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2015 | Book

Politische Streitfragen

Band 4: Weltpolitische Herausforderungen

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About this book

​Zahlreiche internationale Konflikte rufen Irritationen und Streit über eine angemessene Reaktion auf die weltpolitischen Herausforderungen hervor. Dieses Buch thematisiert den zeitgeschichtlichen Hintergrund weltpolitischer Ordnungsvorstellungen und einige brisante internationale Konflikte. So wird den Gründen für die auffallende und anhaltende Vermehrung der Nationalstaaten seit über 200 Jahren, den gescheiterten Vorstellungen des sozialistischen Internationalismus und der weit verbreiteten Skepsis über die Möglichkeiten einer dauerhaften Weltfriedensordnung nachgegangen. Das Wiederaufflammen der Frage nach der Schuld am Ersten Weltkrieg, das Wiederaufleben geopolitischen Denkens und die Kollisionen zwischen den Religionsgemeinschaften kommen ebenfalls zur Sprache. Konkret werden einzelne internationale Konflikte näher untersucht: die Rebellion in mehreren arabischen Ländern, die Drohung eines Interventionskrieges gegen den Iran, die indisch-pakistanisch-chinesische Verwicklung in die Auseinandersetzungen in Kaschmir, die Intervention zur Verhinderung der Spaltung Malis.

Table of Contents

Frontmatter
1. Die wundersame Vermehrung der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung
Zusammenfassung
Weithin herrscht heute die Auffassung, dass der Nationalstaat im Zeitalter der Europäisierung und Globalisierung unzeitgemäß geworden sei. Dennoch sind noch kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts in Europa mehr Staaten mit nationaler Begründung entstanden als je zuvor in einem kurzen Zeitabschnitt der Geschichte. Seit der Vereinigung zahlreicher kleiner Staaten in der Schweiz, Italien und Deutschland und dem Berliner Kongress 1878 ist die Zahl der Staaten in Europa und in der Welt ständig gestiegen, von 1900 bis heute in Europa von 22 Staaten auf 50 und weltweit von 50 auf 195 Staaten. Im 20. Jahrhundert entstand alle neun Monate ein neuer Staat. Auch im 21. Jahrhundert dauert das Verlangen nach einem eigenen Nationalstaat an und setzt sich die Staatenvermehrung fort, wenn auch verlangsamt.
Egbert Jahn
2. Demokratie und Nationalismus – Zwillingskinder der Volkssouveränität
Zusammenfassung
Demokratie als Herrschaftsform ist universal. Da nur wenige Menschen einen Weltstaat wollen, sind alle Demokratien auf unabsehbare Zeit partikular, mit einem begrenzten demos (Volk) und Staatsgebiet. Aus demokratischen Prinzipien lassen sich Größe und räumliche Reichweite eines demos nicht begründen. Es ist die erste Funktion des Nationalismus zu bestimmen, welche Menschen zu einem demos in einem bestehenden, wiederherzustellenden oder neu zu schaffenden Staat gehören sollen. Indem die Menschen sich das Recht auf freie öffentliche Rede, Versammlung und Vereinigung sowie die Wahlen von gesetzgebenden Volksvertretungen und Regierungen erringen, schaffen sie die Möglichkeit der Selbstkonstitution eines Volkes, das nach einem eigenen Nationalstaat trachtet. Insofern gefährden Liberalisierung und Demokratisierung die Existenz von autokratischen Staaten, die nicht von einer Nation getragen werden. Nationalismus, d. h. der Nationalstaatsgedanke, und Demokratie sind keine Gegensätze, sondern Zwillingskinder der Idee der Volkssouveränität.
