen Tiefpunkt angelangt und Störe werden als die global am stärksten gefährdete Tiergruppe angesehen (IUCN 2022).
Neben ihrem charakteristischen Körperbau und Größen von über fünf Metern zeichnen sich Störe unter anderem auch durch ihre Langlebigkeit von teilweise über hundert Jahren sowie, je nach Art, eine sehr späte Geschlechtsreife von 5 bis 22 Jahren sowie Fortpflanzungsintervalle von bis −6 Jahren aus. Sie benötigen als Langstreckenwanderer unterschiedliche Habitate, um ihren Lebenszyklus komplett durchlaufen zu können. Die meisten Arten sind anadrome Fische, die im Meer leben und zur Fortpflanzung in den Flüssen aufwärts ziehen. Dabei haben sie in der Vergangenheit enorme Distanzen zurückgelegt, die sich beispielsweise vom Schwarzen Meer bis in die bayerische Donau erstreckten (Bemis et al. 1997; Billard und Lecointre 2001). Beim potamodromen Sterlet (Acipenser ruthenus) sind in der Donau Wanderungen bis 300 km Länge dokumentiert (Holčík 1989). Durch ihren Lebenszyklus und ihre Langlebigkeit sind Störe Indikatoren für langfristig funktionierende und nachhaltig genutzte Flussökosysteme und somit Flagship und Umbrella species.
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Wesentliche Ursachen für den Bestandsrückgang sind zum einen die Blockade der Wanderrouten durch Querbauwerke und fehlender Zugang zu Laichhabitaten. Seit der Fertigstellung der Kraftwerke am Eisernen Tor zwischen Rumänien und Serbien sind nur mehr die untersten ca. 900 km der Donau frei zugänglich. Dadurch kam es zu einem massiven Rückgang sowie zum Aussterben der anadromen Arten in der flussauf gelegenen Strecke (Bemis und Kynard 1997; Hensel und Holčík 1997; Lenhardt et al. 2006; Sandu et al. 2013). Potamodrome Arten sind zwar nicht auf eine Wanderung zwischen Salz- und Süßwasser angewiesen, allerdings stehen Teilpopulationen durch Fragmentierung nicht mehr im Austausch miteinander, was zu einer Verarmung des Genpools führen kann (Ludwig et al. 2009). Die aktuell entlang der Oberen Donau umgesetzten Wanderhilfen sind aufgrund des Verhaltens und der Habitatansprüche für Störartige nicht bis kaum geeignet.
Neben der Zerstörung wichtiger Habitate und Wanderrouten stellt die Überfischung die Hauptbedrohung für Störbestände dar. In der Oberen und Mittleren Donau führte diese Übernutzung bereits in früheren Jahrhunderten zu gravierenden Bestandsrückgängen der großen Störarten. Störe sind aufgrund ihrer langen Lebenszyklen, der späten Geschlechtsreife und der meist nicht jährlich erfolgenden Fortpflanzung besonders anfällig für Überfischung und es dauert sehr lange, bis sich Bestände von einer Überfischung erholen.
Mittlerweile besteht in allen Ländern der Unteren Donau und des Schwarzen Meeres ein Fangverbot für alle heimischen Arten wildlebender Störe und der Handel mit ihren Produkten ist untersagt. Dennoch setzt sich die Übernutzung durch Wilderei und Beifang illegal fort. Haupttreiber dafür ist der extrem hohe wirtschaftliche Wert von Kaviar, aber auch die anhaltende Popularität von Störfleisch in Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres sowie die schwierige sozio-ökonomische Situation.
Darüber hinaus wurden in Folge von Flussregulierungen Verfügbarkeit und Diversität von Lebensräumen drastisch verringert, was zu Engpässen für einzelne Stadien im Lebenszyklus führt (Friedrich et al. 2018). Zusätzliche Stressoren sind Gewässerverschmutzungen (Lenhardt et al. 2006), aber auch die Hybridisierung mit entkommenen oder illegal besetzten allochthonen Störarten aus der Aquakultur (Ludwig et al. 2009).
