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Published in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft 3-4/2024

Open Access 14-02-2024 | Originalbeitrag

Systematische Analyse der Abdriftmechanismen von Menschen als Beitrag zur Minimierung des Hochwasserrisikos – Konzept und erste Tests

Authors: DI Matthias Buchinger, DI Sabrina Scheuer, MSc., Univ.-Prof. DI. Dr. Dr. h.c. Helmut Habersack

Published in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft | Issue 3-4/2024

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Zusammenfassung

Trotz der erfolgreichen Bestrebungen des Hochwasserschutzes und des Hochwasserrisikomanagements bleibt für die Bürger:innen und auch für die Einsatzkräfte im Hochwasserfall ein Gefährdungspotenzial bestehen. Dieses verbleibende Hochwasserrisiko ist darin begründet, dass aus technischer Sicht aber auch aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen (bauliche Grenzen, Raumverfügbarkeit, Ökologie) ein vollständiger Hochwasserschutz nicht gewährleistet werden kann. Ziel der vorliegenden Versuche ist es, die Abdriftgefährdung von Personen bei Hochwasser unter möglichst realen Bedingungen, bei definierten Wasserständen und Fließgeschwindigkeiten mit Menschen im Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur nachzubilden. Bei den Versuchen wird sowohl der Untergrund als auch das Schuhwerk mitbetrachtet. Ein Sicherheitskonzept gewährleistet, dass die Versuche unter strengen Sicherheitsbedingungen umgesetzt wurden, um die Risiken für die getesteten Personen zu minimieren. Neben einer genauen Auswertung der gemessenen hydraulischen Bedingungen und der wirkenden Kräfte werden weiters der Zeitpunkt der Abdrift, der physische Zustand der Person zu diesem Zeitpunkt und die psychische Verfassung mittels Selbsteinschätzung der Person erfasst. Das Konzept und erste Testergebnisse werden in diesem Artikel dargestellt.
Notes

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

Hochwasserereignisse zählen zu den verheerendsten Naturkatastrophen und fordern weltweit Menschenleben (WMO 2021). Im Zeitraum zwischen 2000 und 2014 sind mehr als 2000 Todesopfer in Zusammenhang mit Hochwasserereignissen in Europa gemeldet worden (EEA 2016).
Nicht immer sind es ausufernde Flüsse, die eine Gefahr darstellen. In den nächsten Jahren ist eine Zunahme an pluvialen Überschwemmungen in Österreich zu erwarten (Stangl et al. 2022). Starkregenereignisse führen zu sturzflutartigen Oberflächenabflüssen und treffen Siedlungsgebiete unvorbereitet. Die schlechte Vorhersehbarkeit dieser Ereignisse sowie unzureichende Schutzmechanismen führen zu einer bisher unterschätzten Gefahr und einem kaum erforschten Schadenspotenzial (Achleitner et al. 2020; Zahnt et al. 2018).
Als Gesellschaft sind wir an einem Leben in Sicherheit interessiert. Dazu gehört auch der Umgang mit Hochwasserereignissen und deren Risiken, die sich aus der Verletzlichkeit des Menschen in Kombination mit der Einwirkung des Wassers ergeben (Merz 2006). Im integrierten Hochwasserrisikomanagement wird mit dem Element der Prävention eine Risikoverringerung durch ausreichende Vorbereitung, Wissen und Bewusstseinsbildung angestrebt. Formal und gesetzlich verankert ist dieser Ansatz innerhalb der Europäischen Union in der Umsetzung der EU-Hochwasserrichtlinie (Richtlinie 2007/60/EG).
Um diesen Prozess zu unterstützen, wurden ein Konzept erstellt und erste Versuche unternommen, fehlende wissenschaftliche Grundlagen zur Abdriftgefährdung, betreffend die auslösenden hydraulischen Prozesse, zu erheben und zu analysieren.

