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26.04.2024 | Verwaltungsmanagement | Gastbeitrag | Online-Artikel

Der 7. Oktober 2023 und seine Folgen

4:30 Min. Lesedauer

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Verfasst von: Professor Dr. Lars Dittrich, Professur für Staat und Verfassung, Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS), Dr. Eliane Ettmüller, Forschungsstelle Extremismusresilienz, HöMS, Swen Eigenbrodt, Leiter des Referats Prävention im Landespolizeipräsidium Hessen, Florian Hoffmann, Fachlehrer Recht, HöMS, Anika Schleinzer, Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF), Landesamt für Verfassungsschutz Hessen

Nach den terroristischen Anschlägen auf Israel kam es in Deutschland zu Kundgebungen. Diese Serie gibt Hinweise zu den Hintergründen und zum Umgang mit den Versammlungslagen. Teil 3 beschäftigt sich am Beispiel Hessens mit extremistischen Einflüssen auf das Protestgeschehen.

Der Terrorangriff unter Führung der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat zum Teil hochemotionale und dynamische Reaktionen unterschiedlicher extremistischer Akteure nach sich gezogen, die die Sicherheitsbehörden in Deutschland nachhaltig fordern. In Hessen haben islamistische Akteure, Anhänger extremistischer säkularer Palästinenserorganisationen sowie deutsche und türkische Linksextremisten propalästinensische Veranstaltungen organisiert, daran teilgenommen und für diese geworben. Die rechtsextremistische Szene ist im Protestgeschehen nicht aktiv involviert, kommentiert dieses aber vor allem vor dem Hintergrund einer angeblich auf den Straßen offen zutage tretenden „Islamisierung“.

Einflussnahme aus dem islamistischen Spektrum

Personen aus dem islamistischen Spektrum traten als Redner und Teilnehmer von propalästinensischen Demonstrationen in Erscheinung. Influencer aus der islamistischen Szene stellten in ihren Postings in den sozialen Medien die Konfliktlage einseitig aus palästinensischer Perspektive dar, ohne diese in Bezug zur Ermordung und Verschleppung israelischer Zivilisten zu setzen. Die eigene, überwiegend muslimische Anhängerschaft wurde mit zahlreichen Bildern und Videos der palästinensischen Opfer emotionalisiert und auf ein Narrativ eingeschworen, das die palästinensischen Muslime im Konfliktgeschehen als Ziele angeblich strategischer „westlicher“ Aggressionen begreift. Islamisten versuchten so, die militärische Reaktion Israels auf den Angriff unter Führung der Hamas am 7. Oktober für ihre Zwecke zu nutzen. Über die Mobilisierung der eigenen Anhänger hinaus suchten sie Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft, um ihre antisemitische Ideologie zu verbreiten. Insbesondere die im Rhein-Main Gebiet aktive Gruppierung Realität Islam, die ideologisch der mit einem Betätigungsverbot belegten Hizb ut-Tahrir nahesteht, agitierte offen gegen Israel und eine angeblich muslimfeindliche Politik der deutschen Regierung. Die Anhänger der islamistischen Kriegsparteien Hamas und Hizb Allah hielten sich bislang mit öffentlichen Sympathiebekundungen zurück.

Einflussnahme von Linksextremisten und Extremisten mit Auslandsbezug

Auch antiimperialistisch und dogmatisch ausgerichtete Gruppierungen aus dem links- und ausländerextremistischen Spektrum mobilisierten nach dem 7. Oktober zu propalästinensischen Protestkundgebungen. Besonders aktiv waren die türkisch-linksextremistischen Jugendorganisationen Neue Demokratische Jugend (YDG), die Jugendorganisation aus dem Umfeld der Türkischen Kommunistischen Partei Marxisten Leninisten (TKP-ML) und Young Struggle, die europäische Jugendorganisation der türkischen Marxistischen-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP). Sowohl auf öffentlichen Veranstaltungen als auch in den sozialen Medien schlossen sich Anhängerinnen und Anhänger dieser Organisationen an Positionen der Terrororganisation Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) an und solidarisierten sich mit dem, in Deutschland seit dem 2. November 2023 verbotenen, palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun, das der PFLP nahesteht.

