Skip to main content
Top

2021 | OriginalPaper | Chapter

8. Resümee, Kontextualisierungen und Ausblicke zur soziologischen Geldtheorie in kultur-evolutionärer Absicht

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
loading …

Zusammenfassung

Das Kapitel leistet sowohl ein Resümee zu den im Zuge der historischen Untersuchungen gewonnenen Befunden als auch eine in verschiedene Richtungen ausgreifende Kontextualisierung. Das Resümee ist zentral auf die beiden analysierten Formzusammenhänge und die dortigen Abstraktionsmodi bezogen. Die Kontextualisierung bezieht sich erstens auf politische Implikationen der historischen Fallstudien, liefert zweitens Argumente gegen soziologischen Disziplinzentrismus und adressiert drittens das Thema des Stoffwechselprozesses menschlicher Zivilisationen mit der sie umgebenden Natur.

Dont have a licence yet? Then find out more about our products and how to get one now:

Springer Professional "Wirtschaft+Technik"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft+Technik" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 102.000 Bücher
  • über 537 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Automobil + Motoren
  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Elektrotechnik + Elektronik
  • Energie + Nachhaltigkeit
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Maschinenbau + Werkstoffe
  • Versicherung + Risiko

Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Springer Professional "Wirtschaft"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 67.000 Bücher
  • über 340 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Versicherung + Risiko




Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Footnotes
1
Hier sei noch einmal an die entsprechende Definition zum external memory field erinnert: „[I]t changes the long-standing relationship of consciousness to its representations. We can arrange ideas in the external memory field, where they can be examined and subjected to classification, comparison, and experimentation, just as physical objects can in a laboratory. In this way, externally displayed thoughts can be assembled into complex arguments much more easily than they can in biological memory” (Donald 2001, S. 309).
 
2
Gleichwohl haben mutmaßlich gerade Zahlzeichen die Arbitrarität in der Relation von Zeichen und Bezeichnetem befördert, weil die Symbolisierung von größeren Quantitäten eine mimetische Beziehung von Referent und Referenziertem schnell unpraktikabel werden lässt.
 
3
Begleitet war die Genese eines monetären Wertstandards wie ausgeführt von der Herausbildung komplementärer nicht-monetärer Maßsysteme. Der Rekurs auf die Entwicklung nicht-monetärer Maßsysteme hatte im Kapitel zu Mesopotamien primär die Funktion, auf Prozesse der Rasterung der Welt aufmerksam zu machen, die in vorhochkulturellen, prä-monetären Sozialitätsformen in dieser Weise keine Vorläufer hatten. Bemerkenswert ist für die mesopotamische Hochkultur weiter eine administrativen Erfordernissen folgende Entwicklung. Einerseits handelte es sich – um nur ein Beispiel herauszugreifen – bei den verwendeten Kalendern um an beobachtbaren Naturerscheinungen orientierte Ordnungssysteme. Zugleich zeichnete sich eine verwaltungstechnischen Bedürfnissen entsprechende temporale Rasterung der Welt ab.
 
4
Bei Paul (2017, S. 77) wird dies – wie mehrmals angeführt – in der Aussage zusammengefasst, dass der Markt erst dann in Schwung kommt, wenn den Akteuren ein Maßstab vorgegeben wird, an dem sie sich orientieren können. „Der Durchbruch zur kommerziellen Ökonomie“ muss insofern als „ein unbeabsichtigter Effekt des frühesten Verwaltungshandelns“ verstanden werden (ebenda).
 