2 Projekt „DriftRisk“

Das Projekt DriftRisk wurde im Rahmen einer Masterarbeit (Scheuer und Buchinger 2018) begonnen. Vor Beginn der Untersuchungen wurden wissenschaftliche Grundlagen für die Abdriftgefährdung von Personen recherchiert und verglichen. In weiterer Folge wurden methodische Grundlagen für Pilotversuche entwickelt, um die Kriterien, die eine Abdrift potenziell betroffener Personengruppen auslösen können, zu untersuchen. Ein erprobter Versuchsansatz zur Beobachtung von Fluiddynamik und Krafteinwirkung von Fluiden auf Körper ist der Modellversuch. Normalerweise kommt bei wasserbaulichen Modellversuchen ein Skalierungsfaktor zum Tragen, da die zu untersuchenden Gebiete größer sind als die Versuchsfläche. Dann müssen auch Maßstabsfehler berücksichtigt werden. Bei der vorliegenden Fragestellung war, aufgrund der Untersuchung von Personen in Strömungen, eine Skalierung des Modells nicht möglich. Darum wurde das Wasserbaulabor der BOKU am Brigittenauer Sporn gewählt, das bis zu 10 m3/s für solche 1:1-Modellversuche bereitstellt (Abb. 1). In der Folge sah sich das Projektteam auch mit Problemen der Sicherheit konfrontiert, da der Versuchsstandort zwar für großskalige Modellversuche ausgelegt ist, eine Versuchsanordnung, die Personen involviert, aber erheblich ausgeweitete Sicherheitseinrichtungen verlangt. Dafür wurden im Vorfeld eine weitreichende Risikobetrachtung durchgeführt und ein Sicherheitskonzept erarbeitet.

3 Ursache für Abdrift – Gefahrenbetrachtung

Nachfolgend werden verschiedene Ursachen für eine Abdrift im Sinne einer Gefahrenanalyse betrachtet.

3.1 Wassertiefe, Fließgeschwindigkeit

Für die praktische Bestimmung der theoretischen Standfestigkeit einer Person, also jener Kräfte, die den Strömungseinwirkungen entgegenstehen, wird eine Reihe von Vereinfachungen getroffen. Die Körpergeometrie wird beispielswiese als idealisierter monolithischer Block (Abt et al. 1989; Love 1987) oder Zylinder (Arrighi et al. 2017; Lind et al. 2004; Milanesi et al. 2016) mit definierten Außenmaßen und einem definierten Gewicht vereinfacht angenommen. Auf Seite der einwirkenden Kräfte wird die Gefahr des Abdriftens oder Kippens durch den Strömungswiderstand in den meisten Publikationen vereinfacht als Funktion der Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit wiedergegeben.
Während das Abgleiten in Beziehung zum Produkt aus Fließtiefe und quadrierter Geschwindigkeit (h*v2) zu bringen ist, steht das Produkt aus Fließtiefe und Geschwindigkeit (h*v) in Verbindung mit dem Kippen (Jonkman und Penning-Rowsell 2008; Martínez-Gomariz et al. 2016).

3.2 Added Mass Effekt (Effekt der zusätzlichen Masse)

Nicht berücksichtigt ist in den vereinfachenden Ansätzen der Effekt der „Added Mass“, der in der Grundlagenforschung schon lange Gegenstand der Forschung ist und für einfache Objekte wie Zylinder quantifiziert werden kann.
Wenn sich ein Körper in einer Flüssigkeit bewegt, muss sich eine gewisse Menge an Flüssigkeit um ihn herumbewegen. Wenn der Körper beschleunigt wird, so muss es auch die Flüssigkeit tun. Somit ist mehr Kraft erforderlich, um den Körper in der Flüssigkeit zu beschleunigen als in einem Vakuum. Die zusätzliche Kraft kann in Form einer imaginären zusätzlichen Masse des Objekts betrachtet werden. Für einen Zylinder entspricht die zusätzliche Masse dem Volumen des Körpers mal der Dichte des verdrängten Fluids. Hier wird angenommen, dass die aerodynamische Form eines Menschen durch einen Zylinder mit h/r von 8–14 beschreibbar ist (Hoerner 1965). Dies ist insbesondere relevant, wenn sich die Personen entgegen der Strömung bewegen bzw. Ausgleichsbewegungen durchführen.
Zusätzliche Masse ma:
$$m_{a}=\rho V=\rho r^{2}\pi h$$
(1)
ma
= Zusätzliche Masse (added mass Zylinder) (m)
r
= Radius Zylinder (m)
h
= Eintauchtiefe Zylinder (m)

