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Published in: Informatik Spektrum 3/2023

Open Access 29-06-2023 | HAUPTBEITRAG

Strukturierte digitale Transformation von Lernen und Lehren

Ein Referenzmodell für vernetzte Lebenszyklen von Bildungsangeboten und Studierenden als Studium

Authors: Markus von der Heyde, Andreas Hartmann

Published in: Informatik Spektrum | Issue 3/2023

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Zusammenfassung

Die Digitalisierung der Prozesse an Hochschulen wird in den kommenden Jahren eher an Intensität zunehmen als abnehmen. Die Vernetzung von Informationen über viele Bereiche der Hochschule hinweg erfordert neben den technischen Schnittstellen zunächst eine richtige Gliederung der Informationen im Sinne der Modellierung und Abstraktion des zu gestaltenden Gegenstands. Das Higher Education Reference Model (HERM) bildet dazu eine ideale Grundlage. Die zur Digitalisierung erforderliche Weiterentwicklung des Student Life Cycle als Bezugsmodell wird in diesem Beitrag auf eine Verschränkung von mehreren Wertströmen vorgeschlagen. Dabei werden die Fähigkeiten aus der Gestaltung des Bildungsangebots, dem Lebenszyklus der Studierenden und aus der resultierenden Schnittmenge des Studiums in ein Gesamtmodell eingeordnet. In vier Szenarien werden die erforderlichen, aber heute noch selten anzutreffenden Verschränkungen der Informationsflüsse illustriert.
Notes

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die fundamentale Erwartung zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen ist in allen Bereichen des Lebens und so auch für die Hochschulbildung vorhanden [14]. Die in der Vergangenheit erfolgte Digitalisierung der Prozesse hat diese im Kern zu wenig hinterfragt [5, 6]. Eine Neugestaltung unter Anwendung von Architekturprinzipien, insbesondere einer übergreifenden Definition der Daten, zu erzielenden Fähigkeiten und Qualitätsanforderungen hat in der Regel nicht stattgefunden [3, 4]. Die Formulierung des Student Life Cycle hat stattdessen zu einer monolithischen Lösungsarchitektur geführt, die verschiedene Anbieter von Campus-Management-Software realisieren [79]. Die Spezialisierung von Einzellösungen und die dazu erforderliche Vernetzung mehrerer Systeme haben sich oftmals als problematisch herausgestellt (siehe [10]; Überblick und Detailanalyse in [10, Kap 2.3]). Flexible und komponentenbasierte Lösungsarchitekturen scheitern zumeist an stark ausgeprägten funktionalen Silos, die dem gemeinschaftlichen und gesamtheitlichen Verständnis der Fähigkeiten einer Hochschule entgegenstehen und daher übergreifende Funktionen sowie Informationsflüsse behindern. Die Ergebnisse einer systematischen Analyse der Literatur [11] deuten darauf hin, dass das Enterprise Architektur Management (EAM) die am besten geeignete Methode zur Entwicklung einer vernetzten IT-Landschaft und zur Verbesserung der Qualität von Bildungsdienstleistungen ist.
Das Higher Education Reference Model (HERM) ist mit seinen Bestandteilen (Business Capability Model (BCM), Business Canvas und Data Reference Model) ein international anerkannter Standard zur allgemeinen Abbildung und zum Überblick aller Geschäftsfähigkeiten von Hochschulen [12]. Ein Überblick der Entstehung und Verwendung wird in [13] gegeben.
In diesem Beitrag wird das HERM-BCM verwendet, um daraus vernetzte Wertströme (Value Streams) abzuleiten. An Beispielen aus den Hochschulen wird motiviert, warum eine konsequente Modellierung der beteiligten Datenobjekte von großem Vorteil für die Umsetzung der vernetzten Digitalisierung der Hochschulen sein kann.

