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2022 | Book

Das Virus im Netz medialer Diskurse

Zur Rolle der Medien in der Corona-Krise

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About this book

Die Corona-Krise gewinnt durch die digital-mediale Verbreitung eine beunruhigende Präsenz, der sich niemand entziehen kann. Dabei handelt es sich nicht nur um die aktuelle journalistische Berichterstattung, sondern auch um das Netz der digitalen Kommunikationen, die das Virus in verschiedenen ästhetischen Formen repräsentieren und reflektieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Visualisierungen der Pandemie vom allzeit präsenten Ikon des Virus bis zu den Datengrafiken der Durchseuchung. Mit diesen Mitteln entwickelt sich ein visuelles Regime, das wiederum in die mediale Berichterstattung und die Pandemie-Kommunikation zurückwirkt.Damit reagiert das Buch auf die aktuelle Pandemie und bietet eine breitgefächerte Aufarbeitung der unterschiedlichen medialen Repräsentationen des Virus.Das Buch vertritt einen dezidiert digital-medienwissenschaftlichen Ansatz, der die Medialität des Virus und der kontroversen Diskurse der Pandemie mit ihren komplexen und heterogenen Aspekten dokumentiert und analysiert. Damit unterscheidet es sich signifikant von stärker publizistischen oder soziologisch ausgerichteten Studien.

Table of Contents

Frontmatter

Krisenberichterstattung in Fernsehen und Presse

Frontmatter
1. Corona und Medien: Analyse- und Reflexionslinien von Krisenjournalismus
Zusammenfassung
Der Beitrag analysiert aus einer medien- und kultursemiotischen Perspektive die Berichterstattung des Jahres 2020 zum Coronavirus exemplarisch anhand der Sondersendungen ARD extra – Die Coronalage und ZDF Spezial, um spezifische Inszenierungsstrategien und potenzielle Problemfelder von Krisenjournalismus zu diskutieren. Ein Fokus wird dabei auf der Krise als Erzählmodell, dem Verhältnis zur Politik und weiteren verhandelten gesellschaftlichen Ideologien, insbesondere den gerade auch in der Krise verstärkt zutage tretenden Ideologemen der Leistungsgesellschaft, liegen. Die Untersuchung wird flankiert von einer kursorischen Analyse von äquivalenten Tendenzen der Berichterstattung in weiteren medialen Formaten. Abschließend ziehen wir methodisch-theoretische Schlussfolgerungen aus dem medialen und gesellschaftlichen Umgang mit medienkritischen Studien im Krisenzeitraum und reflektieren in diesem Zusammenhang das krisenspezifische Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Journalismus.
Dennis Gräf, Martin Hennig
2. Visualisierung einer Pandemie
Corona-Nachrichtenberichterstattung im Verlauf und am Beispiel der ARD-Tagesschau vom 1. März 2020 bis 31. Mai 2020
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag untersucht die Nachrichtenberichterstattung der ARD-Tagesschau vom 1. März 2020 bis 31. Mai 2020. Im Fokus der Analyse steht die Visualisierung des neuartigen Corona-Virus und die Frage, wie dieser den deutschen Betrachter*innen im Untersuchungszeitraum, vom Ausbruch der Pandemie bis zum beginnenden Abflachen der Infektionszahlen vermittelt wurde. Leitende Fragen der Analyse sind, welche Bilder für die Vermittlung des Virus gewählt wurden und wie emotional/informativ die Berichterstattung ausfiel? Mittels einer quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse soll Menge, Länge und Charakter der Corona-Meldungen ergründet werden und Rückschlüsse auf das Format Tagesschau gezogen werden. Nach der empirischen Untersuchung folgt eine Einordnung der Ergebnisse in das aktuelle Nachrichtenmanagement und in den Kontext der derzeitigen visuellen Kommunikation in den Medien sowie ein Ausblick
Miriam Goetz
3. „Die Mutanten werden uns überrennen“: Krisenberichterstattung zur Corona-Pandemie zwischen Information, Panikmache und Disziplinierung
Zusammenfassung
Krisenberichterstattung entwirft das Bild einer bedrohlichen Weltlage, die uns nicht besonders beunruhigt, solange uns die jeweilige Krise nicht direkt betrifft. Das änderte sich mit der Corona-Pandemie. Durch ihre Konzentration auf die Brennpunkte des Geschehens jagten die Medien der Bevölkerung Angst und Schrecken ein. Damit schlug die ‚Stunde der Exekutive‘. Im Namen der Gesundheitsfürsorge wurden mit einem ‚Lockdown‘ grundlegende Freiheitsrechte vorübergehend außer Kraft gesetzt, was von den meisten Medien und damit auch vom größten Teil der Bevölkerung als notwendig akzeptiert wurde. Statt Ihre Rolle als vierte Gewalt und Hüter demokratischer Rechte angemessen wahrzunehmen, breitete sich in Presse, Radio und Fernsehen ein Verlautbarungs-Journalismus aus, der ein patriarchalisches Narrativ vom ‚Vater Staat‘ und seinen unmündigen Kindern etablierte. Die Stimmung schlug in den Medien und der Öffentlichkeit um, als zu Beginn des Jahres 2021 neue Impfstoffe zugelassen wurden und die Europäische Union im Impf-Ranking der Industriestaaten plötzlich das Schlusslicht bildete. Der bislang favorisierte ‚starke Staat‘ erschien nunmehr als zögerlich, bürokratisch und ineffektiv. Mit Beginn der dritten Welle der Pandemie im Frühjahr 2021 schlug das Pendel neuerlich um. Seither begleitet der Wechsel von Restriktionen und Lockerungen den Verlauf der Pandemie.
Peter Zimmermann