5
Das Konzept des Mountaineeringeffekts stellt stärker als das Konzept des Wagenhebereffekts mögliche Rückschläge in Rechnung. Beide Konzepte stimmen aber im entscheidenden Motiv einer kumulativen Kulturentwicklung überein. Lombard (2016, S. 141 ff.) verdeutlicht den Unterschied durch ein Beispiel aus der menschlichen Frühgeschichte: „Transitions between cultural concepts, ideologies and/or technologies are not always ratchet-like (moving upwards or channeled in a single direction) through time and space […], and removing some components (old or new) does not always result in collapse […]. Throughout human history, there are episodes of technological, organizational or ideological change in multiple directions, and of simplification. There is also evidence of the loss and re-invention of concepts, ideologies and technologies […] Using hunting technologies as proxy for some aspects of human evolution, it appears for example, that people were hunting with bows and arrows (as well as other weapon systems) as early as 64 ka in southern Africa […] However, after *59 ka they seem to have stopped using this complex system in favor of hand-delivered spear hunting […], only to start hunting with bows and arrows again after *35 ka“.
 
6
Siehe dazu abermals Löffler (2019, S. 476): „Nicht der Bezug auf eine traditionelle, mythische und lokale Wirklichkeitsdeutung, sondern auf eine reflexive Praxis der Wirklichkeitsdeutung ist entscheidend für den Anschluss der Aktionen und Interaktionen. Diese Abstraktion von konkreten Relationen vermitteln Münze, Buchstabe, demos und logos. Nicht mehr die traditionelle, kontingent gewachsene Weltdeutung im Mythos, das kohärenzstiftende Ritual oder die konkreten subsistenzwirtschaftlichen Abhängigkeiten also restabilisieren das übergeordnete selbstreproduktive System, sondern der Bezug auf rationale kommunikative und ökonomische Verfahren. Sie begründen die neue Form der sozialen Synthesis: Der Bezug auf traditionelle Handlungs- und Sinnbestände überlagernde rationale Verfahren (Schrift, Geld, Demokratie, Freistellung intersubjektiver Wahrheit) spannt eine sozialsynthetische Ebene auf, in der durch die Homogenisierung des Konkreten durch Abstraktion die beteiligten Elemente kommensurabilisiert sind und so beliebig aneinander angeschlossen werden können“.
 
7
Wie im vierten Kapitel vermerkt und in den Folgekapiteln immer wieder aufgegriffen, haben Forscher wie Günther Dux, Hans-Christian Harten oder Christopher Hallpike die genetische Erkenntnistheorie Piagets soziologisch bzw. ethnologisch erweitert. An diese Forschungen haben dann in der Folge Arno Bammé und Davor Löffler angeschlossen. Wie im Kapitel zu Mesopotamien herausgearbeitet, haben sich dort in einigen zentralen Bereichen der gesellschaftlichen Praxis Formen des operativen Denkens herausgebildet, für die sich in Wildbeutersozialitäten noch keine Äquivalente finden lassen. Die Denkformen bei Jägern und Sammlern tragen noch durchgehend einen präoperativen (anschaulichen) Charakter. In der griechischen Philosophie manifestieren sich dann Kognitionsformen, die über den mesopotamischen Stand nochmals hinausgehen. Das dortige konkret-operationale Stadium wird – ablesbar am Entwicklungsgang der Philosophie von den ionischen Naturphilosophen bis zu Platon und Aristoteles – durch formal-operationale Modi überformt.
 
8
Eine verglichen mit den vorachsenzeitlichen Hochkulturen Ägyptens und Griechenlands weitreichendere Bedeutung von Schrift in Griechenland muss ohne die durch die Datenlage nicht gedeckte Behauptung einer Volldurchdringung weiter Gesellschaftsschichten begründet werden. Hierzu lässt sich primär auf die Verbreiterung und Diversifizierung informatorischer Eliten und deren neuartiges Verhältnis zueinander abstellen.
 
9
Die Bedeutung dieses Befundes lässt sich auch durch die Beobachtung stützen, dass Münzgeld in den angrenzenden Reichen, die politisch sehr anders als Griechenland strukturiert waren, nicht in gleicher Geschwindigkeit adaptiert wurde, obwohl dies „technisch“ zweifelsohne möglich gewesen wäre.
 
