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2010 | Book

Frankreich Jahrbuch 2009

Französische Blicke auf das zeitgenössische Deutschland

Editor: Wolfram Vogel

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter

Themenschwerpunkt: Französische Blicke auf das zeitgenössische Deutschland

Frontmatter
Neuere französische Deutschlandstudien – Abschied von den Area-Studies?
Zusammenfassung
„Französische Deutschandstudien“ – mit diesem Begriff ist ein Problemkreis aufgerissen, der sowohl eine historische wie eine ganz aktuelle Dimension besitzt. Ich will versuchen, einige neuere Entwicklungen aus diesem Gebiet aufzuzeigen und dabei das Verständnis dieser Entwicklungen historisch anzufüttern. Der Verweis im Titel auf die Area-Studies soll daneben Verbindungslinien zu einer breiteren wissenschaftspolitischen Debatte herstellen, die um das Verhältnis von systematischem und raumbezogenem Wissen in den Sozialwissenschaften kreist (Lackner/Werner 1999).
Michael Werner
Neue Realitäten und alte Geschichten in politischen Karikaturen
Zusammenfassung
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich ein tiefgreifender Wandel in den deutsch-französischen Beziehungen vollzogen. Die enge politische Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland, die sich seit 1950, aber vor allem auf der Basis des sogenannten „Freundschafts“- bzw. „Elysee“-Vertrages von 1963 über die deutschfranzösische Zusammenarbeit entwickelt hat, ist unter den großen Staaten Europas einzigartig. Es sind dafür anschauliche Denkfiguren entstanden: „le couple franco-allemand“, „das deutsch-französische Tandem“, und – mit Blick auf die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Prozess der europäischen Einigung – „der deutsch -französische Motor“. Ebenso einzigartig ist die unüberschaubare Fülle persönlicher Kontakte zwischen Franzosen und Deutschen auf allen Ebenen der Zivilgesellschaft und im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit: von Schüleraustausch, Städtepartnerschaften und lokalen Deutsch-Französischen Gesellschaften über das Deutsch-Französische Jugendwerk und die Deutsch-Französische Hochschule, bis hin zu Universitätspartnerschaften, Deutsch-Französischen Forschungsinstituten, der Deutsch-Französischen Brigade und zahllosen wirtschaftlichen Verbindungen. Dieses dichte Netz vielfältigster Bande zwischen Franzosen und Deutschen – „le franco-allemand“ – ist im Kontext der nachfolgenden Betrachtung die wichtigste neue Realität. Hinzu kommen als weitere neue Realitäten die militärische und zivile Nutzung der Nuklearenergie und der fortschreitende Prozess der europäischen Einigung.
Beate Gödde-Baumann
Berlin-Bilder im französischen Fernsehen (1989-2009)
Zusammenfassung
Rostropowitsch, der vor der Berliner Mauer ein Konzert improvisiert, junge Leute, die mit irgendwelchen Werkzeugen, Pickeln, Hämmern oder Eisenstangen auf das Bollwerk aus Beton einschlagen, die deutsche Fahne, die am Abend des 2. Oktober 1990, in der festlichen Nacht der wiedergefundenen Einheit, aufsteigt: Fernsehzuschauer in Frankreich wie in aller Welt haben diese höchst ergreifenden und symbolträchtigen Ereignisse live miterlebt, die in Berlin das Ende des Kalten Krieges und den Anbeginn einer neuen historischen Phase für Deutschland und für ganz Europa kennzeichneten. Haben sie aber alle die gleichen Bilder gesehen und die gleichen Kommentare gehört? Nichts ist weniger gewiss. Information besteht immer aus Blickwinkeln, aus Ausschnitten und Auswahl, und die Darstellung Berlins in den Jahren 1989 bis 1990 und danach bildet keine Ausnahme von dieser Regel.
Christian Delporte
Nicolas Sarkozys Deutschlandbild
