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Published in: Standort 1/2019

Open Access 28-03-2019 | Angewandte Geographie

Verkehrsanbindung von Berufsschülern

Fallstudien an drei berufsbildenden Schulen in Northeim

Authors: Alice Gebauer, Jana Fingerhut, Prof. Dr. Jörg Lahner, Jan Schlüter

Published in: Standort | Issue 1/2019

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Zusammenfassung

Die Infrastrukturen ländlicher Räume sind im Vergleich zu denen städtischer Gebiete geringer ausgebaut. Das hat nicht nur Auswirkungen für die Bevölkerung, sondern auch auf die gesamtgesellschaftlich-wirtschaftliche Ebene. Für die Gesellschaft ist es wichtig, die Verkehrs- und Bildungsinfrastrukturen ländlicher Räume für junge Menschen attraktiv zu gestalten. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kommt gerade den Schülerinnen und Schülern berufsbildender Schulen eine wichtige Rolle zu. Damit erhalten berufsbildende Schulen eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für ländliche Räume. Bestandteil einer attraktiven Bildungsinfrastruktur ist auch die Erreichbarkeit der berufsbildenden Schulen und der Ausbildungsbetriebe. Diese gestaltet sich für die Schüler von berufsbildenden Schulen in ländlichen Räumen aufgrund eines schrumpfenden Angebots des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) immer schwieriger. Der Beitrag untersucht die Verkehrsanbindung von drei ausgewählten berufsbildenden Schulen in der Stadt Northeim einerseits und der jeweiligen Ausbildungsbetriebe andererseits. Auf der Grundlage einer Datenanalyse werden Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die dafür erhobenen Daten stammen aus einem Pilotprojekt für das Untersuchungsgebiet Northeim.

Berufsschulen in ländlichen Räumen und ihre Erreichbarkeit

Die im Vergleich zu städtischen Gebieten geringer ausgebauten Infrastrukturen ländlicher Räume machen diese als Wohn- und Wirtschaftsstandort unattraktiver (Reichert-Schick 2015). Unter den infrastrukturellen Abbau fallen auch Bildungseinrichtungen und der öffentliche Nahverkehr. Jedoch sind gerade berufsbildende Schulen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung für ländliche Räume. Zu einer guten Bildungsinfrastruktur gehört auch eine gute Erreichbarkeit dieser Schulen und der Betriebe. Für die Schüler berufsbildender Schulen in ländlichen Räumen wird sie aufgrund des sinkenden ÖPNV-Angebotes jedoch immer schlechter.
In ländlichen Räumen nutzen viele Menschen den motorisierten Individualverkehr, um Wege zurückzulegen (Steinrück und Küpper 2010). Diese Möglichkeit haben Schüler jedoch oft nicht, sie sind auf den ÖPNV angewiesen. Zusätzlich müssen die meisten Schüler berufsbildender Schule ihren Ausbildungs- bzw. Praktikumsbetrieb erreichen. Es müssen also nicht nur ÖPNV-Verbindungen zu den Schulen, sondern auch zu den jeweiligen Betrieben existieren. Der Beitrag untersucht die Verkehrsanbindungen von Berufsschülern an ihre Schulen und Ausbildungsbetriebe in Northeim. Der Landkreis Northeim ist Mitinitiator des Südniedersachsenprogramms, mit dem die Landesregierung die „regionale Attraktivität und Zukunftsfähigkeit dauerhaft sichern“ möchte (Niedersächsische Landesregierung 2014, S. 1).
Neben anderen Programmaspekten liegen Schwerpunkte auf der Verbesserung von Mobilitätsangeboten und der qualitativen Förderung von Schulen sowie der Sicherung von Fachkräften in der Region (Niedersächsische Landesregierung 2014). Der Raum Südniedersachsen ist besonders stark vom demografischen Wandel betroffen, was sich in Alterung und Abwanderung der Bevölkerung äußert. Auch die räumliche Nähe zu Wachstumszentren, die Wachstumsimpulse aussenden könnten, ist nicht gegeben. Daher ist Südniedersachsen im Vergleich zu den anderen Regionen Niedersachsens entwicklungstechnisch stark zurückgefallen.