10
Hierbei bestand die Kritik, wie ausgeführt, nicht nur in dem Hinweis, dass es problematisch ist, moderne Analysekategorien in die Vergangenheit zu projizieren. Skepsis gegenüber neoklassischen Strömungen ist auch deshalb geboten, weil deren Kategorien den modernen Kapitalismus gar nicht in adäquater Weise abbilden, sondern auf eine Tauschwirtschaft reduzieren, in der monetäre Relationen einen bloßen Überbau darstellen und kapitalistische Produktionsverhältnisse nur im Rahmen einfacher Stoffwechselprozesse mit der natürlichen Umwelt in naturalisierter Weise ins Blickfeld geraten (Quantitätstheorie).
 
11
Dies wurde im Zuge der beiden historischen Kapitel vor allem durch Hinweise auf einige Fehleinschätzungen Polanyis vermerkt, wobei aber zugleich darauf verwiesen wurde, dass partielle Fehlinterpretationen des historischen Materials nicht als Kardinalsargument gegen ein ganzes Forschungsprogramm ins Feld geführt werden dürfen.
 
12
Was nicht zuletzt daran ablesbar ist, dass das Auftreten entsprechender gleichartiger Abstraktionsweisen (etwa phonetisches Alphabet, Münzgeld und Philosophie) räumlich und zeitlich zusammengefallen ist.
 
13
In dieser Hinsicht ist das an Formzusammenhängen interessierte Programm selbstverständlich mit Differenzierungstheorien vergleichbar. Es ist diesen gegenüber aber weniger vorfestgelegt und historisch sensibler.
 
14
Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass trotz der eher kritischen Eingaben zu Einbettungs- und Differenzierungsparadigmen im zweiten Kapitel keine Fundamentalkritik intendiert ist. Die Arbeiten Sitta von Redens beispielsweise, die sich explizit einem Einbettungsparadigma zurechnet, liegen nah an dem in diesem Buch vorgeschlagenen, auf Formzusammenhänge fokussierten Analyseschema. Ganz anders sind aber die Arbeiten Zelizers gelagert, wo ein radikalisiertes Einbettungsdenken die medialen, potenziell universalistischen Qualitäten des Geldes einfach negiert. Es geht mit dem vorliegenden Buch „lediglich“ darum, mit dem Fokus auf Formzusammenhänge Geschichtswissenschaft und Soziologie für ein Denken in koevolutionären Prozessmustern zu sensibilisieren.
 
15
Siehe zu den Problemlagen der Konzeptualisierung des Geldes bei Habermas Reichelt (1998) sowie Pahl (2004).
 
16
So besonders penetrant und marktschreierisch etwa immer wieder bei Ferguson (2009, S. 358): „[F]ar from being ‚a monster that must be put back in its place‘, as the German president recently complained, financial markets are like the mirror of mankind, revealing every hour of every working day the way we value ourselves and the resources of the world around us“.
 
17
Siehe zur Kritik nur Smil (2019, S. 376): „I will look at the fundamental physical necessities and outcomes of growth, that is at energy and material flows that are now commonly overlooked (or deliberately ignored) as if the process could be only about energy-free, dematerialized changes of abstract aggregates quantified so imperfectly in such an inadequate measure of real value as money. Although economists have a long history of ignoring energy, all economic activities are, in fundamental physical (thermodynamic) terms, simple or sequential energy conversions aimed at producing specific products or services”.
 
18
Die Autoren weisen darauf hin, dass sich in normalen Rezessionen oder nach schweren makroökonomischen Schocks, die nicht finanzieller Ursache sind, keine ähnliche politische Dynamik beobachten lässt.
 
19
Wie bereits angedeutet, soll die Beleuchtung dieses Zusammenhangs nicht suggerieren, dass Geld nach Belieben politisch kontrollierbar und zielgerichtet für politische Zwecke eingesetzt werden kann. Geld ist zwar ohne politische Flankierung nicht denkbar, geht aber seiner Eigenlogik nach nicht in Politik auf.
 