Zusammenfassung
Bei Deutschland, hat Nicolas Sarkozy mit entwaffnender Offenheit bei einem Europakonvent seiner Partei in Paris erzählt, falle ihm zuerst sein Großvater ein. Das war im Januar 2008, ein knappes Jahr nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten. Angela Merkel, die als Ehrengast des UMP-Konvents in der ersten Reihe saß, drückte ihren Kopfhörer fest gegen die Ohren. „Wissen Sie, mein Großvater hat mich erzogen“, sagte Sarkozy. Und der Großvater „hasste die Deutschen“. Aber als Staatspräsident de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer zu Versöhnung aufriefen, habe der Großvater den Rat befolgt. Seither fiel kein böses Wort mehr über die Deutschen am Küchentisch, schildert der 1955 geborene Enkel. Der Großvater, der Arzt Benedict Mallah, sei weise gewesen und habe den deutsch-französischen Aussöhnungsprozess unterstützt. Die Szene gehört zu den seltenen Momenten, an denen Sarkozy frei heraus über sein Verhältnis zu Deutschland spricht. Sie nimmt die prägenden, aber durchaus widerstrebenden Elemente seines Deutschlandbildes vorweg: die Einsicht, sich der historischen Verpflichtung zur deutsch-französischen Verständigung stellen zu müssen ebenso wie die von früher Kindheit an empfundene (und vermittelte) Fremdheit gegenüber dem Nachbarland.
Michaela Wiegel
Die „grünen Deutschen“
Funktionen eines französischen Stereotyps
Zusammenfassung
Ökologische Probleme werden in unserer Gesellschaft immer präsenter, sei es in den Medien oder in unserem Alltag. Deutschland wird oft in anderen Ländern – und besonders in Frankreich – als ein Vorbild in diesem Bereich betrachtet. Dieser Stereotyp wird hier in einer sozialpsychologischen Perspektive analysiert. Ziel unserer Arbeit ist es generell zu verstehen, wie das soziale Denken über Umweltprobleme funktioniert. Hier geht es genauer darum, das französische Stereotyp der „grünen Deutschen“ zu erklären: wo kommt es her? Und welche Funktionen hat es?
Sabine Caillaud
Die Sterbehilfe-Debatte in Deutschland und Frankreich
Gesellschaftsproblem und sozialer Sachverhalt
Zusammenfassung
Der vorliegende Artikel beschäftigt sich damit, warum die moralische Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht des Todes zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Gesellschaft auftritt und wie sie behandelt wird. Dazu werden zwei Länder verglichen, in denen Sterbehilfe verboten ist, nämlich Frankreich und Deutschland. Mit Hilfe einer Analyse der verschiedenen Debatten und Praktiken wird versucht, die Gründe für Bitten nach Sterbehilfe besser zu verstehen, ohne jedoch das moralische Problem der Sterbehilfe lösen zu wollen. In einem ersten Schritt wird auf die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs der „Euthanasie“ im Wandel der Zeit hingewiesen und die unterschiedlichen sozialen, geschichtlichen und rechtlichen Hintergründe der französischen und deutschen Debatte untersucht. Anschließend werden die normativen Schwierigkeiten der Personen hinterfragt, die häufig mit Situationen am Lebensende konfrontiert sind, und in weiterem Sinne, die einer ganzen Gesellschaft. Es soll erfasst werden, warum manche Personen eine bestimmte Handlungsweise als „gut“ und andere sie als „schlecht“ beurteilen, und in wiefern diese Urteile sich durch soziale, historische, berufliche oder persönliche Bedingungen erklären lassen.
Ruth Horn
Historischer Perspektivenwechsel
Das deutsch-französische Geschichtsbuch: Vorgeschichte und Realisierung
Zusammenfassung
