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1990 | Book

Journalismus & Kompetenz

Qualifizierung und Rekrutierung für Medienberufe

Editor: Dr. Siegfried Weischenberg

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter

Das “Prinzip Echternach”

1. Das „Prinzip Echternach“
Zur Einführung in das Thema „Journalismus und Kompetenz“
Zusammenfassung
Um die Jahrhundertwende traute sich in der Reichshauptstadt Berlin ein promovierter Herr mit Kaiser-Wilhelm-Bart und entschlossenem Blick an die schwierige Aufgabe heran, „die Joumalistik zu einer Wissenschaft zu erheben“. 1899 gründete er eine Einrichtung zur Ausbildung des publizistischen Nachwuchses, die er forsch „Journalisten-Hochschule“ taufte. Drei Jahre später gab er — „kommenden Geschlechtern zum Nutzen und der deutschen Journalistik zur Ehre“ — ein „Handbuch der Journalistik“ heraus und ließ sich dort auf der ersten Seite auch in vollem Männerputz jener Jahre, mit Fliege und Uhrenkette, großformatig ablichten. Dr. Richard Wrede, so hieß der längst vergessene Mann, zog darin munter gegen die journalistische Begabungsideologie zu Felde:
„Mit einem gewissen Selbstbewusstsein hört man jetzt noch von vielen Herren der Praxis, älteren und jüngeren, vom Chefredakteur des Weltblatts bis zum Scherenredakteur in Schilda, das grosse Wort: ‚Zum Journalisten muß man geboren werden, lernen kann man das nicht.‘ Damit wollen die Herren ihre Vorzüge und Fähigkeiten in das hellste Licht setzen, und wenn sie fühlen, was allerdings wohl sehr selten sein dürfte, dass ihnen ein kleiner Mangel anhaftet, diesen entschuldigen; sie können ja nichts dafür: angeboren!“
Siegfried Weischenberg

Aus- und Fortbildung für die Medien: ein Überblick

2.1. Ein Wegweiser durchs Labyrinth
Die hochschulgebundene Journalistenausbildung in der Bundesrepublik
Zusammenfassung
„Wir erwarten: abgeschlossenes Studium und praktische Erfahrung“ — wer in den Journalismus will, kennt diese Floskel aus Stellenausschreibungen zur Genüge. Für Berufsanfänger gilt heutzutage die Regel: Wer Journalist werden will, muß studiert haben. Aber was? Und wie — und wo? Allein die dürren Daten und Fakten zu den verschiedenen Journalistik- und Publizistik-Studiengängen füllen mittlerweile mehrere dickleibige Studienführer. Ohne Anleitung kann sich kaum noch jemand im Labyrinth der Ausbildungswege zurechtfinden. Dabei war dieser Boom durchaus vorhersehbar; er ist das Ergebnis einer langen Entwicklung.
Sigrid Schneider
2.2. Von Freiwilligen und Flanellträgern
Betriebliche und schulische Journalistenausbildung in der Bundesrepublik
Zusammenfassung
„Ein Volontär ist ein Freiwilliger. Gezwungen wird niemand. Lernen kann er eigentlich nichts. Wie alte Hasen gern und glaubhaft versichern: Entweder hat er’s von Geburt an im kleinen Finger, oder er begreift es nie.“ Keine guten Noten für die betriebliche Ausbildung, die Jörg Albrecht, selber vom Fach, in einem „Zeit“-Artikel verteilt. Und die Journalistenschulen? Können angehende Journalisten auch dort nichts lernen? Doch, sie können — zumindest an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg, meint Albrecht: „Dort lernen sie, wie man erstens einen Flanellanzug trägt, zweitens ein Tonbandgerät handhabt und drittens Adjektive vermeidet.“ (Albrecht 1989: 62)
Lutz P. Michel
2.3. Viele Programme, viele Probleme
Weiterbildungsangebote für Journalisten in der Bundesrepublik
Zusammenfassung
Als 1897 ein paar einsame Goldsucher am Bonanza Creek im kanadischen Bergbaudistrikt Klondike fündig wurden, begann für viele, höchst unterschiedliche Menschen — unabhängig von ihrer bisherigen Tätigkeit und Qualifikation — der Traum von einem neuen El Dorado. Als sich etwa neunzig Jahre später die Ministerpräsidenten der Länder in der Bundeshauptstadt Bonn auf die Zulassung kommerzieller Rundfunkanbieter einigten, begann für viele, höchst unterschiedliche Menschen — unabhängig von ihrer bisherigen Tätigkeit und Qualifikation — der Traum vom großen Geschäft mit der Journalistenweiterbildung. Viele der Abenteurer im Klondike-Distrikt mußten für ihre Unerfahrenheit einen hohen Preis bezahlen: Oft fanden sie kein Gold; und manch einen kostete der Traum vom schnellen Reichtum sogar das Leben. Von solchen Gefahren sind die modernen Schatzsucher der beruflichen Bildung nicht bedroht. Der Preis für ihren Traum vom schnellen Geld ist dennoch hoch — aber den bezahlen nicht sie selber, sondern ihre Klientel, die Journalisten.
Martin Löffelholz, Marcus Kieppe
2.4. In einem andern Land
Praxisbezug und „liberal arts“: das Vorbild USA
Zusammenfassung
Die Stadt Laramie gibt nicht nur die wohlvertraute Kulisse für so manchen guten Western ab, sie ist auch Geburtsort des vermutlich ersten Curriculums für die Journalistenausbildung. 1882, als im Staate Wyoming (und anderswo im Westen der USA) noch die Fäuste flogen und die Colts rauchten, machte sich ein gewisser Bill Nye, Zeitungsmann beim Lokalblatt „Boomerang“, Gedanken über die rechte Vorbereitung auf den Journalismus.
Siegfried Weischenberg

