Skip to main content
Top

2011 | Book

Deutsche Außenpolitik

Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen

Editors: Prof. Dr. Thomas Jäger, Alexander Höse, M.A, Kai Oppermann

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SEARCH

About this book

Die Auswirkungen internationaler Krisen und außenpolitischer Prozesse auf die politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen in Deutschland sind seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Wiedervereinigung enorm gestiegen. Ein produktiver Streit um die Ausrichtung deutscher Außenpolitik, der ihrer gewachsenen Bedeutung gerecht wird, verlangt jedoch zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme. Wo steht die deutsche Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Das ist die leitende Frage für diesen Band. Auf den wichtigsten Politikfeldern analysiert er in allen drei Sachbereichen: Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen, unter welchen internationalen und innenpolitischen Bedingungen die deutsche Außenpolitik agiert und welche Ziele sie verfolgt. Für die zweite Auflage wurde der Band vollständig überarbeitet, erweitert und aktualisiert.

Table of Contents

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Die internationalen Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik

Da staatlich verfasste Gesellschaften miteinander in Beziehung treten können, stellen sie füreinander Umwelt dar. Staatliches Handeln als Ausdruck innerer Präferenzbildungsprozesse, Entscheidungsverfahren, bürokratischer Ablaufroutinen oder ideologischer Eliteneinkapselung findet in dieser Umwelt statt. Während sich Kai Oppermann und Alexander Höse im nächsten Beitrag dieses Bandes mit den innenpolitischen Ursachen und Restriktionen außenpolitischen Handelns befassen, werden wir die internationalen Bedingungen darstellen. Wir beschäftigen uns also mit der Umwelt, in der staatlich verfasste Gesellschaften existieren, und den Formen, in denen aus dieser Umwelt außenpolitisches Handeln hervorgerufen, manchmal sogar provoziert, und gleichzeitig aber ebenso beschränkt wird.

Thomas Jäger, Rasmus Beckmann
Die innenpolitischen Restriktionen deutscher Außenpolitik

Aus der Perspektive des Zwei-Ebenen-Ansatzes wird deutsche Außenpolitik im Spannungsfeld zwischen internationalen und innenpolitischen Handlungsrestriktionen formuliert. Nach der Metapher des Zwei-Ebenen-Spiels sind die außenpolitischen Entscheidungsträger nationaler Regierungen simultan in zwei interdependente Spielkonstellationen auf internationaler und innerstaatlicher Ebene eingebunden (Putnam 1988: 433-452). Auf internationaler Ebene werden deutsche Regierungsvertreter dabei grundsätzlich versuchen, in der Interaktion mit Regierungen anderer Staaten eigene außenpolitische Interessen durchzusetzen und möglichst wirkungsmächtigen Einfluss auf internationale Politikergebnisse auszuüben. Die primären Begrenzungen ihrer außenpolitischen Handlungsoptionen ergeben sich auf dieser Ebene aus den Interessen und der Macht ihrer gouvernementalen Interaktionspartner. Gleichzeitig gilt es für die Bundesregierung auf innerstaatlicher Ebene, ausreichend politische Unterstützung für ihr außenpolitisches Handeln innerhalb der Exekutive selbst sowie im Parlament und im gesellschaftlichen Umfeld zu mobilisieren. Dieses Erfordernis schränkt den Handlungsspielraum deutscher Außenpolitik erstens insoweit ein, wie die Bundesregierung, die schon in sich kein einheitlicher Akteur ist, eine außenpolitische Maßnahme im innenpolitischen Prozess formalrechtlich implementieren muss. Darüber hinaus wird die Bundesregierung außenpolitische ebenso wie innenpolitische Entscheidungen unter dem Vorbehalt treffen, dass sie nicht in Widerspruch zu ihrem primären Ziel des innerstaatlichen Machterhaltes stehen (Moravcsik 1993: 15-17).

