Ein offenes Kontinuum in Fließgewässern ist zentral für den Lebenszyklus vieler Wanderfischarten wie der Barbe (Barbus barbus) oder der Nase (Chondrostoma nasus). Obwohl bereits mehrere Jahre an der Passierbarkeit gearbeitet wird, ist derzeit die Durchgängigkeit bei etwa der Hälfte der österreichischen Wasserkörper immer noch eingeschränkt. Fließgewässer, welche durch städtischen Raum fließen, weisen zudem oft über lange Strecken starke anthropogene Beeinträchtigungen und daher eine geringe Lebensraumqualität auf. Der Wienfluss ist ein Beispiel für ein Gewässer, welches abschnittsweise eine potenziell gute Habitatausstattung für die Donaufischfauna aufweist, im Unterlauf jedoch von Querbauwerken fragmentiert ist und über mehrere Kilometer in einem Betongerinne fließt. In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob die Wiederanbindung eines urbanen Gewässers wie dem Wienfluss für ein Flusssystem wie das der Donau einen ökologischen Nutzen bringen kann. Dazu erstellten wir drei hydro-dynamische Habitatmodelle flussauf des stark regulierten Unterlaufs. Mittels Präferenzkurven von Barben und Nasen unterschiedlicher Alters- und Lebensstadien – (i) Larve, (ii) Juvenil, (iii) Adult im Sommerhabitat, (iv) Adult im Laichhabitat – wurde die Habitateignung jedes Abschnitts für typische Abflüsse analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Strecken geeignete Habitate für Larven- und Juvenilstadien beider Fischarten aufweisen. Adult- und Laichhabitate sind hingegen nur eingeschränkt vorhanden; die höchste Nutzung ist bei Abflüssen um Mittelwasser zu erwarten. Zusammenfassend bietet die Wiederanbindung die Möglichkeit, dass die oberen Abschnitte für die Reproduktion und die Entwicklung der Jungfische geeignet sind. In Folge ist von einer positiven Strahlwirkung auf die Populationen der Donau auszugehen. Eine Ausschöpfung des Revitalisierungspotenzials würde sich zusätzlich positiv auf andere Aspekte wie den Erholungswert, die Landschaftsästhetik, das Städteklima und auf die Fischerei auswirken.
Notes
Die beiden Autoren DI G. Gruber und Dr. D. S. Hayes haben zu gleichen Teilen zu dieser Arbeit beigetragen.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Leitarten wie die Barbe (Barbus barbus) oder die Nase (Chondrostoma nasus) haben früher in der Donau große Bestände gebildet. Adultfische sind dabei oft zur Reproduktion in die Zubringerbäche aufgestiegen, um dort die passenden Laichgründe zu finden (Panchan et al. in Begutachtung). Die Jungfische verdriften nach der Emergenz flussab (Zitek et al. 2007), womit eine Rückkehr in die Vorfluter und zu den Adulthabitaten stattfindet. Heutzutage ist dieser Lebenszyklus aufgrund verschiedenster anthropogener Eingriffe oftmals deutlich erschwert. Eine Ursache ist, dass die für den Erhalt von Fischpopulationen notwendigen Wanderbewegungen zu Laichplätzen durch Querbauwerke vielerorts unterbunden sind (BMLFUW 2017). Die Wanderfischarten Barbe und Nase zählen als Konsequenz nun zu den gefährdetsten Fischarten Österreichs (Wolfram und Mikschi 2007; BMLFUW 2017). Die Barbe wird auf der Vorwarnliste der Roten Liste (in der Kategorie NT – near threatened) sowie in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) in Anhang V angegeben (Wolfram und Mikschi 2007). Auch die Nase ist in Österreich auf der Vorwarnliste der Roten Liste geführt und ihre Populationen sind in manchen Einzugsgebieten komplett erloschen (Hayes et al. in Begutachtung) – so etwa auch im Wienfluss.