Im Sommer 2006 ist in Deutschland und Frankreich ein gänzlich neues Produkt erschienen mit dem Titel: „Histoire/Geschichte. Europa und die Welt seit 1945“. Es handelt sich dabei um das erste deutsch-französische Lehrwerk für Geschichte, das für deutsche und französische Schüler von 18-19 Jahren bestimmt ist, die sich auf das Abitur oder das baccalauréat vorbereiten. Der zweite Band, der den Zeitraum von 1815 bis 1945 behandelt und für Schüler der 11. bzw. 12. Klassen in beiden Ländern konzipiert ist, wurde im April 2008 veröffentlicht. Der dritte und letzte Band des Lehrbuchs wird derzeit vorbereitet und soll 2010 erscheinen. Er richtet sich an Schüler der 10. bzw. 11. Klassen und behandelt den Zeitraum von der Antike bis zur Napoleonischen Ära.
Corine Defrance, Ulrich Pfeil
Betrachtungen zum Mythos der deutsch-französischen Effizienz in Europa
Zusammenfassung
Gäbe es nicht seit mehreren Jahrzehnten eine Forschungsrichtung, die politische Mythen und den Einfluss der Rollenbilder auf die internationalen Beziehungen wie in dem Fall des berühmten und stets wirkungsvollen „Rapallo-Mythos“ (Fritsch-Bournazel 1974) erforscht, so könnte der Titel unseres Beitrags als Provokation aufgefasst werden. Allerdings nicht, weil hier Betrachtungen vorge schlagen werden – denn eine Infragestellung und ein Bewertungsversuch können nur willkommen sein – sondern weil hier die deutsch-französische Effizienz für Europa als „Mythos“ bezeichnet wird. Der Begriff Mythos hat zwei Bedeutungen, so dass es sich anbietet, unseren Gegenstand nach zweierlei Ansatzpunkten zu untersuchen. Die erste ist eindeutig provozierend, da die negative Konnotation des Worts impliziert, dass diese Leistung gar nicht existiert: Der Mythos bezeichnet einen Irrglauben. Oder anders gesagt: Wer behauptet, dass Franzosen und Deutsche gemeinsam in Europa etwas geleistet haben und dies noch tun, lügt. Die zweite Bedeutung ist anthropologisch: Der Mythos hat eine erklärende Funktion und kommt in dieser zum Einsatz. Er dient der Gesellschaft, die ihn erschafft und einsetzt, er begründet eine soziale Praktik und muss wiedergegeben werden, um weiterhin wirksam zu sein. Der Begriff Mythos zur Bezeichnung der Rolle Frankreichs und Deutschlands in Europa wurde im Hinblick auf die zweite Bedeutung gewählt, die hier zutreffend ist. Der Mythos beruht auf mündlicher Überlieferung, aber unterscheidet sich von der Legende, die sich auf Wunder beruft. Der Mythos gibt ein tatsächliches Ereignis verzerrt wider, es handelt sich um eine sagenhafte Erzählung, die üblicherweise eine Moral enthält (Girard 1972). Somit wird die Realität allegorisch inszeniert, was Riten und Einweihung, aber auch und vor allem die Mobilisierung von Einzelnen und Gruppen, wie in den sozialen politischen Mythen der Gegenwart (Reszler 1981; Girardet 1986) ermöglicht. Von Ernst Cassirer stammt die Herausstellung der Zweideutigkeit des Mythos mit einer einerseits analysierenden, die Realität rationell erklärenden Funktion und einer andererseits stark vereinfachenden Form, bei der die Analyse der Emotion weicht (Cassirer 1949). Inwiefern dieser Ansatz auf die deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa zutrifft, soll Gegenstand der nach folgenden Untersuchung sein.
Hélène Miard-Delacroix
Grenzüberschreitender Journalismus im heutigen Europa
Zusammenfassung
Europakompetenz scheint auf der Agenda länderübergreifender und binationaler Ausbildungsgänge an oberster Stelle zu rangieren, wenn man sich einmal die verschiedenen Angebote im Internet anschaut. Das gilt vor allem für den Mediensektor und darin speziell für Journalisten, die in ihrer Funktion als Mediatoren nicht nur über diese Fachkompetenz verfügen sollten, sondern sie zur Bewusstmachung eines Massenpublikums für Themen von Europadimension anwenden können.
Sigrid Plöger