3.3 Geländeneigung

Der Einfluss der Geländeneigung auf die Instabilität wird in Milanesi et al. (2016) genauer untersucht. Die Vernachlässigung der Neigung wird oft damit begründet, dass ein höheres Gefälle mit einer höheren Geschwindigkeit korrespondiere. Die Berücksichtigung der Neigung über die Geschwindigkeit ist aber vereinfacht. Die vertikale Komponente der Gewichtskraft wird durch die Neigung abgeschwächt, was in einer geringeren Haftreibung resultiert. Die Grenzkurve der Personenstabilität sinkt folglich mit zunehmender Neigung (Milanesi et al. 2016). Mit der Zunahme pluvialer Ereignisse tritt diese Ursache mehr in den Vordergrund, da es zu spontan überfluteten Flächen kommt, die nicht unmittelbar an Fließgewässern liegen müssen, und teilweise große Gefälle aufweisen. Bei solchen Ereignissen muss auch das vorhandene Sohlsubstrat als ein bestimmender Faktor mitberücksichtigt werden. Die auftretenden hydraulischen Kräfte erzeugen oftmals erodierende Zustände, die einen Bodenkontakt erschweren und damit einhergehend einen Standsicherheitsverlust bedeuten.

4 Wirkung der Gefahr auf den Menschen – Vulnerabilitäten

Um die Abdriftgefährdung des menschlichen Körpers unter Einwirkung des strömenden Wassers zu beschreiben, betrachtet man den Grenzfall, dass die Stabilität verloren geht. Physikalisch betrachtet ist zwischen den Versagensfällen Abgleiten, Kippen und Auftrieb zu unterscheiden.

4.1 Abgleiten (Sliding)

Die horizontale Stabilität einer Person in einem Strömungsfeld ergibt sich aus dem Überwiegen der Reibungskraft zwischen Schuhsohle und Untergrund, gegenüber der angreifenden Strömungskraft des Wassers. Abgleiten tritt auf, wenn sich das Verhältnis der entgegengesetzt wirkenden Kräfte umkehrt und die Strömungskraft größer der Reibungskraft wird. Dann kommt es zu einem Verlust der Haftreibung und die Person wird in Strömungsrichtung abgetrieben.

4.2 Kippen (Toppling)

Zum Kippen kommt es, wenn das aus der Strömungskraft auf den Körper einwirkende Moment die Rotationsstabilität des Körpers übersteigt. Ein möglicher Kipppunkt ist die Ferse des menschlichen Körpers bzw. der Schuhabsatz.

4.3 Auftrieb als dritter Versagensmechanismus (Floating)

Weiters sind der Auftrieb und das Aufschwimmen des menschlichen Körpers in Abhängigkeit von der Wassertiefe und unabhängig von der Fließgeschwindigkeit zu nennen. Wird dem menschlichen Körper die gleiche Dichte wie Wasser unterstellt, kommt es zum Aufschwimmen, wenn die Wassertiefe die Körperhöhe übersteigt (Jonkman und Penning-Rowsell 2008; Keller und Mitsch 1993; Lind et al. 2004). Im gegenständlichen Projekt wird diese Wirkung u. a. indirekt über die Körpergröße der Versuchsperson erhoben. Der Auftrieb ist wesentlich und wird bei den Versuchen z. B. durch Erfassung der Massenänderung gemessen. Der Auftrieb trägt signifikant zu realen Bedrohungsszenarien bei.
In ersten Testexperimenten wurde gezeigt, dass sowohl einzelne Versagensmechanismen wie auch eine Kombination oder eine Abfolge der aufgelisteten Prozesse zum Versagen, also zum Abdriften der Versuchsperson führt.
Ein wesentlicher Faktor ist auch, dass Personen nicht statisch an einem Ort verweilen, bis sie abgedriftet werden, sondern sich in realen Ereignissen aus dem Gefahrenbereich bewegen werden (müssen). Daher ist auch der dynamische Anteil beim Versuchssetup wesentlich. Das Gehen wurde bei den bisherigen Experimenten nur untergeordnet betrachtet, da die intuitiv ablaufenden, dynamischen Anpassungen der Versuchspersonen an die vorherrschenden Strömungsbedingungen im Versuchskanal in ihrer Gesamtheit schwer zu erfassen sind. Die Analyse dieser dynamischen Prozesse des Gehens und Bewegens in Strömungen, die für die praktische Anwendbarkeit der Ergebnisse hohe Relevanz hat, wird Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.