Egbert Jahn
3. Eine global-humane Perspektive: die Vereinigten NationalstaatenEuropas und der Welt
Zusammenfassung
Der historische Sinn des Sprachnationalstaats ist es, den Sprechern einer Muttersprache die Hegemonie in einem staatlich abgegrenzten Sprachraum zu verleihen. Sprache als das wichtigste Kommunikationsmedium in der modernen Gesellschaft hat außer den arbeitsökonomischen auch zahlreiche kulturelle und emotionale Funktionen, die zur gesellschaftlichen Kommunikation und kollektiven Identitätsstiftung in der modernen Gesellschaft beitragen. Während die gesamtwirtschaftliche und sicherheitspolitische Funktion des Nationalstaats im Zeitalter der Globalisierung beträchtlich abnimmt, wird seine kulturelle und soziale Funktion immer wichtiger. Zwar verstärkt die Globalisierung internationale Abhängigkeitsstrukturen, gleichzeitig wird aber die nationalstaatliche Souveränität selbst der kleinsten Staaten durch die Ächtung des Angriffskrieges und die Beendigung imperialer Eroberungskriege enorm gestärkt, so dass wohl noch viele neue Nationalstaaten entstehen werden.
Egbert Jahn
4. Der Baseler Friedenskongress der Sozialistischen Internationale am 24./25. November 1912
Zusammenfassung
Vor hundert Jahren, am 24./25. November 1912, fand in Basel ein kurzfristig einberufener Außerordentlicher Kongress der Zweiten Sozialistischen Internationale statt, der sich ausschließlich mit der durch den Ersten Balkankrieg ausgelösten Weltkriegsgefahr auseinandersetzte. Dies war die letzte große, gemeinsame Friedensdemonstration der internationalen Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, und sie ist es bis zum heutigen Tage geblieben. Obwohl die Arbeiterbewegung ungleich stärker war als die weitgehend von ihr getrennt wirkende und traditionsreichere bürgerlich-aristokratische Friedensbewegung, erwies sie sich im August 1914 als ohnmächtig nicht nur gegenüber den Regierungen und Militärapparaten, sondern auch gegenüber der Kriegsbegeisterung in großen Teilen der Bevölkerung und in den gesellschaftlichen Organisationen, die nationale Gewalt- und Expansionspolitik unterstützten.
Egbert Jahn
5. 100 Jahre Kriege und Friedensbemühungen seit dem Baseler Friedenskongress 1912
Zusammenfassung
Hundert Jahre nach dem Außerordentlichen Kongress der Zweiten Sozialistischen Internationale in Basel am 24./25. November 2012 fällt die Bilanz von Krieg und Frieden höchst ambivalent aus. Einerseits folgten ihm zwei Weltkriege und wohl rund 300 bis 400 lokale und regionale Kriege mit über 35 Millionen Kriegstoten sowie ungezählte Massenmorde an Zivilisten und Kriegsgefangenen mit weit über 170 Millionen Mordopfern. Von Abrüstung kann keine Rede sein; im Gegenteil wurden die Vernichtungskapazitäten ständig vermehrt und verfeinert. Andererseits wurden einige wichtige Ziele der Arbeiter- und der Friedensbewegung erreicht: die Bildung einer globalen Staatenorganisation Vereinte Nationen und einer Europäischen Union, die einen Krieg zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten äußerst unwahrscheinlich macht, die universale Ächtung des Angriffskrieges seit 1928, die Ausweitung der nationalen Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit, die Abkehr von territorialer Expansionspolitik, die Ausbreitung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, eine gewachsene Abneigung gegenüber dem Krieg als Konfliktform in der Weltbevölkerung.
Egbert Jahn
6. Sarajevo 1914. Hundert Jahre Streit über die Schuld am Ersten Weltkrieg
Zusammenfassung
Die Kriegsschuldfrage, die Jahrzehnte der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion über die Entstehung des Ersten Weltkriegs beherrschte, ist scheinbar in den meisten neuen wissenschaftlichen Studien über diesen Krieg, die aus Anlass des 100. Jahrestags des Attentats in Sarajevo und des Kriegsbeginns erschienen sind, fast völlig aus den Fragestellungen der Historiker verschwunden. Diese wollen nicht mehr als Richter im rechtlichen oder moralischen Sinne auftreten und sprechen allenfalls von einer Verantwortung für die Auslösung des Krieges. Das in Deutschland außergewöhnlich erfolgreiche Buch von Christopher Clark „Die Schlafwandler“ geht einen Schritt weiter und untermauert die alte These David Lloyd Georges vom unwillentlichen Hineinschlittern der Staatsführungen in den Krieg, spricht sie also von jeglicher Schuld frei oder wirft ihnen allenfalls Fahrlässigkeit und Inkompetenz vor.
