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23-10-2017 | Marktforschung | Schwerpunkt | Article

Gesichtserkennung im Supermarkt empört

Author: Johanna Leitherer

3:30 min reading time

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Tante Emma kannte jeden ihrer Ladenbesucher. Große Supermärkte müssen hingegen mit digitaler Gesichtserkennung tricksen, um ihre Kunden kennenzulernen. Doch das kommt trotz Rabatt nicht gut an.

Welcher Werbeaufsteller die Blicke auf sich zieht, wie viele Männer zur Wursttheke gehen oder ob hauptsächlich Frauen die Zutatenliste studieren, ist für Supermärkte kein Geheimnis mehr. Über Kameraaufzeichnungen können sie ihre Kunden analysieren und darauf sämtliche Werbemaßnahmen zielgruppenspezifisch ausrichten. Technologien zur Gesichtserkennung sollen darüber hinaus mehr über mögliche Gedanken und Gefühlsregungen der Ladenbesucher zutage bringen. Online ist es bekanntermaßen gang und gebe, dass Shop-Betreiber personenbezogene Daten sammeln und auswerten. Im stationären Handel dulden Kunden diese Praktik bislang jedoch kaum. So sah sich der Supermarkt Real herber Kritik konfrontiert, als dessen Methoden zur Gesichtsanalyse publik wurden.

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Wer Daten hat, hat Macht

Der ökonomische und gesellschaftliche Wandel setzt sich auch gegen seine Skeptiker durch, was dazu führt, dass Unternehmen ihre Rolle in der Wertschöpfungskette neu definieren müssen. Dabei kommt dem Begriff der Freiheit in der Industrie 4.0 eine ganz neue Bedeutung zu. Datensilos öffnen und Big Data betreiben, wird künftig für Unternehmen zum erfolgskritischen Faktor.


In rund 1.000 Online-Interviews, durchgeführt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, bestätigte sich die Haltung deutscher Konsumenten abermals. So lehnen 76 Prozent der Befragten personalisierte Werbung ab, wenn diese auf der Basis von Gesichtsanalyse entstanden ist. 83 Prozent sind außerdem nicht bereit, dass Supermärkte ihren Gesichtsausdruck zu Werbezwecken untersuchen. Dass die Käuferanalyse exklusive Rabatte ermöglicht, lässt 71 Prozent der Kunden kalt. 

Angst vor Kontrollverlust

Viele beunruhigt es, wenn die Datenanalyse ohne ihr Wissen betrieben wird (84 Prozent) und sie dadurch die Kontrolle verlieren (82 Prozent). Wohin reicht das Auge der Kamera? Sind Zooms möglich? Wird gespeichert, was in unserem Einkaufswagen landet? Es sind Fragen, die Supermarktbetreiber und IT-Spezialisten beantworten können. Otto-Normalverbraucher tappen jedoch im Dunkeln, was die viel diskutierte Angst befeuert, zum gläsernen Kunden zu mutieren. "Herr seiner Daten bleibt nur, wer abwägt, was ihm einen Nutzen bringt und was verzichtbar ist. Der Nutzen beginnt da, wo ein Mensch als Kunde individualisierte Leistungen erhält und er hört dort auf, wo er für sich keinerlei zusätzlichen Komfort erkennen kann", meint auch Springer-Autor Andreas Weber im Kapitel "Die digitale Revolution ist allgegenwärtig" des Buchs "Digitalisierung – Machen! Machen! Machen!" (Seite 21). Logistisch und technisch ist es allerdings unmöglich, jeden Ladenbesucher erst zu fragen, inwieweit er die Analyse von Filmmaterial duldet. Ob bei den Kauf- und Verhaltensanalysen zusätzlicher Komfort für die Kunden herausspringt, lässt sich pauschal nicht sagen.

Nichts zu verbergen?

76 Prozent der Umfrageteilnehmer befürchten zudem, dass Supermärkte ihre Daten nicht ausreichend schützen und anderen Unternehmen preisgeben. "Die geheim-private Information wird zum Business-Case", bestätigen die Springer-Autoren Peter Seele und Christoph Lucas Zapf im Kapitel "Funktionale Systematik eines Strukturwandels des Privaten" des Buchs "Die Rückseite der Cloud" (Seite 119). Viele Menschen zeigen sich von Aussagen wie diesen unbeeindruckt, da es sie nicht stört, wenn sie mit ihren Daten ökonomische Interessen füttern, die auf Marketing, Vertrieb oder Marktforschung abzielen. Auch Kameraaufzeichnungen, die der Sicherheit dienen sollen, stoßen auf breite Zustimmung. Dabei gilt oftmals das Motto: "Wer sich nichts zu schulden kommen lässt, muss auch nichts befürchten." Doch Seele und Zapf warnen: "Es geht um den potenziellen Zugriff auf das gesamte digitale Leben durch unkontrollierbare Dritte" (Seite 132). 

Wenn Daten die Runde machen

Die Überwachung in Supermärkten steckt zwar noch in den Kinderschuhen. Wer das Szenario weiterspinnt, ahnt jedoch, dass die Kundenanalyse größere Kreise ziehen könnte. Denn angenommen, Läden registrieren bereits, welches Individuum gerade seinen Wocheneinkauf antritt, sobald es die Türschwelle übertreten hat und das Smartphone vernetzt ist, entwickelt sich die anonyme Forschungssituation zu einer persönlichen Überwachung. So ist es denkbar, dass Kameras und Kassen genau aufzeichnen, was wir kaufen, während eine Gesichtsanalyse parallel ermittelt, wie wir uns während des Shoppings fühlen. Was passiert also, wenn regelmäßig Schnaps, Schokolade und fettes Fleisch in den Einkaufswagen wandern? Erhalten wir dann personalisierte Ratschläge oder gar Warnhinweise auf unser Smartphone, die uns über gesunde Ernährung und Suchtprävention aufklären? Und bekommt unser Hausarzt Wind von unserem Konsumverhalten?

Zwar kaufen Menschen auch online zahlreiche Produkte wie Medikamente oder Bücher, bewegen sich in sozialen Netzwerken und betreiben Online-Banking, wodurch sie hochsensible Informationen bereitwillig streuen. Da die Datensammlung und -verarbeitung unsichtbar im Verborgenen geschieht, scheint die Web-Praktik allerdings für weniger Aufsehen zu sorgen. Kameras im stationären Handel machen die Form der Überwachung bewusst erfahrbar, was zu stärkeren Reaktionen der Betroffenen führt. Das geht laut der Umfrage sogar so weit, dass Kunden hierzulande bereit sind, Taten sprechen zu lassen: Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, Supermärkte zu meiden, sobald diese Gesichtserkennung betreiben.

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