5 Messtechnik und Versuchsdurchführung

Für den DriftRisk-Versuchsstand wurde nach einer 68 m langen Zulaufstrecke eine Kraftmessplattform kraftschlüssig zum Untergrund in das Forschungsgerinne des BOKU-Wasserbaulabors eingebaut und niveaugleich mit dem umgebenden Bodenbelag belegt (Abb. 2 und 3). Dies ermöglicht eine Messung der auf die Person wirkenden Kräfte in Strömungsrichtung. Die Messplattform wurde eigens konstruiert und besteht aus zwei gegeneinander verschiebbaren Rahmenelementen aus Stahl, die über einen Kraftaufnehmer der Firma HBM GmbH miteinander verbunden sind. Die Außenmaße sind quadratisch mit einer Seitenlänge von 800 mm (Abb. 2). Der Sensor wurde mittels einer kalibrierten Federwaage geprüft, um in späterer Folge die Reibungsverluste durch die Lagerung eliminieren zu können. Vor den Versuchen wurde die Messplattform kalibriert, die Sohlschubspannung der Plattform selbst gemessen und bei den Berechnungen berücksichtigt.
Für die Durchflussermittlung in der Zulaufstrecke kam ein Durchflussmesssystem der Firma Nivus zum Einsatz, das auch die Steuerung der Parameter Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit in der Anlage ermöglicht. Die Wassertiefen wurden mit Ultraschallsensoren zeitlich aufgelöst erfasst. Zwei Doppler-Sensoren (SLD) der Firma Ott Hydromet GmbH zeichneten gemittelte Geschwindigkeiten normal zur Fließrichtung über die gesamte Breite des Gerinnes auf (Abb. 3). Zwei synchronisierte Kameras erfassten den Bewegungsablauf der Versuchsperson von der stabilen Position zur labilen/instabilen Lage bis zum Abdriften. Die personenbezogenen Daten der einzelnen Testkandidat:innen wurden nach Geschlecht, Alter, Körpergröße, Gewicht, Erfahrungen im Fließwasser und Fitness erfasst. Zudem wurden die Testpersonen mit einheitlicher Kleidung und Schuhwerk ausgestattet. Die Erfassung der Selbsteinschätzung vor und nach den Tests erfolgte in Form eines Fragebogens.
Nachfolgend wird der Ablauf der Versuche dargestellt. Zu Beginn wurde die Versuchsperson mit dem Forschungsgerinne und der Versuchsanlage vertraut gemacht. Anschließend wurde über die Sicherheitseinrichtungen aufgeklärt und der Ablauf der einzelnen Versuche geschildert. Es wurde auch explizit darauf hingewiesen, dass ein Abbruch jederzeit möglich ist und die Person jederzeit aus der Gefahrenzone evakuiert werden kann. Jeder Versuchsperson stand es frei, einen dünnen Neoprenanzug unter dem Leinengewand zu tragen. Weiters gab es die Möglichkeit, Neoprenhandschuhe zu tragen und dicke Wollsocken in den Schuhen anzuziehen. Über den Neoprenanzug wurde dann eine Leinenhose und eine Leinenweste angezogen und darüber die aus Sicherheitsgründen verpflichtende Schwimmweste. Abschließend wurde die Testperson noch mit einem 5‑Punkt-Sicherheitsgurt und einem Helm ausgestattet. Zwei Sicherheitsleinen wurden am Sicherheitsgurt der Versuchsperson eingehängt und im Vier-Augen-Prinzip von der Begleitperson und Testperson selbst überprüft. Anschließend konnte die Begleitperson das Gerinne wieder verlassen. Der Ablauf der einzelnen Versuche ist in nachfolgendem Ablaufdiagramm dargestellt (Abb. 4).
Das Forschungsgerinne wurde langsam mit Wasser gefüllt, bis der Höchststand von 1,25 m erreicht war. Dann wurde bei gleichbleibendem Pegel die Fließgeschwindigkeit von 0 m/s auf 0,5 m/s erhöht. Sobald die Testperson bereit war und die Hand gehoben hatte, wurde die erste Messung gestartet. Der weitere Ablauf war nun immer eine Messung normal auf die Strömungsrichtung (mit der geringstmöglichen Anströmfläche, mit einer Schulter gegen die Strömungsrichtung zeigend), eine Messung gegen die Strömungsrichtung (mit der größtmöglichen Anströmfläche, mit der Brust gegen die Strömungsrichtung zeigend) und eine dritte, qualitative Beurteilung, ob ein Gehen in dieser Situation möglich sei. Dabei wurden die erste und zweite Messung immer in aufrechtstehender, unbewegter Position auf der Messplattform durchgeführt, um möglichst vergleichbare Werte zu erlangen. Für die dritte Messung verließen die Testpersonen den Bereich der Messplattform und versuchten, gegen die Strömung zu gehen. Nach Beendigung der Messungen und Erhebung alle relevanten Daten zum physischen und psychischen Zustand der Versuchsperson mittels Fragebogen, wurde der nächste, tiefere Wasserstand angefahren und die Messreihe wiederholt. Dabei wurde wiederum zuerst der Wasserspiegel abgesenkt und anschließend die Fließgeschwindigkeit bei konstantem Pegel erhöht. Dies wurde mit allen vier Wasserständen durchgeführt und anschließend wurde die Versuchsperson für den Schuhwechsel und eine kurze Aufwärmpause inklusive Verpflegung aus dem Forschungsgerinne geholt. Danach wiederholten sich die Versuche nach dem oben beschriebenen Ablauf, nur mit verändertem Schuhwerk.