Kai Oppermann, Alexander Höse

Sicherheit

Frontmatter
Deutsche Außenpolitik vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen

Die deutsche Sicherheitspolitik ist – insbesondere in Bezug auf das Sicherheitsverständnis und die Nutzung der Streitkräfte – durch ihren Paradigmenwechsel in den Jahren nach 1989/1990 geprägt. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes war eine unmittelbare Bedrohung der territorialen Integrität des Staates nicht mehr gegeben, spätestens mit der Aufnahme der östlichen Nachbarstaaten in die NATO (1999) und in die EU (2004) besteht für Deutschland die Gefahr eines unmittelbaren zwischenstaatlichen Grenzkrieges nicht mehr – wenngleich ein solcher „traditioneller“ zwischenstaatlicher Krieg für das Territorium des euroatlantischen Bündnisses insgesamt weiterhin nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.

Stephan Böckenförde
Das Ende des „multilateralen Reflexes“? Deutsche NATO-Politik unter neuen nationalen und internationalen Rahmenbedingungen

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte multilaterales Handeln zur unumstößlichen Norm seiner Sicherheitspolitik erhoben. Dieser „multilaterale Reflex“ prägt Deutschlands Politik in den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, aber auch der NATO. Gerade das transatlantische Bündnis galt lange als zentraler Angelpunkt deutscher Sicherheitspolitik und die Bundesregierung als erfolgreicher Vermittler innerhalb der NATO und verlässlicher Allianzpartner der USA. Zwar ist deutsche Sicherheitspolitik unter der Großen Koalition (2005-2009) und dem schwarz-gelben Bündnis (seit 2009) deklaratorisch dem Primat der NATO ebenso verpflichtet wie dem Gebot des effektiven Multilateralismus. Faktisch jedoch ist eine Politik zu beobachten, die durchaus darum bemüht ist, Interessen Deutschlands im Rahmen der Allianz zu vertreten, auch wenn dies in einigen Sachfragen zum offenen Konflikt mit den USA geführt und eine Konsensfindung innerhalb der NATO erschwert hat. Deutsche NATO-Politik ist also nicht mehr zwangsläufig bereit, die eigenen Vorstellungen hinter das Gelingen der multilateralen Zusammenarbeit zurückzustellen. Dabei ist dieses Verhalten nicht Ausdruck neuer deutscher Großmannssucht. Viel eher ist es ein Indiz dafür, dass sich tradierte Handlungsmuster deutscher NATO-Politik den international wie national stark veränderten Rahmenbedingungen schrittweise anpassen.

Markus Kaim, Pia Niedermeier
Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik im europäischen Kontext: Das abnehmende Strahlen der Integrationsleuchttürme

In besonderer Weise wird die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland von den Lehren aus der eigenen Geschichte beeinflusst. Über den Zeitraum von fast einem halben Jahrhundert hinweg folgte die deutsche Außenpolitik dem Prinzip der nationalen Zurückhaltung, bei gleichzeitiger Verankerung im Rahmen multilateraler Foren, insbesondere der Vereinten Nationen (VN), der Europäischen Gemeinschaft (EG) und des Nordatlantischen Bündnisses (NATO). Es finden sich gewiss Hinweise auf eine mehr selbstbestimmte und aus der eigenen Interessenlage resultierende Außenpolitik, wie beispielsweise in Form der von Willy Brandt und Egon Bahr seit der ersten Hälfte der 1960er Jahre vorangetriebenen Ostpolitik erkennbar geworden war (Merseburger 2002: 430-656). Grundsätzlich jedoch bildeten die Förderung des westeuropäischen Integrationsprozesses und der transatlantischen Partnerschaft Referenzpunkte für die Formulierung und Ausgestaltung der Außenpolitik Deutschlands, die nicht zur Disposition standen.

Franco Algieri
Militärische Auslandseinsätze und die Transformation der Bundeswehr

Spätestens mit dem am 4. September 2009 durch einen deutschen Oberst angeordneten Luftschlag gegen zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge nahe des nordafghanischen Kunduz wurde die von der politischen und militärischen Führung in Deutschland ausdauernd gepflegte Legende über das Wesen der Auslandseinsätze der Bundeswehr von der harten Realität eingeholt. Über die Jahre hinweg wurde versucht, die Mitwirkung deutscher Soldaten an internationalen Militäreinsätzen als vorrangig humanitärer und stabilisierender Natur erscheinen zu lassen – die Anwendung von Gewalt, die aktive Beteiligung an Kampfhandlungen gar, sollte, wenn überhaupt, als Ausnahme von dieser Regel gesehen bzw. als Aufgabe kriegsgewohnter Verbündeter wie der USA erscheinen. Die in der Folge des Luftschlages mit seinen vielen Toten entstehenden Informationspannen und Verschleierungsversuche kosteten zunächst den seinerzeit verantwortlichen Bundesminister der Verteidigung Franz-Josef Jung das Amt und brachten seinen Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg in solche Bedrängnis, dass er den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert entließ.