Pandemie und Fernsehunterhaltung: zwischen Ablenkung und Therapie

Frontmatter
4. Fun, Facts und Viren
Corona in der Fernsehunterhaltung
Zusammenfassung
Der Beitrag analysiert neben Veränderungen der Programmplanung und der Produktion, ausgewählte Fernsehformate, die während der Corona Pandemie seit 2020 im deutschen Fernsehen kurzfristig konzipiert und ausgestrahlt wurden. Einen Kernbereich bildet die Thematisierung von Corona im Programmschwerpunkt Fiktion und etablierten non-fiktionalen Unterhaltungsangeboten. Dazu zählen vor allem neben Talk- und Kochformaten, Comedy Reihen oder Übertragungen von Karneval-Veranstaltungen. Themenschwerpunkte und Dramaturgien umfassen verschiedene Funktionspotenziale. Dazu zählen u. a. die Bereiche Komplexitätsreduktion, kritisch ironische Reflexion und Eskapismus.
Joan Kristin Bleicher
5. Quarantäne als Therapie: Corona-Miniserien
Zusammenfassung
Der Text beschäftigt sich mit Reaktionen auf die Corona-Pandemie in narrativen Fernsehformaten in Deutschland und den USA. Mainstream Formate des Unterhaltungsfernsehens meiden das Thema Covid 19 und verlautbaren offen, dass sie Eskapismus ermöglichen und Wiederholbarkeit gewährleisten wollen. In dieser Lücke sind Nischenprodukte, Corona Mini-Serien wie Drinnen, Ausgebremst oder Social Distance, entstanden. Der Artikel entwickelt, wie über meist traumatisierte weibliche Hauptfiguren Quarantäne als Erzählung über Krisen bewältigende ‚Therapie‘ entwickelt wird.
Gabriele Dietze
6. Televisuelle Geisterspiele
Das abwesende Studiopublikum und die Transformation massenmedialer Kommunikation
Zusammenfassung
Gähnende Leere in den Städten, gespenstische Ruhe im Fußballstadion – in der Zeit der Kontaktbeschränkungen wurde die COVID-19-Pandemie durch gespenstische Abwesenheiten greifbar. Auch Fernsehproduktionen mit Studiopublikum mussten im März 2020 von heute auf morgen auf die Anwesenheit, den Applaus und das Gelächter eines Publikums verzichten. Der Beitrag untersucht, wie politische Late-Night-Shows in Deutschland und den USA das Studiopublikum und seine zentrale Funktion ersetzen – dient es doch als hochgradig inszenierter Stellvertreter des Fernsehpublikums. Die Manipulation des Publikums lässt sich bis zur ‚Claque‘ des Pariser Opernbetriebs im 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Wenn diese im Fernsehstudio nun fehlt, fehlt auch eine Atmosphäre der ‚Geselligkeit‘ und die Vorstellung einer Rezeptionsgemeinschaft. Es entstehen andere Adressierungsformen und Strategien der emotionalen Berührung unter Abwesenden, die sich nicht mehr auf die Vorstellung der ‚Masse‘ beziehen.
Anne Ulrich