Egbert Jahn
7. Über die Rede: Kriege hat es immer gegeben, Kriege wird es immer geben, solange die Menschheit existiert
Zusammenfassung
Anlass für diese Vorlesung ist eine nicht repräsentative Meinungsbefragung von 156 Zuhörern dieser Vorlesung am 5. November 2012, bei der 71,8 Prozent der Teilnehmer der These zustimmten, dass Kriege zwischen den Menschen seit dem Zeitpunkt vorkommen, seitdem es Menschen gibt. Nur 26,9 Prozent sprachen sich für die These aus, dass der Krieg, hier verstanden als spezifische tödliche Konfliktform um die Ordnung in und zwischen Gemeinwesen, irgendwann im Laufe der Geschichte der Menschheit erfunden worden ist, dass es also eine krieglose Urgeschichte der Menschheit gegeben hat.
Egbert Jahn
8. Die gegenwärtige Kollision der Religionsgemeinschaften und Kulturen im Prozess der Zivilisation
Zusammenfassung
Unmittelbar nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verfocht Francis Fukuyama die These, dass nach dem Untergang der faschistisch-nationalsozialistischen und der kommunistischen Herrschaftsordnungen die liberal-demokratische die einzige sei, die erfolgreich universale Geltung beanspruchen könne. Dagegen trat Samuel Huntington 1993 mit der Gegenthese auf, dass die westliche liberale Demokratie nur regionale Reichweite haben könne und sich gegen sieben andere, überwiegend religiös-philosophisch definierte Kulturkreise abgrenzen und in jahrzehntelanger Auseinandersetzung kulturell, politisch und militärisch behaupten müsse. Huntingtons Deutung der internationalen Beziehungen als Kampf der Großkulturen hat weltweit beträchtliche Resonanz gefunden, aber auch heftigen Widerspruch von Anhängern einer gewissen kulturellen Globalisierung, insbesondere von universalen Werten wie Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Gleichgewicht. Huntington sah den innerstaatlichen Multikulturalismus als Gefahr insbesondere für den Westen an, befürwortete aber gleichzeitig den zwischenstaatlichen und großregionalen.
Egbert Jahn
9. Geopolitik – Legitimationsideologie nationalsozialistischer Eroberungspolitik oder eine heute verkannte wissenschaftliche und politische Aufgabe?
Zusammenfassung
Einige Beobachter stellen eine neue Unbefangenheit in deutschen Zeitungen fest, geopolitische Einschätzungen der internationalen Lage zu erörtern. In Russland ist es seit 1992 gang und gäbe geworden, ausgiebig über geopolitische Notwendigkeiten und Lagebeurteilungen in den internationalen Beziehungen zu sprechen und zu schreiben. In den angelsächsischen Ländern finden seit Jahrzehnten geopolitische Erörterungen statt. In Deutschland war seit 1945 Geopolitik als Legitimationswissenschaft oder -ideologie nationalsozialistischer Eroberungsund Vernichtungspolitik geächtet. Über die Wiedereinführung von Geopolitik gibt es keine breite öffentliche Debatte, am Rande der Wissenschaften aber durchaus einige Diskussionen.
Egbert Jahn
10. Demokratisierung oder Diktaturerneuerung als Ergebnis des arabischen Aufbruchs
Zusammenfassung
Die weithin als „arabischer Frühling“, „arabisches Erwachen“ oder „Arabellion“ begrüßten gewaltlosen Massenbewegungen, die in einigen Ländern den Sturz von jahrzehntelang herrschenden Militärdiktatoren herbeiführten und in anderen Reformanstöße gaben, ließen manche Beobachter zunächst von einer fünften Welle der Demokratisierung im arabischen Raum nach den beiden in Osteuropa und Lateinamerika sprechen. Gleichzeitig wurde jedoch auch die Besorgnis geäußert, dass nunmehr islamistische Bewegungen die Macht ergreifen könnten, die den liberalen und demokratischen Ansätzen rasch wieder ein Ende bereiten würden. Skeptiker meinten gar, dass lediglich der Austausch alt gewordener Autokraten gegen neue, jüngere ansteht und sich die traditionellen Militär- und Elitestrukturen kaum verändern werden.