Vernetzte Lebenszyklen und Wertströme

Das HERM-BCM liefert eine Landkarte von Fähigkeiten im Bereich der Lehre, welche den dahinterliegenden Lebenszyklus erahnen lassen [13]. Gleichwohl handelt es sich bei HERM explizit nicht um ein Prozessmodell, denn „wie“ die Fähigkeiten schließlich erbracht werden, obliegt der einzelnen Organisation (Abb. 1). Dem Referenzmodell gegenüber stehen einige Modellierungsansätze [1, 14, 15], insbesondere in Form von ebensolchen Prozessmodellen, die Begriffe wie den „Student Life Cycle“ einführen und zu einer breiteren Anerkennung dieser Bezeichnungen geführt haben.
Abb. 2 zeigt eine Ableitung aus dem HERM (wir beziehen uns auf Version 2.6) unter Wiedererkennung anerkannter Begriffe. Zunächst wurden die in der Referenz enthaltenen Fähigkeiten tabellarisch auf tatsächlich ausgeführte Funktionen („Studierender wird immatrikuliert“) und die darin zu verarbeitenden Daten beschrieben („Student Record“). In einer zweiten Iteration wurde der Fokus auf die im ersten Schritt vollständig erfassten, primären Datenobjekte gelegt (engl.: Key Data Objects), um im Anschluss erkennen zu können, welche Wertströme (Value Streams) sich entlang der Verarbeitung von wenigen Key Data Objects ableiten lassen. Durch diese Ableitung wurden die Fähigkeiten entlang potenzieller Value Streams angeordnet, was eine Annäherung an bekannte Prozessmodelle (vgl. Lebenszyklus) und das aktuelle Verständnis der Hochschulen unterstützt.
Als Ergebnis der Ableitung werden drei Value Streams identifiziert, welche Fähigkeiten enthalten und sich an je einem Lebenszyklus ausrichten. Einige Fähigkeiten sind flexibel positionierbar, da sie an vielen Stellen im Lebenszyklus einen Wertbeitrag leisten und keine starre Reihenfolge erfordern. Die identifizierten Value Streams sind:
  • [blau] Produktmanagement eines Bildungsangebots, z. B. ein Studiengang,
  • [gelb] Beziehungsmanagement zu Nutzern, z. B. Studierende, Weiterbildende,
  • [rot] Nutzung eines Bildungsangebots, z. B. Studierende studieren einen konkreten Studiengang.
Der erste Value Stream orientiert sich am Key Data Object „Bildungsangebot“ und enthält vor allem Fähigkeiten zu dessen Verwaltung. Mit teilweise klassischen Bezeichnungen wie „Einrichtung“ und „Verbesserung“ entspricht er dem Produktmanagement des Bildungsangebots. Der zweite Value Stream richtet sich an der Interaktion mit Nutzern der Bildungsangebote aus. Das Key Data Object ist der „Student Record“, welcher spätestens mit der Immatrikulation angelegt wird. Mit seinen Fähigkeiten entspricht er teilweise dem Beziehungsmanagement zu Nutzern wie Studierenden oder Weiterbildungsinteressierten. Der potenziell dritte Value Stream verbindet die beiden Bereiche in Form eines konkreten Studiums. Hierbei werden insbesondere Elemente des Bildungsangebots mit dem Student Record verknüpft, wobei sich die hinter den Value Streams liegenden Lebenszyklen überschneiden.

Anwendung/Diskussion des Modells

Bereich Curriculum – Produktmanagement eines Bildungsangebots

Die Modellierung des Bildungsangebots folgt bislang keinem klaren Lebenszyklus. Auch im HERM-BCM ist die Kernfunktion primär entlang des bislang bekannten Student Life Cycle modelliert. Die Bereitstellung eines Studienangebots als Produkt stellt hier nur einen Startpunkt des Studiums dar, wird aber nicht als eigene Wertschöpfung begriffen. Ansätze aus dem europäischen Ausland [17] hatten bislang keinen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Digitalisierung dieses Bereichs in Deutschland.
Da bislang keine konsistente Modellierung von Bildungsangeboten an den Hochschulen vorliegt, sind die Produkte am Markt unübersichtlich und werden von den potenziellen Nutzern nicht gefunden bzw. falsch eingeschätzt. Ein Ausdruck dafür könnte die ansteigende Quote der Studiengangswechsler:innen in Deutschland von 8 % bis zum zweiten Fachsemester bis mehr als 13 % im fünften Fachsemester sein [17]. Die Schwierigkeit, Produkte zu vergleichen, scheint an den Hochschulen dann zum Problem zu werden, wenn die Anerkennung von Studienleistungen keinen klaren Regelungen folgt, sondern eine (subjektive) Behandlung von Einzelfällen nach sich zieht.
Zusätzlich wird die Bewertung, ob das Angebot (noch) aktuell ist und den Nutzern dient, auf die Ziel- und Leistungsvereinbarungen verschoben. Die dabei entstehende Latenz und fehlende Marktorientierung könnten durch die Steuerung über statistische Daten aus der Lehrevaluation reduziert werden.