Sven Bernhard Gareis
Nachrichtendienste in der deutschen Außenpolitik

Mit den Nachrichtendiensten steht der Bundesregierung ein Instrumentarium zur Gewinnung von Wissen über relevante Vorgänge und spezifische Bedingungen ihres Handelns in der Außenpolitik zur Verfügung. Der im Englischen verwendete Begriff

Intelligence

ist geeignet, das Politikfeld zu definieren.

Anna Daun
Die deutsche Politik zur Bekämpfung des Terrorismus

Wenngleich die deutsche Gesellschaft bereits seit den frühen 1970er Jahren Erfahrungen mit der Bedrohung durch terroristische Gewalt gemacht hat, ist die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erst nach dem 11. September 2001 zu einem herausragenden Thema der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geworden. Schon in den ersten Reaktionen auf die Anschläge hatten Vertreter der Bundesregierung demonstrativ die Bereitschaft erklärt, eine aktive Rolle in den internationalen Bemühungen um eine Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu übernehmen. Das lag zunächst daran, dass die Spuren einiger Attentäter nach Hamburg führten und die deutschen Sicherheitsbehörden deshalb unmittelbar in die grenzüberschreitenden Ermittlungen eingebunden waren.

Wilhelm Knelangen
Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungspolitik

Für die Bundesrepublik Deutschland an der Nahtstelle des Ost-West-Konfliktes wurde Rüstungskontrolle zu einem wesentlichen Bestandteil der Entspannungspolitik. Dabei bot sich Bonn immer dann die Möglichkeit zu einer direkten Beteiligung, wenn es um mehr Transparenz hinsichtlich konventioneller Streitkräfte oder um deren schrittweise Reduzierung ging. Dies war im Zuge der KSZESchlussakte (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) von 1975 und den verschiedenen darauf aufbauenden Vereinbarungen über vertrauensbildende Maßnahmen ebenso der Fall wie durch die zunächst ergebnislos verlaufenden Verhandlungen über Truppenreduzierungen (

Mutual Balanced Force Reductions

, MBFR). Erst mit Ende des Kalten Krieges konnten durch den KSE-Vertrag (Konventionelle Streitkräfte in Europa) vom November 1990 greifbare Erfolge erzielt und eine Reduzierung zentraler konventioneller Waffensysteme vereinbart werden. Dagegen blieben beide deutsche Staaten eher Objekt als Subjekt amerikanisch-sowjetischer Bemühungen um nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle, obwohl diese zum Teil Waffensysteme betrafen, die in Deutschland stationiert waren.

Oliver Thränert
Deutsche Außenpolitik und Krisenprävention

Das Bestehen von Konflikten ist eine soziale Konstante, ihre Austragungsform ist jedoch variabel und gewaltsamer Konfliktaustrag ist damit potenziell vermeidbar. Entsprechend ergibt sich die Handlungsoption, bereits vor dem Einsetzen von Gewalt aktiv zu werden – also wörtlich „Krisenprävention“zu betreiben. Das gilt gerade, wenn die Reaktionen auf einen bereits eskalierten Gewaltkonflikt kostspielig, risikoreich und wenig erfolgversprechend sind. Neben dieser interessenbasierten Logik aus der Perspektive externer Akteure steht das wertebasierte Gebot, dass erfolgreiche Krisenprävention Not und Leid vermeidet und somit aus humanitärer Perspektive unbedingt erstrebenswert ist. Beide Motivationen sind im deutschen Fall wichtig.

