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2017 | OriginalPaper | Chapter

Psychologie im Anthropozän. Warum wir über Grenzen nachdenken müssen

Author : Prof. Dr.med. Dr.rer.soc MA phil Stefan Brunnhuber

Published in: CSR und Digitalisierung

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Das Zusammenleben im Anthropozän ist anders. Es erfordert ein anderes Denken, Handeln und Entscheiden. Der vorliegende Text macht deutlich, dass Nachhaltigkeit im Anthropozän so viel heißt wie ein Leben innerhalb äußerer und innerer Grenzen. Die äußeren geoökologischen Grenzen sind uns durch den Planeten vorgegeben, die inneren psychologischen werden durch den Diskussionsstand der empirischen Psychologie, Neurowissenschaften und Medizin vorgezeichnet.

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Footnotes
1
Hier treffen sich Ergebnisse aus der Biokybernetik und der Systemtheorie mit denen der Psychologie. Zu den acht Wichtigsten zählen: 1. Die Form folgt der Funktion und die Funktion folgt dem kreativen Denken, nicht umgekehrt; 2. negative Rückkopplungen müssen stärker sein als positive Rückkopplungen; 3. das expansive Wachstum darf nicht an die Systemfunktion gekoppelt sein; 4. zyklische Vorgänge (Recycling) sind besser als lineare und offene Prozesse; 5. Parallel‐Processing und sequenzielle Prozesse führen zu verschiedenen Ergebnissen und Lösungen; 6. die Resilienz (Robustheit) eines Systems wird durch den internen Vernetzungsgrad bestimmt und nicht allein durch die Steigerung der Effizienz (Durchsatz pro Zeit). Derzeit verwenden wir sehr viel Energie, Zeit und Ressourcen darauf, einen Weg zu bestreiten, der solche Erkenntnisse negiert: Wir favorisieren isolierte Effizienzsteigerungen, lineare und sequenzielle Vorgänge, koppeln Wachstum an die Systemfunktion (etwa bei der sozialen Sicherung) und wir reparieren die Form (Institutionen) und nicht die Funktion (s. Vester 2007; Lietaer et al. 2012).
 
2
Hierher gehört nicht nur die Erkenntnis, dass wir durch die Entwicklung der Opposition des Daumens (Werkzeug), der Sprache (Kommunikation) und die Zunahme des präfrontalen Kortex (Probehandeln, Exekutivfunktionen) drei Besonderheiten entwickelt haben, die uns von anderen Primaten unterscheiden, sondern wir verfügen darüber hinaus über zahlreiche psychosoziale Mechanismen wie etwa Konformitätsverhalten, Verleugnungsstrategien, In‐group‐/Out‐group‐Verhalten, Umgang mit aversiven Affekten (Wut, Ärger, Hass), Empathie und vieles mehr, die alle wesentlich unser Zusammenleben bestimmen.
 
3
Diese Messgröße wird an mindestens drei Stellen psychologisch verzerrt: Einmal kann sie Innovationen und Effizienzsteigerungen nicht hinreichend abbilden: etwa die Weiterentwicklung von der Schreibmaschine zum I‐Phone oder den medizinischen Fortschritt, jeweils gemessen in Preisen zu einem Bezugsjahr. Zum anderen gehen in die Bruttosozialproduktmessung immer auch Bereiche ein, die keinen wirklichen Zuwachs an Lebensqualität bedeuten. Solchen Reparaturmaßnahmen oder Disaster Managements, man spricht auch von einem „entropischen Sektor“, müssen wir folgen, um den gewählten Wachstumspfad aufrechtzuerhalten (z. B.: Sicherheits‐ und Militärausgaben, Gesundheitskosten, Umweltbelastungen). Drittens unterliegen wir in der Wahrnehmung von Wachstum der Illusion, dass 1 % heute weniger sei, als 5 % vor 20 Jahren wären. Das ist aber mathematisch falsch.
 
4
Zu dem wichtigsten Reboundeffekten zählen: finanzielle, psychologische, materielle und systemische Rebounds. Der Nettoeffekt ist immer der gleiche: Eine Dienstleistung oder ein Produkt wird billiger und schafft dadurch mehr Nachfrage, welche selbst wiederum ressourcenverbrauchend ist (Santarius 2012).
 