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Von den sechs Donaustörarten ist der Europäische Stör (Acipenser sturio) im Einzugsgebiet des Schwarzen Meeres bereits ausgestorben. Der Glattdick (A. nudiventris) gilt mangels Nachweisen durch traditionelle Erhebungen, eDNA-Untersuchungen oder dokumentiertem Beifang aktuell als funktionell ausgestorben. Drei weitere anadrome Arten, der Hausen (Huso huso), der Sternhausen (A. stellatus) und der Waxdick (A. gueldenstaedtii) sind akut vom Aussterben bedroht und auf die Untere Donau unterhalb der ersten Dämme am Eisernen Tor beschränkt. Hausen und Sternhausen vermehren sich noch in geringer Zahl, während die letzten Reproduktionen des Waxdick 2007 und 2011 nachgewiesen wurden (Paraschiv pers. Mitt.). Der Sterlet (A. ruthenus) ist eine reine Süßwasserart und kommt in der gesamten Donau vor, seine Bestände sind jedoch in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Oberen und Mittleren Donau stark zurückgegangen. In der Oberen Donau ist aktuell nur eine reproduzierende Population im Bereich Jochenstein bekannt (Friedrich et al. 2014, 2018).
Vor diesem Hintergrund wurde in den Jahren 2015 bis 2022 das LIFE-Sterlet-Projekt implementiert. Das Ziel des Projekts war es, die verbliebene Population des Sterlets in Österreich durch Auswilderung von Jungtieren zu stärken, die Wanderbewegungen zu untersuchen und zusätzliche Erkenntnisse zur Autökologie und Populationsgröße des Sterlets in der österreichischen Donau zu sammeln.
2 Methodik
2.1 Nachzucht
Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiederansiedelung stark bedrohter oder in freier Wildbahn ausgestorbener Fischarten ist die Nutzung lokal angepasster, genetisch autochthoner Muttertiere, welche zudem eine hohe genetische Diversität aufweisen sollen. Darüber hinaus müssen die Jungtiere an das Gewässer geprägt werden, um ein späteres „Homing“-Verhalten zu initiieren. Die Aufzuchtmethoden sollen auf Fitness und Anpassung an das Leben in freier Wildbahn fokussieren.
Für das LIFE-Sterlet-Projekt wurden von 2017 bis 2022 zum einen Eier von wilden Muttertieren aus der ungarischen Donau bezogen. Zum anderen wurden ab 2018 jährlich adulte Sterlets flussab von Wien gefangen und nach genetischer Untersuchung für die künstliche Vermehrung genutzt. Die Tiere wurden anschließend wieder in die Donau entlassen.
Die Erbrütung der Eier und Aufzucht der Jungfische erfolgte in einem eigens entwickelten Aufzuchtcontainer mit Donauwasser (Abb. 1). Das Wasser wurde dabei nicht biologisch, chemisch oder thermisch behandelt, um die Bedingungen in freier Wildbahn bestmöglich zu simulieren. Die Anfütterung der Jungtiere (Abb. 2) erfolgte mit lebenden Nauplien von Salinenkrebsen (Artemia sp.), später wurden zerkleinerte bzw. ganze Zuckmückenlarven (Chironomidae), Schwebgarnelen (Mysis sp.) und Büschelmückenlarven (Culicoidea) verabreicht.
×
×
Die Auswilderung der Jungtiere erfolgt ab dem fressfähigen, postlarvalen Stadium ab Mitte Mai in unregelmäßigen Abständen bis September, wenn die Jungtiere bereits Totallängen (TL) von 25 bis 35 cm erreicht haben, in die Projektgebiete Wachau, Nationalpark Donauauen und March-Thaya-System. Der Besatz vor allem jüngerer Stadien erfolgte dabei uferfern per Boot, um die Tiere nicht unmittelbar dem Fraßdruck invasiver Gobiidae in Blockwurfbereichen bzw. Wellenschlag durch die Schifffahrt auszusetzen. Ein Teil der Jungtiere wurde mit PIT-Tags markiert, um Wiederfänge zweifelsfrei zuordnen zu können.