Daniel Dückers, Andreas Mehler

Wohlfahrt

Frontmatter
Die Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft

Die Bundesrepublik Deutschland ist in hohem Maße in die Weltwirtschaft eingebunden. Die starke Handelsverflechtung mit dem Rest der Welt ist auch ein zentrales und wichtiges Datum für die deutsche Außenpolitik, für die die Absicherung der mit dem Handel verbundenen Interessen eine wichtige Aufgabe darstellt. Denn die hohe außenwirtschaftliche Verflechtung bedeutet, dass die Bundesrepublik Deutschland im überdurchschnittlichen Maße durch Ereignisse und Entwicklungen außerhalb der eigenen Grenzen in ihrer Wirtschaftsentwicklung betroffen wird. Außenpolitik in diesem Bereich ist daher nicht nur durch strategische, genuin

außen

politische Erwägungen beeinflusst, sondern ebenfalls durch innenpolitische Erwägungen über die wirtschaftspolitischen Konsequenzen alternativer Entwicklungen, etwa in Bezug auf das Wirtschaftswachstum und die Arbeitslosigkeit (vgl. Keohane/Milner 1996; Gourevitch 2002).

Andreas Busch, Roman Goldbach
Einflussverlust: Der Export(vize)weltmeister im Welthandelssystem des 21. Jahrhunderts

Die Doha-Runde multilateraler Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandelssystems ist gekennzeichnet von Stationen des wiederholten Scheiterns, wobei es nie eindeutig war, ob es sich um ein endgültiges Scheitern handelt. Doch die Kette von einschnittartigen Unterbrechungen kommt einem endgültigen Scheitern recht nahe, auch wenn keiner der wichtigen Akteure bereit ist, dieses offiziell einzugestehen. Die erste Aussetzung geschah im Juli 2006, als der Generalsekretär der Welthandelsorganisation (WTO) Pascal Lamy, der ehemalige EU-Handelskommissar, die Verhandlungen der laufenden WTO-Runde, der Doha- Entwicklungsrunde, aussetzte und damit das vorläufige Scheitern dieser Runde erklärte (EuObserver 2006). Die zweite Aussetzung erfolgte im August 2008 nach einer ergebnislosen WTO-Ministerkonferenz in Genf: Lamy erklärte die Verhandlungen für zusammengebrochen (Blustein 2008).

Andreas Falke
Internationale Währungs- und Finanzpolitik: Zwischen Tradition und Veränderung

Die deutsche Außenpolitik im Gebiet der internationalen Finanz- und Währungspolitik war in den vergangenen zwei Jahrzehnten einerseits geprägt von der Konstanz der außenpolitischen Leitlinien und innenpolitischen Interessenkonstellation, musste andererseits aber reagieren auf gravierende Veränderungen in den externen Rahmenbedingungen. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007, als das Thema der Finanzmarktstabilisierung unerwartet zum dominanten Politikfeld der Großen Koalition (und der nachfolgenden schwarz-gelben Koalition) wurde.

Bernhard Speyer
Deutsche Außenwirtschaftsförderung

Außenwirtschaftsförderung wird allgemein als die staatliche Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit von Unternehmen im Ausland definiert. Ihr primäres Ziel ist es, der heimischen Wirtschaft den Zugang zu den Auslandsmärkten zu erleichtern und somit zur Steigerung der Wohlfahrt der eigenen Volkswirtschaft beizutragen (Habuda u.a. 1998: 3; Schultz/Volz/Weise 1991: 9).

Norbert Schultes
Deutsche Außenpolitik und Energiesicherheit

Bereits seit Anfang der 1990er Jahre ist in Deutschland und Europa die Notwendigkeit eines erweiterten und umfassenden Sicherheitsbegriffes unter Einschluss ökonomischer, ökologischer und zahlreicher anderer nicht-militärischer Sicherheitsdimensionen begründet worden und findet in zahlreichen amtlichen Deklarationen sowie offiziellen Äußerungen auch ihre Berücksichtigung. Dennoch fällt es der konkreten operativen Politik in Deutschland noch immer häufig schwer, derartige nicht-militärische Sicherheitsdimensionen und ihre Auswirkungen auf die konkrete Sicherheitspolitik zu operationalisieren und auf nationaler sowie internationaler Ebene umzusetzen. Hierzu gehören auch das fehlende sicherheitspolitische Verständnis von Energiesicherheit im globalen Kontext und entsprechende umfassende sowie ressortübergreifende Strategien.

