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Published in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 6/2022

Open Access 02-11-2022 | Schwerpunkt

Omni-Kanal-Transformation im Krankenhaus – eine Fallstudie

Authors: Carolin Vollenberg, Felix Hoffmann, André Coners, Ralf Plattfaut

Published in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Issue 6/2022

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Zusammenfassung

Die komplexen Strukturen der vorhandenen Krankenhaus-Patient*innen-Schnittstelle sowie zugehörige IT-Systeme, eingesetzte Speichermedien und die dezentralen Kontaktkanäle begründen häufig hohe administrative Aufwände im Gesundheitswesen. Diese Schnittstelle und die Kontaktkanäle für Patient*innen sind meist unabhängig voneinander organisiert sowie auf Daten- bzw. Systemebene nicht verbunden – sie unterliegen häufig einem Multi-Kanal-Ansatz. Die Transformation hin zu einem Omni-Kanal-Ansatz kann diese Komplexitäten und Aufwände reduzieren. Die hier vorgestellte Studie zeigt die Gestaltung eines Omni-Kanal-Ansatzes im Gesundheitswesen und bietet Implikationen sowie klare Lessons Learned für die Umsetzung eines solchen Konzeptes insbesondere für IT-Entscheider*innen. Zudem werden die Komplexitätsreduktionen durch einen Omni-Kanal-Ansatz im Krankenhaus dargestellt.

1 Einleitung

Krankenhäuser sehen sich einem wachsenden Anteil administrativer Tätigkeiten gegenüber. Dies liegt unter anderem an der Zunahme und den dynamischen Änderungen der Regulatorien im Gesundheitsbereich und den zugrundeliegenden Prozessen, denn häufig fehlt es an standardisierten Prozessen (Biesdorf et al. 2022). Diese Prozesse sind meist zudem dezentral organisiert und die Informationsflüsse in den existenten IT-Systemen nicht harmonisiert. Auf diese Weise entstehen häufig organisatorische Probleme bei der bereichsübergreifenden Kommunikation und Kooperationen zwischen verschiedenen Abteilungen in Krankenhäusern (Reichert 2000). Gründe sind unter anderem die sektorale Trennung im Gesundheitswesen mit komplexen, da interorganisational ablaufenden, Prozessen und mangelndes Augenmerk des Prozessmanagements in Krankenhäusern auf sekundäre Prozesse, die beispielsweise Prozesse der Terminvergabe, des Ressourcenmanagements und des Datenmanagements umfassen. Die damit verbundenen administrativen Aufwände erhöhen jedoch den Druck und die Belastung auf das Personal, da dieses den Fokus nicht mehr zielgerichtet auf die eigentlichen Kerntätigkeiten legen kann (SOTI Inc. 2020; Reichert 2000).
Weitere Einflussfaktoren des Administrationsaufwandes sind die hohe Zahl an Patientenkontakten und die verschiedenen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme durch Patient*innen im Krankenhaus – bspw. im Zuge von Terminvergaben und -koordination. Durch die unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten, die den Patient*innen zur Kontaktaufnahme in Krankenhäusern angeboten werden, sind die Koordinations‑, Dokumentations- und Informationsmanagementaufwände hoch (Blum und Müller 2003; HIMSS Europe 2015). So verbringt Pflegepersonal im Krankenhaus ungefähr die Hälfte der Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben (Blum und Müller 2003). In Krankenhäusern sind diese administrativen und teilweise noch manuellen Tätigkeiten sowie die damit einhergehende häufig ungenügende Servicequalität unter anderem in der Ausgestaltung uneinheitlicher IT-Schnittstellen begründet (SOTI Inc. 2020). Diese verursachen erhöhte Komplexitäten und Ineffizienzen in der Kommunikation aufgrund multipler existenten Varianten der Kontaktaufnahme und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Patient*innen und Mitarbeiter*innen sowie interorganisational zwischen verschiedenen Abteilungen und Mitarbeiter*innen. Diese verschiedenen Varianten der Kommunikation werden im Folgenden als Kanäle bezeichnet.
Zahlreiche Forschungsaktivitäten in anderen Domänen – bspw. im Einzelhandel oder der Service-Industrie – wirken darauf hin, Schnittstellen bzw. Kanäle zwischen Mitarbeiter*innen und Kund*innen zu harmonisieren und standardisieren, um so eine bessere Servicequalität zu gewährleisten (Hussein und Kais 2021; Liao und Yen 2007; Hummel et al. 2016). Diese Forschung ist bislang im Gesundheitssektor – im Speziellen in Krankenhäusern – weniger weit vorangeschritten. Erforscht werden sollte mithin, ob eine Übertragung sinnvoll erscheint, um so das Krankenhauspersonal zu entlasten. Auf diese Weise könnte mehr Zeit für die Betreuung von Patient*innen geschaffen und die Behandlungs- sowie Servicequalität für Patient*innen erhöht werden.
Diese Fallstudie analysiert den Status Quo der Kanalstruktur des Terminvergabeprozesses in 20 Ambulanzen eines deutschen Krankenhauses. Ziel der Analyse ist die Reorganisation der Schnittstellen, um die analogen und digitalen Kanäle zwischen Mitarbeiter*innen und Patient*innen zu optimieren. Als Lösungskonzept wird eine zentrale digitale Einheit durch Verknüpfung der Kontaktmöglichkeiten als Omni-Kanal-Ansatz entwickelt. Ein Omni-Kanal beschreibt dabei die Vernetzung unterschiedlicher Kanäle zur Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung sowie die Integration aller physischen Kanäle (offline, z. B. Telefon, Walk-In) und digitalen Kanäle (online, z. B. Mail), um ein nahtloses und einheitliches Patientenerlebnis zu gewährleisten. Zudem umfasst dies die Konsistenz der Datenverarbeitung, -speicherung und des Informationsflusses, der kanalübergreifend zu konsolidieren ist und die Datenflüsse innerhalb der genutzten Kanäle (sowie damit einhergehender genutzter Medien, Systeme und Software) harmonisiert (Bhalla 2014). Dabei wird untersucht, welche Erfolgsfaktoren für die Reorganisation bestehen.
Die vorliegende Fallstudie untersucht, wie die Komplexität administrativer Prozesse reduziert werden kann und welche Erfolgsfaktoren für die Reorganisation von Patient*innen-Schnittstellen hin zu einem Omni-Kanal-Ansatz in Krankenhäusern bestehen. Zusammengefasst werden damit folgend zwei Forschungsfragen beantwortet:
RQ1
„Kann die Transformation auf eine Omni-Kanal Strategie dabei unterstützen die Komplexität administrativer Prozesse zu reduzieren?“
RQ2
„Wie können Omni-Kanal Transformationen für Krankenhäuser erfolgreich gestaltet werden?“
Der Artikel gliedert sich wie folgt: Im nächsten Kapitel stellen wir den Hintergrund zu Krankenhaus-Patient*innen-Kanälen und Kanalmanagementkonzepten dar. Daraufhin wird die angewandte Fallstudienmethodik vorgestellt. Anschließend werden die Ergebnisse der Studie präsentiert und die Implikationen für die Praxis sowie Lessons Learned für IT-Entscheider*innen zusammengefasst.