Demografischer Wandel und Fachkräftemangel

Der demografische Wandel in Deutschland äußert sich durch den Rückgang und die Alterung der Bevölkerung (Nagel-Jachmann 2016). Die derzeitige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland verläuft regional jedoch sehr unterschiedlich. Während viele Großstädte und Ballungsräume in der jüngeren Vergangenheit steigende Bevölkerungszahlen aufweisen, verzeichnen insbesondere zahlreiche ländliche Gebiete eine Abnahme der Bevölkerung (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014). Die unterschiedlichen Entwicklungen sind vor allem durch Wanderungsbewegungen der Bevölkerung zu erklären. In den alten Bundesländern ist neben Gebieten in Bayern, der Pfalz und Nordhessen auch Südniedersachsen von starker Abwanderung betroffen.
Durch die Bevölkerungsschrumpfung in bestimmten Regionen und die Alterung – verbunden mit einer steigenden Anzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in den Ruhestand gehen – kommt es zu einem Engpass in einigen Berufsbranchen, der in den kommenden Jahren zunehmen wird. Jeder siebte Berufstätige ist älter als 55 Jahre (Knecht 2016). Ein Fachkräftemangel besteht laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „[…] wenn die Arbeitskräftenachfrage in einem Berufsfeld oder in einer Region höher ist als das entsprechende Arbeitskräfteangebot. Sind die Engpässe dauerhaft vorhanden, wird von einem Fachkräftemangel gesprochen“ (2014, S. 10). Je nach Region, Branche und Altersstadium äußert sich der Fachkräftemangel unterschiedlich stark. Vor allem ländliche Regionen stehen vor großen Herausforderungen. Bevölkerungsrückgang und -alterung greifen dort besonders stark, angetrieben unter anderem durch eine Abwanderung der jungen, qualifizierten Bevölkerung. Das zentrale Problem des Abbaus von infrastrukturellen Anlagen verstärkt diese Entwicklung. Wenn die Wege zur nächsten Schule, zum Arzt oder zum Einzelhandel zu weit sind, ist die Region für potenzielle Fachkräfte nicht attraktiv. Im Endeffekt mindert dies die Lebensqualität und die Wirtschaftskraft einer Region (Reichert-Schick 2015). In Bezug auf die Fragestellung dieses Artikels, ist vor allem der Abbau von Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur von Bedeutung. Zunehmend werden berufsbildende Schulen aufgrund sinkender Schülerzahlen in Folge des demografischen Wandels geschlossen (Schmidt 2011). Diese räumliche Ausdünnung macht die Schulwege für Berufsschüler aus peripheren Standorten aufgrund langer Fahrzeiten und mangelnder Anbindung an den ÖPNV oftmals zur Herausforderung (Wied 2012).

Mobilität in ländlichen Räumen

Die wissenschaftlichen Definitionen ländlicher Raume sind aufgrund der sich vermischenden Strukturen von Stadt und Land im Zuge von „Urbanisierungs- und Modernisierungsprozessen“ (Franzen et al. 2008) oft widersprüchlich. Im vorliegenden Beitrag ist der Begriff der ländlichen Räume weit gefasst und steht als Synonym für Regionen, die vom demografischen Wandel und vom Fachkräftemangel betroffen sind.
Zur Daseinsvorsorge der Bevölkerung zählt neben medizinischen, Bildungs- und Nahversorgungseinrichtungen auch eine Sicherstellung der Mobilität. Sie wird hier verstanden als physische Ortsveränderung, die es Menschen ermöglicht, bestimmte Aktivitäten auszuüben. Sie lässt sich aus der Anzahl der zurückgelegten Wege pro Zeiteinheit errechnen. Sie ist entsprechend hoch, wenn „[…] die Aktivitätsorte schnell und gut erreicht werden können“ (Küpper 2011, S. 154). Dies mit Angeboten des ÖPNV mit seiner Fahrplan- und Routengebundenheit zu gewährleisten, ist vor allem für periphere ländliche Regionen eine Herausforderung: Der routengebundene Verkehr rentiert sich nicht mehr und wird infolgedessen abgebaut (Riesner 2014). Aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte und der dispersen Siedlungsstruktur ländlicher Räume nehmen die Entfernungen zwischen Wohnort und Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu. Für die Sicherstellung von Mobilität ist in den meisten Fällen bei weiten Strecken die PKW-Nutzung nötig, die abhängig ist vom Führerschein- und Fahrzeugbesitz. In ländlichen Räumen besitzen nur 6,1 % der über 18-Jährigen keinen Führerschein. Weitere 8 % haben einen Führerschein, verfügen aber nicht über einen PKW (Küpper 2011, S. 156). Vor allem bei diesen Bevölkerungsgruppen kommt es zu Mobilitätsproblemen. Dazu gehören neben den Senioren vor allem Schüler, die in ländlichen Räumen die Hauptnutzergruppe des ÖPNV darstellen. Je nach Landkreis macht der Schülerverkehr 50 bis 90 % des ÖPNV aus (Küpper 2011, S. 158).