Frank Umbach
Die Umweltaußenpolitik Deutschlands: Auf dem Boden der Realität

Deutschland gilt als Vorreiter internationaler Umweltpolitik, sei es im Gewässerschutz, der Luftreinhaltung oder dem Klimaschutz. Aber zunehmend verliert das Image des umweltpolitischen Überzeugungstäters an Glanz. Die Gründe sind vielfältig und nicht neu. Denn Umweltpolitik als klassische Querschnittspolitik muss sich ihren Stellenwert in einem komplizierten Gemenge von Herausforderungen, Strategien, Interessen, und situativen Handlungsbedingungen immer wieder hart erkämpfen (Fischer/Holtrup 1998: 121).

Petra Holtrup Mostert
Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik

In der deutschen Politik wird Entwicklungspolitik seit 1998, dem Jahr des Antritts der rot-grünen Regierung, als „globale Strukturpolitik [verstanden], deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern“ (SPD/Bündnis 90/Die Grünen 1998: 48). Auch die Große Koalition (2005-2009) sowie die konservativ-liberale Regierung (seit September 2009) folgten dieser umfassenden Perspektive, die über die Armutsbekämpfung als Zielsystem der Entwicklungspolitik hinaus geht und stattdessen die Kooperation mit Entwicklungsländern auch als Beitrag zur (Mit-) Gestaltung der Globalisierung sowie zur internationalen Friedenssicherung versteht. So oder ähnlich lauten die Standarddefinitionen eines Politikfeldes, das die Weltgeschichte der Dekolonisation hervorbrachte.

Dirk Messner

Institutionen und Normen

Frontmatter
Die normativen Grundlagen deutscher Außenpolitik

Das Radiointerview, das Ende Mai 2010 bundesweit gesendet wurde, schlug in kürzester Zeit hohe Wellen. Der Aufschrei, der folgte, war nicht nur ungewöhnlich, da die mediale Reichweite des Deutschlandradios für gewöhnlich gering ist. Die Ausführungen zur Außenpolitik stammten überraschenderweise auch nicht aus dem Munde einer jener Personen, von denen man eine solche Kurskorrektur erwartet hätte. Weder Außenminister Guido Westerwelle noch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten diesen Paukenschlag zu verantworten, sondern Bundespräsident Horst Köhler. Was war geschehen? Köhler hatte in einem Gespräch nach seiner Rückkehr aus Masar-i-Sharif verkündet:

David Bosold, Christian Achrainer
Multilateralismus: Die Wandlung eines vermeintlichen Kontinuitätselements der deutschen Außenpolitik

Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland wird gerne mit Hilfe einiger prägender Grundsätze charakterisiert. Dazu gehört die Westbindung, also die ideelle und institutionelle Verankerung in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien, ebenso wie die für eine Exportnation alles andere als überraschende handelsstaatliche Ausrichtung der Außenpolitik und die Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Gewalt, die häufig mit dem Begriff „Antimilitarismus“ umschrieben wird. Nicht zuletzt gehört dazu auch die multilaterale Orientierung, die die junge Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg schnell entwickelte und die nach Ansicht der meisten Beobachter bis heute ein Wesensmerkmal der deutschen Außenpolitik geblieben ist. Zugleich gilt die deutsche Haltung zum Multilateralismus als ein wesentlicher (wenn nicht gar: der wesentliche) Gradmesser für die Kontinuität deutscher Außenpolitik und mithin dafür, ob auch das vereinte Deutschland – bei allen Neuerungen, die in einer sich rapide verändernden Welt unausweichlich sind – in der Traditionslinie der Außenpolitik der ‚alten‘ Bundesrepublik verbleibt. Die in der einschlägigen Forschung vorherrschende Position dazu ist, dass auch das vereinte Deutschland die Abneigung gegen Alleingänge und die Präferenz für kooperatives Handeln gemeinsam mit den Partnern behalten hat und Deutschlands Außenpolitik sich in dieser wichtigen Hinsicht in den letzten eineinhalb Jahrzehnten gegenüber der Zeit davor kaum verändert hat.

