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2008 | Book

Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung innerhalb von Staaten und Staatenverbindungen

Staats- und kommunalrechtliche sowie europa- und völkerrechtliche Untersuchungen

Author: Carmen Thiele

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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About this book

Eine sowohl für die Rechtswissenschaft als auch die Politik- und Wirtschaftswissenschaften zentrale Frage ist, wie welche Entscheidungen von wem nach welchen Regeln und Verfahren in Kollegialorganen von Staaten und Staatenverbindungen zu treffen sind. Da es bislang, ungeachtet der Bedeutung von Regeln und Verfahren für den Ausgang von Entscheidungen, eine umfassende Untersuchung im öffentlichen Recht nicht gibt, soll mit vorliegendem Buch diese Lücke geschlossen werden. Die Autorin entwickelt eine prinzipielle Typisierung und systematische Ordnung von Entscheidungsregeln und -verfahren mit einer einheitlichen Terminologie sowie funktionelle Kombinationen für ihre optimale Anwendung in der Praxis unter Beachtung fundamentaler Organisations-und Rechtsprinzipien sowie relevanter politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Prinzipien.

Table of Contents

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Menschliches Handeln in einer Gesellschaft ist von vielfältigen Interessen und Wertvorstellungen geprägt, die mittels politischer Institutionen kanalisiert werden. Aus dem menschlichen Zusammenleben innerhalb eines Staates oder auch zwischen Staaten mit unzähligen unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen folgt die Notwendigkeit von Mechanismen zur Konfliktvermeidung bzw. Konfliktbeilegung und damit die Unentbehrlichkeit von verbindlichen Regelungen und Entscheidungen. Der Regelungsbedarf innerhalb einer Gesellschaft steigt mit zunehmender Komplexität, Ressourcenknappheit und Arbeitsteilung. Mit Hilfe der Politik, die Inbegriff für das Streben nach Macht und Herrschaft ist, wird das geregelte menschliche Zusammenleben gesichert und geordnet. Dazu bedarf es politischer wie auch rechtlicher Entscheidungen. Während die Politik das menschliche Handeln darstellt, „[...] das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen [...] in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt“, schafft das Recht die normative verbindliche Ordnung. „Politik ist ein Prozeß, an dessen Ende immer eine Entscheidung steht; auch eine bewußte Nichtentscheidung ist in diesem Sinne eine Entscheidung.“ Das Recht ist ein Mittel für die Politik zur Erreichung verbindlicher Kollegialentscheidungen. Damit ist die Interdependenz von Politik und Recht vorgezeichnet.
I. Historischer Überblick über die Entwicklung von Entscheidungsregeln und -verfahren
Zusammenfassung
Da die Gegenwart nicht gestaltet und die Zukunft nicht vorbereitet werden kann, ohne die Geschichte zu kennen, wird der Untersuchung von Entscheidungsregeln und -verfahren nachfolgender historischer Überblick vorangestellt, der lediglich zum besseren Verständnis der Arbeit beitragen soll.
II. Organisations- und Rechtsprinzipien für Kollegialentscheidungen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden Organisations- und Rechtsprinzipien auf ihren Bezug zu Entscheidungsregeln und -verfahren zur Herbeiführung von Kollegialentscheidungen im öffentlichen Recht von Staaten und Staatenverbindungen untersucht. Das Wort Prinzip (lat.: principium) bezeichnet wörtlich einen „Anfang“ und weist damit auf den Ursprung von etwas. Unter Prinzipien werden Aussagen verstanden, die eine bestimmte Allgemeingültigkeit beinhalten. Organisationsprinzipien enthalten