20
Es müsste freilich geprüft werden, inwieweit sich diese Henry Ford zugeschriebene Aussage nicht primär seinem Antisemitismus verdankt (siehe dazu Lee 1980).
 
21
Für den weiteren Verlauf im Römischen Reich verweisen Goodhart und Hudson (2018, S. 11) auf die von Seiten des Christentums angesichts neuer politischer Sachlagen vorgenommene Verschiebung der Entschuldungsthematik in die transzendente Dimension: „Subsequent Christianity gave the ideal of a debt amnesty an otherworldly eschatological meaning as debt cancellation became politically impossible under the Roman Empire’s military enforcement of creditor privileges“.
 
22
Natürlich impliziert die öffentliche Finanzierung von Grundlagenforschung keinen rigorosen Top-down-Modus. Die Finanzierungsentscheidungen erfolgen zentralisiert (aber unter Einbezug bereichsspezifischer ExpertInnen), die konkrete Forschung erfolgt jeweils bereichs- und problembezogen, profitiert also ebenfalls von lokalem Wissen.
 
23
Solche Planungen decken selbstverständlich nur einen Teil der Funktionen der Wirtschaft ab. Es müsste ebenfalls darüber nachgedacht werden, wie Prozesse analog der privatkapitalistischen schöpferischen Zerstörung in egalitären Kollektiven implementiert werden können.
 
24
Alternativ lohnt ein Blick auf jenen Teil der Gattungsgeschichte, der der Genese von Hochkulturen/Zivilisationen vorangegangen ist. Bereits ein Blick in die jüngere Gattungsgeschichte – anzusetzen beispielsweise bei jenem Übergang vor etwa 40.000 Jahren, der mit dem Schlagwort einer Behavioral Modernity markiert wird (siehe dazu Unterkapitel 8.3) – macht deutlich, dass Geld ein äußerst rezentes Phänomen ist. Ohne die zivilisatorische Bedeutung des Geldes schmälern zu wollen, sollte darauf reflektiert werden, dass sowohl die Besiedelung des ganzen Planeten (exklusive der Antarktis) durch VertreterInnen der Gattung Homo sapiens als auch der Übergang zu Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht ohne Geld realisiert wurden.
 
25
Wirtschaftskrisen offerieren ex negativo einen Einblick in den Zusammenhang von Geldmedien und Abstraktionstiefen. Das gegenwärtige Geldsystem ist bekanntlich durch einen tendenziell hierarchischen Nexus einer Mehrzahl von Geldmedien und damit Formen von Zahlungsversprechen geprägt. Krisen des Geldsystems lassen sich – nicht nur, aber auch – als temporäre Rückfälle einer gesellschaftlich bereits erreichten und implementierten Abstraktionstiefe des Geldes in eine weniger voraussetzungsvolle Stufe der Abstraktion begreifen. Der für Prozesse kumulativer Kulturentwicklung entscheidende Sperrklingeneffekt wird kurzzeitig suspendiert und das (als sicheres Mittel von Wertaufbewahrung geltende) ökonomische Medium wird auf eine vorherige Abstraktionsstufe zurückverlagert (wie in Unterkapitel 6.​2 kurz skizziert).
 
26
Weitere kritische Anmerkungen zum soziologischen Disziplinzentrismus folgen im letzten Unterkapitel 8.4, dort mit Bezug auf die Vernachlässigung der ökologischen respektive metabolischen Dimension.
 
27
Turney (2018, S. 2) bezeichnet diese Einheiten unter Bezug auf Koestler (1976[1967]) mit dem Begriff Holon. Hiermit sind Entitäten gemeint, die entweder als Ganzes oder als Teil gesehen werden können, je nachdem, auf welcher Hierarchieebene der Fokus der Betrachtung liegt.
 