Der ursprünglich gewundene und verzweigte Flusslauf des Wienflusses, der vor dessen Regulierung mitunter beträchtliche Breiten von bis zu 270 m aufwies (Hohensinner 2019a) sowie dessen Nähe zur Donau lassen darauf schließen, dass seine Fischartenvielfalt durch die Einwanderung vieler Arten aus der Donau geprägt war (Köck et al. 2008). So bereicherten laut Leitbildkatalog karpfenartige Fische (Cypriniden) wie die Barbe und die Nase, zwei typische Donaufischarten, das Artenspektrum dieses Zubringerflusses (BMNT 2019). Aufgrund des offenen Kontinuums zwischen Wienfluss und Donau ist in der Vergangenheit von einem ungehinderten Austausch von Organismen auszugehen. Doch spätestens ab dem 19. Jahrhundert änderte sich die Situation drastisch. Die Auswirkungen der großen Wienfluss-Regulierung um 1900 und auch Gewässerverschmutzungen machten der Fischfauna zunehmend zu schaffen, was auch einen Zusammenbruch der Fischerei mit sich zog (Zentrum für Umweltgeschichte 2019). Die Wasserqualität ist inzwischen wieder großflächig saniert und auch hydromorphologische Revitalisierungen sind auf dem Vormarsch. So kann der Wienfluss etwa seit der Jahrtausendwende durch die rund 37 ha großen Hochwasserbecken bei Auhof fließen, wodurch wertvolle Feuchtlebensräume entstanden sind. Zusätzlich erfolgte 2014 stromauf von Hütteldorf die naturnahe Gestaltung des Flussbetts auf einer Länge von 1,8 km (Hohensinner 2019b). Trotz dieser Bereiche mit entsprechend fischökologischer Bedeutung fehlen die Barbe und die Nase im Wienfluss gänzlich (Holzer 2013, 2014; Keckeis et al. 2000).
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Dass im städtischen Raum oftmals starke Beeinträchtigungen von Flüssen bestehen, kann weltweit beobachtet werden (Findlay und Taylor 2006) und wird auch beim Wienfluss deutlich. Mehrere Wanderhindernisse im Wienfluss (v. a. in der Nähe der Mündung in den Donaukanal) müssen als Ursache dafür gesehen werden, dass die typischen Donaufischarten aktuell nicht mehr im Wienfluss anzutreffen sind. Und das obwohl die klimabedingte Verschiebung der Fischregionen deren Ausbreitung begünstigen würde (Melcher et al. 2013) – denn schon jetzt gleicht der saisonale Wassertemperaturverlauf des Wienflusses (Winna und Leithner 2018) in der unteren Forellenregion (bei Purkersdorf) den Temperaturen von Gewässern der Barbenregion (Melcher et al. 2013). Die Wanderhindernisse sind auch der primäre Grund dafür, weshalb für den Wienfluss das Risiko besteht, die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) nicht zu erreichen (Köck et al. 2008; BMLRT 2022).
Sollte es der Barbe und Nase möglich gemacht werden, die Wanderhindernisse zu überwinden, könnten diese Rote-Liste-Fischarten neuen Reproduktions- und Lebensraum erschließen. Die Etablierung eines Barben- und Nasenbestands im urban geprägten Wienfluss könnte in Folge auch einen positiven Beitrag zur Population der Donau leisten.
In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob die Wiederanbindung eines vom Menschen massiv überprägten, aber stellenweise revitalisierten urbanen Gewässers wie dem Wienfluss für ein Flusssystem wie das der Donau in Hinblick auf die Habitatverfügbarkeit einen ökologischen Nutzen bringen kann. Hierfür wird die Lebensraumqualität des Wienflusses in drei Modellstrecken für die Zielfischarten Barbe und Nase mittels 2D-Habitatsimulation untersucht. Anhand dieser Ergebnisse wird evaluiert, ob verschiedene Altersstadien bzw. Lebensabschnitte – (i) Larve, (ii) Juvenil, (iii) Adult im Sommerhabitat, (iv) Adult im Laichhabitat – potenziell geeignete Lebensräume im Wienfluss vorfinden könnten, wenn Fischmigration aus der Donau ermöglicht wäre. In weiterer Folge wird auch das Revitalisierungspotenzial dieser Fließstrecken besprochen. Aus dieser Studie ergeben sich somit Einblicke in die generelle Habitateignung eines städtischen Zubringergewässers für die Donaufischfauna. Dadurch liefert diese Arbeit einen wichtigen Wissensgewinn zur Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit geplanter Wiederanbindungsmaßnahmen urbaner Fließgewässer, welche weltweit oft stark von Regulierungen des Flusslaufes, Verbauungen der Gewässersohle und des Uferbereichs geprägt sind (Booker 2003; Guimarães et al. 2021).