Rainer Baumann
Deutschlands konstitutionelle Europapolitik: Auswirkungen veränderter innen- und außenpolitischer Rahmenbedingungen

Mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin tauchte verstärkt die These einer neuen „Berliner Republik“ auf (Brunssen 2001: 3), die sich nicht zuletzt durch ein selbstbewussteres Auftreten in der Außenpolitik und eine konsequentere Vertretung der deutschen Interessen im Ausland von dem bisherigen Politikstil unterscheiden sollte. Begünstigt wurde die Wahrnehmung eines solchen Epochenwandels dadurch, dass der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin im unmittelbaren Umfeld des Regierungswechsels von 1998 stattfand und eine neue, jüngere Politikergeneration die Verantwortung übernahm. Ein selbstbewussteres Auftreten der Regierung Schröder, verbale Schlagwörter wie „deutsche Außenpolitik wird in Berlin gemacht“ und nicht zuletzt das verstärkte militärische Engagement im Ausland konnten als Bestätigung dieser These angeführt werden. Da sich diese Grundtendenz sowohl in der Zeit der Großen Koalition von 2005 bis 2009 als auch unter der CDU/CSU-FDP Regierung seit 2009 fortgesetzt hat, können die betreffenden Veränderungen durchaus als grundsätzlich betrachtet werden.

Daniel Göler, Mathias Jopp
Die deutsche UNO-Politik

Die Vereinten Nationen (VN) bilden nach regierungsamtlicher deutscher Einschätzung ein unverzichtbares Kernstück innerhalb der multilateralen Orientierung der deutschen Außenpolitik, und Deutschlands Mitgliedschaft in den VN ist „zentraler Bestandteil deutscher Friedens-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik“ (Auswärtiges Amt 2007: 4). Dieser Ansatz wird in Deutschland sowohl von einem breiten parteipolitischen Konsens (Deutscher Bundestag 2001) als auch von intensiver zivilgesellschaftlicher Unterstützung (DGVN 2009) getragen.

Johannes Varwick
Deutsche Völkerrechtspolitik im Bereich der Friedenssicherung

Das Völkerrecht ist die Rechtsordnung, die die Beziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten regelt. Der Begriff der Völkerrechts

politik

ist allerdings ähnlich schwierig zu verorten wie das vielschichtige Verhältnis von Völkerrecht und internationaler Politik (Fischer-Lescano/Liste 2005). Eine auf den Umgang mit dem Völkerrecht bezogene Politik kann beispielsweise auf eine Bestätigung, Ausformung oder Veränderung bestehender Normen sowie auf die Erzeugung neuer Normen gerichtet sein. Sie kann sich aber auch mit der Frage auseinandersetzen, ob eine als bindend erkannte völkerrechtliche Norm im Einzelfall befolgt werden soll. Ebenso kann sie vor der Frage stehen, ob und mit welchen Mitteln die Befolgung einer Norm gegenüber anderen Adressaten durchgesetzt werden soll. Schließlich haben auch solche Entscheidungen eine völkerrechtspolitische Dimension, die darauf abzielen, eine Verrechtlichung in bestimmten Bereichen gerade zu verhindern.

Christian Schaller
Deutsche Menschenrechtspolitik

Der Einsatz für die Menschenrechte in der Außenpolitik wird häufig als problematisch angesehen, weil so genannte ‚humanitäre Interessen’ nur zu leicht im Widerspruch zu den ‚harten‘ nationalen Interessen gerieten und dann dem nationalen Interesse Vorrang eingeräumt werden müsse. Der Begründer des Realismus, Hans J. Morgenthau, umriss die Problematik in den folgenden Worten:

Wolfgang S. Heinz
Aktuelle Herausforderungen der Auswärtigen Kulturpolitik

Auswärtige Kulturpolitik hat sich in den vergangenen Jahren – unabhängig davon, ob die Regierung Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb war – zu einem Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik entwickelt. Dazu haben die Konzeption 2000, der Euro-islamische Dialog, die Partnerschulintiative PASCH und das Außenwissenschaftsjahr beigetragen. Auswärtige Kulturpolitik ist dadurch weit mehr als eine „dritte Säule“ der Außenpolitik (Willy Brandt), sie gehört zum Fundament der Außenpolitik (Frank-Walter Steinmeier).