2.2 Habitat- und Migrationsmonitoring
Ziel der Telemetriestudie war es, Informationen über die Habitatnutzung und Wandermuster von Wild- und Besatzfischen zu sammeln. Insgesamt wurden 38 Sterlets mit hydroakustischen Sendern ausgestattet und im Nationalpark Donauauen freigelassen. Die Tiere wurden mittels akustischer Telemetrie über 1,5 Jahre zwischen 2020 und 2021 beobachtet. Fünf der Sterlets waren Wildfänge, die im Zuge von Netzbefischungen in der Donau unterhalb des Kraftwerks Freudenau gefangen wurden. Die restlichen 33 Fische sind im Zuge des LIFE-Sterlet-Projekts aufgezogen worden und schlüpften in den Jahren 2016, 2017 und 2018. Entlang der ca. 45 km langen Fließstrecke und im 40 km langen Stau zwischen den Kraftwerken Freudenau und Gabčíkovo wurden 14 fix installierte Hydrophone an den Schifffahrtsbojen befestigt. Zusätzlich wurde mittels mobiler Ortung vom Boot zumindest einmal pro Monat nach den Fischen gesucht.
Während der Laichzeit von März bis Mai 2021 wurde eine akustische 2D-Telemetriestudie zur kleinräumigen Habitatnutzung unterhalb des Kraftwerks Freudenau bei Wien durchgeführt. Dafür wurde ein 17.000 m2 großer Bereich mit einem Array aus fünf Hydrophonen (Abb. 3) für 43 Tage überwacht. Der Fokus der Studie lag auf den fünf im Untersuchungsgebiet gefangenen Sterlets, wovon drei Weibchen und ein Männchen im Untersuchungsgebiet aufgezeichnet werden konnten.
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2.3 Populationsmonitoring
Das Monitoring der Populationsgrößen für den Abschnitt östlich von Wien wurde im Unterwasser des Kraftwerks Freudenau von 2018 bis 2021 mittels Netzbefischungen durchgeführt (Neuburg und Friedrich in prep.). Spiegelnetze (30 × 2,5 m) mit einer inneren und äußeren Maschenweite von 100 bzw. 40 mm wurden über Nacht in die tiefen Bereiche unterhalb der Wehrfelder gesetzt, mit Ankern am Boden fixiert und mit Bojen an der Oberfläche markiert.
Gefangene Sterlets wurden nach PIT-Tags untersucht und markiert, sofern keiner vorhanden war. Nach Vermessung von Länge und Gewicht und Entnahme von Genproben wurden die Fische wieder in die Donau rückversetzt. Zur Laichzeit wurden geeignete Mutterfische temporär in den Aufzuchtcontainer auf der Donauinsel zum Zwecke der Reproduktion transferiert und anschließend zurück in die Donau verbracht. Die Geschlechter der zur Reproduktion verwendeten Tiere wurden anhand der Gonaden bestimmt, außerhalb der Laichzeit erfolgte die Einschätzung anhand morphologischer Unterschiede.
