Skip to main content
Top

2020 | Book

Trügerische Verheißungen: Markterzählungen und ihre ungeplanten Folgen

insite
SEARCH

About this book

Der Band fasst die neueren Publikationen sowie einige Originalbeiträge des Autors zur Markt- und Wirtschaftssoziologie zusammen. Thema ist die marktliberale Version des modernen Gesellschaftsvertrages, deren langfristiger historischer Erfolg in soziologischer Perspektive untersucht wird. Im Gegensatz zu dem auf die Wohlfahrtseffekte freier Märkte fixierten liberalen Narrativ werden die ungeplanten gesellschaftlichen Folgen und Kosten der Durchsetzung dieses Narrativs in den Blick genommen.

Table of Contents

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung: Markterzählungen und moderne Gesellschaftsutopien
Zusammenfassung
Die Entwicklung der modernen Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert war geprägt durch das Neben- und Gegeneinander zweier Gesellschaftskonzeptionen: einerseits die republikanische Idee des Gesellschaftsvertrages, anderseits die liberale Idee der dezentralen Konstitution der Gesellschaft durch private Verträge. In dem Buch sollen die emergenten Folgen der liberalen Erzählung unter drei Gesichtspunkten in den Blick genommen werden: Die Entgrenzung der Märkte, die Aufwertung des Geldes zu einem hegemonialen Medium, der Imperativ des wirtschaftlichen Wachstums.
Christoph Deutschmann

Die Entgrenzung der Märkte in historischer und theoretischer Sicht

Frontmatter
Kapitel 2. Der Geist des Kapitalismus – Szenarien zwischen Fortschrittsglauben und Wachstumszwang
Zusammenfassung
Der moderne Kapitalismus stellt kein bloß „mechanisches“ System dar, sondern bildet die Hinterlassenschaft der aus der schottischen Moralphilosophie des 18. Jahrhundert stammenden liberalen Botschaft und ihres überwältigenden historischen Erfolges. Wie alle modernen Gesellschaftsentwürfe hatte auch diese Botschaft freilich ihre „blinden Flecken“. Die Umsetzung der Botschaft brachte daher keineswegs nur die versprochenen Wohlstands- und Freiheitsgewinne, sondern auch neuartige soziale Polarisierungen, wirtschaftliche Wachstumszwänge und ökologische Zerstörungen.
Christoph Deutschmann
Kapitel 3. Die Entgrenzung der Märkte als Problem der Gesellschaftstheorie
Zur Kritik staatszentrierter Gesellschaftstheorien
Zusammenfassung
‚Globalisierung‘ ist zu einem ‚catch-all‘-Begriff geworden, aber eine überzeugende gesellschaftstheoretische Interpretation der mit ihm gemeinten Entwicklungen steht bis heute aus. Der viel kritisierte „methodische Nationalismus“ scheint sich in jüngster Zeit in der Soziologie wie der Politischen Ökonomie wieder stärker zu verbreiten. Die sich hier abzeichnende theoretische Sackgasse kann – so die These des Beitrages – durch eine erneute Auseinandersetzung mit der liberalen Theorietradition und ihrer Wirkungsgeschichte überwunden werden, die darauf zielt, den globalen Markt nicht länger aus dem Kreis normativ relevanter Sozialverhältnisse auszuschließen. Die Argumentation mündet in ein relationales Verständnis von Globalisierung, das sich auf die Frage nach tragfähigen Kombinationen zwischen globaler und lokaler Vergesellschaftung konzentriert.
Christoph Deutschmann
Kapitel 4. Entgrenzte Märkte und die Rationalitätsfiktionen der ökonomischen Theorie
Zusammenfassung
Die heutige Ökonomik ist längst nicht mehr „Nationalökonomie“. Sie hat es vielmehr mit entgrenzten Märkten zu tun, die nicht nur weit über nationale Grenzen hinausgewachsen sind, sondern auch das „Innenleben“ der Gesellschaft immer stärker dominieren. Entgrenzte Märkte stellen nicht länger nur ein Teilsystem innerhalb der Gesellschaft dar, sondern das umfassendste Sozialsystem. Das wirft das aus der Gesellschaftstheorie bekannte erkenntnislogische Problem auf: Es gibt keinen möglichen Beobachterstandpunkt, von dem aus entgrenzte Märkte als Totalität in den Blick genommen werden können. Die ökonomische Theorie hat es bis heute versäumt, sich diesem Problem zu stellen. Stattdessen hat sie Zuflucht zu Rationalitätsfiktionen verschiedener Art genommen, die das Problem der Kontingenz ihres Gegenstandes verdrängen.
Christoph Deutschmann
Kapitel 5. Die Marx’sche Klassentheorie – oft totgesagt, aktueller denn je
Zusammenfassung
Die Marx’sche These der Polarisierung der Klassen im modernen Kapitalismus beruht auf einer auf Zuspitzung angelegten Geschichtsdeutung, die heute ihre politische Legitimität verloren hat und auf berechtigte Kritik seitens der soziologischen Forschung gestoßen ist. Was die Tendenz zur Konzentration des Kapitalbesitzes in den Händen einer winzigen sozialen Minderheit betrifft, ist das Marx’sche Modell jedoch keineswegs gegenstandslos, wie kürzlich Thomas Piketty nachgewiesen hat. Nicht haltbar sind dagegen die Marx’schen Annahmen der sozialen Homogenisierung der Arbeiterklasse und seine Unterschätzung der sozialen Aufstiegsdynamik im Kapitalismus. Diese stößt jedoch gerade in der Gegenwart auf Grenzen, die, wie der Beitrag zeigt, auf den unvermindert aktuellen Klassencharakter der Gesellschaft im Sinn von Marx zurückzuführen sind.
Christoph Deutschmann

