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2014 | Book

Soziologie des Wirtschaftlichen

Alte und neue Fragen

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About this book

Vieles deutet darauf hin, dass der Terminus der Sozialökonomik aus dem späten 19. Jahrhundert wieder mit ernsthaftem und positivem Leben neu gefüllt wird. Tendenziell bewegen sich Soziologie und Ökonomik wieder auf ein Konzept zu, das Elemente der Historik, Soziologie, Psychologie, Ökonomik und Religionswissenschaften zunehmend ernster nimmt und wechselseitig integriert. Wenn insgesamt das akademisch-konzeptionelle Bewusstsein eines „Culture Matters“ gestiegen ist, so müssen davon zwangsläufig Lehr- und Forschungsinhalte sozialwissenschaftlicher Kulturwissenschaften profitieren: Wirtschaftssysteme sollen weniger in abstracto, sondern stärker in concreto mit ihren Spezifika verschiedener Institutionen betrachtet werden. Die Soziologie und ihre Nachbarwissenschaften sind hier gefordert, diese Entwicklungen zu perzipieren und eigene Kompetenzen einzubringen. Alle beteiligen Wissenschaften sind ständig in Veränderung und gehen neue Verbindungen ein. Der Band stellt eine Reihe von interessanten Denkansätzen in dem Bestreben zusammen, mit weiteren Denkanstößen zu gegenwärtigen akademischen Auseinandersetzungen beizutragen.​

Table of Contents

Frontmatter
Soziologie des Wirtschaftlichen: Alte und neue Fragen
Zusammenfassung
Die Frage nach dem Verhältnis von Soziologie und Ökonomik ist während der letzten einhundert Jahre immer wieder neu gestellt und praktisch immer wieder anders gelöst worden. Während Max Weber selber Professor für Nationalökonomik war und sein bekanntester – posthum erschienener – Buchtitel „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1921) das Verhältnis der Gegenstandsbereiche in einem Atemzug adressierte und die Formulierung dabei suggeriert, dass hier eine friedliche Koexistenz zwischen den beiden Bereichen Wirtschaft und Gesellschaft herrscht, veränderte die wissenschaftliche Ausdifferenzierung der folgenden Jahrzehnte den akademischen Alltag, deren Arbeitsteilung und die entsprechenden Fragestellungen. Parsons und Smelser schrieben Mitte der 1950er Jahre in ihrem Buch „Economy and Society“ (1956), nur wenige Autoren, die in soziologischer Theorie kompetent sind, hätten „any working knowledge of economics, and conversely […] few economists have much knowledge of sociology“ (Parsons und Smelser 1956).
Dieter Bögenhold

Theoretische Konzeptualisierungen und Fragen

Frontmatter
Die Ökonomie – Natur- oder Sozialwissenschaft? Wissenschaftstheoretische und wissenssoziologische Überlegungen zu einer alten Kontroverse
Zusammenfassung
Auch in der wissenschaftlichen Entwicklung der letzten hundert Jahre hat der Grundtrend der gesellschaftlichen Entwicklung – berufliche Ausdifferenzierung und Spezialisierung – in hohem Maße stattgefunden. Wie überall, führte er auch hier zu einer enormen Erhöhung von Effizienz und Produktivität, zugleich aber auch zu einem zunehmenden Unbehagen. Die hoch spezialisierten Fachdisziplinen sind immer weniger in der Lage, ganzheitliche Zusammenhänge zu sehen. Die Sozialwissenschaften sind von diesen Problemen genauso betroffen. Um nur ein Beispiel aus dem Bereich der Wirtschaft zu geben: Ökonomen verfügen heute über ausgefeilte Theorien und werden von Regierungen laufend zu Rate gezogen, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Niemand weiß aber wirklich, ob die massiven Spar- und Stützungsprogramme, wie sie in der jüngsten Finanzund Wirtschaftskrise einigen südeuropäischen Ländern verordnet bzw. zugesagt wurden, tatsächlich zum gewünschten Erfolg, d. h. zu einem nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung führen werden (außer, dass sie den möglichen Konkurs großer Banken verhindert haben). Fachvertreter wie Colander et al.
Max Haller
Sozioökonomie und Subjekttheorie
Zusammenfassung
Der Blick auf die Entwicklung von der Sozialphilosophie zu modernen Sozialund Wirtschaftswissenschaften zeigt im Umgang mit der Frage, wie Subjekte theoretisch zu konzipieren sind, eine spezifische Entwicklung: Die frühe bürgerliche Sozialphilosophie versuchte, anthropologisch-psychologische Fest-Stellungen zu treffen und leitete daraus politische Vorstellungen über die richtige Gesellschaftsordnung ab. Dabei wurde zwar versucht, von empirischen Beobachtungen auszugehen; sie waren jedoch je nach Präferenz selektiv und dienten der Absicherung der jeweiligen politischen Entwürfe. Entsprechend waren die subjekttheoretischen Argumente zwar empirisch geerdet, aber sie wurden in normativen Kontexten als Anker verwendet.
Johann August Schülein
Theorie der Vermarktlichung: Ein institutionalistischer Ansatz
Zusammenfassung
In aktuellen Debatten der Wirtschaftssoziologie und der Politischen Ökonomie werden Phänomene der institutionellen Durchsetzung von Marktmechanismen in zuvor nicht-marktlich koordinierten gesellschaftlichen Feldern diskutiert. Entsprechende Prozesse der Etablierung instrumenteller Handlungsorientierungen lassen sich auf der Ebene einzelner Organisationen wie auch in organisationsübergreifenden sozialen Feldern identifizieren. Im vorliegenden Aufsatz soll zum Verständnis dieser Phänomene der Durchsetzung marktlicher Koordinierungsmodelle das Konzept der „Vermarktlichung“ vorgestellt werden. Vermarktlichung meint dabei, dass eine ökonomische Logik erwerbswirtschaftlicher Warenproduktion zum dominanten Strukturprinzip eines sozialen Feldes wird, wobei sich auf individueller wie kollektiver Ebene wettbewerbsorientierte Regeln und Normen durchsetzen. Dabei sind Vermarktlichungsprozesse an spezifische Diskurse und Paradigmen gebunden, die den Akteuren eine entsprechende Handlungsorientierung vorgeben.
Alexander Ebner