Die Pandemie im Internet und den Social Media: zwischen (Des)Information, Prävention und Überlebenshilfe

Frontmatter
7. Wahrheit und Falschheit in Twitter
Zum Umgang der Plattform mit dem Coronavirus
Zusammenfassung
Im Zuge der globalen Coronapandemie erweiterte das Unternehmen Twitter die Gemeinschaftsstandards der Plattform um eine Richtlinie zu Informationen bezüglich des Virus’ und führte eigens technische Funktionen ein, um die Sichtbarkeit verlässlicher Informationen zum Virus zu erhöhen. Diese Funktionen sowie die Richtlinie zum Coronavirus deuten implizit einen Wandel von Twitters Verständnis von Wahrheit auf der Plattform an. Twitters Maßnahmen sowie die Selbstdarstellungen des Unternehmens werden vor dem Hintergrund verschiedener Wahrheitskonzepte nachvollzogen, um auf dieser Grundlage ein eigenes wahrheitsbasiertes Verfahren zur Content-Moderation zu skizzieren.
Samuel Breidenbach, Peter Klimczak
8. Halt in haltloser Zeit
Audio-Podcasts als mediale Leitbilder in der Corona-Krise am Beispiel von Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten und Fest & Flauschig Zuhause
Zusammenfassung
Angesichts der ansteigenden deutschen Audio-Podcast-Nutzung im Jahr 2020 und der spärlich vorliegenden wissenschaftlichen Literatur zu der Motivation für den Podcast-Konsum oder zu den Interaktionsmöglichkeiten zwischen Podcast-Konsumenten und -Macher*innen werden auf der Grundlage der Uses-and-Gratification-Theorie konkrete Motive für die Rezeption des Coronavirus-Update mit Christian Drosten (26. Februar bis 23. Juni 2020) als Wissenschaftspodcast und der Fest & Flauschig Zuhause-Ausgaben (18. März bis 23. April 2020) als Unterhaltungspodcast aufgezeigt. Anhand von ausgewählten Sendungsinhalten und kommunikativen Strategien wird exemplarisch illustriert, welche kognitiven Hörer*innen-Bedürfnisse hauptsächlich Das Coronavirus-Update adressiert und worin die affektiven, integrativ-habituellen und medial-interaktiven Motive für die Fest & Flauschig-Rezeption begründet sind. Beide Reihen dienen zwar primär der Information oder der Unterhaltung. Dennoch vermögen sie durch die fast tägliche Ausstrahlung im ersten deutschen Lockdown 2020, ihrer Hörerschaft Halt und Orientierung zu geben, und sie ermöglichen den Rezipient*innen, eine solidarische Haltung zur globalen Corona-Krise zu entwickeln.
Désirée Kriesch
9. Ernährungsbotschaften im #corona-Diskurs auf Twitter
Zusammenfassung
Der Beitrag stellt die Frage, inwieweit die erhöhte Relevanzzuschreibung von Ernährung innerhalb der Corona-Krise auf Twitter kommunikativ sichtbar wird. Grundlage der Analyse ist ein Datensatz, der im 14 Tage Rhythmus des zweiten Halbjahrs 2020 generiert wurde. Mittels einer Netzwerkanalyse sollen gewichtige Stimmen und deren Beziehungen innerhalb des Diskurses identifiziert werden. An 14 Stichtagen wurde ein Gesamtdatensatz von 774 Tweets erhoben. Vier übergeordnete Themen (u. a. Impfstoff, Fleischkonsum) und zwei Randthemen (Kochen, Bewegung) wurden identifiziert. Private Accounts ergeben die größte Gruppe, was in Anbetracht der geringen Nutzung der deutschen Gesamtbevölkerung bemerkenswert ist. Ein Erklärungsansatz wäre, dass die Thematik Ernährung jede*n angeht. Ein großer Anteil der privaten Akteur*innen des Datensatzes besteht aus Corona-Leugner*innen. Der Diskurs enthält zwar relevante politische und wissenschaftliche Akteur*innen, diese kommunizieren jedoch nur Randthemen.
Charmaine Voigt, Tobias D. Höhn
10. Infektion im Internet
Ursprung, Evolution und Medienpraxis von Memes am Beispiel Corona-chan
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die Begriffsgeschichte von Memes und die Medienpraxis des Memeing. Dazu führt er in den biologischen Ursprung des Begriffs ein und beleuchtet den Begriffswandel im Internet. Drei Evolutionsstufen ließen sich dabei identifizieren: (1) Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins prägt Memes als kulturelle Viren, die sich durch Imitation von Verstand zu Verstand übertragen. (2) Im Internet werden Memes später mit dem konkreten Phänomen der Image Macros analogisiert. (3) Durch die Desubstantivierung von Memes hat schließlich eine Ausweitung des Begriffs auf unterschiedlichste Internet-Phänomene und -Praktiken begonnen. Letzteres wird an dem Beispiel von Corona-chan analysiert. In dem ersten Internet-Meme zum Coronavirus im Anime-Stil spiegelt sich einerseits ein Umgang mit der Pandemie wider. Anderseits zeigt Corona-chan, wie Memeing während der Pandemie in den Subkulturen von 4chan und Reddit praktiziert wird.
Kevin Pauliks