2 Untersuchungsgebiet
Die Flussstrecke, die für die Untersuchung unserer Fragestellung von Bedeutung ist, erstreckt sich ab Hütteldorf stromauf über die Retentionsbecken Auhof bis nach Purkersdorf (Abb. 1). Stromab von Hütteldorf ist der Wienfluss aufgrund einer durchgängig betonierten Sohle als Fischlebensraum ungeeignet. Sollte eine Migration von Donaufischen bis in die Untersuchungsgebiete möglich sein, so bietet der Wienfluss ab Auhof entsprechende Lebensräume (Hohensinner 2019b).
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Innerhalb des beschriebenen Gebietes wurden drei Abschnitte mit unterschiedlichen hydro-morphologischen Merkmalen ausgewählt, um – repräsentativ für die Habitate des Wienflusses – die Lebensraumeignung der Zielfischarten zu untersuchen: Strecke 1 ist ein sanierter Abschnitt stromab der Mauerbachmündung, Strecke 2 ein naturnaher Abschnitt in den Hochwasserrückhaltebecken und Strecke 3 stellt einen mäßig veränderten Abschnitt bei Purkersdorf dar. Abschnitt eins und zwei liegen in der Fischregion Epipotamal klein, der Dritte befindet sich im Metarhithral (BMLRT 2022).
Abb. 2 zeigt die monatlichen mittleren Tagesmittel des Abflusses mit einem 95 %igen Konfidenzintervall bei Hadersdorf-Weidlingau, welches sich knapp über den Retentionsbecken befindet und somit zwischen Strecke 2 und 3 liegt.
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3 Methodik
Die Untersuchungsstrecken wurden topografisch vermessen, deren Substratzusammensetzungen grob kartiert und anschließend wurde eine hydraulische Modellierung durchgeführt. Die Verschneidung dieser Modelle mit verfügbaren Nutzungskurven der Zielfischarten ermöglichte die Bewertung der Lebensräume bei unterschiedlichen Abflüssen.
3.1 Vermessung
Die drei Strecken haben Längen zwischen 80 und 120 m. Strecke 2 in den Retentionsbecken hat die geringste Flussbreite (8,7 m), der renaturierte Abschn. 1 unterhalb der Mauerbachmündung hingegen die größte Breite mit über 20 m (siehe Tab. 1). Die topografischen Aufnahmen erfolgten durch Querschnittsmessungen mit einer Totalstation (Leica TS02ultra-7) und einem Reflektorstab. Diese Profile waren je nach Strecke im Schnitt zwischen 7 und 17 m voneinander entfernt. Um Strukturen wie Felsen, Felsstufen, Baumstämme und kleinräumigere morphologische Änderungen der Gewässersohle zu berücksichtigen, wurden zudem zusätzliche Punkte zwischen den Transekten aufgenommen.
Tab. 1
Übersicht der erhobenen Festpunkte pro Untersuchungsstrecke
Strecke 1: Mauerbachmündung
Strecke 2: Retentionsbecken
Strecke 3: Purkersdorf
Länge
120 m
80 m
100 m
Anzahl der Transekte
7
11
8
Mittlere Transektlänge
20,6 m
8,7 m
10,5 m
Mittlere Anzahl an Messpunkten pro Transekt
12
12
10
Gesamtanzahl an Messpunkten
212
241
186
Dichte an Messpunkten
0,09 Punkte/m2
0,35 Punkte/m2
0,18 Punkte/m2
3.2 Hydraulische Modellierung
Die vermessene Topografie wurde in ein digitales Geländemodell als Grundlage für die hydraulische Modellierung überführt. Die Erstellung des zweidimensionalen digitalen Geländemodells erfolgte mit dem Programm SMS (Surface-Water Modeling System) der Firma Aquaveo. Anschließend wurden die jeweiligen Modelle in den Randbereichen mit Laserscandaten der Stadt Wien erweitert und mit River2D zweidimensionale, tiefengemittelte hydrodynamische Finite-Elemente-Modelle simuliert.