Historisch-ideengeschichtliche Zugänge

Frontmatter
Macht, Ungleichheit und Preise: Friedrich Wieser und die Wirtschaftssoziologie
Zusammenfassung
Am Beginn des vergangenen Jahrhunderts war die Diskussion um das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft besonders rege, was sich an einer großen Zahl von sozialwissenschaftlichen Werken nachweisen lässt, aus denen etwa Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ herausragt. Auch eine Reihe österreichischer Sozialwissenschaftler, die sehr unterschiedlichen theoretischen, aber auch ideologischen Strömungen angehörten, befassten sich mit diesen Fragen. Dazu zählten etwa einige Mitglieder der Soziologischen Gesellschaft in Wien, die sich auf der Basis austromarxistischer und ethisch bzw. liberal sozialistischer Auffassungen mit den ökonomischen Verhältnissen ihrer Zeit auseinander setzten, so etwa Max Adler oder Rudolf Goldscheid (s. dazu Mikl-Horke 2007). Aber auch die Vertreter der Menger-Schule der österreichischen Nationalökonomie beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft, so insbesondere Friedrich von Wieser.
Gertraude Mikl-Horke
Heterodoxie in Soziologie und Ökonomie: Thorstein Veblen, Joseph Schumpeter und die wirtschaftssoziologischen Arbeiten der „New York Intellectuals“
Zusammenfassung
Seit einigen Jahren wird als Überbegriff für verschiedene alternative Ansätze innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, die durch die gegenwärtige Finanzkrise wieder eine stärkere Aufmerksamkeit erfahren haben (Beckert/Deutschmann 2010b; Bögenhold 2011; Krause 2011; Mikl-Horke 2011b), die Bezeichnung „heterodoxe Ökonomie“ verwendet. Erstmals wird dieser Begriff als Abgrenzung zur neo-klassischen Ökonomie in der Strömung der „American institutionalist tradition“ bzw. der „old institutional economics“ (OIE) verwendet (Lee 2009, S. 189f.), die bisher im deutschsprachigen Raum wenig rezipiert worden ist, da sie lange Zeit eine rein amerikanische Richtung war und bis Anfang der 90er Jahre noch kaum Rückhalt an europäischen Universitäten besaß (Hodgson 1993b, S. XI; 1994, S. 58).
Oliver Neun
The Schumpeterian Theory of Entrepreneurial Management: From Individualism to Social Forces
Ourania Kardasi, Panayotis G. Michaelides