Geld und soziale Integration

Frontmatter
Kapitel 6. Geld als universales Inklusionsmedium moderner Gesellschaften
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die Bedeutung des Geldes für soziale Inklusion und entwickelt im ersten Schritt eine Kritik gängiger Definitionen von Armut und sozialer Exklusion. Dauerhafte Einkommensarmut – so lautet die These – stellt keineswegs eine nur „materielle“ Benachteiligung dar, sondern ist Exklusion. Begründet wird diese These durch eine Kritik an der medientheoretischen Konzeptualisierung des Geldes durch Luhmann. Unter Rückgriff auf Simmel wird argumentiert, dass Geld in einem globalen kapitalistischen System nicht nur die Rolle eines funktional spezifizierten Kommunikationsmediums unter anderen, sondern eines universalen Mediums spielt. Vor diesem Hintergrund ist auch die in vielen empirischen Untersuchungen dokumentierte Schlüsselrolle der Einbindung in den Nexus von Geld und Arbeit für soziale Teilhabe auch in anderen Bereichen zu erklären. Im dritten Schritt wird ein dynamisches Modell geldvermittelter Prozesse sozialer Inklusion und Exklusion skizziert, das auch Licht auf aktuelle sozialstaatliche Reformen wirft.
Christoph Deutschmann
Kapitel 7. Die Dynamik des Konsums und die moralische Integration moderner Gesellschaften – ein Konzeptualisierungsversuch
Zusammenfassung
Die meisten Konsumsoziologen sind sich heute darin einig, dass der moderne Erlebniskonsum und seine Dynamik zur Bildung sozialer Identitäten beitragen und in diesem Sinn eine „moralische“ Funktion erfüllen. Eine Gegenposition dazu hat Daniel Bell mit seiner Kritik an den sozial desintegrativen Wirkungen des Konsumhedonismus eingenommen. Der Beitrag zeigt, dass beide Positionen sich vereinbaren lassen, wenn man die Konsumentenrolle nicht länger isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang mit den Arbeitsrollen und den sozialen Mobilitätsprozessen der Konsumenten analysiert. In Anlehnung an das klassische „Trickle down“-Konzept wird ein Mehrebenmodell der Konsumdynamik entwickelt, das zwischen Anerkennung, Disziplinierung und Distinktion als moralischen Funktionen des Konsums unterscheidet.
Christoph Deutschmann
Kapitel 8. Der Glaube der Finanzmärkte
Manifeste und latente Performativität in der Wirtschaft
Zusammenfassung
Die These von der „Performativität“ wirtschaftswissenschaftlicher oder finanzwirtschaftlicher Modelle gewinnt seit einiger Zeit in der Wirtschaftssoziologie an Einfluss. Ziel des Beitrages ist es, die Performativitätsthese in einer allgemeineren theoretischen Perspektive diskutieren. Aus wissenssoziologischer Sicht lässt sich zunächst argumentieren, dass nicht nur Finanzmärkte, sondern soziale Realität überhaupt „performativ“ konstituiert ist; der Unterschied liegt allein darin, ob diese Performativität manifest bzw. beobachtbar ist oder nicht. Im einem weiteren Schritt wird der Frage nachgegangen, wie unbeobachtbare Performativität gleichwohl durch das Medium Geld repräsentiert werden kann; dazu wird das aus der Religionssoziologie Luhmanns stammende Konzept der „Chiffre“ eingeführt. Ausgehend von der These vom Chiffrencharakter des Geldes wird anschließend ein Modell der Beziehung zwischen Finanzmärkten und sog. „Realwirtschaft“ skizziert; Ziel ist es, die Bedeutung manifester und latenter Performativität in beiden Sphären genauer zu bestimmen.
Christoph Deutschmann
Kapitel 9. Geld und individuelle Freiheit bei Georg Simmel
Zusammenfassung
An die Stelle des noch um die Jahrtausendewende in Wissenschaft wie Politik dominierenden Globalisierungsoptimismus ist heute ein Grabenkampf zwischen unversöhnlich scheinenden Positionen entstanden: „Communitarians“ auf der einen „Cosmopolitans“ auf der anderen Seite. Der Beitrag zeigt, dass ein Rückgriff auf die Analysen Simmels zur Klärung dieser Kontroverse beitragen kann. In Simmels Werk lassen sich zwei Lesarten von Individualisierung unterscheiden: eine strukturtheoretische und eine geldtheoretische. Die strukturtheoretische Lesart von Individualisierung, die Simmel in seinen differenzierungstheoretischen Analysen entwickelt, kommt den heutigen kommunitaristischen Positionen nahe. Die vor allem in der „Philosophie des Geldes“ entwickelte geldtheoretische Lesart der Individualisierung dagegen nimmt zentrale Motive der heutigen Globalisierungsdiskussion vorweg. Der Vergleich der beiden Perspektiven ist zugleich geeignet, die Konfliktträchtigkeit der heutigen Konstellation soziologisch zu erhellen.
Christoph Deutschmann