Durch Erhebung von drei verschiedenen Wasserstands-Durchfluss-Beziehungen wurde die Sohlenrauigkeit abgeschätzt und das Modell kalibriert. Für die ökologischen Fragestellungen wurden verschiedene Abflussszenarien bei Hadersdorf-Weidlingau stromauf der Mauerbachmündung (Teileinzugsgebiet: 110 km2) herangezogen. Hierfür wurden über das Verhältnis der charakteristischen Durchflüsse der Messstelle Kennedybrücke (1976 bis 2018) zur Station Hadersdorf-Weidlingau die Tagesmittelwerte reduziert. Die Station Kennedybrücke hat ein Einzugsgebiet von 199,4 km2 und befindet sich etwa 4 km flussabwärts von Strecke 1. Die charakteristischen Abflüsse für das Untersuchungsgebiet wurden mit der Myer-Gleichung wie folgt berechnet:
Der α‑Koeffizient beträgt 1,2 bei niedrigem Durchfluss, 1 bei mittlerem Durchfluss und 0,8 bei erhöhtem Durchfluss.
Die Verteilung von Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit wurde im Programm River2D simuliert. Dazu wurden drei Abflussszenarien gewählt, die das relevante Abflussspektrum dieser Strecken abdecken: (1) mittlerer Niedrigwasserabfluss (MNQ) = 0,125 m3/s, (2) Q40 = 0,681 m3/s, (3) 1,5 m3/s.
3.3 Substratkartierung
Die vorherrschenden Korngrößen wurden visuell bestimmt und dem jeweiligen Choriotoptyp zugeordnet. Die Gebiete mit gleicher Substratzusammensetzung waren durchschnittlich zwischen 0,5 und 20 m2 groß. In manchen tieferen Bereichen musste die Substratzusammensetzung aufgrund leichter Trübe fachlich geschätzt werden (etwa mittels Kickproben), was einen geringen Genauigkeitsverlust bei der Kartierung von homogenen Flächen zur Folge haben kann. Die Substratkartierungen wurden in das Programm River2D_Bed überführt, um jedem Knoten des Geländemodells ein Substratattribut zuzuordnen und eine Kanalindexdatei zu erstellen, die dann in das Habitatmodell eingeflossen ist.
3.4 Beschreibung der Habitateignung
Zur Beschreibung der Habitateignung der Zielfischarten bzw. Altersstadien wurden univariate Präferenzkurven der abiotischen Parameter Wassertiefe, Fließgeschwindigkeit und Substratzusammensetzung herangezogen. Diese univariaten Präferenzkurven ordnen verschiedenen Umweltbedingungen SI-Werte (Suitability Indices) zwischen 0 und 1 zu, wobei 1 die größte und 0 die geringste Habitateignung repräsentiert (Bovee 1986). Die Lebensraumansprüche für die Habitatmodellierung stützen sich auf bereits vorangegangene Studien mehr oder weniger vergleichbarer unbeeinflusster Gewässerabschnitte vor allem in der Pielach, aber auch Raab und Feistritz (Schmutz et al. 1999; Melcher 2000; Schöberl et al. 2014a, b) und wurden bereits im neuen Traisenunterlauf verwendet (Hohensinner et al. 2021). Die Nutzungskurven für jeden abiotischen Parameter pro Art und Lebensstadium sind in Hohensinner et al. (2021) verfügbar.