Die Populationsgröße wurde mittels der Fang-Wiederfang-Methode ermittelt. Durch die Markierung mit PIT-Tags kann jeder Sterlet identifiziert werden, wodurch eine individuelle Aufzeichnungshistorie für jeden Fisch erstellt werden kann. Die Wiederfänge dienen als Grundlage für die Berechnung der Populationsgröße (Pollock 1980). Die Populationsgröße für das beprobte Gebiet wurde sowohl mit einem Modell für eine offene (POPAN; vgl. Schwarz et al. 1993) als auch für eine geschlossene (Mt, Fangwahrscheinlichkeit variiert mit der Zeit; vgl. Otis et al. 1978) Population ermittelt. Da der Sterlet eine wandernde Fischart ist (Holčík 1989), sind Migrationsprozesse in und aus der Probestelle nicht auszuschließen. Daher kann angenommen werden, dass ein offenes Populationsmodell passend ist. Allerdings werden Sterlets mit etwa 25 Jahren relativ alt und die Studie hat in einem Zeitraum von vier Jahren stattgefunden, wodurch Sterbeereignisse vernachlässigt werden können. Die derzeitige Datenlage zur untersuchten Sterletpopulation legt nahe, dass auch Rekrutierungsprozesse keine Rolle spielen (Friedrich et al. 2014). Bei willkürlichen Wanderungen in und aus dem beprobten Gebiet (vgl. Ratschan et al. 2017) können auch Migrationsprozesse vernachlässigt werden (Kendall 1999). Daher sind auch die Ergebnisse eines geschlossenen Modells als plausibel annehmbar. Zusätzlich wurde für die Fische flussab Freudenau sowie für die Population im Bereich Jochenstein eine Populationsgrößenberechnung anhand genetischer Diversität durchgeführt (Friedrich und Ludwig in prep.). Dazu wurden 126 Proben aus Jochenstein und 33 Proben aus dem Bereich des Nationalparks von zwischen 2014 und 2021 gefangenen Sterlets genetisch charakterisiert. Zusätzlich wurden zu Vergleichszwecken 340 Proben aus früheren Untersuchungen und aus anderen Abschnitten der Donau herangezogen. Tiere mit Anzeichen von Hybridisierung und Fische mit partiellen Wolgagenotypen aus unkontrolliertem Besatz wurden aus der Populationsgrößenberechnung ausgeschlossen. Es wurden zwei Modelle für panmiktische (random mating) und assortative Verpaarung (non-random mating) (Jones und Wang 2010) berechnet.
3 Ergebnisse
3.1 Nachzucht
In Summe wurden zwischen 2017 und 2022 über 238.000 Jungfische im Aufzuchtcontainer aufgezogen und in den Projektgebieten ausgesetzt (Tab. 1). Die Erbrütung und Aufzucht im Donauwasser unterscheidet sich zwar durch Temperaturschwankungen, Trübestöße durch Hochwässer etc. (Friedrich und Eichhorn, in prep.) von der kommerziellen Aufzucht unter kontrollierten Bedingungen (vgl. Chebanov et al. 2011), die Mortalität in den verschiedenen Lebensstadien bewegte sich jedoch im Rahmen der Erfahrungswerte kommerzieller Farmen.
Tab. 1
Anzahl ausgewilderter Jungtiere 2017 bis 2021
Brut
3–5 cm
5–10 cm
10–15 cm
15–20 cm
20–30 cm
> 30 cm
TOTAL
Wachau
17.500
28.700
4650
1869
910
1369
821
55.819
Greifenstein-Freudenau
23.500
8800
1220
880
382
1218
234
36.234
Nationalpark Donauauen
34.000
51.700
10.827
1918
1908
2948
1048
104.349
March CZ
8500
5500
7610
4593
670
1962
569
29.404
March AT
8000
2800
1050
–
50
124
131
12.155
Marchfeldkanal
–
–
–
–
–
200
–
200
Asten
–
–
–
–
–
200
–
200
Traisen
–
–
–
–
–
253
50
303
TOTAL
91.500
97.500
25.357
9260
3920
8274
2853
238.664
Im Rahmen des Populationsmonitorings konnten 2021 die ersten drei laichreifen Milchner aus der 2017 besetzten Kohorte wiedergefangen werden.
3.2 Habitat- und Migrationsmonitoring
Es konnte zwischen fünf verschiedenen Wandermustern unterschieden werden. Die Wildfische zeigten die kleinsten Migrationsdistanzen und wurden hauptsächlich unterhalb des Kraftwerks Freudenau, zusammen mit ein paar Besatzfischen, aufgezeichnet. Die meisten Besatzfische migrierten direkt nach ihrer Freilassung flussabwärts, wobei manche auch wieder flussaufwärts wanderten. Die beobachteten Wanderungen konnten nicht mit Veränderungen in Temperatur oder Abfluss in Zusammenhang gebracht werden. Das unterschiedliche Wanderverhalten wurde als individuelles Anpassungsvermögen an eine neue Umgebung sowie als exploratives Verhalten interpretiert. Maximale und durchschnittliche Wanderdistanzen von 100,7 km beziehungsweise 37,7 km (SD ± 27,7 km) und Ansammlungen von Sterlets unterhalb von Migrationsbarrieren, wie bei den Kraftwerken Freudenau und Gabčikovo beobachtet, unterstreichen die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Konnektivität für diese Fischfamilie auch in der Oberen Donau.