Bereich Studierende – Beziehungsmanagement zu Nutzern

Die unterstützenden Leistungen der Nutzenden sind bislang an den Hochschulen selten modelliert und z. B. als Customer Relationship Management (CRM) digital abgebildet. Ausnahme bildet die Ablage der Stammdaten der Studierenden im Rahmen der Bewerbungsprozesse, also der Vorstufe zur eigentlichen Nutzung des Bildungsangebots.
Nutzbare Datenobjekte sind nicht übergreifend definiert, folglich nicht durchgängig vorhanden und werden daher nicht kontinuierlich verwaltet. Die offensichtlichen Medienbrüche und mangelnde Persistenz werden jedoch erst durch den Schritt der Modellierung überwunden, wenn standardisierte Schnittstellen vereinbart werden.

Bereich Studium – Nutzung eines Bildungsangebots

Die beiden oben genannten Value Streams werden im HERM-BCM zunächst linear nebeneinander gestellt, obwohl es sich um zwei getrennte Lebenszyklen handelt. Das Referenzmodell impliziert dabei eine Verschachtelung des Student Life Cycle innerhalb des Lebenszyklus des Curriculums. Tatsächlich sind die Value Streams – insbesondere aus der Datensicht – weder geschachtelt noch synchron. Das Curriculum folgt im Vergleich zum Studierenden-CRM einem anderen zeitlichen Ablauf und ist an andere Rahmenbedingungen geknüpft. Im Studium treffen die Nutzer des Bildungsangebots auf die konkrete Instanz eines Bildungsangebots – z. B. ein Semester. Insbesondere entsteht eine Transparenz für den Kontext der Datenobjekte, denn durch die zeitlich asynchronen Lebenszyklen muss eine Differenzierung der Datenobjekte in allen drei Values Streams berücksichtigt werden. Andernfalls entstehen Inkonsistenzen in den zu implementierenden Schnittstellen. Folglich bietet sich hier eine domänenbasierte Datenmodellierung an, welche die Value Streams bzw. Lebenszyklen berücksichtigt. Im Ergebnis kann der konsistente semantische Bezug der Datenobjekte hergestellt werden.

Digitalisierung der Hochschullandschaft

In einer Studie zur Digitalisierung der Hochschulen schätzen 133 Teilnehmenden auf CxO-Level (Chief Executive Officer (CEO) an Hochschulen oftmals Kanzler:in, Chief Technology Officer (CTO) an Hochschulen die Leitung des zentralen IT-Service oder Rechenzentrums, Chief Information Officer (CIO) oder Office im Fall eines Gremiums, Chief Digital Officer (CDO) an Hochschulen auch als Vice Präsident:in Digitalisierung ausgeprägt) den Stand und die zukünftig zu erwartenden Entwicklung ein [4]. Die Einschätzungen wurden sowohl für die Fähigkeiten vorgenommen, die bisher bereits digitalisiert sind (starke Veränderung durch Werkzeuge und digitalisierte Prozesse), als auch für die Fähigkeiten, wo diese Veränderung demnächst erwartet wird. Der Vergleich der vier Einschätzungen wird in Abb. 3 dargestellt, wobei die Gelb-Schattierungen die bisherige Digitalisierung und die Blau-Schattierungen die zukünftige Digitalisierung betreffen. Eine aktuelle bzw. kontinuierliche Entwicklung zeichnet sich durch rötliche Schattierungen aus. Die Farbintensität steigt mit der Intensität der Entwicklung als Differenz zwischen den Einschätzungen in fünf Jahren und heute. Damit repräsentieren die Fähigkeiten mit intensiver Färbung die hauptsächlichen Arbeitsbereiche der Hochschulen in den kommenden fünf Jahren. Eine blasse Färbung würde (durch die Differenzbildung) nicht notwendigerweise bedeuten, dass eine Fähigkeit nicht digital abgebildet wäre. Allerdings zeigt die weitere Analyse, dass diese Bereiche tatsächlich wenig automatisiert sind.
Gleichzeitig ergab die Studie, dass ein Großteil der aktuell realisierten Werkzeuge weder mit anderen Bereichen hinreichend Daten austauscht, diese persistent anbietet oder ausreichende Maßnahmen zur Qualitätssicherung enthält. In Bereichen, in denen ein hoher Grad an Werkzeugen etabliert war, boten weniger als 40 % der Lösungen Schnittstellen an, verknüpften ihre Daten durchgängig mit anderen Diensten oder setzten Qualitätsmaßnahmen um. In HERM-Bereichen, die sich durch Digitalisierungsmaßnahmen in den kommenden fünf Jahren stark ändern sollen, sind derzeit rund 70 % aller Bereiche aufgrund fehlender Schnittstellen noch nicht vernetzt, nicht persistent und bieten keine Qualitätsmaßnahmen an [4, S. 30/31]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zweck des durchgehenden Datenaustauschs, für den die Werkzeuge ursprünglich herangezogen wurden, bislang kaum erreicht wird.