Bedeutung von berufsbildenden Schulen für ländliche Räume

Berufsbildende Schulen sind von großer regionalökonomischer Bedeutung: In ländlichen Räumen ohne Hochschulen stellt die berufliche Ausbildung den bedeutendsten Sektor für die Qualifizierung von Nachwuchsfachkräften dar. Die regionale Ausbildungssituation hat Einfluss auf die regionale Wirtschaft. Sie steuert die Intensität von Zu- und Abwanderung und somit die Perspektiven für junge Einwohner in der Region. Damit junge Menschen nicht aus der Region abwandern, muss ihnen eine möglichst attraktive Ausbildungssituation geboten werden. Dazu gehört auch eine gute Erreichbarkeit der Schulen und der Ausbildungsbetriebe. Für die meisten Schüler bedeutet dies eine gute Anbindung an das ÖPNV-Netz (Haase 2015). Aktuell wird dieses in ländlichen Räumen allerdings zunehmend ausgedünnt. Die Entfernungen zu den berufsbildenden Schulen und den Ausbildungsbetrieben machen es oft unmöglich, die Wege vom Wohnort dorthin zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen. Hinzu kommt, dass die Entfernungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben, weil die Bildungsinfrastruktur ausgedünnt wurde (ebda.). Außerdem haben Berufsschüler mit dem sogenannten „Zwei-Wege-Problem“ zu tun: Im dualen Ausbildungssystem müssen sie neben dem Weg zur Schule den Weg zum Ausbildungsbetrieb zurücklegen. Das ÖPNV-Netz sollte also sowohl beim Weg zur Schule als auch beim Weg zum Ausbildungsbetrieb greifen. Eine funktionierende Kooperation der Berufsschulen mit den entsprechenden Ausbildungsbetrieben ist daher essenziell (ebda.). Berufsbildende Schulen bilden bedeutende Standortfaktoren für Unternehmen und sind mehr als ein „Anhängsel“ der Wirtschaft (ebda., S. 27).
Auch in Bezug auf die Passungsprobleme am deutschen Arbeitsmarkt spielen berufsbildende Schulen bzw. ihre verkehrsinfrastrukturelle Anbindung eine zentrale Rolle. Das Mobilitätsverhalten von „ausbildungsinteressierten Jugendlichen“ kann zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage beitragen: Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (2017, S. 21) gilt regionale Mobilität „[…] als einer der Schlüsselfaktoren, um Passungsprobleme zu reduzieren“. Ein solches ausgleichendes Mobilitätsverhalten verlangt jedoch das Vorhandensein angemessener Verkehrsinfrastruktur. In der maßgebenden Literatur zum Thema Schülermobilität wurden vor allem Studien zu den Schülergruppen der Primarstufe und Sekundarstufe I veröffentlicht. Der Forschungsstand zur Mobilitätssituation von Berufsschülern bzw. zur räumlichen Integration der berufsbildenden Schulen in bestehende Verkehrssysteme ist defizitär (Haase 2015).