Durch den Array im Unterwasser des Kraftwerks Freudenau konnte gezeigt werden, dass die Flächen der zentralen Bewegungszonen zwischen 3732 m2 und 4739 m2 lagen und die Habitatüberschneidung der Individuen zwischen 8,5 % und 37 % schwankten. Einzelne Paare begegneten sich bis zu 331-mal, wobei diese mit steigender Wassertemperatur (> 9 °C) zunahmen. Im Durchschnitt bevorzugten Sterlets eine Aufenthaltstiefe von 9,7 m (± 1,8), ohne signifikanten Unterschied zwischen Tag und Nacht. Die beobachtete Bewegungsdistanz einzelner Fische im Array pro Tag reichte von 786 (± 596) bis 1670 (± 788) m/d.
3.3 Populationsmonitoring
In 41 Netzbefischungen wurden 68 Sterlets gefangen, aufgeteilt auf 38 Individuen. Einige Fische wurden mehrmals – bis zu fünfmal – und über alle vier Jahre wiedergefangen. Die Anzahl der Wiederfänge stieg von keinem Wiederfang in 2018 auf 16 in 2021.
Abb. 4 zeigt, dass der Großteil aller gefangenen Sterlets aus Weibchen bestand (n = 27, 71,1 %), während nur ein kleiner Teil als Männchen angesprochen werden konnte (n = 7, 18,4 %). Das Geschlecht von vier Fischen konnte nicht eindeutig identifiziert werden (10,5 %).
×
Bei allen Individuen handelt es sich um Adulttiere. In Tab. 2 sind Längen und Gewichte der gefangenen Fische dargestellt. Zwei Fische mussten aufgrund fehlender Gewichtsmessungen aus der Analyse exkludiert werden. Mit einer mittleren Länge von 800 ± 62 mm und einem mittleren Gewicht von 3294 ± 1324 g waren Weibchen deutlich größer und schwerer als Männchen (660 ± 73 mm; 1350 ± 358 g). Mittlere Länge und Gewicht unidentifizierter Fische waren 800 ± 114 mm bzw. 2850 ± 1196 g.
Tab. 2
Länge (TL) und Gewicht (W) aller Weibchen, Männchen und unidentifizierter Fische
TL
W
Sex
Min
Max
Mean
n
Min
Max
Mean
n
f
670
920
800
27
1200
6300
3294
25
m
540
770
660
7
750
1700
1350
7
Unknown
670
910
800
4
1500
4000
2850
4
Die Ergebnisse beider Populationsmodelle waren sehr ähnlich und überlappten zu einem guten Teil. Die Populationsgröße des Sterlets im beprobten Bereich wurde mit dem Modell für offene Populationen auf 53 Individuen (95 % Konfidenzintervall (KI) = 43–80) geschätzt, während das Modell für geschlossene Populationen auf 48 Individuen (95 % KI = 42–63) kommt (Neuburg und Friedrich 2022).
Die Populationsgenetik für den Bestand flussab Wiens kommt im Vergleich dazu auf 75 reproduktive Individuen (95 % KI = 46–146) bei einer panmiktischen Population und auf 57 Individuen bei einer assortativen Population (95 % KI = 34–110) (Friedrich und Ludwig in prep.).
In Jochenstein ergeben die Analysen eine Größe von 99 reproduktiven Individuen (95 % KI = 74–136) bei einer panmiktischen Population und 60 Individuen bei einer assortativen Population (95 % KI = 41–85) (Friedrich und Ludwig in prep.).
