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19-06-2018 | Wirtschaftsrecht | Schwerpunkt | Article

Verbraucher können bald gemeinsam klagen

Author: Johanna Leitherer

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Der Bundestag hat entschieden: Ab November ist es Verbrauchern möglich, über Verbände eine Musterfeststellungsklage gegen Unternehmen einzureichen, um gemeinsam Schadensersatz zu fordern. Die Opposition sieht das Gesetz kritisch. 

Am 14. Juni 2018 hat der Bundestag das Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage (MFK) beschlossen. Es soll zum 1. November 2018 in Kraft treten – in den Augen vieler Verbraucherschützer ein längst überfälliger Schritt. Denn immer wieder kommt es vor, dass Verbraucher auf gleiche Weise Schaden durch bestimmte Produkte oder Dienstleistungen nehmen. Etwa wenn sich bei Medikamenten fatale Nebenwirkungen einstellen, Stromanbieter unzulässige Preiserhöhungen vornehmen oder technische Geräte folgenschwere Sicherheitsmängel aufweisen. Letzteres wurde dem kalifornischen Halbleiterkonzern Intel Anfang des Jahres zum Verhängnis, als massive Sicherheitslücken in dessen Computerchips aufgedeckt wurden. Amerikanische Verbraucher reichten daraufhin Klagen ein. 

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Ökonomische Aspekte der Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts

Dieses Gutachten geht der Frage nach, ob sich im Verbraucherschutz die Erweiterung behördlicher Kompetenzen empfiehlt. In der Diskussion um "neue Wege in der Durchsetzung des Verbraucherrechts" soll dieser Beitrag die ökonomische Perspektive einnehmen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind von der Behörde zu erhebende zivilrechtliche Unterlassungsklagen und behördliche Unterlassungsverfügungen.


Auch der Volkswagen-Abgasskandal wurde in den USA mit Sammelklagen beantwortet, und das mit Erfolg: VW entschädigte jeden Betroffenen mit einer Summe zwischen 7.000 und 16.000 US-Dollar. Hinzu kam eine Geldstrafe wegen der Verletzung von Umweltstandards und -schäden. "In der EU lehnt Volkswagen hingegen jegliche Leistung ab, die über die Installation einer neuen Software hinausgeht, die angeblich die NOx -Emissionen auf den gesetzlichen Standard reduzieren soll. Auch einen Vorschlag der EU-Kommission für eine mit den USA vergleichbare Entschädigung der Kunden lehnte Volkswagen ab", halten die Springer-Autoren Hans-Bernd Schäfer und Ben Fuhrmann im Artikel "Zivilrechtliche und rechtsökonomische Aspekte zum Dieselskandal der Volkswagen AG" der Zeitschrift Wirtschaftsdienst, Ausgabe 4/2018 fest  (Seite 243). 

US-Konsumenten profitieren von Sammelklagen

Rund 7.000 Betroffene in Europa haben VW individuell verklagt. Knapp 40.000 Kläger wandten sich zudem an das Unternehmen Myright, das Konsumenten privat autonom gestaltete Sammelklagen anbietet. Insgesamt hat damit ein Bruchteil der deutschen Betroffenen bislang Schadensersatzansprüche gegenüber dem Automobilkonzern geltend gemacht. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Ein Verbraucherrecht, das ähnliche juristische Rückendeckung wie das US-amerikanische Modell der Sammelklage bietet, gibt es hierzulande nicht.

"Warum Amerika, warum nicht Europa? Die Antwort ist in der Entwicklung der amerikanischen Konsumgesellschaft zu sehen, die der europäischen seither um ein gutes Jahrzehnt vorauseilt", konstatiert Springer-Autor Hans-W. Micklitz im Buchkapitel "Verbraucherwissenschaft und -politik im Spannungsfeld zwischen Diskontinuität und Kontinuität" (Seite 33). Schon 1962 kam der damalige US-Präsident John F. Kennedy zu der Erkenntnis, dass der Begriff des Konsumenten einen jeden Bürger, somit auch die Staatsmänner selbst, miteinschließe. Vor dem amerikanischen Kongress definierte er daraufhin vier Verbraucherrechte: 

  • das Recht auf Sicherheit, 
  • das Recht auf Information, 
  • das Wahlrecht und 
  • das Recht auf Gehör. 

MFK basiert auf Verbraucherverbänden

Die nun vom Deutschen Bundestag in die Wege geleitete Musterfeststellungsklage beabsichtigt, diesbezüglich bestehende Lücken im nationalen Verbraucherrecht zu schließen. Ab dem 1. November 2018 haben Konsumenten damit Anspruch auf Schadensersatz, ohne dafür selbst einen Prozess gegen Unternehmen oder Dienstleister anstrengen zu müssen.

Die Beteiligung an einer Musterklage läuft wie folgt ab:
Die rund 75 zur Klage berechtigten Verbraucherverbände stellen fest, ob und welche Schadensersatzansprüche vorliegen.
Der klagende Verband muss die Fälle von mindestens zehn Betroffenen im Detail ausarbeiten.
Der Verband reicht Klage beim Gericht ein.
Die Klage wird öffentlich gemacht und ein Klageregister wird eröffnet.
Anschließend müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene beim Klageregister anmelden.
Das Klageregister wird geschlossen, sobald die mündliche Verhandlung beginnt.
Haben sich weniger als 50 Betroffene angemeldet, ist keine Musterklage möglich.
Ist die Voraussetzung erfüllt, stellt sich der Verbraucherverband dem Prozess und trägt das Prozesskostenrisiko.
Es kommt zum Urteil oder Vergleich.
Verbraucher müssen ihre Schadenersatzansprüche anschließend per individueller Klage geltend machen.

Kritische Stimmen 

Das Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage wurde für die vom Dieselgate geschädigten Verbraucher gerade noch rechtzeitig verabschiedet. Denn im Dezember verjähren die Schadenersatzansprüche der Betroffenen. Wer sich ab November an einer MFK beteiligt, kann also noch fristgerecht von den neuen Klagemöglichkeiten Gebrauch machen. Die Opposition hätte das gerne verhindert: Sie bemängelt, dass die MFK wegen des Zeitdrucks im Hinblick auf den VW-Abgasskandal in zu großer Eile durchgepeitscht worden sei. Andere Experten schließen sich der Meinung an, dass sich das Gesetzgebungstempo negativ auf die Verfahrensqualität ausgewirkt habe. Ebenfalls in der Kritik stehen

  • die erwartete, geringe Effektivität der MFK,
  • die möglicherweise zu geringen Konsequenzen für verklagte Unternehmen,
  • der Umstand, dass Verbraucher im Anschluss individuell klagen müssen
  • und das Haftungsrisiko für Verbände.

Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, erachtet die MFK aus diesen Gründen als ausbaufähig. Trotzdem wertet er den Gesetzesentwurf als einen Schritt in die richtige Richtung. "Das Gesetz ist an manchen Stellen ein schmerzhafter Kompromiss. Dennoch ist heute ein wichtiger und guter Tag für Verbraucher: Die Musterfeststellungsklage wird es Geschädigten künftig erleichtern, ihr Recht einzufordern – nicht nur im VW-Fall, sondern weit darüber hinaus", so Müller am Tag der Entscheidung.

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