Bedingungen, Mittel und Effekte der Journalistenausbildung

3.1. Vom Markt zum Staat
Politische Planung der Journalistik als „Problemverschiebung“
Zusammenfassung
Anfang der 70er Jahre kritisierte Helmut Kohl, der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, den „Linkstrend“ in der bundesdeutschen Presse. Als Problemlösung empfahl er eine Nachwuchsförderung für junge Journalisten. Einige Jahre später begann in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ein Aufbaustudiengang Journalistik mit der Ausbildung journalistischen Nachwuchses. Etwa zur gleichen Zeit (1978) erarbeitete der medienpolitische Koordinierungsausschuß der CDU/CSU „zehn medienpolitische Thesen“. In seiner Erläuterung dieser Thesen kritisierte Christian Schwarz-Schilling, der damalige Medienexperte der CDU, die mangelnde Ausgewogenheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Als Problemlösung empfahl er eine bessere Ausbildung der Journalisten. Sein Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, konkretisierte 1979 die Kritik: Er sei nicht länger bereit, den „gesellschaftspolitischen Quark im Fernsehen“ (zit. Lührssen 1984: 5) zu schlucken. Dann, Anfang der 80er Jahre, gab Ernst Albrechts Staatskanzlei ein Gutachten in Auftrag. Der Titel lautete: „Einrichtung eines Studiengangs Diplom-Joumalistik an der Hochschule für Musik und Theater Hannover“. Einige Zeit später begann in der niedersächsischen Landeshauptstadt ein Aufbaustudiengang Journalistik mit der Ausbildung joumalistischen Nachwuchses.1
Martin Löffelholz
3.2. Professionalisierung durch Wissenschaft(ler)?
Merkmale und Einstellungen von Journalistik-Dozenten
Zusammenfassung
Bei den Diskussionen über die Reform der Journalistenausbildung Anfang der 70er Jahre gab es einen Schlüsselbegriff, der bis heute Programm geblieben ist: „Professionalisierung“ des Journalismus. Der Hinweis auf dieses Ziel diente und dient gleichermaßen als Legitimation für die Forderung nach einer wissenschaftlichen Ausbildung und als Orientierungsgröße für die inhaltliche Gestaltung der Journalistik-Studiengänge. Da sich die moderne Gesellschaft in einem Prozeß zunehmender Differenzierung und Verwissenschaftlichung befinde, so argumentierten die Befürworter der Ausbildungsreform, erfordere auch die journalistische Interpretation gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen wissenschaftlich fundierte Kompetenz. Die fachliche Ausbildung der Journalisten sollte daher an den Standards allgemeiner Qualifikationsansprüche orientiert werden, um die Leistungsfähigkeit der Medien als „Träger ökonomischer und politischer Funktionen“ (Launer/Naß/ Schlie 1975:57) sicherzustellen.
Gregor Timmer
3.3. Journalismus lehren