Untersuchungsgebiet Northeim

Der Beitrag beleuchtet die räumliche Mobilitätssituation von Berufsschülern in Northeim. Die zentralen Fragestellungen lauten: Wie ist die Verkehrsanbindung der Berufsschüler an ihre jeweiligen Schulen und Ausbildungsbetriebe im Untersuchungsgebiet? Welche Rolle spielt dabei der ÖPNV? Wie bewerten die Schüler diese Verkehrsanbindung? Die Stadt Northeim (Abb. 1) liegt im Landkreis Northeim, bei dem es sich um einen dünn besiedelten, ländlichen Kreis in Südniedersachsen handelt (Bundesinstitut für Bau‑, Stadt- und Raumforschung 2016; NIW 2014).
Der Landkreis Northeim ist seit einigen Jahren von einem Bevölkerungsrückgang betroffen. Die relative Bevölkerungsentwicklung liegt seit 2011 bei −0,6 % (Landesamt für Statistik Niedersachsen 2016) und wird voraussichtlich bis zum Jahr 2030 auf einen Wert von −11,6 % abnehmen (Bertelsmann Stiftung o.J.). Abb. 2 stellt eine Prognose der Bevölkerungsentwicklung der Jahre 2012 bis 2030 graphisch dar und zeigt ebenfalls eine deutliche Schrumpfung. Das Wanderungsprofil von Northeim für die Jahre 2009 bis 2012 zeigt, dass hauptsächlich Frauen und Männer zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr aus der Region Northeim abwandern. Des Weiteren ist die demografische Entwicklung in Northeim von Alterung geprägt. Das Medianalter wird von ca. 48 auf 52 Jahre bis zum Jahr 2030 ansteigen (Landesamt für Statistik Niedersachsen 2016).
Innerhalb des Landkreises ist die Stadt Northeim ein wichtiges Bildungszentrum. Drei staatliche berufsbildende Schulen, die 2017 von 2732 Schülern besucht wurden, sind dort ansässig: die Technikakademie Northeim (134 Schüler), die Europa-Schule BBS I Northeim mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Verwaltung und Gesundheit (1279 Schüler) sowie die BBS II Northeim mit den Schwerpunkten Handwerk, Industrie und Gesundheit (1319 Schüler) (Sekretariat Berufsbildende Schule I Northeim 2017; Sekretariat Berufsbildende Schule BBS II Northeim 2017; Sekretariat Technikakademie Northeim 2017).

ÖPNV-Anbindung der Berufsbildenden Schulen in Northeim

Die Verkehrsanbindung der Berufsbildenden Schulen an das ÖPNV-Netz zeigt Abb. 3. Dabei können die BBS I und die BBS II aufgrund ihrer angrenzenden Lage als Einheit betrachtet werden. Die Schüler benötigen von dort zu den nächstgelegenen Bushaltestellen zwei bis zehn Gehminuten. Die beiden berufsbildenden Schulen befinden sich zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt. Für diese Strecke brauchen die Schüler zu Fuß 23, mit dem Bus zehn und mit dem Auto fünf Minuten (Google Maps 2018). Die Technikakademie liegt im Norden von Northeim. Aufgrund der zentralen Lage des Bahnhofs ähneln die Anreisezeiten der Schüler dorthin. Zur nächstgelegenen Bushaltestelle sind es von der Technikakademie acht Gehminuten (Google Maps 2018). Insgesamt verkehren in Northeim acht Buslinien, die die Stadt mit den umliegenden Dörfern verbinden. Eine Linie (Nr. 7) wurde hauptsächlich für Schulfahrten eingeführt und erledigt von Montag bis Freitag Einzelfahrten vom Hauptbahnhof zum Schulzentrum (Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen 2018).