6 Ergebnisse

Die Messung der Kraft mittels Kraftmesszelle erfolgte einmal in Strömungsrichtung und einmal normal auf die Strömungsrichtung, die Versuchsdauer betrug jeweils 90 s. Die Daten der auf die Versuchspersonen einwirkenden Kräfte zeichnete die Messplattform kontinuierlich auf und gab den Verlauf als Kraft F in Strömungsrichtung aus. Für die Auswertung des Abdriftzeitpunkts (Abb. 5) konnte neben der Videoaufzeichnung auch auf die Daten der Kraftmessung zurückgegriffen werden.
Der kontinuierliche Anstieg und der plötzliche Abfall der gemessenen Kräfte zeichneten die Abdrift gut nach (Abb. 6). In einigen Fällen wurden auch kurzzeitige Anstiege der Kräfte knapp vor der Abdrift aufgezeichnet, die auf Turbulenzen hindeuten und auch abdriftentscheidend sein könnten.
Die Ergebnisse der Messungen wurden für jede Versuchsperson einzeln ausgewertet. Abb. 7 zeigt exemplarisch einen gesamten Durchlauf einer Versuchsperson.
Die einzelnen Messpunkte sind je nach Ergebnis rot oder grün gefärbt. Rot bedeutet hier, dass kein Stehen oder Gehen bei diesen Bedingungen möglich war, Grün bedeutet, dass ein Stehen oder Gehen unter den Bedingungen während der gesamten Messung möglich war. Des Weiteren wurde ein Punkt bei einem Wasserstand von 1,5 m und keiner Fließgeschwindigkeit/stehendem Wasser eingefügt, der im Versuch nicht gemessen wurde. Die farbliche Kennzeichnung ist von der Körpergröße abgeleitet und gibt an, ob die Person bei diesem Wasserstand, ohne zu schwimmen, ertrinken würde.
In einem weiteren Schritt wurden die Antworten der Fragebögen in die Ampelauswertung miteinbezogen. Sie spiegeln die Einschätzungen der Testperson wider. Wenn die Testperson den Versuch mit „sehr schwer“ beurteilt hatte, dann wurde der einzelne Punkt farblich rot gefüllt, wurde der Versuch mit „schwer“ beurteilt, dann wurde die Farbe Gelb vergeben. Bei den Antworten „mittel“, „leicht“ und „ohne Anstrengung“ wurden die Punkte grün gefüllt.
Diese Testperson ist eine Frau, 32 Jahre, 168 cm groß, 59 kg schwer, mit einer geschätzten Fließwassererfahrung von 1 (wobei 1 keine Erfahrung ist und 5 sehr viel Erfahrung) und körperlich fit. Die Testperson konnte die Versuche in Strömungsrichtung ohne Abdrift durchführen, hatte aber Schwierigkeiten bei den Versuchen normal auf die Strömungsrichtung und beim Gehen, wodurch es mehrmals zu einem Abdriften kam. Sie gab dementsprechend auch bei einem Großteil der Versuche an, dass diese sehr anstrengend waren und es für längere Zeit kaum möglich sei, in der Strömung zu stehen oder zu gehen, ohne abgetrieben zu werden.