Positionierung von Rechtsextremisten

Von Rechtsextremisten wurde die eskalierende Konfliktlage im Nahen Osten ambivalent beurteilt. Mehrheitlich wurde unter anderem von der Partei Die Heimat, vormals NPD, oder Vertretern der Neuen Rechten, von der Bundesregierung politische Neutralität und eine „Entsolidarisierung“ mit Israel gefordert. Den propalästinensischen Protesten, die einen Konflikt auf die Straße brächten, der Deutschland nicht betreffe, ließe sich nur mit einer strikten „Anti-Asyl-“ und „Remigrationspolitik“ oder gar einem, so die Forderung der neonazistisch geprägten Partei Der III.Weg, generellen Verbot migrantischer Demonstrationen begegnen.

Verbreitung von antisemitischen Stereotypen und Narrativen

„Propalästinensische Akteure aus ganz verschiedenen extremistischen Spektren verbreiten öffentlich einen fest in ihrem Gedankengut verwurzelten Antisemitismus – sowohl im Netz als auch in der Realwelt“, erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, zusammenfassend die Auswirkungen des Terrorangriffs auf die Sicherheitslage in Deutschland. Auch im Protestgeschehen in Hessen wurden von extremistischen Akteuren aller Phänomenbereiche antisemitische und antiisraelische Ressentiments vorgebracht und gegen Jüdinnen und Juden sowie den Staat Israel gehetzt. Auf die Ereignisse in der Folge des 7. Oktober reagierten sie insbesondere mit der Verbreitung von Stereotypen und Narrativen eines israelbezogenen Antisemitismus.

Gegenstand der Anfeindungen in dieser ideologischen Ausprägung des Antisemitismus ist der als jüdisches Kollektiv verstandene Staat Israel, der dämonisiert, diffamiert und delegitimiert wird und für dessen Handlungen Jüdinnen und Juden weltweit verantwortlich gemacht werden. Extremisten aus den verschiedenen verfassungsschutzrelevanten Szenen stellten das Existenzrecht Israels öffentlich infrage und erhoben die Forderung nach einem Palästina „from the river to the sea“. Den Staat Israel verunglimpften sie als „Terrorstaat“ oder „zionistisches Apartheitsregime“. Seine politischen Repräsentanten wurden mit dem nationalsozialistischen Unrechtsregime gleichgesetzt. Dabei wurde unterstellt, dass diese in vergleichbarer, rassistischer Vernichtungsabsicht einen Genozid gegen das palästinensische Volk verübten. Hierzu gehörte auch die Darstellung Israels als das absolut Böse und der Vorwurf der (planmäßigen) Tötung palästinensischer Kinder. In der auf Demonstrationen verbreiteten Parole des „Kindermörders Israel“ wurde die Ritualmordlegende, das schon im Mittelalter verbreitete Gerücht, Juden würden Kinder zu rituellen Zwecken ermorden, aufgegriffen und in einer israelbezogenen Variante verbreitet. Weiterhin wurde die Hamas von einigen Aktivisten als „Befreiungsorganisation“ beziehungsweise als „führende Kraft des Widerstandes“ glorifiziert, die sich gegen die verbrecherische israelische Besatzungsmacht zur Wehr setze. Der Angriff der islamistischen Terrororganisation auf israelische Zivilisten wurde folglich als „gelungene Widerstandsaktion“ oder auch als „Befreiungsschlag“ verklärt und mitunter gefeiert.

Hier geht es zu Teil 4: Rechtslage beim polizeilichen Umgang mit Versammlungen

Weitere Teile:

Teil 2: Hintergründe des Konflikts

Teil 1: Der 7. Oktober und seine Folgen


Die Hintergründe zu diesem Inhalt