Aussagen über die Organisation aus institutioneller Sicht, Rechtsprinzipien über das Recht. Bei der Darstellung der Prinzipien mit Hilfe ausgewählter Beispiele auf innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Ebene richtet sich das Erkenntnisinteresse auf ihre im weiteren Verlauf der Arbeit näher zu analysierenden Implikationen für den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess. Mit den dem öffentlichen Recht von Staaten und Staatenverbindungen gemeinsamen Prinzipien soll der Maßstab gesetzt werden, an dem sich Entscheidungsregeln und -verfahren messen lassen.
III. Kollegiale Entscheidungsorgane
Zusammenfassung
Für die Beantwortung der Frage, wer die Entscheidungen in Staaten und Staatenverbindungen trifft, bedarf es zunächst einer Bezugnahme auf ihre Organe, insbesondere der kollegialen. Durch Organe nehmen die Staaten und Staatenverbindungen ihre Funktionen wahr, die als Ganzes den Staat bzw. die Staatenverbindung verkörpern. Die Besetzung der Organe kann entweder durch eine oder durch mehrere Personen bzw. Mitglieder erfolgen. In Abhängigkeit von der Anzahl der Beteiligten am Prozess der Entscheidungsfindung lassen sich monistische bzw. monokratische für Individualentscheidungen und kollegiale Entscheidungsorgane für Kollegialentscheidungen unterscheiden. Aus der Verschiedenartigkeit der organschaftlichen Willensbildung folgt auch einer der wichtigsten Strukturunterschiede der Organe. Obgleich die in dieser Arbeit behandelten Entscheidungsregeln und -verfahren kollegiale Entscheidungsorgane betreffen, die auf dem im zweiten Kapitel erörterten Kollegialprinzip beruhen, soll zunächst kurz auf individuale Entscheidungsorgane eingegangen werden. Bei Individualorganen entscheidet im Unterschied zu Kollegialorganen der Wille eines Einzelnen, so dass es der in dieser Arbeit behandelten Entscheidungsregeln und -verfahren nicht bedarf. Die der Abgrenzung dienende Unterscheidung zwischen Individual- und Kollegialorganen ist von besonderer Relevanz für die Fälle, in denen Kollegialorgane aus Individualorganen zusammengesetzt sind.
IV. Sitzverteilungsregeln
Zusammenfassung
Die Sitzverteilung (d.h. wer wie viele Sitze in einem Kollegialorgan innehat) übt durch ihre Einwirkung auf die Beschlussfähigkeit als Voraussetzung für das Zustandekommen von Entscheidungen einen maßgeblichen Einfluss auf die Beschlussfassung in Kollegialorganen aus.
V. Stimmenverteilungsregeln
Zusammenfassung
Während sich die Sitzverteilung besonders auf die Beschlussfähigkeit eines kollegialen Entscheidungsorgans als Voraussetzung für das Zustandekommen von Entscheidungen auswirkt, ist die Stimmenverteilung (d.h. wer über wie viele Stimmen verfügt) unter Anwendung konkreter Abstimmungsregeln maßgebend für das Zustandekommen von Entscheidungen. Die Stimmenverteilung in kollegialen Entscheidungsorganen innerhalb von Staaten und Staatenverbindungen geht auf zwei unterschiedliche Prinzipien zurück, das formelle und das materielle Gleichheitsprinzip. Aus der formellen Gleichheit folgt die Regel der gleichen Anzahl von Stimmen. Eine der wichtigsten Anwendungsformen der materiellen Gleichheit ist die Stimmengewichtung oder -wägung.
VI. Abstimmungsregeln
Zusammenfassung
Zur Willensbildung und Entscheidung muss den Mitgliedern eines Kollegialorgans zunächst die Frage vorgelegt werden, damit diese darüber mit Ja, Nein oder Enthaltung abstimmen können. In der Regel werden die Fragen affirmativ formuliert, d.h. es wird nach Erteilung der Zustimmung gefragt. Die Beteiligten am Entscheidungsprozess drücken durch die Stimmabgabe ihre Ansicht aus. Aus der Berechnung der Stimmen geht der allgemeine Willen hervor. Ob ein Antrag angenommen wird oder nicht, hängt maßgeblich von der vorher festgelegten Abstimmungsregel ab. In Entscheidungsvorgängen kollegialer Organe auf staats- und kommunalrechtlicher, europa- und völkerrechtlicher Ebene finden primär Einstimmigkeits-, Konsens- oder Mehrheitsregeln Anwendung.