2 Theoretischer Hintergrund

Die digitale Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Patient*innen erlangt vor dem Hintergrund einer zunehmenden Vernetzung im Gesundheitswesen eine immer größere Bedeutung – wie bspw. nationale und internationale Projekte zur Digitalisierung der Patientenakte zeigen (Bertram et al. 2019; Meister und Houta 2021). Die Schnittstelle ist in vielen Fällen bislang uneinheitlich und dezentral gesteuert (Deiters et al. 2018). Es existieren verschiedene Kanäle, die den Patient*innen zur Kontaktaufnahme angeboten werden und die seitens des Krankenhauspersonals bedient werden müssen – bspw. können hier E‑Mail, Telefon oder Faxgeräte angeführt werden. Dieses Angebot an verschiedenen Kanälen muss gewährleistet sein, um Patient*innen eine bedarfsgerechte Auswahlmöglichkeit zu eröffnen und dadurch eine adäquate Servicequalität zu erreichen (Hedwig et al. 2019). In welcher Form diese Kontaktaufnahme ermöglicht wird, unterscheidet sich von Krankenhaus zu Krankenhaus und ist teilweise mit erheblichen administrativen Aufwänden seitens des Krankenhauspersonals verbunden (Hummel et al. 2016).
Die Erforschung und Gestaltung der Kundenkontaktkanäle hat in anderen Domänen – vor allem im Einzelhandel – bereits stattgefunden (Hosseini et al. 2017; Nüesch et al. 2015). Gemäß Literatur existieren zur Organisation und zum Management mehrerer Kanäle Multi‑, Cross- und Omni-Kanal-Ansätze (Beck und Rygl 2015; Hosseini et al. 2017; Danzinger 2010; Bhalla 2014). Diese Begriffe spiegeln unterschiedliche Reifegrade der Kunden-Unternehmens-Interaktion wider: Ein Multi-Kanal definiert, dass ein Unternehmen mehrere unterschiedliche Kanäle für die Interaktion anbietet. Die Kanäle sind dezentral voneinander organisiert sowie auf Daten- bzw. Systemebene nicht verbunden (Neslin und Shankar 2009; Neslin et al. 2006; Heinemann 2013). Der Begriff Cross-Kanal beschreibt die Möglichkeit für Kund*innen, eine Kombination aus verschiedenen Kanälen zur Bedarfsbefriedigung zeitversetzt zu verwenden (Nüesch et al. 2015). Dafür ist ein Austausch über die Kanäle notwendig. So kann bspw. im Handel online bestellt und die Ware später in einem Geschäft abgeholt werden. In diesem Ansatz wird eine kanalübergreifende Kundenerfahrung (sog. „Channel Hopping“) gewährleistet (Heinemann 2013). Ein Omni-Kanal beschreibt die gleichzeitige Nutzbarkeit von zwei oder mehreren Kanälen. Dies ist ein integrierter Ansatz, der es Kund*innen ermöglicht, Kanäle oder Berührungspunkte auf jedem Gerät oder an jedem Ort austauschbar zu nutzen (Heinemann 2013). Die auf einem Kanal gespeicherten Daten, Konfigurationen oder Einstellungen der Kund*innen werden, sofern technisch möglich, von allen anderen Kanälen übernommen. „Omnichannel“ bedeutet die ganzheitliche Integration aller physischen und analogen Kanäle (offline) und digitalen Kanäle (online), um ein nahtloses und einheitliches Kundenerlebnis zu bieten (Briedis et al. 2021; Verhoef et al. 2015). Dies führt zu einem nahtlosen Verkaufserlebnis, das die Vorteile physischer Geschäfte mit dem informationsreichen Erlebnis des Online-Shoppings verbindet (Rigby 2011).
Im Folgenden ist zu untersuchen, wie die im Einzelhandel entwickelten Kanalmanagementkonzepte zur Komplexitätsreduktion auf Anwendungen in Krankenhäuser übertragen und erfolgreich gestaltet werden können. Aus den in Krankenhäusern bestehenden dezentral organisierten Prozessen und voneinander unabhängigen Strukturen (u. a. IT-Systeme oder Speichermedien), Datenbanken sowie -flüssen, resultieren erhöhte administrative Aufwände, die das Krankenhauspersonal bewältigen muss. Die Komplexität für die involvierten Abteilungen und Personen in den Multi-Kanal-Ausführungen ist dementsprechend hoch (Neslin et al. 2006; Neslin und Shankar 2009).
Eine Umstellung von Multi-Kanälen zu Omni-Kanälen kann Patient*innen und gleichzeitig auch Mitarbeiter*innen Vorteile bringen (Feddema und Yen 2019; Verhoef et al. 2015; Bhalla 2014). Dazu muss ein adäquates Management und eine Harmonisierung der Kanäle erfolgen (Mirsch et al. 2016). Diese Reorganisation zum Omni-Kanal kann den Patient*innen zum einen ermöglichen, dass diese sich „barrierefrei“ zwischen verschiedenen Kanälen bewegen können und zusätzlich den Mitarbeiter*innen zu einem einheitlichen Zugang zu den Patientendaten verhelfen. Diese Möglichkeiten lassen aus der allgemeinen Forschung zu Multi-Kanälen ableiten (Lohiya 2021; Mirsch et al. 2016; Cai und Lo 2020; Bhalla 2014). Im Gesundheitssektor und im Speziellen in Krankenhäusern ist dies bisher nicht beleuchtet.
Die hier angestrebte Neustrukturierung bietet eine Synchronisierung und Bereitstellung aller Bestands- und Neudaten der Patient*innen in einem zentralen System. Diese Omni-Kanal-Transformation und die Einführung digitaler Kanäle wurde bereits in der wissenschaftlichen Literatur und Forschung bezogen auf andere Domänen adressiert (Overby und Ransbotham 2019; Mirsch et al. 2016; Lohiya 2021; Hosseini et al. 2017; Bhalla 2014) und kann auch im Gesundheitswesen sinnvoll sein.