5
In einer solchen unübersichtlichen Situation hilft leider der isolierte Umstieg auf Elektromobilität nicht wirklich. Auf den ersten Blick sind Elektroautos eine gute Sache, vor allem beruhigen sie das Gewissen. Wenn man einen etwas breiteren Blick auf den Vorgang wirft, sieht die Sache anders aus. Wenn etwa in den USA 10 % mehr Kfz zugelassen werden, dann führt dies zu einer Steigerung der Luftverschmutzung und damit verbunden zusätzlichen Toten von 870 pro Jahr. Wenn man das Gleiche mit Elektroautos tut, dann sterben durch die Luftverschmutzung doppelt so viele Menschen (1617/Jahr). Der Grund ist, dass der Strom für den Mehrverbrauch vor allem aus zusätzlichen Kohlekraftwerken kommen muss, die die Luftverschmutzung verursachen. Wenn man also einen Tesla mit einer Laufzeit von 150.000 km erwirbt, verursacht dies derzeit 15 t CO2. Es kommen noch 14 t CO2 durch die Herstellung der Batterien hinzu. Vergleicht man dies mit einem Premiumfahrzeug (Audi A7, BMW 7er), das 7 l/100 km benötigt, ergeben sich 23 t CO2 + 7 t CO2 Produktionskosten. Der Unterschied zwischen Tesla und BMW ist 1 t CO2 Einsparung. Eine Tonne kostet zwischen 50–100 € auf dem internationalen Handel mit CO2‐Zertifikaten. Wenn man dann noch die 4500 € Steuervorteile mitberücksichtigt, die die Wohlhabenden für den Erwerb des Tesla bekommen, und dann noch in Rechnung stellt, dass der globale Abkühlungseffekt durch diese Maßnahmen bei 0,0001 °C liegt (gerechnet bis 2100) und dies die globale Erwärmung um 30 min hinauszögert, wird das ganze Programm fast abenteuerlich. Derzeit werden die Reichen subventioniert und die Luftverschmutzung verursacht doppelt so viele Tote bei etwas geringerem CO2‐Effekt. Auch wenn der nichtinformierte Leser hier schnell den Überblick verlieren mag: Was wir brauchen, ist mehr Forschung und Entwicklung, Brückentechnologien (auch wenn es weh tut: Gas, Fracking), Anpassungsinvestitionen an das steigende Klima und einen anderen Lebensstil (s. www.​CopenhagenConsen​sus.​com).
 
6
So reicht etwa unsere Innenwelt von der bloßen Reizaufnahme, Empfindung, Wahrnehmung über Impulse, Emotionen, Bilder, Symbole, Begriffe konkret operational bis hin zu formal‐logischem Schlussfolgern, vom schöpferischen Akt bis hin zu aperspektivischer Schaulogik. Je nachdem auf welchem Entwicklungsdrehpunkt man sich befindet, ändern sich unsere Selbst‐ und Weltsicht und die Art und Weise der Kommunikation (s. Wilber 2000). Ich gestehe zu, dass das Thema sperrig und komplex ist, aber es hilft nichts: Die Lebenswissenschaften gehören mit in den Nachhaltigkeitsdiskurs hinein.
 
7
Wie kann man das System 1 aktivieren? Kochen, guter Sex, Dauerläufe, „face to face brain storming“, Musikspielen, Sport, Angeln, Wandern und Bergsteigen, analoges Spielen, Kunst und handwerkliche Tätigkeiten.
 
8
Dieser Vorteil der sequenziellen Vermittlung von sprachlich geleiteter Information sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Inhalte der Botschaft, die vermittelt werden, gerade nicht sequenziell sind, sondern fast immer das Ergebnis eines Parallel‐Processing darstellen. Der Zusammenhang ist vor allem deshalb wichtig, da wir bei der Lösung von Systemproblemen derzeit immer noch auf lineare und sequenzielle Problemlösungsstrategien zurückgreifen, obwohl wir eigentlich viel stärker parallele Problemstrategien benötigen.
 
9
So etwa der Eurorettungsschirm. Die Assoziation mit einem Naturereignis (Regenschirm) verweist semantisch darauf, dass die Finanzkrise etwas Naturgegebenes sei, und die Frage der Verantwortung wird damit bereits mitgeliefert. Die Idee, dass dies von Menschen gemacht ist, kommt uns dann gar nicht erst in den Sinn. Stattdessen wird der Mensch zum Retter des Vorgangs, nicht zum Verursacher des Ganzen (Wehling 2016)
 
10
Das Gleiche gilt auch für erneuerbare oder regenerative Energien. Bei der Nutzung von Sonne, Wind und Wasserkraft erneuert oder regeneriert sich physikalisch überhaupt nichts.
 
Literature
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Metadata
Title
Psychologie im Anthropozän. Warum wir über Grenzen nachdenken müssen
Author
Prof. Dr.med. Dr.rer.soc MA phil Stefan Brunnhuber
Copyright Year
2017
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-53202-7_78