In vorliegender Arbeit benutzten wir den PHABSIM-Modellierungsansatz (Bovee und Cochnauer 1977), um die Lebensraumeignung der Zielfischarten bzw. Altersstadien vorherzusagen. Der Output des Modells ist die sogenannte Weighted Usable Area (WUA). Diese WUA oder gewichtete nutzbare Fläche ist das Produkt aus der Oberfläche, welche gewisse abiotische Eigenschaften aufweist, mit der entsprechenden Nutzungswahrscheinlichkeit dieses Habitats (Bovee und Cochnauer 1977). Im Detail wurde für jedes Stadium der zwei Zielfischarten die WUA bei den charakteristischen Abflussmengen mit der Software River2D ermittelt.
Die gesamte nutzbare Fläche der Strecke ist gleich der Summe der WUA-Werte der einzelnen Knotenpunkte. Aufgrund der Variabilität der untersuchten Streckenlängen wurde im letzten Schritt der Hydraulic Habitat Suitability Index (HHS) berechnet, um die Ergebnisse der Habitatmodellierungen zwischen den Untersuchungsstrecken bestmöglich vergleichen zu können. Der HHS wurde dabei wie folgt berechnet:
Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der ermittelten geeigneten Flächenanteile gegliedert und nach den drei untersuchten Abflusssituationen (MNQ, Q40, 1,5 m3/s) zusammengefasst (Abb. 3). Die beschriebenen Habitateignungen aller Modellstrecken beziehen sich, sofern nicht anders angeführt, sowohl auf die Barbe als auch auf die Nase.
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4.1 Geeignete Habitate bei MNQ
Mittlere Niederwasserbedingungen führen in der Altersklasse 0+ zu vergleichsweisen großen Anteilen geeigneter Habitatfläche. Bei beiden Fischarten liegen die Werte etwa bei 20 bis 40 % der benetzten Fläche. Auffällig ist hierbei, dass Strecke 1 die geringste Habitateignung zeigt, während Strecke 3, dicht gefolgt von Strecke 2, das Maximum aufweist. Juvenilfische finden unter diesen Abflussbedingungen deutlich weniger günstige Verhältnisse vor. Strecken 2 und 3 bieten hier noch die besten Bedingungen, so liegt der HHS jeweils bei etwa 5 % für Barben und knapp unter 10 % für Nasen. Adulte und laichende Fische finden bei solch geringen Abflüssen in keiner der Untersuchungsabschnitte ein geeignetes Habitat vor.
4.2 Geeignete Habitate bei Q40
Während Habitate der Altersklasse 0+ bei Q40-Abflüssen im Vergleich zum MNQ deutlich zurückgehen und bei beiden Fischarten und allen Strecken bei 10 bis 15 % liegen, zeigt sich ein markanter Anstieg der Lebensräume für Juvenile, für die nun etwa 20 bis 40 % der Fläche geeignet sind. Strecke 2 und 3 weisen für letztere Altersklasse konstant höhere Werte als Strecke 1 auf. Am geeignetsten sind erstere zwei für juvenile Nasen mit etwa 40 % nutzbarer Fläche. Doch auch juvenile Barben finden bei diesen Abflüssen rund ein Viertel der verfügbaren Habitate ansprechend.
Für Adultfische erschließt sich, mit Ausnahme der Strecke 3, auch ein Anstieg an geeignetem Habitat. Dieser ist allerdings verglichen mit dem des Juvenilhabitats sehr gering. Der Anteil geeigneter Laichhabitate steigt bei Q40 speziell bei Barben an. Der Höchstwert liegt bei 10 % in Strecke 2, während die anderen Strecken deutlich weniger nutzbares Laichhabitat aufweisen.
4.3 Geeignete Habitate bei 1,5 m3/s
Auch bei einem Abfluss von 1,5 m3/s dominieren die Juvenilhabitate mit etwa 20 bis 40 % geeigneter Fläche. Der HHS-Index ist für 0+ Fische unter diesen Abflussbedingungen noch geringer als bei Q40 und liegt bei beiden Fischarten stets unter 10 %.
Mit steigenden Abflüssen vergrößern sich allerdings weiterhin die geeigneten Habitatanteile für Adultfische und Laicher, wobei adulte Nasen deutlich mehr von den erhöhten Durchflüssen profitieren als Barben. Auffällig ist, dass Strecke 3 in allen Abflussszenarien für adulte Barben gänzlich ungeeignet ist. In Bezug auf Laichhabitate finden allerdings tendenziell Barben mehr geeignete Flächen. Diesbezüglich stechen Strecken 2 und 3 heraus, in denen es etwa 20 % nutzbare Fläche gibt.