28
Die Bezeichnung Universal Darwinism geht auf Richard Dawkins zurück und bezeichnet Versuche, Kultur als Prozess zu modellieren, der sich über Replikation (intergenerationale Informationsweitergabe), Mutation und Selektion vollzieht. Die Modellierung bewegt sich hierbei in deutlicher Engführung zu Konzepten biologischer Evolution. Das Paradigma konnte wichtige Impulse beisteuern, muss aber angesichts der heute möglichen Einblicke in die Modalitäten verschiedener evolutionärer Prozessformen als Spezialfall deklariert werden. Siehe Hodgson (2016) für einen Überblick über Vorläufer im Bereich des Universal Darwinism sowie Sydow (2012) für eine umfangreiche philosophische Analyse.
 
29
Auch Dux (2017, S. 258) betont – hier anlässlich der Sprachentwicklung des Menschen – vehement den Rückschlag kultureller Prozesse auf biologische: „Die Folge des Umstands, dass die Ausbildung der Sprache eingeleitet wird, ist, dass hinfort alle Mutationen selektiert werden, die der Ausbildung der Sprache förderlich sind. Dazu zählt vor allem die Ausbildung des Rachenraumes. Mir will diese Folge als eine wirkliche Sensation in der Evolution der Lebensformen erscheinen. Denn wenn es eingangs die biologische Organisation des Gehirns ist, die einer geistigen Lebensform förderlich ist, so ist es jetzt eine geistige Organisation, die der biologischen förderlich“.
 
30
Dies manifestiert sich auch in der Rehabilitierung von Theorien der Gruppenselektion, die heute in Form von Theorien der Multilevel-Selektion einen Wiederaufstieg erleben. Es wird gegen die vormalige neodarwinistische Orthodoxie, wonach nur das Individuum Objekt der Selektion sein könne, überzeugend argumentiert, dass es unterschiedliche Ebenen gibt, auf denen natürliche Selektion wirkt. Siehe dazu Sloan-Wilson (2006, S. 78): „Foundational changes are taking place in our understanding of human groups. For decades, the biological and social sciences have been dominated by a form of individualism that renders groups as nothing more than collections of selfinterested individuals. Now groups themselves are being interpreted as adaptive units, organisms in their own right, in which individuals play supportive roles“.
 
31
Als Beispiel weist Meloni (2014, S. 601) darauf hin, dass nach Abschluss des Humangenomprojekts immer deutlicher wurde, dass nur ein sehr kleiner Teil des Genoms (etwas mehr als ein Prozent) für proteincodierende Sequenzen zuständig ist (was der orthodoxen Definition von Genen entspricht). Der weitaus größte Teil des Genoms wird für die Reaktion auf Umweltsignale der Zelle, des Organismus und der Umgebung verwendet.
 
32
Nicht-menschlichen Primaten, die unter artifiziellen Rahmenbedingungen aufgezogen wurden, können Verhaltensweisen und Kapazitäten entwickeln, die in natürlichen Kontexten nicht vorkommen. In freier Wildbahn zeigen Schimpansen keine Sprachfähigkeit und einen nur sehr begrenzten Einsatz von Werkzeugen. In einer künstlichen (von Menschen gestalteten) Kultur aufwachsend, haben Zwergschimpansen (Bonobos) hingegen Fähigkeiten gezeigt, die für ihre Spezies als unerreichbar galten. Sie können unter Anleitung von Menschen lernen, Oldowan-Steinwerkzeuge herzustellen, sie zu modifizieren und gezielt einzusetzen. Sie können Sätze in natürlich gesprochenem Englisch verstehen, einschließlich solcher, für dessen Verständnis eine gewisse grammatikalische Kompetenz erforderlich ist. Sie können ein umfangreiches Lexikon visueller Symbole – teilweise mehrere hundert – erwerben und sinnvoll einsetzen. Sie können auch visuelle Symbole verwenden, um mit anderen symbolisch kompetenten Schimpansen zu kommunizieren, um ihre gemeinsame Aktivität bei der Lösung verschiedener Probleme und Herausforderungen zu koordinieren (vgl. Donald 2008, S. 8).
 