Datenpolitiken und Verschwörungsideologien

Frontmatter
11. Kybernetische Datenpolitik und Verschwörungsideologien
Der diffuse kollektive Körper der Pandemie
Zusammenfassung
Ausgehend von den Überlegungen zum kollektiven Körper des Viralen werden die Darstellungen der Pandemie in den öffentlich-rechtlichen Medien auf ihren Gehalt als Visualisierung wissenschaftlicher Ereignisse analysiert und auf ihren Unterhaltungswert hin überprüft. Es wird argumentiert, dass die Semantisierungen und Visualisierungen der Pandemie in den öffentlich-rechtlichen Medien die gouvernementalen Aspekte der Pandemie wie auch der Biotechnologien hervorheben. Dem stehen die affektiven Semantisierungen und Kommunikationsformen der Querdenker-Bewegung gegenüber, die einen kollektiven Volkskörper zu konstruieren suchen.
Angela Krewani
12. Die Irritation der Irritation
Corona-Verschwörungstheorien in der vernetzten Medienkultur
Zusammenfassung
In Krisenzeiten haben Verschwörungstheorien stets Hochkonjunktur. Diese Diagnose unterstellt eine anthropologisch fundierte Konstante von kulturinvarianter und überhistorischer Gültigkeit, die sich angesichts der momentan grassierenden Corona-Krise nur ein weiteres Mal zu bestätigen scheint. Und doch stellt die aktuelle Lage das gesellschaftliche Immunsystem zur Abwehr einer drohenden Desinformations-Pandemie auf eine in diesem Ausmaß noch nie dagewesene Probe. Als beispielloses Medienereignis bietet die Corona-Krise ein ideales Einfallstor für den verschwörungstheoretischen Verdacht. Angesichts der unsicheren Nachrichtenlage über eine weitgehend unsichtbare Gefahr treten in jeder Berichterstattungsphase bestimmte Unschärfen und Irritationen auf, die Verschwörungstheorien als Rohstoff für ihre narrative Szenariengestaltung dienen. Diese wirken wiederum als Irritation auf die Massenmedien zurück, so dass sich Massenmedien und Verschwörungstheorien gewissermaßen wechselseitig mit Irritation versorgen.
Carolin Lano
13. Flatten the Curve – Pandemic Dashboards & Tracing-Apps
Datenpolitiken und ihre Visualisierungen in der Corona-Krise
Zusammenfassung
Dieser Beitrag widmet sich der besonderen Bedeutung, die sog. Corona-Dashboards in der gesellschaftlichen Vermittlung der COVID-19-Pandemie einnehmen. Vor dem Hintergrund des dynamischen Infektionsgeschehens, das im medialen Diskurs primär als Verhaltensproblem diskutiert wird, nehmen Dashboards in drei Dimensionen wesentliche Funktionen für die Eindämmung des Virus ein: praktisch, epistemologisch und legitimatorisch. Gemessen an historischen Vorformen stellen sie zudem ein bisher unerreichtes Beispiel für die (selbst)regulatorischen Effekte von öffentlichen Statistiken dar, mit dem sich neben der zahlenförmigen Weltbetrachtung auch eine enorme Veralltäglichung zugrunde liegender Tracking- und Tracing-Praktiken verbindet.
Thorben Mämecke