Innovation und wirtschaftliches Wachstum: Soziologische Analysen

Frontmatter
Kapitel 10. Moderne Ökonomie ohne Wachstumszwang: ein Wunschtraum?
Zusammenfassung
Eine kapitalistische Wirtschaft „muss“ wachsen, aber wo kommt dieser Wachstumsimperativ her? Und wie ist zu erklären, dass gerade die entwickelten kapitalistischen Länder immer weniger in der Lage sind, dem selbstgesetzten Wachstumsimperativ gerecht zu werden? Konventionelle ökonomische Wachstumstheorien sind nicht in der Lage, diese Fragen befriedigend zu beantworten. In dem Beitrag wird ein soziologisches Mehrebenen-Modell skizziert, das neue Antworten auf die Frage bietet, warum die Bäume kapitalistischer Dynamik nicht in den Himmel wachsen.
Christoph Deutschmann
Kapitel 11. Piketty und die Zukunft des Kapitalismus
Zusammenfassung
Der Beitrag enthält eine Kritik von Thomas Piketty’s bekannter Abhandlung „Kapital im 21. Jahrhundert“. Piketty analysiert die aktuellen Krisen des Kapitalismus auf der Basis langfristiger, international vergleichender Zeitreihenanalysen; im Zentrum steht das Problem der exzessiven Ungleichverteilung und zugleich des starken Wachstums der Vermögen in den westlichen Industrieländern. Pikettys Analyse ist freilich auf die Verteilungsseite des wirtschaftlichen Prozesses konzentriert, es fehlt eine überzeugende Untersuchung der Produktion und der Determinanten des Wachstums. In dem Beitrag wird (anknüpfend an Beitrag 10) ein soziologisches Mehrebenenmodell zur Erklärung des Wirtschaftswachstums skizziert, das im Ergebnis die Krisendiagnose Pikettys bestätigt und dazu beitragen kann, sie überzeugender zu begründen.
Christoph Deutschmann
Kapitel 12. Bürgerliche Kultur und kapitalistische Dynamik
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht kapitalistisches Wachstum als kulturelles Phänomen. Bürgerliche Karrieren – so wird gezeigt – entwickeln sich im Spannungsfeld zwischen den objektivierten und den subjektiv inkorporierten Werten der bürgerlichen Kultur („Habitus“ nach Bourdieu). Löst die Spannung sich auf, kommt es nicht nur zu persönlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen. Die Auflösung der Spannung kann auf prinzipiell zwei verschiedene Weisen erfolgen: Durch „Objektivierung“ wie durch „Subjektivierung“. Während die erste Variante für die Krisen des Unternehmertums vor dem ersten Weltkrieg charakteristisch war, scheint die zweite Variante der „Subjektivierung“ für die Gegenwart prägend zu sein.
Christoph Deutschmann
Backmatter
Metadata
Title
Trügerische Verheißungen: Markterzählungen und ihre ungeplanten Folgen
Author
Prof. Dr. Christoph Deutschmann
Copyright Year
2020
Electronic ISBN
978-3-658-28582-1
Print ISBN
978-3-658-28581-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28582-1