Beiträge und Rezensionen

Frontmatter
Auf dem Weg zur Europäisierung Europas?
Eine Nachbetrachtung zu den Europawahlen 2009 in zeithistorischer Perspektive
Zusammenfassung
Am 9. Juni 2009 fanden die 7. Direktwahlen zum Europäischen Parlament statt. Rund 375 Millionen Europäer in den 27 Ländern der Europäischen Union waren dazu aufgerufen, 736 Abgeordnete in die Straßburger Versammlung zu wählen. In der Gesamtschau lassen sich die folgenden Ergebnisse festhalten: dass Konservative und Christdemokraten europaweit tendenziell größeren Wählerzuspruch hatten als die Sozialisten und Sozialdemokraten, denen die Schaffung neuer Mehrheiten im Europa-Parlament nicht gelang; dass die drei bislang größten Fraktionen eher geschwächt worden sind und dass in 22 von 27 Mitgliedstaaten „Regierungschef-Parteien“ Verluste gegenüber der letzten Parlamentswahl erlitten haben; dass kleinere Parteien überdurchschnittlich gut abgeschnitten haben: von Ein-Punkte-Parteien wie der schwedischen Piratenpartei (7.1%, 1 Sitz) über EU-kritische, aber integrationsoffene Kräfte wie die Liste Dr. Martin in Österreich (17.7%, 3 Sitze) bis hin zu europhoben Parteien wie der United Kingdom Independence Party in Großbritannien (16.5%, 13 Sitze); dass sich die Grünen – Europe Ecologie in Frankreich mit 16.3%, die Grünen in Deutschland mit 12.1% – als Sieger fühlen durften: 9 Sitze mehr als 2004, obwohl das Europäische Parlament fast 50 Sitze weniger aufweist; schließlich, dass – bei allen nationalen Unterschieden – die Wahlbeteiligung mit durchschnittlich 43.2% schwächer war, als bei jeder vorhergehenden Europawahl seit den ersten Direktwahlen im Jahre 1979.
Dietmar Hüser
Gilbert Zieburas Autobiographie
Die Grundlegung der sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung in Deutschland
Zusammenfassung
Der Name Gilbert Ziebura ist nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt; selbst die meisten Studenten der Politikwissenschaft können mit ihm wohl nichts mehr anfangen. Dagegen ist sein Name allen, die sich mit französischer Politik und Zeitgeschichte beschäftigen, wohlvertraut, denn Gilbert Ziebura ist der Begründer der sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung in Deutschland nach 1945. Nach seiner sich mit der deutschen Geschichtsschreibung zu den Ursachen des Ersten Weltkrieges kritisch auseinandersetzenden Dissertation (Ziebura 1955) legte er mit seinen Quellenbüchern zur IV. und V. Republik (Ziebura 1956/7 und 1960) das Fundament für die in den 60er Jahren einsetzende deutsche sozialwissenschaftliche Frankreichforschung. Mit seiner vielbeachteten und hochgelobten Habilitationsschrift über den französischen Sozialisten und Ministerpräsidenten der Volksfrontregierung 1936/7, Léon Blum (Ziebura 1963), der ersten, leider unvollendet gebliebenen Biographie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, avancierte er endgültig zum führenden Frankreichexperten „diesseits des Rheins“. Seine Analyse der deutsch-französischen Beziehungen seit 1945 (Ziebura 1970) war zwar seinerzeit ein Pionierwerk und ist das am weitesten verbreitete seiner Bücher, aber auch durch seinen sehr kritischen Grundtenor das am meisten Anstoß erregende. Darüber kam es auch zu einem harten Streit mit seinem Freund Alfred Grosser und zur Trennung von der „Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit“, „die mir so viel bedeutet hat“ (263). Damit verbunden war der Verzicht, weiter in der von der Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift Dokumente zu publizieren.
Adolf Kimmel
Zivilgesellschaftliche Mittler im kurzen 20. Jahrhundert
Deutsch-französische Intellektuellengeschichten um Edmond Vermeil und Robert Minder
Zusammenfassung
Längst ist es gang und gäbe, eine Geschichte der Internationalen Beziehungen nicht mehr auf eine „Große Politik der Kabinette“ zu beschränken, sondern diplomatisches Handeln sehr viel breiter sozial- und kulturgeschichtlich zu verankern, auch sehr viel stärker zu transnationalisieren. Mehr als früher gerät dabei das grenzüberschreitende Interagieren von Menschen, Organisationen und Staaten ins Blickfeld sowie die übernationalen Strukturmuster und Austauschprozesse, die daraus im Zeitverlauf erwachsen sind. Besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang zivilgesellschaftlichen Akteuren und Akteursgruppen, denen eine hohe Relevanz als transnationale Mittler und maßgebliche Schrittmacher beim Aufbau von Kommunikationsstrukturen und Netzwerken unterhalb der offiziellen Politikebene zukommt. Sind lange Zeit verhärtete Fronten zwischen klassischen Diplomatiehistorikern und den Verfechtern einer Geschichte Internationaler Beziehungen bzw. einer Internationalen Geschichte zu konstatieren gewesen, so zeichnet sich nunmehr ein immer breiterer Konsens darüber ab, dass ein starres Gegenüberstellen von gouvernementalen und zivilgesellschaftlichen Akteursgruppen wenig Sinn macht. Bevorzugt wird ein Interdependenzmodell, in dessen Rahmen von Fall zu Fall auszuhandeln wäre, über welche Ressourcen und Einflüsse diese oder jene Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen.
Dietmar Hüser
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Metadata
Title
Frankreich Jahrbuch 2009
Editor
Wolfram Vogel
Copyright Year
2010
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-92259-1
Print ISBN
978-3-531-17348-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-92259-1