Gesellschaftliche Auswirkungen und Visualisierungen der Pandemie

Frontmatter
14. Mensch – Medium – Corona
Zur Koevolution menschlicher Selbstentwürfe
Zusammenfassung
Dieser Beitrag stellt Überlegungen zu den ko-evolutionären Prozessen zwischen Mensch, Netzinfrastrukturen und Viren während der Corona-Pandemie an. Phänomene, die für den Menschen nicht direkt sichtbar sind, bedürfen einer ästhetischen Übersetzung und entsprechen damit kulturellen Programmatiken. Diese Programmatiken nehmen ihren Ausgang in den entwicklungsoffenen Verfahren des sich in-Beziehung-setzen, die jeder menschlichen Selbstorganisation zugrunde liegt. Die Auseinandersetzung mit den ästhetisch-medialen Aspekten ist entsprechend auf die Entwicklungszusammenhänge von Mensch, Medium und Umwelt gerichtet, aus denen sich ein möglicher Neuentwurf denken lässt.
Jiré Emine Gözen, Sebastian Sierra Barra
15. #WirBleibenZuhause
Häuslichkeit als Disziplinarmaßnahme, Tugend und Kulturtechnik
Zusammenfassung
Zu Beginn der Corona-Pandemie startete das deutsche Bundesministerium für Gesundheit die Aktion Zusammen gegen Corona – #WirBleibenZuhause: In kurzen Videos inszenierten und dokumentierten sich Prominente in ihrem häuslichen Umfeld und warben dafür, sich zuhause die Zeit zu vertreiben. Die Protagonist*innen adressierten in den Videos insbesondere bürgerliche Praktiken des häuslichen Lebens und erhoben diese zu sinnstiftenden Tätigkeiten der Selbstermächtigung. Die durch die Pandemie verschärften Herausforderungen, die durch ‚Home-Office‘, ‚Care-Arbeit‘, aber auch durch häusliche Gewalt, Einsamkeit oder Obdachlosigkeit entstehen, wurden in der Video-Aktion hingegen weitestgehend ausgeblendet. Ausgehend von dieser Beobachtung vertrete ich die These, dass sich die ‚Kulturtechniken des Zuhause-Bleibens‘ in einem Umbruch befinden und dass die Frage, was sie jenseits einer disziplinierenden Maßnahme und einer gesellschaftlichen Tugend implizieren, derzeit äußerst virulent ist.
Robin Schrade
16. OBSERVE! An Inanimate Virus (Animated)
Beobachtungen zu Visualisierungen des Virus und der COVID-19-Pandemie als kollektiver Text
Zusammenfassung
Der Beitrag skizziert unterschiedliche medienwissenschaftliche Beobachtungen zu visuellen Identitäten des SARS-CoV-2-Virus und der COVID-19-Pandemie, die 2020 und 2021 im öffentlichen Diskurs in den sozialen und professionellen Medien zirkulieren. In vier Kapiteln werden (1) Visualisierungen des Virus, (2) Kontexte, Funktionen und Interpretationen seiner medienvermittelten visuellen Identität, (3) Visualisierungen der Pandemie und ihrer Ausbreitung sowie (4) wiederum deren mediale Kontexte, Funktionen und Interpretationen thematisiert und mit Überlegungen zu Wissenschaftskommunikation, Entertainment und persönlichen Bewältigungsstrategien verknüpft. Der Text ist das Ergebnis eines kollaborativen, experimentellen Schreibprozesses über die Pandemie in der Pandemie, der im Frühjahr 2020 begann und im Februar 2021 während des noch immer dynamischen Infektionsgeschehens sein (vorläufiges) Ende nahm. Er ist damit auch Ausdruck einer Kollektivität der Erfahrungen trotz räumlicher Isolation.
Judith Ellenbürger, Erwin Feyersinger, Martina R. Fröschl, Björn Hochschild, Katrin von Kap-herr, Sebastian R. Richter, Maike Sarah Reinerth, Janina Wildfeuer