Didaktik und Ressourcen in der überbetrieblichen Journalistenausbildung
Zusammenfassung
Als ich zum erstenmal als Journalistik-Dozent vor Studenten auftrat, war ich dafür bestens gerüstet: Ich hatte selbst einmal studiert, und ich kannte die Praxis des Journalismus aus längerer Erfahrung. Meine Zusatzqualifikationen waren die Leitung des „Journalistischen Arbeitskreises“ an einer Volkshochschule und gelegentliche Referententätigkeit bei Fortbildungskursen für Journalisten.
Siegfried Weischenberg
3.4. Praxis theoretisch?
Merkmale von Journalismus-Lehrbüchern: eine annotierte Bibliographie
Zusammenfassung
Zukünftig, so lautete eine Prognose im Jahre 1980, würden Journalismus-Lehrbücher zum Grausen aller Begabungsideologen in Form von Computerprogrammen erscheinen. Zehn Jahre später ist (zum Glück?) eine solche „computergesteuerte Journalistenausbildung“ (Weischenberg/Weischenberg 19801: 260) noch nicht abzusehen. Die Vermittlung journalistischer Kompetenz durch Lehrbücher folgt — mit wenigen Ausnahmen — nach wie vor dem traditionellen Schema2: Medienpraktiker aus der Medienpraxis schreiben für die Medienpraxis — und das vor allem praktisch.
Klaus-Dieter Altmeppen
3.5. Allround-Genies gesucht!
Rekrutierungspraxis der Medienbetriebe I: Stellenanzeigen für Journalisten
Zusammenfassung
Es hat den Anschein, als gebe es heute selbst in den leitenden Etagen der Medienbetriebe das Bedürfnis, über die Qualifikation und Berufsausübung der Mitarbeiter Gewißheit zu erhalten. Der Chefredakteur der „Funkuhr“ jedenfalls hat einem Teil seiner Mitarbeiter jüngst folgende Fragen zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt: „Was können Sie? Was machen Sie? Was möchten Sie machen? Können Sie Ihren Ressortleiter vertreten? Womit verdienen Sie Ihr Geld?“ (Journalist 1988/10: 7)
Klaus-Dieter Altmeppen, Armin Scholl
3.6. Publizistik als Sackgasse?
Rekrutierungspraxis der Medienbetriebe II: die Karriere von Publizistik-Absolventen
Zusammenfassung
Was rät ein rechtschaffener Redaktionspraktiker heutzutage ambitionierten Abiturienten, die Journalisten werden wollen? „Studieren Sie, was Sie wollen, meinetwegen auch Journalistik, aber bloß nicht Publizistik und schon gar nicht als Hauptfach!“ Hier irrt der Mann, denn harte Daten widerlegen ihn. Sie wurden an vier Publizistikinstituten ermittelt, um festzustellen, wie sich Studium und Beruf in den Köpfen und Karrieren von Absolventen widerspiegeln. Danach überrascht vor allem, daß die meisten Absolventen Journalisten geworden sind und also tatsächlich ihr erstes Berufsziel erreicht haben; und zwar gerade die, die Publizistik als Hauptfach studierten. Und Karriere im Journalismus haben vor allem die Doktoren aus der Publizistikwissenschaft gemacht.
Joachim Westerbarkey, Martin Büllesbach