5 Diskussion
Diese Arbeit untersucht am Beispiel des Wienflusses, welchen ökologischen Nutzen die Wiederanbindung eines urbanen Gewässers für ein Flusssystem wie der Donau in Hinblick auf die Habitatverfügbarkeit der Fischfauna bringen kann. Mittels 2D-Habitatsimulation wurde hierfür an drei Modellstrecken die Lebensraumqualität von vier Altersstadien bzw. Lebensabschnitten der Barbe und Nase analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass innerhalb der simulierten Abflusssituationen in den untersuchten Abschnitten des Wienflusses grundsätzlich geeignetes Habitat für den gesamten Lebenszyklus von Barben und Nasen vorhanden ist, wobei aber speziell die Lebensstadien 0+ und Juvenil gute Bedingungen vorfinden. Laichhabitate sind weniger stark vertreten und besonders Adultfische finden wenig geeignete Fläche vor (Abb. 3).
Im Detail gibt es jedoch je nach untersuchtem Durchflussszenario deutliche Unterschiede. Unter Niederwasserbedingungen zeigen sich zwar relativ hohe Flächenanteile gewichteter nutzbarer Fläche für 0+Fische, aber für juvenile, adulte und laichende Fische bieten diese Rahmenbedingungen nur sehr wenig oder gar kein geeignetes Habitat. Mit steigenden Abflüssen sinkt die Habitateignung für 0+ und die der anderen Fischgruppen steigt tendenziell an, wobei bei Q40 und 1,5 m3/s die nutzbare Fläche für Juvenilfische klar dominiert. Unter letzteren beiden Abflüssen zeigt sich ein Mangel an flachen und langsam fließenden Habitaten, welches bevorzugtes Larvenhabitat ist. Tiefere Abschnitte mit erhöhten Fließgeschwindigkeiten sind in allen Strecken generell relativ schwach vertreten.
In Bezug auf die univariaten Habitatpräferenzen (Hohensinner et al. 2021) lässt sich feststellen, dass bei niedrigeren Abflüssen besonders die geringe Fließgeschwindigkeit limitierend wirkt und somit etwa zu den geringen Flächen geeigneten Laichhabitats geführt hat. Beim Sommerhabitat adulter Fische wirkt hingegen die zu niedrige Wassertiefe limitierend.
Obwohl alle drei Strecken unterschiedliche Einstufungen hinsichtlich ihrer anthropogenen morphologischen Veränderungen haben (BMLRT 2022), sind die Ergebnisse der geeigneten Habitatflächen vor allem für juvenile Stadien vergleichbar. Mit ein paar Unterschieden zeigen auch beide Fischarten relativ ähnliche Ergebnisse der Habitatverfügbarkeit. Auffällig ist, dass Strecken 2 und 3 eine bessere Eignung für 0+ und Juvenilfische aufweisen als Strecke 1. Barben finden in allen Strecken weniger Juvenil- und Adulthabitat als Nasen vor. Strecke 3 weist für Adultfische am wenigsten Habitat auf und im Falle der adulten Barbe gibt es dort gar keine nutzbare Fläche. Barben finden tendenziell etwas mehr Laichhabitat als Nasen, da für letztere alle Strecken eher ungeeignet sind. Strecken 2 und 3 bieten für Barben vergleichsweise viel Laichhabitat (vor allem bei höheren Abflüssen), wohingegen Strecke 1 als Laichhabitat ungeeignet scheint.