Pandemiefilme und Computerspiele

Frontmatter
17. „Darkness and Decay and the Red Death held illimitable dominion over all.“
Zur Darstellung von Pandemien im Spielfilm
Zusammenfassung
Im Gefolge von Wolfgang Petersens erfolgreichem Thriller Outbreak (1995) entstanden im 21. Jahrhundert zahlreiche Filme, die sich mit dem Ausbruch, dem Verlauf, der Bekämpfung und/oder den Auswirkungen einer Epidemie befassen. Obwohl diese Produktionen im Zuge der Coronakrise zum Teil beachtliche Popularität erlangten, legen sie nur selten Wert auf wissenschaftliche und medizinische Korrektheit und stehen eher in der Tradition des Katastrophenfilms oder des postapokalyptischen Films. Wie schon der literarische Prototyp dieses Genres, Daniel Defoes A Journal of the Plague Year (1722), verwenden die Filme das Motiv der Epidemie häufig allegorisch, etwa im Sinn politischer, kultureller oder moralischer Degeneration. Aus vielen einschlägigen Filmen sprechen zudem xenophobe Tendenzen und ein Unbehagen vor den Auswirkungen der Globalisierung.
Tobias Helbig
18. Spielfilm als Pandemie-Panorama mehrdeutiger Reproduktion
Zur politischen Wahrnehmung entgründeter Beziehungsweisen um 2020
Zusammenfassung
Der Beitrag thematisiert Pandemiefilme aus den Jahren 2016 bis 2020, die in vielen Aspekten wie Prophetien der aktuellen Corona-Pandemie wirken. Dabei geht es nicht nur um die Dramaturgie und Botschaft dieser Dystopien, sondern insbesondere um deren Wirkungsweise in Hinblick auf die filmische Wahrnehmung und um die Entgründung scheinbar stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse und der damit verbundenen Verunsicherung der Protagonist*innen wie der Zuschauer*innen. Durchgespielt werden auch Überwachungs-, Reglementierungs- und Überlebensstrategien in Zeiten der Seuche, die der aktuellen Corona-Krise ähneln.
Drehli Robnik
19. Gemeinsame Boten der Einsamkeit
Über das (Wieder)erleben von Kontaktmetaphern in Death Stranding
Zusammenfassung
Dass die melancholische Postapokalypse von Death Stranding (Kojima Productions, 2019) einmal die emotionalen Folgen einer realen Katastrophe in unheimlicher Präzision abbilden würde, konnte im Herbst 2019 noch niemand ahnen. Nur ein halbes Jahr später jedoch erleben Videospieler weltweit Death Stranding und dessen Helden, den Lieferboten Sam Porter Bridges, der auf Grund seiner essenziellen Tätigkeit als kontaktschaffende Lebenslinie zwischen in Isolation lebenden Sozialeinheiten fungiert, mit einem neuen Verständnis von Einsamkeit und der Macht kontaktloser Gesten.
Dieser Beitrag untersucht den Wandel der Rezeption von Death Stranding in einer von Pandemie geprägten Retrospektive. Er illustriert den Erfahrungshorizont des Spieler-Avatar-Komplexes, abgesteckt von den zeitgenössisch relevanten Schlüsselanglizismen essential work(er), lockdown und social distancing.
Felix Schniz
Backmatter
Metadata
Title
Das Virus im Netz medialer Diskurse
Editors
Prof. Dr. Angela Krewani
Dr. Peter Zimmermann
Copyright Year
2022
Electronic ISBN
978-3-658-36312-3
Print ISBN
978-3-658-36311-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36312-3

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