4 Diskussion & Ausblick
Durch die späte Geschlechtsreife (4 bis 5 Jahre bei männlichen, 5 bis 6 Jahre bei weiblichen Tieren) sowie aufgrund der herausfordernden Erhebungsmethodik in der Donau kann der langfristige Erfolg der im LIFE-Sterlet-Projekt getätigten Maßnahmen erst nach dem Projektzeitraum im Detail untersucht und evaluiert werden. Die erstmals erprobte Aufzuchtmethodik im Donauwasser mit Lebendfutter hat sich jedenfalls als außerordentlich erfolgversprechend dargestellt und Versuche mit anderen Fischarten sowie die Mobilität des Aufzuchtcontainers ermöglichen eine Übertragbarkeit für weitere Fragestellungen. Die Aufzucht und das Monitoring führten zu einem wesentlichen Erkenntnisgewinn in der Autökologie des Sterlets hinsichtlich Verhalten, Geschlechtsreife, Laichzeit und Migrationsmuster. So zeigte sich zum Beispiel, dass die Österreich bisher üblichen Brittelmaße mit 40 bis 50 cm deutlich zu klein gegriffen sind und die Geschlechtsreife bei Milchnern mit ~55 bis 60 cm und bei Rognern mit ~60 bis 70 cm erreicht wird. Das Verhalten in der Larval- und Post-Larvalphase sowie die Ergebnisse der Telemetriestudien verdeutlichen einmal mehr die Relevanz der flussauf- und flussabwärtigen Durchgängigkeit für Sterlets sowie die Verfügbarkeit naturnaher, flusstypischer Habitate.
Im Nachfolgeprojekt LIFE-Boat 4 Sturgeons soll das Monitoring langfristig weitergeführt und intensiviert werden, um die Entwicklung der Population dokumentieren zu können. Außerdem soll eine Untersuchung aller Donaustauräume hinsichtlich möglicher Restpopulationen vorgenommen werden. Parallel wird eine lebende Genbank mit Mutterfischhaltung für die verbliebenen vier Donaustörarten aufgebaut, um den Genpool langfristig wahren zu können und die drei anadromen Arten an der Unteren Donau, welche am Rande des Aussterbens stehen, mit genetisch diversen, autochthonen und fitten Jungtieren unterstützen zu können.
Weitere Auswilderungsmaßnahmen an der Oberen Donau orientieren sich an den Erhebungen entlang der österreichischen Donau. Aus der Nachzucht der Wildfische flussab Wiens im LIFE-Sterlet-Projekt konnten 13 verschiedene Familien begründet werden, welche als zukünftige Muttertiere zur Verfügung stehen. Der Mutterfischbestand aller Arten wird durch die Aufnahme weiterer Genotypen ständig erweitert und die Vermehrung über ein Zuchtbuch ermöglicht größtmögliche genetische Diversität der Jungtiere. Durch die kritischen Populationsgrößen, bestehende negative Einflüsse und späte Geschlechtsreife, vor allem der anadromen Arten, erstreckt sich der Zeithorizont für die Maßnahmen über mehrere Jahre bis Jahrzehnte. Parallel dazu ist es unabdingbar, auch die Restauration der Habitate und vor allem des Längskontinuums auch für Sterlets nicht nur an den Kraftwerken am Eisernen Tor, sondern auch an flussaufwärtigen Wanderhindernissen voranzutreiben.
Förderung
Das Projekt wurde mit Mitteln aus dem LIFE-Programm der Europäischen Union umgesetzt. Partner des Projektes waren die Universität für Bodenkultur Wien, die Stadt Wien – Wiener Gewässer und die Slowakische Akademie der Wissenschaften. Die Ko-Finanzierung erfolgte durch die viadonau, den Niederösterreichischen Landesfischereiverband, das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, die Internationale Kommission zum Schutz der Donau, Povodi Moravy, den Nationalpark Donauauen, den Wiener Fischereiausschuss, den Verband der österreichischen Arbeiterfischereivereine, die Österreichische Fischereigesellschaft gegr. 1880, das Land Oberösterreich sowie die Gemeinde Drösing. Zudem möchten wir uns bei allen Kolleg:innen, Studierenden und anderen Helfer:innen in den vielfältigen Projekttätigkeiten bedanken.
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