Für die Etablierung von Donau-Spenderpopulationen ist neben der Verfügbarkeit passender Habitate für den gesamten Lebenszyklus die zeitliche Abfolge der für die jeweiligen Lebensstadien passenden Abflüsse maßgeblich, besonders aufgrund der sehr abflussabhängigen Habitateignungen einzelner Gruppen. Die Abflussganglinie des Untersuchungsgebietes zeigt einen deutlichen Höhepunkt in den Monaten März bis April und danach eine Abnahme Richtung Sommerniederwasser (Abb. 2). Dieser Verlauf entspricht einem typischen Verlauf des Abflusses in der gemäßigten Zone, bei dem die abflussreichen Monate zur Laichwanderung und die abflussschwachen Monate für Juvenilstadien geeignet sind (Hayes et al. 2018). In der Donau um Wien erfolgt die Migration adulter Nasen hauptsächlich im April. Adulte Barben wandern ab Mai (Meulenbroek et al. 2018). Somit passt die Abflussganglinie sehr gut zum Zeitpunkt der Laichwanderung der Nase. Barben hingegen wandern tendenziell erst in den Monaten mit abnehmenden Abflüssen. Dennoch ist für beide Fischarten geeignetes Laichhabitat vorhanden, da zum einen die Barbe auch bei schwächerem Abfluss anteilsmäßig bis zu 10 % geeignete Habitatfläche vorfindet. Zum anderen gibt es für die Nase zwar tendenziell erst bei relativ großen Durchflüssen nennenswerte Anteile an geeignetem Laichhabitat, aber die Abflüsse sind zum für diese Fischart relevanten Zeitpunkt ohnehin vergleichsweise hoch.
Auch wenn unter verschiedenen Abflussverhältnissen gewisse Altersstadien bzw. laichende Fische kaum oder wenig geeignetes Habitat vorfinden, ist die Lebensraumeignung der Zielfischarten somit grundsätzlich gegeben. Bartl und Keckeis (2004) haben beispielsweise gezeigt, dass sich Nasenlarven gut in den Retentionsbecken des Wienflusses entwickeln können. Dennoch zeigen die morphologischen Ausprägungen des Wienflusses Potenzial für Revitalisierungen auf, vor allem weil im dicht bebauten Bereich erheblichere strukturelle Veränderungen vorliegen als in locker besiedelten Gebieten weiter flussauf (BMLRT 2022). Eine erhöhte Habitatdiversität würde die Verfügbarkeit geeigneten Lebensraums für den gesamten Lebenszyklus der Zielfischarten fördern. Während die Larvenstadien langsame Fließgeschwindigkeiten mit geringen Wassertiefen bevorzugen, wechselt die Präferenz mit steigendem Alter zu tieferen und schneller fließenden Habitaten (Keckeis und Schiemer 2002; Britton und Pegg 2011). Geeignete Laichplätze befinden sich wiederum in relativ seichten gut überströmten Flächen des Flusses (Melcher und Schmutz 2010). So würden zum Beispiel Neugestaltungen des Flussbettes, die auch bei größeren Abflüssen das Vorhandensein von Bereichen mit geringen Wassertiefen und langsamen Fließgeschwindigkeiten ermöglichen, die frühesten Lebensstadien fördern.
Die bloße Verfügbarkeit von geeignetem Habitat ist aber noch kein Garant für eine Verbesserung des Ökosystems (Walsh und Breen 1999). Eine Untersuchung der Eignung des Lebensraums stellt einen ersten Schritt in der Lösung der Gesamtproblematik stark beeinträchtigter städtischer Fließgewässer dar. Diese Problematik ist international bekannt, wodurch in den letzten Jahrzehnten, in Europa auch teilweise durch die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie motiviert, vermehrt Revitalisierungsprojekte an urbanen Gewässern durchgeführt werden (Bash und Ryan 2002; Findlay und Taylor 2006; EEA 2016; Nilsson et al. 2016; Guimarães et al. 2021). So wie die Art der Beeinträchtigungen sind dementsprechend auch die geeigneten Managementmaßnahmen mannigfaltig. Grundsätzlich zeigt sich aber, dass Flusssanierungen in Städten im Vergleich zu ländlichen Gebieten oft nur teilweise die klassischen Ziele einer Revitalisierung erfüllen, aber dass sie dennoch große Nutzen bereithalten können (Guimarães et al. 2021).