33
Donald (1993) diskutiert im Rahmen seiner stufentheoretisch angelegten „kognitiven Ethologie“ Formen von kultureller Weitergabe unter vorsprachlichen Bedingungen, so die episodische Kultur von Menschenaffen oder die mimetische Kultur von Homo erectus.
 
34
Rekursion lässt sich allgemein definieren als „Wiedereinführung einer Sequenz in die Sequenz“ bzw. als „Wiederanwendung einer Regel auf die Produkte, die mit der Regel geschaffen wurden“ (Löffler 2019, S. 195).
 
35
Auch bei Dunbar (2008, S. 16) werden Religion und die Fähigkeit zum Geschichtenerzählen als erst durch Sprache möglich gewordene Kompetenzen mit weitreichenden Effekten veranschlagt: „I will focus on two aspects of human behaviour that are, in many respects, archetypal of human culture: story-telling and religion. Both require us to be able to imagine worlds that do not physically exist. I shall argue that, apes’ much-vaunted capacities for cultural learning notwithstanding, no other living species is even on the same page as humans in this respect – because all other animal species lack the neuronal computational power required to make it possible. The key to understanding why this is so lies in the reasons why our brains have evolved“.
 
36
Alternative Begrifflichkeiten lauten great leap forward oder the mind’s big bang. Insofern es im Zuge der Herausbildung von Verhaltensmodernität zur Genese einer „ideellen Kultur“ kommt, gekennzeichnet durch „kommunikativ-selbstbezügliche Organisationsweisen und semantische Kopplungen zwischen den Agenten“ (Löffler 2019, S. 262), liegt hier zugleich der Einsatzpunkt für eine an Formzusammenhängen ansetzende Forschung vor.
 
37
Auch Tomasello (2006, S. 14 f.) betont die unterschiedliche Geschwindigkeit beider Formen von Evolution: „Unser Problem ist […] ein zeitliches. Es stand einfach nicht genügend Zeit für normale biologische Evolutionsprozesse, wie genetische Variation und natürliche Selektion, zur Verfügung, um Schritt für Schritt jede der kognitiven Fertigkeiten zu erzeugen, die es modernen Menschen ermöglichen, komplexe Werkzeuggebräuche und Technologien, komplexe Formen der Kommunikation und Repräsentation durch Symbole und komplexe gesellschaftliche Organisationen und Institutionen zu erfinden und aufrechtzuerhalten“.
 
38
Siehe Moore (2017) sowie Foster (1999) und (2000), die systematisch entsprechende ökologische Überlegungen bei Marx zusammengetragen und deren Zentralität im Rahmen der Kritik der politischen Ökonomie aufgezeigt haben. Für marxistische Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts ist freilich zu konzendieren, dass ökologische Reflexionen erst ab den späten 1970er Jahren an Prominenz gewonnen haben, während sie zuvor fast vollständig ausgeblendet wurden.
 
39
Siehe zur Autonomisierung der Soziologie durch Abgrenzung von der Biologie Meloni et al. (2016). Zum Prozess der disziplinären Identitätsgewinnung durch Ausblendung der Natur siehe Benton (1991) sowie als aktuelle Alternativen, die eine doppelte Frontstellung gegen biologischen Reduktionismus und soziologischen Konstruktivismus aufmachen Ingold und Palsson (2013) sowie Newton (2007).
 
40
Trotz einer populärwissenschaftlichen Ausrichtung bietet Diamonds (2011) Collapse. How societies choose to fail or succeed eine brauchbare Einführung in zivilisatorische Zusammenbrüche vormoderner Gesellschaften.
 
41
Man denke an die Rolle ausbleibender militärischer Expansionen (und dadurch von Sklavennachschub) im Prozess des Verfalls des Römischen Reichs, die in Unterkapitel 7.​5.​2 kurz erwähnt wurde.
 