Kurt-Jürgen Maaß

Bilaterale Beziehungen

Frontmatter
Deutschlands bilaterale Beziehungen im Rahmen der EU

Da die Einigung Europas seit jeher ein Kernanliegen der Bundesrepublik Deutschland darstellt und zu einem Synonym der deutschen Staatsraison geworden ist, macht die Europapolitik einen großen Teil der deutschen Außenpolitik aus. Im Rahmen der Integrationsgemeinschaft der Europäischen Union (EU) steht Deutschland in engen bilateralen Beziehungen zu allen seinen Partnerstaaten; doch unterscheiden sich diese Beziehungen deutlich von den bilateralen Beziehungen zu „Drittstaaten“, die nicht EU-Mitglieder sind. Denn der inzwischen weit vorangeschrittene Integrationsstand verbietet es, das äußerst enge Koordinations-, Abstimmungs- und Entscheidungsgeflecht, das die EU-Mitgliedstaaten in zahlreichen Politikfeldern miteinander verbindet, als klassische Außenbeziehungen zu verstehen, die auf einzelstaatlichem Kooperationswillen in ausgewählten Themenbereichen beruhen.

Gisela Müller-Brandeck-Bocquet
Die deutsche Amerikapolitik

Mit dem Ende des Kalten Kriegs haben die deutsch-amerikanischen Beziehungen eine tragende Säule – die Eindämmung der sowjetischen Bedrohung – verloren. Der Wegfall der Blockkonfrontation eröffnete Deutschland und den USA neue Handlungsoptionen, aber konfrontierte sie auch mit neuen Herausforderungen. Zwar kooperieren beide Seiten nach wie vor in vielen Fragen, aber die Zusammenarbeit ist pragmatischer geworden und erfolgt nicht mehr automatisch. Bei der Analyse des deutsch-amerikanischen Verhältnisses gilt es heute, eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen.

Stephan Bierling, Ilona Steiler
Die deutsche Russlandpolitik

Es gibt kaum ein Staatenpaar, das wie Deutschland und Russland gleichermaßen Aufmerksamkeit und Argwohn auf sich zieht. Das gilt sowohl für die nicht eben seltenen spannungsreichen Phasen als auch für jene, in denen beide Länder auf Ausgleich und Zusammenarbeit bedacht waren. Über allem hängt die Last einer Geschichte, die zur Vorsicht mahnt und schier unbegrenztes Material für alarmistische Szenarien liefert. Solche Stimmen finden sich gleichermaßen im Osten wie im Westen. Erinnert sei nur an den Vergleich des damaligen polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski, der die „deutsch-russische“ Nordstream- Pipeline durch die Ostsee im Frühjahr 2006 in der „Tradition des Ribbentrop- Molotow-Pakts“ verortete und damit zum Ausdruck bringen wollte, dass Polen „besonders empfindlich gegenüber Korridoren und Vereinbarungen über seinen Kopf hinweg“ sei (zit. nach Miodek 2009: 295). Ein anderes Beispiel präsentierte Ronald Asmus vom

German Marshall Fund

, der im deutschen Widerstand gegen die Einladung Georgiens und der Ukraine zum

Membership Action Plan

der NATO auf dem Bukarester Gipfel im März 2008 einen „deutschen Gaullismus“ und eine „neue prorussische Strömung“ erspähte: „Deutschland kehrt zu einer Politik des Gleichgewichts der Mächte und der nationalen Interessen zurück, die an die alten Debatten über Deutschlands ‚Mittellage‘ erinnert“ (Asmus 2008: 10). Nicht minder groß war im August 2008 die Irritation in den USA über die deutsche Reaktion auf den Kaukasuskrieg, die als Beleg für den „uncanny degree of consensus“ zwischen den deutschen Parteien in der Russlandpolitik angeführt wurde. Zwar könne es rhetorische Unterschiede geben, aber “in substance they share many of the same views, and these are very different from those that predominate in the US foreign-policy establishment“ (Chivvis/Rid 2009: 105f.). In der Tat, ein Blick auf die Koalitionsvereinbarungen der letzten Bundesregierungen bestätigt diesen Eindruck.

