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22-03-2021 | Risikomanagement | Interview | Article

"Die wenigsten Unternehmen nutzen Klimaszenarioanalysen"

Authors: Andrea Amerland, Angelika Breinich-Schilly

4:30 min reading time

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Interviewees:
Nicolette Behncke

ist die verantwortliche Partnerin für das Thema Sustainability-Reporting und -Prüfung im Bereich Sustainability Services bei Pricewaterhouse Coopers Deutschland.

Dr. Nicole Röttmer

ist Partnerin bei Pricewaterhouse Coopers Deutschland und Climate Leader Europe.

Firmen vernachlässigen Klimaszenarioanalysen, um sich auf Klimarisiken vorzubereiten. Dabei bringt das auch finanziell Vorteile. Wie Klimathemen in Organisationen etabliert werden, skizzieren die Expertinnen Nicole Röttmer und Nicolette Behncke.

Wie würden Sie aktuell den Status Quo der Klimaberichterstattung deutscher Unternehmen beschreiben?

Nicolette Behncke: Unsere Studie zur Klimaberichterstattung zeigt, dass 95 Prozent der börsennotierten Unternehmen in der DACH-Region das Klimathema in ihrer Berichterstattung aufgreifen. Aber es gibt Defizite: Die gelieferten Informationen sind meist wenig fundiert. Die wenigsten Unternehmen setzen die TCFD-Berichterstattung* komplett um oder nutzen Klimaszenarioanalysen. Während sich relativ viele Firmen Klimaziele setzen, hapert es bei der Definition konkreter Meilensteine und Maßnahmen. Und viel zu wenige Organisationen betten Klimainformationen in Investorenpräsentationen ein. 

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Das Buch  plädiert für einen bewussteren Umgang mit unserer Zukunft. Es geht unter anderem um die Frage, welchen Einfluss das Klima auf Unternehmen hat, wie unternehmerische Nachhaltigkeit in der Praxis aussieht und wie Ökonomie und Nachhaltigkeit sowie das Management und die Nachhaltigkeitsberichterstattung gestaltet werden können.

Kurz zusammengefasst: Die Unternehmen haben verstanden, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Das Niveau der Klimaberichterstattung liegt aber deutlich unter dem, was Investoren erwarten. Auch in anderen europäischen Ländern und auf globaler Ebene müssen Unternehmen besser werden. Allerdings bezieht sich diese Einschätzung nur auf die Berichterstattung. Manche Unternehmen erheben intern möglicherweise mehr Informationen und Daten, als sie nach außen kommunizieren.

Welchen Stellenwert hat die Bewertung von Klimarisiken für Unternehmen und welche Chancen und Potenziale ergeben sich aus einer Risikoanalyse klimatischer Veränderungen?

Nicole Röttmer: Der Stellenwert ist sehr hoch und lässt sich auf drei Ebenen herunterbrechen: die Regulatorik, die Risikoperspektive und die Geschäftschancen. Im Bereich der Regulatorik kommen mit der Änderung der CSR-Richtlinie auf EU-Ebene neue Verpflichtungen auf Unternehmen zu. Im Finanzmarkt spielt die Regulatorik längst eine zentrale Rolle: Finanzinstitutionen müssen bereits heute Anfragen von Aufsichtsbehörden über ihre Klimarisiken beantworten; Unternehmen der Realwirtschaft erreichen zunehmend Fragen von Investoren und Banken. 

Mit Blick auf die Risiken und Geschäftschancen beobachten wir, dass einige Sektoren und Unternehmen besonders finanziell von Klimarisiken betroffen sein können, beziehungsweise sich ihnen Klimachancen eröffnen. Die Analyse und Bewertung von Klimarisiken hat finanzielle Bedeutung. Daraus lassen sich Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Produkte ableiten oder Auswirkungen auf aktuelle Geschäftsmodelle. Die Chancen und Potenziale ergeben sich in Märkten, die unter Klimaszenarien potenziell wachsen.

Wie können Klimaszenarioanalysen Unternehmen bei der Ausrichtung ihrer ESG-Strategien unterstützen?