3 Methode

3.1 Angewandte Methode

Gemäß der Forschungsfragen zielt diese Arbeit darauf ab, die bereits etablierte Forschung des Kanalmanagements durch eine Anwendung auf Krankenhäuser zu erweitern. Ziel ist es, ein Omni-Kanalkonzept zu gestalten, welches auf administrative Prozesse im Krankenhaus anwendbar ist, um somit die in der Literatur beschriebenen Komplexitätsreduktionen zu erreichen.
Zu diesem Zweck haben wir die Methodik der Fallstudienforschung ausgewählt. Eine Fallstudie ist eine geeignete Forschungsmethode, um ein gründliches und detailliertes Verständnis über die verschiedenen beeinflussenden und gestaltenden Faktoren in einem Kontext zu gewinnen (Yin 2013). Nach Yin (2013) ist diese Methode geeignet, ein neuartiges Phänomen in einer realen Umgebung zu untersuchen, wobei eine Triangulation verschiedener Datenquellen eingesetzt wird. Bei der Triangulation haben wir uns auf Feldbeobachtungen, Hospitationen, unstrukturierte Interviews sowie Dokumentationen konzentriert, um ein breites Spektrum an Perspektiven aufzunehmen. So soll das Verständnis gesteigert und die Gedankengänge der involvierten Mitarbeiter*innen bei der Transformation von Multi-Kanälen zu Omni-Kanälen erhoben werden. Auf diese Weise soll die Fallstudie dazu beitragen, bestehende Theorien im Kanalmanagement zu erweitern (Eisenhardt 1989).

3.2 Fallstudien-Hintergrund

In der Studie waren wir Autor*innen als Akteur*innen (Prozessoptimierer*innen, Beobachter*innen, Analyst*innen etc.) in einem Krankenhaus in Süddeutschland tätig und untersuchten ausgewählte administrative Prozesse durch eine integrierte Sichtweise (Evered und Louis 1981). Die administrativen Prozesse sind im Versorgungsprozess der Patient*innen integriert und umfassen im Einzelnen den Prozess der Terminvergabe, den Prozess der administrativen Aufnahme der Patient*innen am Behandlungstag sowie den administrativen Entlassungsprozess. Die administrative Aufnahme und Entlassung stellen Folgeprozesse zur Terminvergabe dar. Diese Fallstudie konzentriert sich daher primär auf die Terminvereinbarung – behandelt wird also der ambulante administrative Kontakt mit Patient*innen.
Das Krankenhaus hat rund 3500 Mitarbeiter*innen. Jährlich werden etwa 100.000 Patient*innen behandelt – davon pro Jahr ca. 75.000 ambulant und 25.000 stationär. Die Fachabteilungen und Ambulanzen sind Teil des Krankenhauses und agieren überwiegend dezentral. Das Kern-Informationssystem des untersuchten Krankenhauses ist ein Krankenhausinformationssystem (KIS), das als Standardlösung in über 250 deutschen Krankenhäusern eingesetzt wird. In diesem Lehrkrankenhaus hatten wir die Möglichkeit, ein Optimierungsprojekt zu begleiten. Das Projekt verfolgt die Reorganisation der Patient*innen-Schnittstellen und in diesem Zuge eine Transformation der bestehenden Multi-Kanäle hin zu Omni-Kanälen für den administrativen Prozess der Terminvereinbarung. Negatives Feedback von Patient*innen bezüglich der Servicequalität, nicht oder nicht rechtzeitig vorliegende Informationen, Unzufriedenheit der Prozessbeteiligten und ein hoher Aufwand bilden den Projektanlass.
In der IST-Situation (vgl. Kap. 4) werden die Terminvereinbarungen durch die jeweiligen Ambulanzen und dort durch unterschiedliche Mitarbeitergruppen bearbeitet – ein einheitlicher Standard zur Prozessabwicklung existiert nicht. Zudem werden Daten in verschiedenen Speichermedien dezentral hinterlegt. Daher werden diese Daten nur unvollständig in das KIS überführt und dort im Speziellen im zugehörigen Ressourcenkalender (des KIS) der jeweiligen Ambulanz als Termin verbucht. Dies erschwert es bspw. angrenzenden Prozessen bzw. Abteilungen, sich effektiv und effizient in den End-to-End-Prozess einzubringen. Aus dieser Problematik resultieren bspw. relativ häufige „Umsonst-Fälle“ aufgrund fehlender Abrechnungsgrundlagen und somit wirtschaftliche Verluste für das Krankenhaus.
Wir beschränken uns in der Fallstudie zunächst auf eine Fokusambulanz (hier: Chirurgie) und haben für Vergleichszwecke weitere Ambulanzen (z. B. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Augen, Neurophysiologie) in die Status Quo-Betrachtung integriert. Außerdem sind das allgemeine Patientenmanagement und die zentrale IT-Abteilung im Projekt involviert, da angrenzende Prozesse durch diese Organisationseinheiten ausgeführt und unterstützt werden. Die chirurgische Ambulanz wurde ausgewählt, weil dies die einzige Ambulanz des Klinikums ist, die administrativ von der Pflege betreut wird und somit die dort vorhandenen personellen Strukturen und Bereitschaft für Veränderungen die Chancen auf eine erfolgreiche Pilotierung erhöhten.