VII. Kollektive Entscheidungsregeln
Zusammenfassung
Vorstehende konventionelle Abstimmungsregeln (Einstimmigkeits-, Konsens- und Mehrheitsregeln) finden grundsätzlich Anwendung bei Vorhandensein von einer oder höchstens zwei zur Auswahl stehenden Fragen bzw. Alternativen, wobei mit Ja bzw. Nein abgestimmt oder sich der Stimme enthalten wird. Sollen aber gleichzeitig mindestens drei oder mehr Alternativen im Sinne von Entscheidungsmöglichkeiten zur Abstimmung durch mehrere (mindestens zwei) Mitglieder eines Kollegialorgans gestellt werden, wie bei einer Wahl mehrere Kandidaten, erweisen sich die konventionellen Abstimmungsregeln wenig praktikabel. Schon bei drei Alternativen (A1, A2, A3) bestehen sechs verschiedene mögliche Präferenzordnungen.
VIII. Beschlussfähigkeitsregelungen
Zusammenfassung
Für die Willens- und Entscheidungsbildung von Kollegialorganen stellt sich die Frage, wie die Einstimmigkeit, der Konsens oder die entsprechend geforderte Mehrheit für die Annahme eines Beschlusses ermittelt wird. Ist die Gesamtheit aller zur Abstimmung Berechtigten Ausgangsbasis für die Ermittlung oder ist es ausreichend, wenn jedem Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit zur Teilnahme an der Abstimmung gegeben wird und lediglich eine bestimmte Anzahl der Anwesenden für die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses erforderlich ist? Für den zweiten Fall gibt es eine Mindestbeteiligungszahl, um zu verhindern, dass eine anwesende Minderheit in Abwesenheit der Mehrheit der Mitglieder wichtige Entscheidungen treffen kann. Wenn beispielsweise in einer Beschlussfassung eines Kollegialorgans zwanzig von insgesamt hundert gesetzlichen bzw. vertraglichen Mitgliedern anwesend sind und elf Mitglieder für und neun gegen den mit einfacher Mehrheit anzunehmenden Beschluss stimmen, fragt sich, ob der Beschluss gültig ist oder nicht. Die Bestimmung der Mindestbeteiligungszahl bzw. Beschlussfähigkeit ist maßgeblich abhängig von der konkreten Abstimmungsregel, worauf unten näher einzugehen sein wird.
IX. Abstimmungsverhalten
Zusammenfassung
Das Abstimmungsverhalten der Mitglieder kollegialer Organe hat wesentliche Auswirkungen auf die zu treffende Entscheidung. Stimmenthaltung, Nichtteilnahme an der Abstimmung oder Abgabe einer ungültigen Stimme können das Abstimmungsergebnis wesentlich beeinflussen, eine Abwesenheit die Beschlussfähigkeit und damit die Beschlussfassung sogar verhindern. Da das Abstimmungsverhalten das Stimmrecht voraussetzt, bedarf es zunächst einer eingehenden Untersuchung desselbigen.
X. Abstimmungsarten
Zusammenfassung
Um ein Abstimmungsergebnis darüber zu erhalten, ob ein Antrag entsprechend der vorgeschriebenen Abstimmungsregel angenommen oder abgelehnt ist, bedarf es des eigentlichen Aktes der Abstimmung. Bei einer Abstimmung ist zwischen einer formellen und materiellen Bedeutung zu unterscheiden. Der eigentliche Akt der Stimmabgabe wird als Abstimmen im formellen Sinne bezeichnet, beispielsweise das Werfen eines Stimmzettels in die Urne, die Äußerung des Willens mit Ja, Nein oder Enthaltung als Abstimmen im materiellen Sinne.
XI. Abstimmungsverfahren
Zusammenfassung