Röttmer: Viele Unternehmen und Finanzdienstleister nutzen Klimaszenarien aktuell als Lernfeld, um auch andere Umweltfaktoren, soziale Aspekte oder Governance-Kriterien analysieren und finanziell greifbar machen zu können. Beim Klima, das derzeit besonders präsent ist, sind wir methodisch von allen Sustainability- und ESG-Faktoren bisher am weitesten. Klimaszenarien sind also ein guter Einstieg, um die finanzielle Relevanz von ESG-Faktoren nachhaltig zu verankern und für zukünftige Strategien bewertbar zu machen.

Wo werden dadurch innerhalb der Organisation Kosten gespart und mit welchen Aufwänden muss das Management rechnen?

Röttmer: Klimaszenarioanalysen ermöglichen Opportunitätsgewinne. Sie helfen dabei, Kostensteigerungen entgegenzuwirken, etwa bei Material- oder Energiepreisen. Der Aufwand ist vergleichsweise gering: Nach drei Monaten hat ein Unternehmen ein Gefühl, wo in der Organisation die Pain Points liegen und womit man sich detaillierter auseinandersetzen sollte.

Behncke: Für die Finanzierung und Refinanzierung von Unternehmen ist die Kommunikation von Klimathemen relevant. Gegenüber dem Kapitalmarkt wird es für Firmen immer wichtiger, zu belegen, dass sie ESG- und Klimathemen im Griff haben; dass sei Klimarisiken steuern und in Risikoprozesse einbetten. Investoren und Kreditgeber erwarten, dass Unternehmen zu Klimathemen sprechfähig sind und sich dazu positionieren. Ist das der Fall, so hat das einen positiven Effekt auf die künftigen Finanzierungs-, Kredit- und Kapitalkosten. Andernfalls können die Kreditkosten explodieren. Kommunikation von Klimainformationen hilft, an kostengünstige Kredite zu kommen. 

Welchen finanziellen Vorteil ziehen Unternehmen gegenüber dem Wettbewerb? Lässt sich das an bestimmten KPIs festmachen?

Röttmer: Unternehmen, die sich frühzeitig gut für verschiedene Klimapfade aufstellen, haben signifikantes Verbesserungspotenzial. Wie hoch das ist, hängt vom Sektor und vom Unternehmen ab. Die Bandbreite zwischen Verlierern und Gewinnern ist groß: Wer sich proaktiv aufstellt, hat die Chance auf EBITDA-Steigerungen von 300 bis 400 Prozent; wer dies nicht tut, drohen hohe Verluste. Es lohnt also, sich so früh und fokussiert wie möglich mit Klimaszenarioanalysen auseinanderzusetzen. Dann ist es ein Thema, das auch für kleinere Institutionen handhabbar wird. 

Wie sieht ein optimales Controlling von Klimathemen in der Organisation aus? Gibt es branchenbedingte Unterschiede?

Behncke: Unternehmen müssen Klimathemen in ihre Kernprozesse einbetten. Wichtig ist, dass es kein Nebeneinander von Finanz- und nichtfinanziellen Informationen gibt. Geht es darum, CO2-Kennzahlen zu erheben, sollte die Finanzfunktion, die im Daten-Controlling Profi ist, auch dafür die Verantwortung übernehmen. Es gilt, die Prozesse, um nichtfinanzielle Informationen zu erheben, mit den Finanzberichterstattungsprozessen zu harmonisieren. Das gilt übrigens für alle Aspekte aus dem ESG-Bereich.

Röttmer: Unternehmen brauchen eine gute Governance, um rechtzeitig strategische Entscheidungen zu fällen, bevor sie kritische Geschäftsentwicklungen erleben. Nur so lassen sich Chancen frühzeitig nutzen. Es geht um einen kontinuierlichen Informationsaustausch in der Organisation. Bestandsprozesse können genutzt und um die Klimasicht erweitert werden. Wichtig ist, zu wissen, wo sich Veränderungen ergeben könnten – etwa durch klimabedingte Treiber, die in der Vergangenheit nicht materiell waren oder die das Geschäftsumfeld beeinflussen können. Das Konzept ist für alle Branchen gleich, nur die Inhalte natürlich nicht.

*Anmerkung der Redaktion: TCFD = Task Force on Climate-related Financial Disclosures

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