In diese internationale Thematik ordnet sich somit auch der Wienfluss ein. Die Habitatuntersuchungen der vorliegenden Studie ergeben, dass auch bei stark beeinträchtigten urbanen Gewässern durchaus ein nutzbringendes ökologisches Potenzial vorhanden sein kann. Bei der Entscheidung, ob solch ein Potenzial in Form von Revitalisierungsmaßnahmen ausgeschöpft werden soll, spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle, wie beispielweise ökologische, soziale und politische Aspekte, welche im Rahmen der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen einbezogen werden sollten (Findlay und Taylor 2006; Logar et al. 2019). Maßnahmen, die zu einer mehr als geringfügigen ökologischen Verbesserung führen und menschliche Nutzungen nicht signifikant beeinträchtigen, sind außerdem gemäß den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) bei erheblich veränderten Wasserkörpern wie dem Wienfluss jedenfalls zielführend. Obwohl Flussaufwertungen im städtischen Bereich verglichen mit solchen im ländlichen Raum als teurer gelten (Guimarães et al. 2021), stehen städtischen Gebieten nicht zuletzt auch wegen der häufig großen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung für derartige Projekte in der Regel mehr Ressourcen zur Verfügung (Findlay und Taylor 2006; Logar et al. 2019). Selbst in Fällen, in denen bei stark beeinträchtigten Fließgewässern der ökologische Nutzen relativ gering ausfallen würde, kann der soziale Nutzen für die Bevölkerung, beispielsweise hinsichtlich des Freizeit- und Erholungswerts, der Landschaftsästhetik oder städteklimatischer Aufwertungen beträchtlich sein (Findlay und Taylor 2006; Hayes et al. in Vorbereitung). Ermöglichte Fischmigration würde neben einer Steigerung der Biodiversität auch positiv in der Fischerei spürbar sein.
Beim Interpretieren der Habitatmodellierungsergebnisse ist auch die Übertragbarkeit der Lebensraumansprüche von Zeigerarten in Referenzgewässern zu beachten, da der Wienfluss ein vergleichsweises eher kleines Fließgewässer darstellt und womöglich die Mindestansprüche an geeigneten Habitaten vor allem für Adulttiere überschätzt werden könnten. Da aber die Barben und Nasen ebenfalls Teil der Fischpopulation der Donau sind und daher im Verhalten, der Physiologie und der Ökologie vergleichbar sind, sollten auch ihre Präferenzen bezüglich Fließgeschwindigkeit, Wassertiefe und der Choriotope vergleichbar sein. Um aber diesbezüglich Fehler gänzlich ausschließen zu können, müssten Untersuchungen der Plastizität in der Lebensraumnutzung dieser Fischarten angestellt werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Entfernen der Wanderhindernisse im Unterlauf des Wienflusses für beide Zielfischarten geeigneten flussauf gelegenen Lebensraum erschließen würde, der sowohl Habitate für alle Altersstadien bereithalten, als auch Reproduktion ermöglichen würde. Diese Erkenntnisse lassen sich potenziell auch auf eine Vielzahl anderer Leit- und Begleitarten dieses Gewässers (BMNT 2019) umlegen. Im größeren Maßstab würde die gesteigerte Habitatverfügbarkeit einen positiven Effekt auf Donaufischpopulationen erzielen. Inwieweit aber ein ermöglichter Fischaufstieg von den Tieren tatsächlich angenommen werden würde, gilt es in Anbetracht des stark anthropogen beeinflussten Unterlaufs noch zu klären. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die häufig unterirdische Führung des Wienflusses, welche ein Wanderhindernis darstellen könnte. Hierbei sind unter anderem eventuelle suboptimale hydrodynamische Verhältnisse im Betongerinne zu berücksichtigen sowie der Lichtmangel in diesen Abschnitten. Letzterer kann die Migration einiger Fischarten beeinflussen oder sogar verhindern (Keep et al. 2020). Inwieweit das Wanderverhalten der Barbe oder der Nase diesbezüglich beeinträchtigt wäre, ist nicht bekannt.
Danksagung
Diese Arbeit wurde aus Mitteln der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien (H-288161/2020), der MA 45 – Wiener Gewässer sowie des Verbands der Österreichischen Arbeiter Fischereivereine (VÖAFV) gefördert.
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