Hans-Joachim Spanger
Die deutsche Chinapolitik

China fasziniert und beflügelt bereits seit der Aufklärung die Phantasien europäischer Denker und Händler aufgrund seiner jahrtausende alten Traditionen, der langen Geschichte sowie seiner Bevölkerungsgröße (Hsia 1985; Mackerras 1989; Assmann 2008). Gerade in jüngerer Zeit wurden besonders der mit Chinas Bevölkerungsreichtum verbundene riesige potentielle Markt und die ab 1978 eingeleiteten Reformen in der deutschen Öffentlichkeit als große Chance für die eigene, exportorientierte Wirtschaft wahrgenommen. Dies schürte das Interesse an geregelten Handelskontakten, die als ein Grundinteresse der heutigen deutschen Außenpolitik gegenüber China betrachtet werden können.

Thomas Heberer, Anja Senz
Deutschlands Politik gegenüber Israel

Die Politik der Bundesrepublik gegenüber Israel ist nicht nur von politischen und wirtschaftlichen Interessen, sondern in besonderem Maße von der deutschen Geschichte – den deutschen Angriffskriegen und dem Völkermord an den Juden Europas – und der daraus abgeleiteten historischen Verantwortung geprägt. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer handelte bereits 1952 das Luxemburger Abkommen aus, in dem die Zahlung von „Wiedergutmachungs“leistungen an Israel und die

Jewish Claims Conference

(JCC) vereinbart wurde – vor allem mit Blick auf die internationale Akzeptanz der jungen Bundesrepublik und ihre Westintegration (Weingardt 2005: 22ff). Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten 1965 haben Bundesregierungen gleich welcher Couleur, wenn auch unterschiedlich intensiv, die Vertiefung der deutschisraelischen Beziehungen sowohl auf offizieller Ebene als auch im zivilgesellschaftlichen Bereich vorangetrieben.

Muriel Asseburg, Jan Busse

Reflexionen

Frontmatter
Mühevolle Weltpolitik. Deutschland im System internationaler Beziehungen

Debatten über die Defizite der Außenpolitik haben hierzulande eine Tradition, die bis zur Staatsgründung 1949 zurückreicht. Dergleichen findet man aber auch in anderen demokratischen Gesellschaften. Dabei geht es meistens um zweierlei.

Erstens

werden bestimmte inhaltliche Akzente kritisiert, die von der Regierung gewählten Prioritäten mit einem Fragezeichen versehen und andere verlangt. Diese Art Kritik ist immer normativ und häufig auch bissig, wird allerdings oft so vorgetragen, dass die normativen Annahmen und Ziele nicht genau erkennbar werden. Gegen normative/präskriptive Kritik ist nichts einzuwenden, allerdings nur dann nicht, wenn die damit verbundenen Werte und Interessen offengelegt und nicht etwa mit schillernden Allerweltsbegriffen als fraglose Selbstverständlichkeiten drapiert werden.

Wilfried von Bredow
Das neue Selbstbewusstsein deutscher Außenpolitik und die veränderten Standards der Angemessenheit

Wo steht die deutsche Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Diese Frage stellten die Herausgeber dieses Bandes in ihrem Vorwort ins Zentrum der vorliegenden Bestandsaufnahme. Diese Frage so zu formulieren heißt, einen Gegenstand zu markieren und zu beschreiben. Markierung und Beschreibung sind dabei angewiesen auf Referenzpunkte und Koordinaten. In der Analyse deutscher Außenpolitik gehört es spätestens seit der Vereinigung nahezu unausweichlich zur gängigen Praxis, Bestandsaufnahmen vor dem Hintergrund eines Referenzsystems durchzuführen, das historische Entwicklungslinien in den Blick nimmt und vor dem Hintergrund der Frage nach Kontinuität

und/oder

Wandel analysiert. Dass sich deutsche Außenpolitik im letzten Jahrzehnt verändert hat, wird heute kaum noch bestritten. Angesichts des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan und des machtvollen Auftretens der Bundesregierung in der griechischen Finanzkrise im Frühjahr 2010 – um nur zwei Beispiele herauszugreifen – wäre eine Position, die Veränderungen leugnet, auch schwerlich haltbar. Diskussionswürdig erscheint jedoch nach wie vor, wie weit die Veränderungen im Einzelnen reichen und wie sie zu bewerten sind.

Gunther Hellmann
Backmatter
Metadata
Title
Deutsche Außenpolitik
Editors
Prof. Dr. Thomas Jäger
Alexander Höse, M.A
Kai Oppermann
Copyright Year
2011
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-93023-7
Print ISBN
978-3-531-17893-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-93023-7