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Leviathan

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01-03-2009 | Aufsätze

Wie erklärt sich kollektives Handeln?

Der Social Capital-Ansatz und eine alternative Theorie für fehlendes Freifahren

Author: Dr. Philipp H. Lepenies

Published in: Leviathan | Issue 1/2009

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Zusammenfassung

Warum sind einige Länder entwickelt, andere nicht? Und warum funktioniert die Demokratie an einigen Orten besser als an anderen? Vor genau 15 Jahren versuchte Robert Putnam diese Fragen mit seiner Social-Capital Theorie zu beantworten. Darüber hinaus löste er mit seinem Ansatz anscheinend auch ein Rätsel der ökonomischen Theorie: Wie erklären sich kollektives Handeln und das Fehlen von Freifahrern? Laut Putnam wird Freifahren immer dort verhindert, wo das aggregierte Social Capital einer Gesellschaft besonders ausgeprägt ist. In diesem Artikel wird dieser „ökonomische“ Aspekt der Theorie von Putnam hervorgehoben. Zugleich wird gezeigt, dass Putnam nicht erklären konnte, aus welchen intrinsischen Gründen der Einzelne vom Freifahren abgehalten wird. Im Rückgriff auf Überlegungen Albert O. Hirschmans wird eine komplementäre Erklärung für fehlendes Freifahrerverhalten aufgezeigt.

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Für die USA stellte Putnam in einer weiteren Studie fest, dass Amerikaner, die in ihrer Freizeit kegeln, dies immer öfter alleine und immer seltener in organisierten Bowling-Vereinen taten. „Bowling Alone“ wurde so nicht nur die eingängige Umschreibung einer amerikanischen Freizeit-Realität, sondern der Titel des wohl bekanntesten Aufsatzes von Robert Putnam zu Social Capital (1995, 2000). So banal das Bild des einsamen Keglers anmuten mag, hatte es im Rahmen der Social Capital-Theorie doch eine hohe Symbolwirkung. Wenn die Assoziierung der Bürger in Clubs den Bestand an Social Capital einer Gesellschaft bestimmt, aber immer weniger Menschen in Vereinen kegeln und sich auch sonst immer weniger assoziieren, erodiert der fruchtbare Boden, auf dem alleine wirtschaftlicher Fortschritt gedeihen kann – auch in Amerika.

Zwischen den Jahren 1990 und 1992 listet der Social Science Citation Index nur 5 Artikel auf, die sich mit dem Thema Social Capital befassten. Diese Zahl stieg nach der Publikation von Putnams Making democracy work von 11 Artikeln in 1994 auf 125 Artikel im Jahr 1999 und 234 Artikel im Jahr 2002 an. Im Jahr 2008 ergab eine Suche von „Social Capital“ auf Google über 3 Millionen Treffer.

Siehe die Papers von Collier (1999), Grootaert (1998) und Rossing Feldman u. Assaf (1998).

Siehe auch Putnam (2002).

Das ursprüngliche Konzept des Social Capital stammt nicht von Putnam. Loury (1977), Bourdieu (1985) und Coleman (1990) gehören zu den prominentesten ersten Autoren der Theorie – ohne einen direkten Bezug zu kollektivem Handeln herzustellen.

Für Fukuyama (1995) ist Social Capital sogar gleichbedeutend mit „trust“, er unterscheidet zwischen „low-trust“ und „high-trust societies“. Arrow argumentierte bereits 1974, dass wirtschaftliche Unterentwicklung mit einem Mangel an Vertrauen einher gehe: „Among the properties of many societies whose economic development is backward is a lack of mutual trust“ (Arrow 1974, S. 26).

Die Rolle der Reziprozität für soziale Interaktionen beschreibt Polanyi (1944).

Matthäus 25, Vers 29: „Denn jedem, der etwas hat dem wird noch mehr gegeben werden, und er wird übergenug haben“, der Begriff „Mathew Effect“ stammt von Merton (1975).

Hirschman (1984) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von „moral resources“, die sich im Gegensatz zu normalen Gütern bei Gebrauch nicht abnutzen und verbrauchen, sondern vermehren.

Indikatoren erfolgreicher Regionalparlamente in der Untersuchung von Putnam: Stabilität der Kabinette; termingerechte Budgeterstellung; Qualität des vorhandenen statistischen Materials; ökologische, soziale und wirtschaftspolitische Reformgesetzgebung; Anzahl der von anderer Regionen übernommenen Gesetze vs. eigene Gesetze mit Innovationscharakter; Anzahl von Kitas; Anzahl von Polikliniken; Wirtschaftspolitik; Kapazität, Effizienter Einsatz von Geldern der Zentralregierung für die Landwirtschaft; Ausgaben für örtliche Krankenstationen; erfolgreiche Stadtentwicklungspolitik; Dauer von bürokratischen Arbeitsabläufen.

Dies entspricht in etwa dem Verhalten, das Hirschman in seinem entwicklungspolitischen Klassiker The strategy of economic development mit der Bezeichnung „group-focused image of change“ umschreibt (Hirschman 1988, S. 11 ff.).

Grootaert (1998) zeigt in einer Tabelle über 50 (!) verschiedene angewandte Indikatoren von Social Capital. Dasgupta schreibt: „We don’t quite know what we should be measuring“ (Dasgupta 2002, S. 7).

Die Bezeichnung dieses Verhaltens als „Voice“ darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die hier vorgestellte Theorie nicht mit Hirschmans „Exit-Voice-Ansatz“ (vgl. Hirschman 1970) identisch ist. Dort sollten die geeignetsten Feedback-Mechanismen analysiert werden, mit deren Hilfe Institutionen notwendige Informationen erhalten, um ihr defizitäres Angebot an Waren oder Dienstleistungen optimal den Bedürfnissen der Konsumenten anzupassen. Hier geht es jedoch – als direkte Reaktion auf die Publikation Mancur Olsons – um die Erklärung kollektiven Handelns, um den Wechsel eines Akteurs von der privaten in die öffentliche Sphäre.

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Title: Wie erklärt sich kollektives Handeln?
Der Social Capital-Ansatz und eine alternative Theorie für fehlendes Freifahren
Author: Dr. Philipp H. Lepenies
Publication date: 01-03-2009
Publisher: VS-Verlag
Published in: Leviathan / Issue 1/2009
Print ISSN: 0340-0425
Electronic ISSN: 1861-8588
DOI: https://doi.org/10.1007/s11578-009-0003-z

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