Ergebnisse der Datenanalyse

Die Datenanalyse für den vorliegenden Beitrag basiert auf einer Umfrage von 2017. Zur Datenerhebung fand eine Stichprobenbefragung von Schülern per Onlinefragebogen statt. Von insgesamt 2732 Schülern wurden 735 Schüler befragt. Dabei wurden sowohl Vollzeit- als auch Schüler einer dualen Ausbildung befragt, da sowohl Schüler berücksichtigt werden sollten, die nur ihre Schule erreichen mussten, als auch solche, die zusätzlich in den Betrieb fahren mussten. Die Stichprobe enthielt 44,9 % Vollzeitschüler, 53,1 % befanden sich in einer dualen Ausbildung. Um minderjährige und volljährige Schüler zu erfassen, wurden Schüler aus dem 1., 2. und 3. Lehrjahr befragt – mit der Volljährigkeit haben die Schüler zumindest theoretisch eine größere Verkehrsmittel-Auswahl (z. B. eigenes Auto oder Motorrad).
Zunächst wurde die Ausgangssituation der Schüler in Bezug auf ihre Mobilität erhoben: Der Altersdurchschnitt betrug 20 Jahre, wobei der jüngste Schüler 15 und der älteste Schüler 45 Jahre alt waren. 145 der befragten Schüler (ca. 19,7 %) waren jünger als 18 Jahre alt und hatten entsprechend nicht die Möglichkeit, allein mit dem Auto zu fahren.
Nur 17 % der Befragten besaßen weder einen Auto- noch einen Motorradführerschein. Von den Schülern mit Führerschein besaßen 62 % ein eigenes Auto, 26 % ein eigenes Motorrad bzw. Motorroller und 18 % beides (Abb. 4). 92 Schüler hatten kein eigenes Auto, hatten jedoch einen Führerschein. Von diesen gaben 11 % (10 Schüler) an, nie ein Auto zur Verfügung zu haben. Somit lässt sich insgesamt festhalten, dass den meisten der befragten Schüler in Northeim ein Fahrzeug zur Verfügung stand. Dies unterstützt die Aussage von Küpper (2011) sowie von Steinrück und Küpper (2010), dass die Mobilität in ländlichen Räumen in den meisten Fällen durch das Auto und nicht durch den ÖPNV gegeben ist.
Die MIV-Nutzung der Schüler in Northeim wird durch die hohe Entfernung der Wohnorte vieler Schüler zu den Schulen bzw. den Ausbildungsbetrieben befördert; das Auto wird generell von 65 bis 75 % der Schüler als Verkehrsmittel bevorzugt. Wie Abb. 5 zeigt, kommt ein Großteil der Schüler aus der Stadt und dem Landkreis Northeim sowie aus Göttingen. Abb. 6 zeigt die Orte der Ausbildungsbetriebe. Diese konzentrieren sich wie die Wohnorte der Schüler auf Stadt und Landkreis Northeim, Göttingen, Duderstadt, Herzberg, Osterode und Holzminden. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Schüler Ausbildungsbetriebe wählen, die nah an ihrem Wohn- oder Schulstandort liegen und dass die Berufsbildenden Schulen mit umliegenden Ausbildungsbetrieben kooperieren.
Weitere untersuchte Faktoren in Bezug auf die Erreichbarkeit der Schulen und Betriebe waren die Fahrzeit und die Wartezeit auf den ÖPNV. Beide Aspekte wurden von den Schülern als Hauptargumente gegen eine ÖPNV-Nutzung genannt. Abb. 7 stellt die Autofahrzeiten zur berufsbildenden Schule bzw. zum Betrieb den ÖPNV-Fahrzeiten gegenüber. Die Boxplots zeigen den jeweiligen Median der benötigten Fahrzeit. Zu beiden Einrichtungen brauchten die Schüler mit dem ÖPNV länger als mit dem Auto: beim Weg zur Schule waren es durchschnittlich 23, beim Weg zum Betrieb durchschnittlich sechs Minuten mehr. Ein weiterer, von den Schülern kritisierter Aspekt, war die Wartezeit auf den ÖPNV nach Schul- bzw. Betriebsschluss: Nach Schulschluss mussten sie durchschnittlich 23 min, nach Betriebsschluss 27 min warten (Abb. 8). Abb. 9 und 10 verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Fahrzeit und Entfernung vom Wohnort zur Schule und zum Betrieb: Beide Verkehrsmittel beanspruchen mit zunehmender Entfernung mehr Zeit, in der Regel brauchen die Schüler für die gleiche Kilometeranzahl mit dem ÖPNV jedoch deutlich länger. Dies kommt durch Umwege im Liniennetz, angefahrene Haltestellen und Wartezeiten zustande.