Szenarien mit vernetzten Fähigkeiten und Informationsflüssen

In vier Beispielen zeigen wir Datenflüsse zwischen potenziellen IT-Systemen und verweisen auf den hohen Nutzwert aus der Verwendung eines Fähigkeiten-basierten Referenzmodells. Das HERM definiert die in den Szenarien beteiligten Fähigkeiten und unterstützt den Überblick auf deren Zusammenspiel. Werden den Fähigkeiten dann Funktionen zugeordnet und diese in entsprechenden Werkzeugen zur Verwaltung der Daten implementiert, so können die beteiligten IT-Systeme über passende Schnittstellen miteinander integriert werden. Das ist die Voraussetzung für den unterbrechungsfreien Transport von Informationen und eine erfolgreiche Optimierung der gesamten IT-Landschaft (z. B. in Form der Automatisierung, einer robusteren Durchführung oder eines höheren Werts der erzielten Produkte).

Beispiel: Härtefallunterstützung (BC224)

Zeigen Studierende einen Härtefall an, steht ihnen zumeist ein Nachteilsausgleich zu. Im Idealfall würden Studierende zum Beispiel zu einer Klausur erscheinen und die Aufsicht gäbe ihnen mehr Bearbeitungszeit bzw. Hilfsmittel zur Hand. Die Studierenden hatten im Vorfeld den Härtefall beim Prüfungsamt angezeigt und ein Prüfungsausschuss bestätigte den Nachteilsausgleich. Aktuell findet in diesem Szenario wenig oder keine Automatisierung statt. Die Information wird nicht qualifiziert, digital gespeichert und zwischen beteiligten IT-Systemen transportiert. Betroffene Studierende tragen den Härtefall bei jeder Prüfung wiederholt vor. Aus Sicht der Studierenden ist das sehr belastend, wenn beispielsweise bei der Raumplanung die längere Bearbeitungszeit nicht berücksichtigt wurde und schon die nächste Gruppe eintritt.
Eine Verbesserung würde sich mit der Vernetzung der folgenden Fähigkeiten des HERM erzielen lassen. Studierende zeigen einen Härtefall beim Prüfungsamt oder in der Studierendenberatung an (vgl. BC059 und BC224). Dort kann der Härtefall in der elektronischen Studierendenakte (vgl. BC048) vermerkt werden. Der im Anschluss beauftragte Prüfungsausschuss ergänzt den zustehenden Nachteilsausgleich (vgl. BC224). Bei der Prüfungsplanung werden Nachteilsausgleiche automatisch z. B. für längere Bearbeitungszeiten von Klausuren bei der Raumplanung berücksichtigt (vgl. BC223 und BC027). Die Verknüpfung findet bei der Prüfungsanmeldung statt, sobald die Identitäten feststehen. Weiterhin können beim Bereitstellen der Prüfungsunterlagen individuelle Nachteilsausgleiche berücksichtigt werden, wenn die Information vorab vorliegt. Schließlich erhält die Prüfungsaufsicht nicht nur eine Liste der Teilnehmer wie heute, sondern alle zusätzlichen Informationen zu vorliegenden Härtefällen (vgl. BC029). Betroffene Studierende würden entlastet, da sie nicht wiederholt auf ihre Situation hinweisen müssen. Gleichzeitig reduziert sich der Verwaltungsaufwand, da einmal bestätigte Nachteilsausgleiche nicht mehrfach manuell bearbeitet werden müssen.