3.3 Datenerfassung und -analyse

In der Feldforschung wurden vier unterschiedliche Datenarten erhoben: Es erfolgten Feldbeobachtungen der Prozessausführung der Terminvereinbarung vor Ort. Dies wurde durch Hospitation seitens einer Autorin durchgeführt. Diese Autorin war unvoreingenommen, da sie Prozess, Mitarbeiter*innen und Prozessschwachstellen zuvor nicht kannte. Durch die Integration während des gesamten Optimierungsprojektes in das Krankenhaus sowie die Teilnahme eines Krankenhausmitarbeiters (Mitautor dieses Artikels) wurden organisationsexterne und -interne Perspektiven berücksichtigt (Evered und Louis 1981). Darüber hinaus wurden Feldbeobachtungen angrenzender Prozesse (wie beispielsweise der Prozess der Patientenaufnahme), unstrukturierte Interviews sowie Gespräche mit den Prozessbeteiligten während der Hospitationen auf den Ambulanzen und während Projektmeetings durchgeführt. Die Analyse erfolgte projektbegleitend und die Ergebnisse wurden reflektiert, diskutiert und durch Rückfragen während zusätzlicher Befragungen der Prozessbeteiligten validiert. Zudem wurden Dokumentationen in Form von Projektstatusberichten, E‑Mails, Meeting-Protokollen, Präsentationen sowie handschriftliche Notizen der integrierten Autorin, die diese während der Hospitationen, Interviews, Gespräche und Meetings im Krankenhaus aufgezeichnet hatte, hinzugezogen. Eine Quantifizierung des herangezogenen Datenmaterials ist in der folgenden Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1
Quantifizierung der Datenquellen
Erhebungsmethode
Erhebungsergebnis
Feldbeobachtungen
18 Personentage Hospitation
38 Wochen Teilnahme einer Autorin an Feldbeobachtungen
~ 448 h Teilnahme im Krankenhaus inklusive Beobachtungen vor Ort
Interviews
22 Sitzungen (u. a. mit Projektbeteiligten)
9 Sitzungen mit der IT-Abteilung
Workshops
3 Workshops (z. B. Erarbeitung Lösungskonzepte)
Dokumentationen
369 Seiten Notizen während Hospitationen
662 Seite Notizen (z. B. während der Teilnahme an Sitzungen und der Interviews)
1 detailliertes Prozessmodell des Terminvereinbarungsprozesses
1011 E-Mails
22 PDF/PowerPoint/Word-Dokumente (z. B. Kick-Off-Folien, Meeting Protokolle, Projektstatusberichte, Arbeitsanweisungen, Prozessbeschreibungen etc.)
Im Rahmen einer IST-Analyse wurde durch Befragungen der Prozessbeteiligten und Hospitationen auf den verschiedenen Ambulanzen der Status Quo des Terminvereinbarungsprozesses erhoben. Aus diesen Befragungen und Hospitationen wurde ein IST-Prozessmodell für die Fokusambulanz Chirurgie erstellt, das sich auf die telefonische Terminvereinbarung beschränkte. In Workshops konnten alle Prozessbeteiligten ihre Expertise bei der Identifikation von Schwachstellen und in die Erarbeitung eines SOLL-Konzepts einbringen.

4 Projektdurchführung und Ergebnisse

Adressiert werden wissenschaftliche Lücken hinsichtlich der Ausgestaltung und Anwendbarkeit eines bereits im Einzelhandel etablierten Omni-Kanal-Ansatzes im Gesundheitssektor bzw. speziell in Krankenhäusern. In Anlehnung an die in der Literatur definierte Transformation eines Multi-Kanal-Ansatzes hin zum Omni-Kanal-Ansatz (Lazaris und Vrechopoulos 2014; Gerea und Herskovic 2022) wurde als Ergebnis ein Konzept für die Transformation zu einen Omni-Kanal-Ansatz erarbeitet. Zu Beginn des Projektes erfolgte eine Projektauftragsdefinition inklusive Meilensteinplanung. Ziel war es, innerhalb von sechs Monaten eine zentralisierte Patient*innen-Schnittstelle mit der Aufgabe der Terminvereinbarung in der Fokusambulanz als Omni-Kanal zu etablieren. Das Projekt wurde in diesem Projektauftrag in drei Meilensteine zergliedert:

4.1 Meilenstein 1: Detaillierte Projektdefinition und Problembeschreibung

Im ersten Schritt konnten bisher durchgeführte Projekte des Krankenhauses im Umfeld des Terminvereinbarungsprozesses und der Patient*innen-Schnittstelle eingesehen werden. Diese wurden eingehend im Kreise der Autor*innen diskutiert und evaluiert.
Vor dem Projektstart erfolgte eine Projektplanung, bei der in mehreren Workshops mit dem Top-Management des Klinikums die wesentlichen Handlungsfelder definiert wurden. Eines dieser Handlungsfelder ist die Umstrukturierung der vorhandenen IT-Infrastruktur zur Reorganisation der Patient*innen-Schnittstelle für alle Ambulanzen – weg von einem dezentralen hin zu einem zentralen Aufbau, um einen einheitlichen Terminvergabeprozess zu erreichen.
Der Projektfokus wurde zunächst auf eine Ambulanz – die Chirurgie – gelegt, da die dort vorhandenen personellen Strukturen und Bereitschaft für Veränderungen die Chancen auf eine erfolgreiche Pilotierung erwartungsgemäß erhöhten. Der gesamte Versorgungsprozess in einer Ambulanz umfasst die Schritte Terminvereinbarung, Aufnahme, Behandlung und Entlassung. Diese Fallstudie konzentriert sich auf die Terminvereinbarung – behandelt wird also der ambulante administrative Kontakt mit Patient*innen.
Das Kern-Projektteam wurde gebildet und bestand aus dem Leiter der Stabsstelle für medizinische Prozessentwicklung, den Autor*innen sowie dem Leiter der IT-Abteilung. Das erweiterte Projektteam umfasste zudem drei Chefärzte, sieben Mitarbeiter*innen (u. a. Medizinische Fachangestellt (MFA), Sekretärinnen und Auszubildende) der Chirurgie, die Führungskraft der Chirurgie, die Leitung der Ambulanz, eine Mitarbeiterin des medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), drei Mitarbeiterinnen des zentralen Belegungsmanagements, zwei Mitarbeiter*innen des Patientenmanagements sowie zwei weitere Mitarbeiter*innen der IT-Abteilung.
Zum Projektstart wurde das Projekt an alle Mitarbeiter*innen des Krankenhauses kommuniziert. Zudem fanden Projektmeetings in Einzelterminen mit allen beteiligten Führungskräften und Mitarbeiter*innen statt. In diesen Meetings wurde das Projekt vorbereitet, das Vorhaben erläutert und die krankenhausexterne Autorin als Ansprechpartnerin für alle Projektbeteiligten festgelegt. Die Dringlichkeit einer Reorganisation des Terminvergabeprozesses wurde verdeutlicht. Anhand von Auswertungen historischer Daten zur Erreichbarkeit, Servicequalität und dem Feedback aus der Belegschaft konnte ein Konsens zur Sinnhaftigkeit des Projektes innerhalb der Mitarbeiterschaft hervorgerufen werden. Zugleich erfolgte in den Meetings eine erste Stimmungsaufnahme sowie die Erfassung wichtiger Sachverhalte, die bezogen auf die Kanäle zur Terminvereinbarung bekannt waren – bspw. die Relevanz des Kanals der Vor-Ort Terminvereinbarung für ältere Personengruppen. Weiterhin erfolgte eine detaillierte Problembeschreibung, die auf Grundlage von Gesprächen und Diskussionen im Projektteam entstand:
Es existieren uneinheitliche bzw. nicht standardisierte Prozesse bei der Terminvergabe in den Einzelambulanzen des Krankenhauses – bspw. kam es zu fehlenden Abrechnungsgrundlagen (hier: Einweisung oder Überweisung zur Behandlungsabrechnung), sodass Teilleistungen (z. B. MRT usw.) sowie auch vollständige Behandlungen in Einzelfällen nicht abgerechnet werden. Dies führt zu wirtschaftlichen Verlusten für das Krankenhaus, da ohne Abrechnungsgrundlage keine Vergütung durch Krankenkassen erfolgt.
Zudem existieren erhebliche Aufwände sowohl für Patient*innen als auch für das Krankenhauspersonal. Die dezentrale Vereinbarung der Termine im Multi-Kanal führte zu einer hohen Komplexität für die Organisation „Krankenhaus“. Übergreifend können durch die dezentrale Organisation der 20 Ambulanzen Patient*innen teilweise nur aufwendig in andere Ambulanzen, Stationen oder Organisationseinheiten (z. B. MVZ, Radiologie) integriert werden. Deshalb wird über die hier beschriebene Fallstudie hinaus eine Harmonisierung und Zentralisierung aller 20 Ambulanzen angestrebt.
Die Komplexität führte häufig zu prolongierten Terminanfragen, die durch fehlende oder fehlerhafte Termininformationen entstanden. Durch die unstrukturierten Prozesse in den Ambulanzen sind weniger Kapazitäten für die Betreuung während der Behandlung vorhanden, da die administrativen Aufwände auf den Ambulanzen selbst primär durch Medizinische Fachangestellte (MFA) erledigt werden und lediglich unerfahrene Auszubildende die Behandlung begleiten – dadurch kann zudem keine ausreichende Begleitung der Auszubildenden erfolgen.