Die Schüler wurden gefragt, wie sie jeweils die Erreichbarkeit von Schule und Betrieb mit verschiedenen Verkehrsmitteln beurteilten (Abb. 11). Im Ergebnis wurde nur die Erreichbarkeit mit dem Auto als leicht bis sehr leicht eingestuft, die ÖPNV-Nutzung hingegen als eher schwierig bewertet. Dies kann begründet sein in zu langen Fahrzeiten, zu hohen Kosten, einem unzureichend ausgebautem ÖPNV-Netz oder einem nicht vorhandenen infrastrukturellen Anschluss – Letzteres ist bei ca. 14 % der Schüler der Fall. Diese Vermutungen werden dadurch bestätigt, dass die Schüler vor allem die Fahrzeiten (23 %), die Kosten (18 %) sowie Inflexibilität und nicht vorhandene bzw. schlechte ÖPNV-Verbindungen als wichtigste Gründe gegen eine ÖPNV-Nutzung ins Feld führten.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Fahrzeit vom Wohnort zur berufsbildenden Schule bzw. zum Betrieb ist für die Schüler mit dem ÖPNV meist wesentlich länger als mit dem Auto. Als Ursache hierfür werden Wartezeiten nach Schul- und Betriebsschluss, Verzögerungen bei den Anschlussverbindungen, Umwege aufgrund des Liniennetzes und Zeitverluste beim Anfahren der einzelnen Haltestellen vermutet. Bei der Nutzung des ÖPNV ergeben sich nach Schul- bzw. Betriebsschluss relativ lange Wartezeiten (mindestens 23 min). So wird die Erreichbarkeit der Schulen und Betriebe mit dem ÖPNV von den Schülern eher negativ bewertet; das Auto wird als positivere, schnellere und komfortablere Alternative wahrgenommen. Den meisten Schülern steht für den Schulweg ein Auto zur Verfügung – entweder im Rahmen einer Mitfahrgelegenheit oder im eigenen Besitz.
Um die Mobilitätssituation der Berufsschüler zu verbessern, wäre eine Reduzierung der Fahrzeiten durch bedarfsgesteuerte ÖPNV-Systeme anzustreben, indem etwa Haltestellen nur nach Bedarf angefahren und Routen entsprechend der Fahrtwünsche gebündelt werden. Bezüglich der Wartezeiten auf den ÖPNV nach Schul- und Betriebsschluss, ist eine Absprache zwischen den Schulen bzw. Betrieben und den ÖPNV-Betreibern sinnvoll. Um sich den wechselnden Stundenplänen der Schüler anzupassen, wäre dafür eine stetige Kooperation vonnöten.
Ein monatlicher Vergleich der Kosten von ÖPNV- und MIV-Nutzung für den Weg zur Schule bzw. zum Betrieb war aufgrund der Datenlage dieses Beitrags nicht möglich, vor allem da die angegebenen Kosten auch Freizeitfahrten mit dem ÖPNV und MIV umfassen können. Daher wären weitere Studien zur monatlichen Kostensituation sinnvoll, die zwischen Fahrten zur Schule bzw. zum Betrieb und Freizeitfahrten unterscheiden. Dies würde helfen, die Bedürfnisse der Schüler im Hinblick auf die Kosten zu erfassen und Maßnahmen zu ergreifen, den ÖPNV für die Schüler kostengünstig und attraktiver zu gestalten. Eine solche Maßnahme könnte die Einführung eines Semestertickets für die Schüler von berufsbildenden Schulen sein, das die Schüler finanziell entlastet und den ÖPNV-Unternehmen neue Kunden brächte. So führte beispielsweise in Göttingen im Jahr 2014 die Einführung eines Semestertickets für Studierende – sie zahlen für ein halbes Jahr Nutzung des Stadtbusses 39,90 € – zu einem Anstieg der Fahrgästeanzahl von 18,6 Mio. im Jahr 2013 auf 22,8 Mio. im Jahr 2016 (Göttinger Tageblatt 2017). Eine entsprechende Erhöhung der ÖPNV-Nutzung in Northeim könnte den Ausbau des dortigen ÖPNV-Netzes vorantreiben. Dies würde vor allem den Schülern zugutekommen, die bisher nicht ans ÖPNV-Netz angebunden sind. Außerdem würde die bessere Verkehrsanbindung und Infrastruktur die Stadt und den Landkreis Northeim bzw. die dortige Ausbildungssituation attraktiver machen.
Die Forschungslage zur Mobilität von Schülern berufsbildender Schulen in ländlichen Räumen ist generell mangelhaft. Daher bietet es sich an, ähnliche Untersuchungen in weiteren ländlichen Räumen Deutschlands durchzuführen. Über die Erfassung der Mobilitätssituation von Berufsschülern können Defizite in diesem Bereich erfasst und bearbeitet werden. Eine stärkere Hinwendung zu diesen Aufgaben ist vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels in ländlichen Regionen geboten.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Literature
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Metadata
Title
Verkehrsanbindung von Berufsschülern
Fallstudien an drei berufsbildenden Schulen in Northeim
Authors
Alice Gebauer
Jana Fingerhut
Prof. Dr. Jörg Lahner
Jan Schlüter
Publication date
28-03-2019
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Published in
Standort / Issue 1/2019
Print ISSN: 0174-3635
Electronic ISSN: 1432-220X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00548-019-00567-4

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