42
Die einzige Gefahr für die Nachhaltigkeit, die von ihnen ausgeht, besteht im Raubbau an wichtigen Ressourcen. So gibt es Hinweise, wonach Jäger und Sammler, obwohl sie wahrscheinlich weniger als 0,01 % der Netto-Primärproduktion ihres Lebensraums verbrauchten, zum Aussterben eines bedeutenden Teils der pleistozänen Megafauna, die einen wichtigen Teil ihrer Ressourcenbasis ausmachten, beitrugen (vgl. ebenda).
 
43
Wie oben ausgeführt gibt es in vormodernen Hochkulturen stets ein sehr empfindliches (störungsanfälliges) Gleichgewicht zwischen den Faktoren Bevölkerungswachstum, landwirtschaftliche Technologie, Arbeitskräfte, die zur Aufrechterhaltung der Produktivität der Agrarökosysteme benötigt werden, und der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit (ebenda).
 
44
Die globale Nutzung fossiler Energien auf dem Niveau, das gegenwärtig realisiert wird und bis auf weiteres stetig ansteigt, wird die Grenzen des Planeten Erde in vielerlei Hinsicht überschreiten. Dies geschieht unter anderem durch den Verbrauch endlicher Ressourcen (hierbei geht es oftmals nicht um objektive Knappheiten, sondern um die Frage der Verfügbarkeit solcher Rohstoffe, die zu tragbaren Kosten abgebaut werden können), die Veränderung der globalen biogeochemischen Kreisläufe, die Erschöpfung der biologischen Vielfalt sowie die Degradierung der Ökosysteme der Erde (Fischer-Kowalski und Haberl 2007, S. 24, siehe dazu auch gleich im Fortgang).
 
45
Die Beteiligung an Ressourcenverbrauch und Emissionen ist seitens der wohlhabenden und der armen Länder freilich sehr ungleich verteilt: „[T]he primary energy needed to sustain an average citizen in one of the 50 poorest countries of the world (together containing 11 per cent of the global population) is by a factor of 7 smaller than the energy required for an average inhabitant of an OECD country, available cropland area by a factor of 2 and the food required only by a factor of 1.7.“ (Fischer-Kowalski et al. 2007, S. 224).
 
46
Im Fall von Wirtschaft und Geld fällt hierunter vor allem die Unfähigkeit, die Ausmaße von Zinseszinsdynamiken adäquat einzuschätzen.
 
47
Auch wenn es gut möglich ist, dass Weltuntergangsszenarien eine wichtige Funktion innerhalb des Alarm- und Immunsystems der gegenwärtigen Weltgesellschaft zukommt. Siehe zur Debatte existenzieller, potenziell die gesamte Gattung bedrohender Risiken auch Bostrom (2013) sowie zur Funktion von Untergangsnarrativen Bammés (2017) „Die Apokalypse denken, um den Ernstfall zu verhindern: Unheilsprophetie von Spengler bis Sloterdijk“.
 
48
Entsprechende Gedankengänge lassen sich auch durch Forschungen wie die von Salotti (2020) untermauern, die sich für die Minimum Number of Settlers for Survival on Another Planet interessieren. Die Anzahl von Menschen zur Gründung einer nachhaltigen (sich selbst tragenden und reproduzierenden) Zivilisation auf dem Mars wird dort bei nur 110 Individuen angesetzt.
 
49
Siehe etwa Moore (2017, S. 604): „The point is straightforward: Nature and Society, in their upper-case forms, are not merely analytical problems, but real abstractions“.
 
50
Die Konzeptualisierung der Genese des fossilen Energieregimes beeinflusst nicht zuletzt – und dies ist entscheidend – die Art und Weise, wie politisch über dessen Überwindung nachgedacht werden kann. Führt man die Dampfmaschine als deus ex machina ein, setzt man also direkt beim Energieregime an, besitzt man keine hinreichend trennscharfen Kriterien, wie eine post-fossile Transformation in die Wege geleitet werden kann.
 