4.2 Meilenstein 2: Erfassung des Status Quo der Fokusambulanz

Durch Hospitation der Fokusambulanz „Chirurgie“ und von drei zusätzlichen Ambulanzen (Hals-Nasen-Ohren (HNO), Augen, Neurologie) wurde deren IST-Situation des Terminvereinbarungsprozesses erhoben. Hinzugezogen wurden die zusätzlichen Ambulanzen zu Vergleichszwecken. Bei der Erhebung der IST-Situation wurden folgende Kanäle zur Terminvereinbarung für Patient*innen in der chirurgischen Ambulanz identifiziert: Telefon, E‑Mail, Online über die Webseite des Klinikums, Vor Ort, Fax und über das externe MVZ, welches in dieser Ambulanz (im Speziellen dem Fachgebiet Neurochirurgie) als Patientenvermittler für die Ambulanz gilt (vgl. Abb. 1). Die zuvor genannten Kanäle sind untereinander weder IT-seitig vernetzt noch werden bspw. gleiche Speichermedien für Informationen verwendet. Dies entspricht der in der Literatur verankerten Definition eines Multi-Kanal-Ansatzes. Auch die Prozesse der anderen Ambulanzen bestätigen den Multi-Kanal-Ansatz, da während der Hospitationen ähnliche Strukturen offensichtlich wurden.
Es konnten personelle Untergruppen identifiziert werden, die in der chirurgischen Ambulanz zur Terminvereinbarungen dezentral beteiligt sind – Sekretariat, Chefärzte, Durchgangsarzt (D-Arzt) Büro, chirurgische Ambulanz, Zentrales Betten Management (ZBM), Pforte. Diese Untergruppen leiten Anfragen weiter – z. B. werden Anrufe, die bei der Pforte des Krankenhauses ankommen, an eine der genannten Untergruppen weitergeleitet – oder führen die Terminvergabe selbstständig durch. Dabei ist nicht definiert, an wen Anrufe oder E‑Mails weitergeleitet werden sollen. Eine Abstimmung der Terminvereinbarungen erfolgt unter diesen Untergruppen jedoch nicht – dies wird bspw. durch die unten angesprochenen Testdurchläufe deutlich. Die Termine werden zwar zentral im Ressourcenkalender des KIS gebucht, jedoch werden unterschiedliche Speichermedien (z. B. Excel, Outlook, Word usw.) als Zwischenspeicher für zusätzliche Informationen genutzt. Relevante Zusatzinformationen – z. B. Details über die Patientenindikation oder bereits mitgeteilte Informationen über Dokumente, die zum Behandlungstermin mitzubringen sind – werden nicht zentral abgespeichert und kommuniziert. Daher kommt es unter anderem häufiger zu fehlenden Informationen bei der Patientenaufnahme am Tag der Behandlung, terminlichen Doppelbelegungen oder Rückfragen der Patient*innen und Mitarbeiter*innen.
Zur Darstellung der Multi-Kanal-Struktur der Terminvereinbarung im Status Quo sind die Informationsflüsse sowie Kontaktkanäle in Abb. 1a dargestellt. Die Zahlenindikatoren in der Abbildung geben die Gesamtanzahl der am Kanal involvierten Akteur*innen aus den vorgestellten personellen Untergruppen an – bspw. sind am Kanal der Online-Terminvereinbarung insgesamt vier Akteur*innen aus den Untergruppen Sekretariat und chirurgische Ambulanz beteiligt. Die Datenhaltung (z. B. Excel) erfolgt entsprechend individueller Präferenzen der beteiligten Mitarbeiter*innen. Im Anschluss an die Terminvereinbarung erfolgt eine Überführung in den Ressourcenkalender des KIS, welches den Termin verbucht. Durch die im Prozess festzustellenden Medienbrüche werden zusätzlich dokumentierte Informationen (z. B. Indikation) aber nur teilweise im zentralen KIS aufgenommen. Auf Basis der Feldbeobachtungen, den Hospitationen und ergänzenden Befragungen der Mitarbeiter*innen wurde der Prozess der telefonischen Terminvereinbarung auf der chirurgischen Ambulanz exemplarisch auf tiefer Detailebene mithilfe der Modellierungssprache Business Process Modelling Notation (BPMN) modelliert, um eine Basis für Optimierungen und die Ausarbeitung eines SOLL-Konzeptes zu schaffen.
Zur Erfassung des IST-Zustandes wurden ergänzend Testläufe zur Terminvereinbarung in Eigenverantwortung der Projektleitung vorgenommen. Dabei kam es zu unnötigen Prozessschritten bzw. Doppelungen. Zum Beispiel erfolgten auf Basis einer Online-Anfrage zum Teil doppelte Antworten und Rückfragen durch verschiedene Prozessbeteiligte per Mail oder es erfolgte durch eine*n weitere*n Mitarbeiter*in ein Rückruf, um einen Termin zu vereinbaren, welcher bereits vereinbart worden ist.
Zur Spezifizierung der Relevanz der einzelnen Kontaktkanäle wurden Daten anhand einer Stichprobe von einer Woche erhoben und durch Befragung der Mitarbeiter*innen plausibilisiert. Der Kanal Telefon dominiert in der Stichprobe, denn 583 von insgesamt 637 Terminvereinbarungen erfolgten per Telefon (ca. 92 %). Es erfolgten 27 Terminvereinbarungen über den Kontaktkanal E‑Mail, 20 Online, fünf Vor Ort durch direkte Terminvereinbarungen mit Patient*innen sowie zwei Vereinbarungen über Fax.
Probleme im Folgeprozess der Patientenaufnahme durch fehlende oder inkonsistente Daten wurden ebenfalls stichprobenartig untersucht. Innerhalb einer Woche wurden 242 Patient*innen zur Behandlung in der chirurgischen Ambulanz aufgenommen, davon hatten 150 Patient*innen keine Abrechnungsgrundlage mitgeführt. Diese Patient*innen hatten zuvor widersprüchliche oder keine Informationen bezüglich der Notwendigkeit einer Abrechnungsgrundlage im Terminvereinbarungsprozess erhalten. Dadurch entstand ein Mehraufwand und Unzufriedenheit auf beiden Seiten.