7 Zusammenfassung und Ausblick

Die im Rahmen des Projekts DriftRisk getesteten Personen wurden verschiedenen Kombinationen aus Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten im Forschungsgerinne des Wasserbaulabors ausgesetzt und mittels Kraftmessung, Videoaufzeichnung und versuchsbegleitender Befragung analysiert. Die Strömungsbedingungen um die Versuchspersonen wurden gemessen. Die Ergebnisse der vorliegenden Analysen zeigen, dass die untersuchten hydraulischen Bedingungen für kurze Zeit bewältigt werden konnten, aber ein Aufenthalt über mehrere Minuten unter diesen Bedingungen großteils zu einem Abdriften der Person führen würde. Das ging aus der Befragung hervor. Bisher wurden nur wenige Testpersonen untersucht. Es zeigte sich, dass das Konzept für die Analyse der Abdrift funktioniert und auch Ergebnisse abzuleiten sind. Mit dem Wasserbaulabor der BOKU kann die volle Kapazität von 10 m3/s erreicht werden, die notwendig ist, um in jedem Versuchsfall eine Abdrift zu gewährleisten und somit die tatsächlichen Grenzwerte festzustellen. Das ermöglicht dann in Zukunft Aussagen über die kritischen Bedingungen, die jedenfalls eine Abdrift erzwingen.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind als erste wissenschaftliche Grundlage für Folgeprojekte zu verstehen, die im neuen Wasserbaulabor der BOKU geplant sind. Aufbauend auf die mit den Projekten geschaffene Infrastruktur, soll auch der Wissenstransfer in die Praxis ermöglicht werden und die Versuchsanordnung in weiterer Folge für die Ausbildung von Einsatzkräften zur Verfügung stehen. Das kann von einfachen Anströmversuchen unbewegter, stabil stehender Personen über die Erprobung diverser Fortbewegungstaktiken in überfluteten Gebieten bis hin zu Tests mit einsatzrelevanten Gegenständen, wie Wathosen und Zillen, gehen. Diese Maßnahmen sollen in einem gesteigerten Gefahrenbewusstsein durch die unmittelbare, jedoch risikolose Erfahrung mit Strömung und Wassertiefe münden.

Interessenkonflikt

M. Buchinger, S. Scheuer und H. Habersack geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literature
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Metadata
Title
Systematische Analyse der Abdriftmechanismen von Menschen als Beitrag zur Minimierung des Hochwasserrisikos – Konzept und erste Tests
Authors
DI Matthias Buchinger
DI Sabrina Scheuer, MSc.
Univ.-Prof. DI. Dr. Dr. h.c. Helmut Habersack
Publication date
14-02-2024
Publisher
Springer Vienna
Published in
Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft / Issue 3-4/2024
Print ISSN: 0945-358X
Electronic ISSN: 1613-7566
DOI
https://doi.org/10.1007/s00506-024-01027-6

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