Egbert Jahn
11. „Mit letzter Tinte“: ein Federstich in das Wespennest israelischer, jüdischer und deutscher Empfindlichkeiten
Zusammenfassung
Wieder einmal hat ein Prominenter des öffentlichen Lebens in Deutschland heftige Anklagen des Antisemitismus auf sich gezogen und soll nun weithin im Inund Ausland geächtet werden. Dieses Mal ist es Günter Grass, der mit einer kurzen politischen Erklärung zur Außen- und Militärpolitik Israels beinahe allseits Empörung und Verurteilung, andernorts nüchterne Zurückweisung und nur an den Rändern des politischen Establishments auch Zustimmung hervorgerufen hat. Manche scharfe Kritiker der Erklärung von Grass nehmen den Autor allerdings gegen den pauschalen Vorwurf des Antisemitismus in Schutz.
Egbert Jahn
12. Kaschmir – Konfliktherd für einen Nuklearkrieg oder gar den Dritten Weltkrieg?
Zusammenfassung
Der ehemalige Fürstenstaat Jammu und Kaschmir, meist kurz Kaschmir genannt, ist einer der gefährlichsten Konfliktherde der Weltpolitik seit der Gründung der beiden Staaten Pakistan und Indien im Jahre 1947. Teile Kaschmirs sind gegenwärtig von Indien, Pakistan und der Volksrepublik China besetzt. Die Bevölkerung Kaschmirs besteht überwiegend aus Muslimen, in einigen Landesteilen mit eigener langer historischer Unabhängigkeit jedoch überwiegend aus Hindus und Buddhisten. Die Kaschmirkonflikt ist eingebunden in den umfassenderen Konflikt um die unabgeschlossene Nations- und Staatsbildung auf dem indischen Subkontinent, der in den Zeiten des Ost-West-Konflikts zuweilen gar zu einem nuklearen Weltkrieg zwischen Pakistan und den USA einerseits und Indien und der UdSSR andererseits zu eskalieren drohte. Seit Mai 1998 stehen sich Indien und Pakistan selbst als Atommächte gegenüber.
Egbert Jahn
13. Der neue westliche Interventionskrieg in Mali
Zusammenfassung
Am 11. Januar 2013 hat Frankreich mit politisch-moralischer Unterstützung der Regierung und großer Teile der Bevölkerung Malis, der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten, der EU, der NATO und des VN-Sicherheitsrates eine neue westliche Militärintervention begonnen, offenbar kurz vor einem bevorstehenden Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako durch eine Koalition islamistischer Rebellen-Verbänden, die infolge des Zerfalls des Regimes von Muammar al-Gaddafi in Libyen sehr gut bewaffnet sind. Andere europäische Staaten und die USA haben mit der logistischen Unterstützung der zunächst 2.500 Mann starken französischen Truppe begonnen.
Egbert Jahn
14. Sprachliche Assimilation aller Staatsangehörigen oder Minderheitenschutz: der Präzedenzfall Åland-Inseln
Zusammenfassung
Die in der Ostsee am Eingang zum Bottnischen Meerbusen liegenden Åland- Inseln gehören zu Finnland, sind aber fast ausschließlich von ethnischen Schweden besiedelt und genießen eine weitreichende Autonomie, die als Musterbeispiel für den Minderheitenschutz und bis heute als Vorbild für eine Alternative zur nationalen Sezession gilt. Die Inseln, die eine wichtige geostrategische Funktion in der Ostsee einnehmen, wurden entmilitarisiert und neutralisiert. In dem Åland-Konflikt nach 1918 verlangte Schweden mit Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht des Volkes von Åland die Angliederung der Inseln an Schweden, während Finnland auf seiner territorialen Integrität beharrte.
Egbert Jahn
Backmatter
Metadata
Title
Politische Streitfragen
Author
Egbert Jahn
Copyright Year
2015
Electronic ISBN
978-3-658-05034-4
Print ISBN
978-3-658-05033-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-05034-4