4.3 Meilenstein 3: Konzipierung der Patient*innen-Schnittstelle als Omni-Kanal

Auf Basis der Status Quo-Erhebung konnten Erfolgsfaktoren für die Gestaltung eines Omni-Kanal-Konzeptes erarbeitet werden. Zunächst wurde auf Basis des erarbeiteten Prozessmodells die Schwachstellen aufgedeckt. Durch kontinuierliche Evaluation mit den Mitarbeiter*innen wurde das SOLL-Konzept konzipiert. Unter Einbezug der genannten Statistiken zur bisherigen Kanalnutzung wurde eine Reorganisation der Kanalstruktur geplant. Eine zentrale Datenspeicherung im KIS und die Vermeidung von Medienbrüchen haben sich dabei als Erfolgsfaktoren erwiesen.
Primär erfolgt künftig die Terminvereinbarung über eine zentrale Schnittstelle als Omni-Kanal anhand von telefonischen oder persönlichen Anfragen sowie über das nach Krankenhauszukunftsgesetz geforderte Patientenportal (PP). Demnach sollen PP „ein digitales Aufnahme- und Entlassmanagement, die einen digitalen Informationsaustausch zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsempfängern, sowie zwischen den Leistungserbringern, den Pflege- oder Rehabilitationseinrichtungen und den Kostenträgern vor, während und nach der Behandlung im Krankenhaus“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 2212) ermöglichen. Damit wird der Multi-Kanal abgelöst, der u. a. Telefon und Webseite sowie verschiedene Speichermedien und Anwendungssysteme umfasste. Das KIS dient im SOLL-Konzept als einziges Speichermedium für die Terminvereinbarung. Anhand von Abb. 1 wird der Status Quo des Multi-Kanal-Ansatzes im untersuchten Krankenhaus (vgl. Abb. 1a) dem neuen SOLL-Konzept als Omni-Kanal-Ansatz zur Terminvereinbarung für Patient*innen (vgl. Abb. 1b) gegenübergestellt.
Die Komplexität des Status Quo soll durch eine Fokussierung auf die relevantesten Kanäle reduziert werden. Das KIS soll als zentrales Informationsspeichermedium dienen, sodass anknüpfende Prozesse auf einer konsistenten Datenbasis aufsetzen. Im SOLL-Konzept wird das Fax als Kanal zur Terminvereinbarung eliminiert, da in der Erhebung des Status Quo ersichtlich wurde, dass dieser Kanal überflüssig ist. Zuweisende Ärzte, die zuvor Terminvereinbarungen durch das Fax nutzten, werden im SOLL-Konzept die Termine direkt über das PP buchen. Für die Terminvereinbarung des MVZ ist eine Schnittstelle zum PP geplant, sodass Termine direkt dort gebucht werden können. Der Online- sowie der E‑Mail-Kanal sind ebenfalls im PP integriert. Die mündliche Terminvereinbarung – bestehend aus Telefon und Vor-Ort – bleiben im SOLL-Konzept erhalten, werden zentralisiert im KIS realisiert und sind übergreifend mit dem PP verbunden.
Zusätzlich zu den interaktiven Kanälen (als mündliche Terminvereinbarung durch Telefon oder Vor-Ort) werden so die mobilen digitalen Kanäle (als selbstständige Terminvereinbarung über das PP durch Patient*innen perspektivisch über Apps), implementiert. Ziel eines Omni-Kanal-Ansatzes ist es, eine Wechselwirkung zwischen den eingesetzten Kanälen durch die Verknüpfung von Informationsflüssen zu erreichen. Dies spiegelt sich im SOLL-Konzept wider, da alle Kanäle IT-seitig zentral verbunden sind. Patient*innen haben die Möglichkeit, zwischen den unterschiedlichen Kanälen zu wechseln und flexibel eine Termin zu buchen, verschieben oder stornieren (dies im Gegensatz zum Multi-Kanal) (Haderlein 2013).
Darüber hinaus kann im SOLL-Konzept bei der mündlichen Terminvereinbarung über das PP ein Kalendereintrag für Patient*innen generiert und an das Smartphone der Patient*innen inkl. Anweisungen über notwendige Dokumente (z. B. zur Abrechnung) übermittelt werden. Die Terminvereinbarung kann zudem durch Patient*innen über das PP selbst (bspw. über eine App) erfolgen. Dabei wird eine automatische Synchronisierung mit dem Kalender der Patient*innen (z. B. auf dem eigenen Smartphone) ermöglicht. Das PP schlägt nachfrageorientiert Termine vor. Perspektivisch ist die Integration eines Bots geplant, bei dem grundsätzlich freie Termine im KIS automatisiert geprüft werden. Diese werden mit dem Patientenkalender über das PP gegengeprüft. Liegen dort keine Termine im Patientenkalender vor, werden mögliche Termine automatisch an das PP gesendet, wo eine Terminfindung erfolgt – der Termin wird anschließend automatisiert im KIS gebucht. Eine weitere Funktion ist die Integration einer automatisierten Ablage von Dokumenten im KIS über das PP – bei dem Upload einer Abrechnungsgrundlage für den bevorstehenden Termin durch Patient*innen in das PP wird diese automatisch zum zugehörigen Termin im KIS abgelegt. Außerdem ist die automatische Versendung von Benachrichtigungen über das PP integriert, um automatisiert aus dem KIS heraus Erinnerungen, Änderungen, Stornierungen des Termines an Patient*innen zu kommunizieren.