51
Wildbeutersozialitäten fallen aus dem Raster Löfflers heraus, weil sie sich im Übergangsfeld von der Kultur- zur Zivilisationsgeschichte bewegen. Sie lassen sich wohl prinzipiell unter einer Perspektive von Formzusammenhängen analysieren, weil spätestens mit der Verhaltensmodernität ideelle Medien der Kultur auftauchen und schnell wichtiger werden. Gleichwohl handelt es sich bei Wildbeutersozialitäten – wie als Kontrast im Kapitel zu Mesopotamien skizziert – weitestgehend um prä-metrische Kulturen.
 
52
Zu den wenigen Ausnahmen, wo im geisteswissenschaftlich dominierten Achsenzeitdiskurs auf metabolische Aspekte referiert wird, gehört Bellah (2011, S. 269): „Iron was replacing bronze in both agriculture and warfare, but the transition was uneven and gradual: the ‚Iron Age‘ was not itself the cause of the other changes. In particular it would seem that iron was more important in increasing the efficiency of warfare than in transforming the means of production. Still, the use of iron tools must have contributed to the gradual increase of population that characterized the first millennium bce and the use of iron weapons to the ferocity of first millennium warfare“. Eine systematische Verschränkung der verschiedenen Komponenten des achsenzeitlichen Formzusammenhangs findet sich bei ihm aber nicht.
 
53
Um hier zu präzisieren: Die Umstellung auf Viehzucht und auch auf hochwertige Landwirtschaftsprodukte wie Öl oder Wein wurde seit der archaischen Zeit nicht zuletzt durch massive Getreideimporte aus Nachbarregionen ermöglicht. Technologieentwicklung verschränkt sich also mit ökonomisch-politischen Entwicklungen.
 
54
Die weiteren bei Löffler (2019, S. 458) unterschiedenen Phasen sollen hier nur noch kursorisch wiedergegeben werden: „c) In einer Kristallisationphase gerinnt schliesslich eine Weltfassung, eine Weltanschauung, ein Menschenbild oder ein ‚Weltverhältnis‘ in Bammés Ausdruck, das sich diskursiv, interaktionell, ökonomisch und medial in einer spezifischen Subjektivität restabilisiert (als zur globalen Ordnung und ihren Verhaltensnischen reziproke Binnendifferenzierung der Psyche und der lokalen Regeln) […]. d) In einer Auslaufphase kann auf den lock-in in systemische Reproduktionsmuster und dem Auskristallisieren der Grundstruktur der Performanzen und Institutionen die Stagnation, die Dispersion oder die Usurpation des kulturellen Prozesszusammenhangs folgen“.
 
55
Es wäre eine eigene Untersuchung wert, der Genese eines solchen Energiebegriffs in Engführung mit der Herausbildung eines ökonomischen Wertbegriffs nachzugehen. Ansatzpunkte dazu liegen bei Mirowski (1999) vor.
 
56
Zwar stand Kohle als Alternative zu Holz zur Verfügung (die bereits von den Römern zur Wärmeerzeugung eingesetzt wurde). Das technische Niveau ermöglichte zunächst aber noch keinen durchgehend konkurrenzfähigen Einsatz von Kohle: „As forests were cut to provide agricultural land and fuel for ever more people, the supply of wood no longer sufficed. Coal came to be used in its place, although with reluctance. Coal was polluting, and it was costlier to obtain and distribute than wood. Coal was not available everywhere, so entirely new distribution systems had to be devised. Digging a fuel from the ground costs more than cutting a standing tree, and coal overall costs more per unit of heating value than wood. Many of those forced to rely on coal experienced a decline in their financial well-being“ (Hoekstra et al. 2003, S. 79 f.).
 
57
Hier ist wieder auf Diamond (2005) zu verweisen beziehungsweise auf die Ausführungen in Unterkapitel 5.​1
 
Metadata
Title
Resümee, Kontextualisierungen und Ausblicke zur soziologischen Geldtheorie in kultur-evolutionärer Absicht
Author
Hanno Pahl
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32684-5_8