Beispiel: Verbesserung Studienangebot (BC038)

Studienangebote entstehen aktuell im Dialog mit den zuständigen Ministerien, wenn Studiengänge geplant und initiiert (BC002) werden. Neue Angebote sind somit Ergebnis des Lenkungs- und Planungsprozesses, der mit Ziel- und Leistungsvereinbarungen operiert. Auch die Entscheidung, ein bestimmtes Studienangebot zu reduzieren (BC041), ist oftmals an diesen übergeordneten Steuerungsprozess gekoppelt.
Die inkrementelle Verbesserung des Studienangebots (BC038) erfolgt aber selten auf politischer Ebene. Eine Anpassung des einzelnen Studiengangs erfolgt oft im Kontext der Evaluation innerhalb der Akkreditierung (BC007).
Aus den Erfahrungen vieler Hochschulen lässt sich ableiten, dass selbst bestehende Informationen selten systematisch und kontinuierlich in den Prozess einbezogen werden.
  • Das in einem Studiengang gesammelte Profil zu erlangender Kompetenzen entspricht nach einiger Zeit nicht mehr dem Bedarf. Die Abstimmung mit der Industrie und der öffentlichen Verwaltung kann bspw. am Rande der Vermittlung von Praktika- und Referendariatsplätzen (BC030) erfolgen. Ob darüber hinaus ein Studiengang relevant ist, könnte durch Daten aus der Vermarktung des Studienangebots (BC005) sowohl für die international Interessierten (BC013) als auch für die Interessierten aus nationalem Kontext (B012) abgeleitet werden. Somit würde der Rahmen für organisatorische Maßnahmen zur kontinuierlichen Anpassung zu erlangender Kompetenzen geschaffen.
  • Die Lehrevaluation unterstützt bei der Erfassung der Qualität der einzelnen Veranstaltung und betrifft sowohl die Planung der erforderlichen Ressourcen (BC025) als auch die Durchführung der Lehre (BC026). Die Rückmeldung der Studierenden wird in beiden Bereichen gesammelt, aber die Ergebnisse tragen bislang selten zur strukturellen Verbesserung der Studiengänge bei. Auch die strukturelle Analyse der Studienverläufe wird bislang selten, z. B. Engpässe bei beliebten Wahloptionen, vorgenommen. Während der Studienphase könnten Hinweise aus den Beratungen (BC053, BC059, BC047, BC058) bzw. aus den Beschwerdeverfahren (BC049, BC226) helfen, strukturelle Mängel und Stressfaktoren zu identifizieren. Die Wirkung auf die Planung des Stundenplans (BC027) ist offensichtlich. Strukturelle Veränderungen des Lehrangebots vermeiden Probleme, in dem bspw. Lehrveranstaltungen weniger strikt als Voraussetzungen anderer Module dienen oder nicht starr an Semester gebunden werden. Die Rückmeldung der Studierenden könnte während der Phase der Karriereplanung (BC055) und über das Beziehungsmanagement (BC045) nach dem Abschluss des Studiums einbezogen werden.
  • Darüber hinaus berücksichtigt eine Veränderung des Studienangebots oft nicht, welche konkreten Folgen eine Umstellung für die aktuell eingeschriebenen Studierenden bedeutet. Die Betroffenen genießen Bestandsschutz, der Nachteile vermeidet. Welche individuellen Folgen die Hinzunahme von Wahl- oder Pflichtoptionen tatsächlich haben, kann auf der aktuell modellierten Datenbasis der großen Campus-Management-Systeme nicht beantwortet werden.

Beispiel: Stundenplanung (B027)

Hochschulen investieren viele Ressourcen in die Stundenplanung (BC027). Dabei wird sich maßgeblich am Stundenplan des letzten vergleichbaren Semesters orientiert und mit hohem Aufwand versucht, auf Engpässe (z. B. Raummangel) oder besondere Situationen (z. B. Laborausstattungen, externe Lehrbeauftragte) zu reagieren. Die Erstellung des Stundenplans folgt selten entlang der Nachfrage der Studierenden. Kritische Module für den Lernpfad, z. B. die Identifikation und Aufbereitung von Lehrveranstaltungen mit höchster Priorität an Raumkapazitäten, könnten zwar auf Basis der Studienverläufe und -ergebnisse analysiert werden. Dieser Prozess findet oft nicht statt und dringend benötigte Informationen zur Raumplanung liegen ungenutzt vor. So kommt es zu überfüllten Seminarräumen, wo sich Studierende des aktuellen Semesters und Wiederholer um die Plätze streiten – während ein großer Raum nebenan nur halb besucht ist. Bekannt ist auch die zeitliche Überschneidung von Nachprüfungen mit Lehrveranstaltung mit Anwesenheitspflicht. Die Vernetzung der Fähigkeiten des HERM zeigt, wie sich die Stundenplanung (BC027) durch eine strukturierte Integration dramatisch verbessern ließe.
Zusätzlich zu der oftmals genutzten Raumbelegung des letzten Semesters (BC022) können die Bedarfe der Studierenden automatisch abgeleitet werden. Der Studentische Akademische Fortschritt (BC046) liefert Informationen zu erfolgreichen und kritischen Studienverläufen. Zusätzlich lassen sich Veranstaltungen mit höherer Priorität aus der strukturierten Modellierung von Studiengängen ableiten [19]. Raumbedarfe für Wiederholungs- und Nachprüfungen lassen sich in Verbindung mit dem Prüfungswesen (BC223) identifizieren. Die allgemeine akademische Beratung (BC053), die Studierendenbetreuung (BC059) und das Studentenbeschwerdemanagement (BC226) eröffnen weitaus tiefere Einblicke in die Bedarfe der Studierenden.