5 Lessons Learned, Ausblick und Limitationen

Die hier vorgestellte Studie hat gezeigt, dass die Komplexität durch einen Omni-Kanal reduzierbar ist. Folgende Vorteile können bei einer Implementierung realisiert werden:
  • Reduktion beteiligter Personen und IT-Systeme sowie Speichermedien
  • Reduktion von Medienbrüchen
  • Gewährleistung konsistenter und verfügbarer Daten
  • Verbesserung der Servicequalität
Mit dieser Erkenntnis konnten wir bisherige Forschungsarbeiten im Bereich des Einzelhandels zur Komplexitätsreduzierung durch die Einführung einer Omni-Kanal-Struktur auch für administrative Prozesse im Gesundheitssektor (im Speziellen im Krankenhaus) nachweisen. Damit konnte sowohl eine Reduzierung der involvierten Mitarbeiter*innen und Systeme (z. B. Software, Outlook, Word usw.) als auch eine Zentralisierung der Anwendungssysteme zur Terminvereinbarung erreicht werden.
Ferner konnten Erkenntnisse bezüglich der zweiten Forschungsfrage erlangt werden und konkret ein Beitrag zur Frage, inwiefern Omni-Kanal-Ansätze für Krankenhäuser erfolgreich gestaltet werden können, geleistet werden. Wir geben praktische Implikationen – insbesondere für IT-Entscheider – im Hinblick auf die Erfolgsfaktoren für die Gestaltung eines Omni-Kanal-Konzeptes.
Um eine erfolgreiche Transformation von Multi- zu Omni-Kanälen zu realisieren, müssen zunächst der Status Quo der bestehenden Kontaktkanäle erhoben, ablaufende Prozesse verstanden und existente Medienbrüche aufgedeckt und analysiert werden. Es müssen die Informationsflüsse deutlich dargestellt sein und die Prozesse inklusive der genutzten IT-Systeme und Speichermedien auf operativer Ebene erfasst werden. Auf dieser Basis müssen die Ableitung und eine verständliche Strukturierung des Konzeptes unter kontinuierlichem Einbezug der Mitarbeiter*innen als Erfolgsfaktoren erfolgen. Der enge Einbezug der Mitarbeiter*innen während der Konzeptionierung ermöglicht eine holistische Sichtweise auf die Kontaktkanäle, um gemeinsam ein klares und strukturiertes neues Konzept für die Omni-Kanäle zu synthetisieren. Die zentrale Datenspeicherung ohne jegliche Zwischenspeicher ist ebenfalls ein Erfolgsfaktor zur Umsetzung eines Omni-Kanal-Konzeptes, welches insbesondere durch die Ausgestaltung einer adäquaten IT-Infrastruktur gefördert werden muss (im Beispiel der Fallstudie durch Integration einer PP-Lösung in die IT-Landschaft). Auf diese Weise müssen Medienbrüche für einen Omni-Kanal-Ansatz reduziert werden, da so ein kontinuierlicher Informationsfluss und Datenaustausch gewährleistet wird.
Insbesondere IT-Entscheider*innen müssen bei einer Reorganisation von Multi- zu Omni-Kanal gewährleisten, dass existente IT-Systeme und -Schnittstellen harmonisiert und Datenspeicherungen zentralisiert werden. Dazu muss die IT-Infrastruktur bei der Konzeptionierung mitbetrachtet werden. Der Einbezug des KIS-Anbieters ist an dieser Stelle hilfreich, um Herausforderungen zur Anbindung verschiedener Systeme zu realisieren und Schnittstellenproblematiken zu überwinden. Zudem muss der PP Anbieter zur Entwicklung und adäquaten Ausgestaltung einbezogen werden. Dies gilt auch im Bezug auf Datenschutzthematiken – bspw. bei der automatisierten Benachrichtigung von Patient*innen. Außerdem sind die beteiligten Akteur*innen in der technischen Ausgestaltung der reorganisierten IT-Infrastruktur notwendig, um ihr Wissen zur operativen Nutzung der existierenden Systeme einzubringen.
Da die Projektergebnisse bislang nicht implementiert wurden, folgt ein Ausblick auf weitere Tätigkeiten und zukünftige Forschung. Nach Implementierung des Konzeptes müssen die Auswirkungen der angestrebten Komplexitätsreduktion auf die IT-Infrastruktur näher untersucht werden, u. a. durch Kennzahlen zur Nutzung der zentralen Informationen im KIS. In weiterer Forschung muss untersucht werden, welche Barrieren und Hemmnisse der Implementierung vor allem hinsichtlich der Umsetzung seitens IT-Harmonisierung entgegenwirken. Gerade die Berücksichtigung der Effekte, die mit diesen organisatorischen und strukturellen Veränderungen einhergehen, kann ein weiterer Erfolgsfaktor für die Gestaltung einer Omni-Kanal-Transformationen in Krankenhäusern sein.
Zu den Limitationen dieser Studie gehört, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht verallgemeinerbar sind, da nur eine kleine Anzahl an Befragungen durchgeführt wurde. Außerdem haben wir nur eine einzige repräsentative Fokusambulanz zur Ableitung eines Status Quo in unsere Ergebnisse integriert und weitere Ambulanzen nicht tiefergehend beleuchtet sondern lediglich zu Vergleichszwecken herangezogen. An dieser Stelle werden in Zukunft weitere Untersuchungen erfolgen, um validere Schlussfolgerungen bezüglich der Übertragbarkeit von Ergebnissen zu erhalten. Die Verwendung von Wahrnehmungen durch Befragungen und Hospitationen ist immer mit der Einschränkung verbunden, da diese subjektiv sein können. Deshalb wäre ein weiterer Ansatzpunkt die Integration weiterer Hospitanten auf den verschiedenen Ambulanzen, um auf diese Weise eine Relativierung der Subjektivität zu erreichen.
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Metadata
Title
Omni-Kanal-Transformation im Krankenhaus – eine Fallstudie
Authors
Carolin Vollenberg
Felix Hoffmann
André Coners
Ralf Plattfaut
Publication date
02-11-2022
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
Published in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Issue 6/2022
Print ISSN: 1436-3011
Electronic ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-022-00915-3

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