Fallstudien zur Journalistenausbildung an Schulen und Hochschulen

4.1. Nichtskönner, Alleskönner, Fachidioten?
Kritische Anmerkungen zu den Lernzielkatalogen der Journalistik
Zusammenfassung
„Wer schwimmen lernen will, muß ins Wasser springen!“ Dieses Ausbildungs-Credo vieler Verleger und Journalisten hat in Deutschland ein langes Leben gehabt. Erst in den 70er Jahren wurde es bekanntlich — wenn auch längst nicht überall und von allen — für tot erklärt. Denn der Journalismus drohte gegenüber neuen Herausforderungen wie der zunehmenden Verwissenschaftlichung und steigenden Komplexität der Gesellschaft zu versagen. Es war offensichtlich geworden, daß journalistische Arbeit mehr als Begabung, Gespür und technische Fertigkeiten erfordert. Gleichzeitig mehrten sich die Zweifel, ob betriebliche Ausbildung allein den neuen Anforderungen und der gesellschaftlichen Aufgabe Information gerecht werden könne. Die Rettung sollte von der Hochschule kommen.
Bernhard Honnigfort
4.2. Berichterstatter, Enthüller, Werbeträger?
Soziale Orientierung als Lernziel der Journalistik
Zusammenfassung
Welche Aufgaben haben Journalisten? Wie sollen sie sich verstehen: als Berichterstatter, Enthüller oder Werbeträger? Auf diese Fragen gibt es, je nach Standpunkt und Interessenlage, die unterschiedlichsten Antworten. Die Richtung ist freilich vorgegeben: Bei der Definition der Funktionen journalistischer Tätigkeit muß das politische System der Bundesrepublik Deutschland, die repräsentative Demokratie, die Grundlage bilden. In diesem Gesellschaftstyp wird das Volk durch das gewählte Parlament vertreten. Obwohl die Staatsbürger ihre politische Entscheidungsmacht mit der Wahl delegiert haben, sollen sie in der Demokratie weiter am politischen Leben teilhaben können. Dazu muß es einen umfassenden Prozeß der Meinungs- und Willensbildung geben, der in den modernen Industriegesellschaften wesentlich von den Leistungen der Massenmedien und der Journalisten abhängt.
Birgit Schumacher
4.3. Kisch-Preisträger im „Brutkasten“
Kompetenzvermittlung an der Deutschen Journalistenschule München
Zusammenfassung
Es gibt Leute, die sie als „Brutkasten bezeichnen für alle, die sich ‘zu Höherem berufen’ fühlen“, andere nennen sie einen „Kindergarten“, in dem es „unprofessionell und lebensfremd“ zugehe, für wieder andere ist sie nichts anderes als eine „elitäre Kaderschmiede“. Die Rede ist von der Deutschen Journalistenschule in München (DJS). Eigentlich besitzt diese Einrichtung der überbetrieblichen Journalistenausbildung einen exzellenten Ruf. Doch die Zitate stammen auch gar nicht von Kritikern, die den Sinn dieser schulischen Berufsvorbereitung in Frage stellen, sondern von den Schülern selbst. Genauer: von Absolventen der 22. Lehrredaktion, die von 1983 bis 1985 an der Münchner Schule zu Redakteuren und Redakteurinnen ausgebildet wurden. Die Mehrzahl der Absolventen dieser 22. Lehrredaktion war unzufrieden mit ihrer Ausbildung. Im folgenden sollen Konzeption und Inhalte der Ausbildung an der DJS untersucht werden, um Ursachen für diese Unzufriedenheit herauszufinden. Grundlage für diese Studie sind die Analyse von Stundenplänen, eine Befragung von Schülern der DJS und eigene Erfahrungen der Verfasserin an dieser Einrichtung1.
Anne Schulte
4.4. Das Integrationsmodell
Theorie und Praxis im Dortmunder Studiengang Journalistik
Zusammenfassung
Als der Dortmunder Studiengang Journalistik im November 1986 sein zehnjähriges Bestehen feierte, wurde deutlich, daß der Ausbildungsgang, dem die Berufspraxis zunächst mit Skepsis begegnet war, mittlerweile breite Zustimmung findet. „Praxisnähe zeichnet Dortmunder Ausbildung aus“1, überschrieb eine Regionalzeitung ihren Bericht über eine Diskussion, bei der aus Anlaß des Jubiläums Vertreter der Hochschule und der Berufspraxis Bilanz zogen.
Hans-Georg Kraffzick
4.5. Patchwork als Organisationsprinzip
Der Teilstudiengang Journalistik an der Universität Hamburg
Zusammenfassung
Theo Sommer, Chefredakteur der „Zeit“, konnte sich bei den Hamburger Medientagen 1981 eine, wie er selbst meinte, „brisante Bemerkung“ nicht verkneifen. Allen jungen Leuten, die Journalist werden wollen, empfehle er „um Gottes willen nicht Journalismus, sondern irgendwas Vernünftiges“ zu studieren. Das brachte (nicht nur) den Journalistik-Dozenten Gerd Kopper in Rage: „Was Sie da eben behauptet haben,“ erregte sich der Dortmunder Hochschullehrer, „man solle alles andere als Journalismus studieren, um Journalist zu werden, nämlich was Vernünftiges, das ist natürlich Quatsch.“1 Damit war wieder einmal die gesamte Bandbreite der Pro- und Contra-Diskussion zum Thema hochschulgebundene Journalistenausbildung offengelegt.
Jürgen Schnegelsberg
Backmatter
Metadata
Title
Journalismus & Kompetenz
Editor
Dr. Siegfried Weischenberg
Copyright Year
1990
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-94174-9
Print ISBN
978-3-531-12089-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-94174-9