Das Abstimmungsverfahren, d.h. wie eine Entscheidung getroffen wird, „[...] ist das letzte Glied in einer Reihe von Mitteln, die alle dazu dienen sollen, das beste Ergebnis zu sichern [...].“ Das Verfahren bestimmt also maßgeblich das Ergebnis einer Abstimmung. Die ersten Arbeiten zum Vergleich und zur Typisierung bestehender Arten von Entscheidungsverfahren (Vorgehensweisen) stammen von Heckscher und Tecklenburg. Beide haben die wesentlichen Merkmale der größtenteils noch geltenden Verfahrenstypen sowie die Unterschiede zwischen ihnen herausgearbeitet. Verschiedene Herangehensweisen herrschen vor, wenn mehrere Alternativen bzw. mehrere Anträge zum gleichen Beschlussgegenstand zur Auswahl stehen. Über die Alternativen wird entweder einzeln nacheinander (one-by-one), wie schon in der athenischen Volksversammlung (diacheirotonía), oder im paarweisen Vergleich (two-by-two) oder gleichzeitig alle im Vergleich abgestimmt. Voraussetzung für ein demokratisches Abstimmungsverfahren ist jedenfalls notwendigerweise die Auswahl zwischen mehreren Alternativen und die Chance jeder Alternative zur Abstimmung zu gelangen und damit Eingang in den Entscheidungsprozess zu bekommen. Nur wenn, wie in einer auf Pluralismus aufbauenden Demokratie gefordert, alle von Mitgliedern eingebrachten Vorschläge über eine bestimmte Sachfrage die Möglichkeit haben, zur Abstimmung zu gelangen, können die durch sie vertretenen politischen Interessen in die Entscheidungsfindung einfließen. Dabei ist nach einem effizienten Entscheidungsverfahren zu suchen. Nachfolgend werden die Reihenfolgeabstimmung, die Eventualabstimmung, das Wahlverfahren, die En-bloc-Abstimmung und die prinzipielle Abstimmung näher untersucht.
XII. Vorgaben von Prinzipien für Entscheidungsregeln auf Ebenen der Rechtsordnungen
Zusammenfassung
Auf der Grundlage des geleisteten empirischen Befundes und entsprechender rechtsdogmatischer Untersuchungen sollen nachfolgend wesentliche Entscheidungsregeln und -verfahren am Maßstab grundlegender Organisations- und Rechtsprinzipien zusammenfassend geprüft werden. Während in vorstehenden Kapiteln wegen der Vordergründigkeit der Funktionalität der untersuchten Regeln und Verfahren, diese auf unterschiedlichen Ebenen der Rechtsordnungen (vertikal) analysiert wurden, soll nun ein systembezogener Überblick über fundamentale Regeln und Verfahren entsprechend den unterschiedlichen Ebenen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung im öffentlichen Recht von Staaten und Staatenverbindungen (horizontal) gegeben werden. Da die Rechtsprinzipien auf den verschiedenen Ebenen der Rechtsordnungen eine durchaus unterschiedliche Geltung beanspruchen, wie bereits im zweiten Kapitel bezüglich der Maßstabsbildung als Rechtfertigung für den Gang der Untersuchungen gezeigt, wird abschließend der Frage nachgegangen, auf welchen Ebenen welche Regeln und Verfahren durch verfassungsrechtliche, unionsrechtliche bzw. völkerrechtliche Prinzipien und Normen vorgegeben sind und bei welchen dem Kollegialorgan ein Gestaltungsspielraum für die Bestimmung der Regeln und Verfahren seines Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses zukommt. Es stellt sich mithin die Frage, ob und gegebenenfalls aus welchen der behandelten Organisations- und Rechtsprinzipien eine konkrete Entscheidungsregel für bestimmte kollegiale Entscheidungsorgane zu folgern ist. Unter Bezugnahme auf die rechtstheoretischen Ausführungen im zweiten Kapitel soll sich auf ausgewählte kollegiale Entscheidungsorgane im Staats- und Kommunalrecht sowie im Europa- und Völkerrecht beschränkt werden.
Backmatter
Metadata
Title
Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung innerhalb von Staaten und Staatenverbindungen
Author
Carmen Thiele
Copyright Year
2008
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-540-78995-6
Print ISBN
978-3-540-78994-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-540-78995-6