Märkte und Ungleichheit in der globalen Welt

Frontmatter
The Bubble and the Pump: Globalization, Complexity, Contingency, and the Financial Crisis
Patricia Springborg
Who Gets What and Why?
Märkte und Unternehmen als Arenen sozialer Ungleichheit
Zusammenfassung
Reichtum ist in der Soziologie als Untersuchungsgegenstand lange Zeit vernachlässigt worden. Die Gründe sind vielschichtig und können an dieser Stelle nicht erörtert werden. Gleichwohl ist auffallend, dass die Armutsforschung in der Soziologie einen festen Platz hat und auf eine lange Tradition zurückblicken kann (Simmel 1992, S. 512ff.; Barlösius/Ludwig-Mayerhofer 2001; Huster et al. 2008; Paugam 2008), während Reichtumsfragen lange Zeit vernachlässigt worden sind (vgl. allerdings Huster 1997). In den letzten Jahren kann ein wachsendes Interesse an Reichtumsfragen in der soziologischen Forschung festgestellt werden. So liegen inzwischen zahlreiche Untersuchungen vor, die eine signifikante Zunahme der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung seit den 1970er Jahren in OECD-Ländern nachgewiesen haben. Besonders markant ist die Konzentration von Einkommen und Vermögen im obersten Dezil (10 %) (Alderson/Nielsen 2002; Firebaugh 2003; Hradil 2005; McCall/Percheski 2010; Atkinson/Piketty/Saez 2011). Auch wird zunehmend die „Kultur des Reichtums“ erforscht (Druyen 2007; Lauterbach/Druyen/Grundmann 2011).
Klaus Kraemer
Zum Verhältnis von Bedürfnis, Arbeit und Geld
Zusammenfassung
Theorie dient dem Bemühen, Vorgänge und Verhältnisse in Begriffen zu erfassen (zu „begreifen“). Der Weg zum Verständnis verläuft über Beschreibung, Analyse und Interpretation des gewählten Erkenntnisgegenstands. Entscheidend für die Richtung des begangenen Weges ist die grundlegende Sicht (Perspektive) der persönlichen Erkenntnissuche. Diese Sicht ist kulturell bestimmt durch zunächst tradierte Vorstellungen (Menschen-, Gesellschafts-, Weltbilder) zur Erklärung von Erscheinungen (Phänomenen). Je mehr die Erfahrung der Folgen eigenen Tuns der Erwartung entspricht, als desto gefestigter werden Erkenntnis und Wissen angesehen. In den Bereichen, in denen der Zusammenhang von Handeln und Erfahrung, von Arbeit und Bildung (Kellermann 1986) nicht gegeben ist, sondern stattdessen Vermutungen über Geschehnisse zu deren Erklärung angestellt werden, entsteht Glaube. Der Unterschied zwischen Theorie (Wissenschaft) und Glaube (Religion) liegt zwischen Erfahrung (Empirie) und intersubjektiver Überprüfung der Einsichten (Forschung) einerseits, in unbefragten Überzeugungen (Ideologien) und unbezweifelten Lehren (Dogmen) andererseits.
Paul Kellermann

Divergente Rationalitäten, lokale Praktiken, empirische Observationen

Frontmatter
Professionals als Kleinunternehmer: Zur Rationalität von Freiberuflern im realen Business
Zusammenfassung
Forschungen im Bereich Entrepreneurship haben in den letzten Jahren weltweit sehr stark zugenommen (Kuratko 2006). Das Unternehmertum wird als Triebkraft für Wirtschaftswachstum dargestellt und folglich als wesentlicher Faktor für die Schaffung von Arbeitsplätzen und von Wohlstand wahrgenommen (van der Praag und Versloot 2007; Sanders 2007; Thurik und Wennekers 2004). Darüber hinaus verändert das Unternehmertum sich ständig und bringt Neuheiten hervor, die eine zentrale Rolle dabei spielen, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu verbessern (Wiklund u. a. 2011). Im Bereich Entrepreneurship besteht eine Problematik darin, dass es sich mit Unternehmertum befaßt, so als ließe es sich in einem sozialen, kulturellen und historischen Vakuum betrachten (Ogbor 2000), abgekoppelt sowohl von den breiteren Marktbesonderheiten, Berufsstrukturen, den Arbeitsmarktbedingungen und den Perzeptionen der einzelnen Akteure in Bezug auf deren Erwerbsarbeit und deren Inhalte.
Dieter Bögenhold, Jarna Heinonen, Elisa Akola
Die Rationalität lokaler Wirtschaftspraktiken im Friseurwesen. Der Beitrag der „Ökonomie der Konventionen“ zur Erklärung räumlicher Unterschiede wirtschaftlichen Handelns
Zusammenfassung
Die soziologische Kritik an wirtschaftswissenschaftlichen Modellen hat eine lange Tradition. Ausgangspunkt fast aller dieser Debatten ist das neoklassische Marktmodell, welches den Markt (Baur 2013a) isoliert von der Gesellschaft, vom Staat und von anderen Rahmenbedingungen analysiert. Auf idealen Märkten ist der Wettbewerb vollkommen, und alle Marktakteure haben vollständige Informationen über Angebot, Nachfrage und Preisstrukturen. Weiterhin unterstellt die Neoklassik das Modell des homo oeconomicus, d. h. sie nimmt an, dass Akteure in sich konsistent handeln, über eine klar definierte Präferenzstruktur verfügen und insofern zweckrational ihre eigenen Interessen verfolgen, als dass ihnen egal ist, an wen sie verkaufen bzw. von wem sie kaufen. Entscheidend ist allein, als Verkäufer den bestmöglichen Preis für die größtmögliche Menge des verkauften Gutes zu erzielen und als Käufer möglichst viele Güter zum geringstmöglichen Preis zu erwerben (Baur 2008a; Zafirovski 2007).
Nina Baur, Martina Löw, Linda Hering, Anna Laura Raschke, Florian Stoll
Agents of change: inventors, entrepreneurs, financiers, and small business owners in the beginning of the Swedish fast food industry
Karl Gratzer
Informal entrepreneurship under transition: causes and specific features
Alexander Chepurenko
Backmatter
Metadata
Title
Soziologie des Wirtschaftlichen
Editor
Dieter Bögenhold
Copyright Year
2014
Electronic ISBN
978-3-658-03545-7
Print ISBN
978-3-658-03544-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-03545-7