Beispiel: einrichtungsübergreifendes Studium (BC225)

Die Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen auf allen Ebenen der IT-Versorgung ist eine Herausforderung. Bei der Gestaltung gemeinsamer Studienprogramme haben Kooperationen in der Regel nicht zu einer Verschränkung der IT-Systeme oder Hintergrundprozesse, z. B. bei der Modulanmeldung (BC021), der Stundenplanung (BC027), Prüfung des Lernerfolgs (BC029) oder bei der Verleihung des akademischen Grads (BC035), geführt.
Bei der institutionsübergreifenden Anerkennung von Studienleistungen (BC018) wurden in den vergangenen Jahren erste Prototypen für allgemeine Schnittstellen definiert. Zum Beispiel nutzt das Projekt „Plattform für internationale Studierendenmobilität“ (PIM) die EU-Standards EMREX/ELMO für Prüfungsleistungen und Europass Digital Credentials Infrastructure (EDCI) für den Austausch von Modulinformationen zwischen zwei Institutionen, indem die Studierenden selbst diese Daten als Informationspakete über ihre Mobilgeräte transportieren. Es wird dadurch angestrebt, dass die Daten jederzeit in der Hoheit der Betroffenen verbleiben und nur mit deren Einwilligung ausgetauscht werden.
Kernproblem bei der Anerkennung bleibt die nicht voll automatisierbare, aber erforderliche Entscheidung der zuständigen Gremien. Vormals getroffene Entscheidungen können gespeichert werden, um sowohl den Studierenden in der akademischen Beratung (BC053) bei der Planung von Abschlüssen mit mehreren Einrichtung zu unterstützen als auch die betroffenen Prüfungskommissionen bei der Anerkennung (BC018) zu entlasten.

Fazit

Der Fokus der Digitalisierung der deutschen Hochschulen liegt im Bereich von Lehren und Lernen auf dem Einsatz digitaler Werkzeuge in der Lehre und in der Studienorganisation, dem sog. Student Life Cycle [3, 4]. In den kommenden fünf Jahren planen die Hochschulen in diesem Bereich, Medienbrüche bei der Digitalisierung von Prozessen zu beseitigen und dementsprechend mit persistenten und qualitätsgesicherten Datenschnittstellen zwischen den beteiligten Applikationen zu etablieren.
Die dazu erforderliche Weiterentwicklung des Bezugsmodells wird in diesem Beitrag vom Student Life Cycle auf eine Verschränkung von drei Value Streams vorgeschlagen. Basierend auf dem Business Capability Model (BCM) aus dem Higher Education Reference Model (HERM) werden die an der Gestaltung des Bildungsangebots, die an den Lebenszyklus der Studierenden und der daraus resultierenden Schnittmenge des Studiums beteiligten Fähigkeiten in ein vernetztes Gesamtmodell eingeordnet. Die sich daraus ergebenden bzw. aus diesen Value Streams abgeleiteten Datenmodelle müssen die Konstellation berücksichtigen. In vier Beispielen werden die erforderlichen, aber heute noch selten anzutreffenden Verschränkungen der Informationsflüsse illustriert. Auf die daran beteiligten Fähigkeiten im HERM wird dabei jeweils Bezug genommen und der resultierende Vorteil diskutiert.
Diese Weiterentwicklung ist als übergreifendes Modell für zukünftige Kooperationen zwischen Einrichtungen konzeptuell geeignet, da die Analyse von institutionellen Eigenheiten abstrahiert vorgenommen wurde.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Title
Strukturierte digitale Transformation von Lernen und Lehren
Ein Referenzmodell für vernetzte Lebenszyklen von Bildungsangeboten und Studierenden als Studium
Authors
Markus von der Heyde
Andreas Hartmann
Publication date
29-06-2023
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Published in
Informatik Spektrum / Issue 3/2023
Print ISSN: 0170-6012
Electronic ISSN: 1432-122X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00287-023-01542-y

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