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2023 | OriginalPaper | Chapter

7. Die Parallelprojektierung als Sozialform der Pro-Anorexie

Author : Anja Schünzel

Published in: "Thinspire me"

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden die Interaktionsbeziehungen der TeilnehmerInnen an Pro-Ana in den Blick genommen. Es konnte die These entwickelt werden, dass sich TeilnehmerInnen in einer Art „Parallelprojektierung“ wechselseitig zum Abnehmen inspirieren und motivieren: Ihre Gleichheit in Bezug auf Projektziele und -dokumentationen ermöglicht es ihnen, sich online etwa in Wettbewerben zu messen und einander als Gemeinschaft zu erfahren. Ihre Differenzen im Projektfortschritt bilden hingegen die Voraussetzung dafür, leuchtende Vorbilder unter ihren MitstreiterInnen zu finden, die den Glauben an die Machbarkeit eines pro-anorektischen Gewichtsabnahmeprojekts in entscheidendem Maße stützen. Anders als zu vermuten wäre, stellt die physische Distanz der Onlinekommunikation kein Hindernis für die Sozialbeziehungen der TeilnehmerInnen dar, sondern wirkt vielmehr als ein stabilisierendes Moment dieser sozialen Welt.

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Footnotes
1
Die Grafik nimmt Bezug auf Abbildung 6.​1. Sie ist aus Gründen der Anschaulichkeit stark vereinfacht. Die einzelnen Pfeile bedeuten, wie bereits in Abbildung 6.​1 erläutert, den Handlungsentwurf, mit dem der Ausgangskörper in den Zielkörper überführt werden soll. Empirisch unterscheiden sich vor allem die Ausgangsgewichte und in geringerem Maße auch die Zielgewichte der TeilnehmerInnen teils drastisch voneinander. Während der Anfang eines Weight-loss-journeys häufig noch klar zu bestimmen ist, verhält es sich mit dem Ende anders. Durch Rückschritte und Projektunterbrechungen verschiebt sich das Projektende häufig auf unbestimmte Zeit nach hinten, was durch Pfeile in der Grafik markiert ist. Neben dem zumeist offenen Ende sind in der Grafik des Weiteren durch ein Kreuz der aktuelle Projektfortschritt sowie durch Abstandsmarken auf den Pfeilen die Zwischenziele der TeilnehmerInnen vermerkt. Letztere wurden in unterschiedlichen Abständen auf den drei Pfeilen verortet, um die Differenz der Zwischenziele zwischen den TeilnehmerInnen darzustellen.
 
2
URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​3669819-58-and-11; Zugriff: 6.02.2019. Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 18.12.2019) nur für registrierte Mitglieder einsehbar.
 
3
Vermutlich werden aus diesem Grund in Thinspiration-Blogs typischerweise keine Körperbilder integriert, die „nur“ Zwischenziele abbilden.
 
4
Dieses Modell und die dazugehörige schriftliche Erläuterung sind teilweise, in abgewandelter Form auch in Schünzel (2019) erschienen.
 
5
Freundschaftliche Beziehungen können natürlich auch zwischen TeilnehmerInnen auftreten, die füreinander Thinspirationen darstellen oder in denen eine TeilnehmerIn als Thinspiration gilt.
 
6
Diese Form der Thinspiration scheint jedoch ein Randphänomen in Pro-Ana darzustellen und ist als ‚fat-shaming‘ inzwischen zum Beispiel in mpa verboten. Aus diesem Grund spielt sie für das Fortbestehen Pro-Anas vermutlich eine eher untergeordnete Rolle.
 
10
Auch TeilnehmerInnen an symmetrischen Beziehungen können mit der Zeit füreinander Vorbild oder Negativfolie werden, wenn beispielsweise einige TeilnehmerInnen schnellere Fortschritte im Projekt machen als andere.
 
11
Die Vorbilder können in der Regel von ihren nacheifernden MitstreiterInnen keine brauchbaren Ratschläge erwarten, weil letzteren in der Regel das gelebt und erfahrene Körperwissen erfolgreichen Hungerns fehlt.
 
12
Hier gewinnt ein weiteres Datum, auf das ich im Verlauf meiner Forschung gestoßen bin, an Bedeutung. Viele body checks und Thinspiration-Bilder sind in der Regel gesichtslos, d. h. der Kopf bzw. das Gesicht der abgebildeten Person wurde aus dem Bild entfernt. Dies mag häufig aus Gründen der Anonymisierung geschehen. Darüber hinaus wird die Gesichtslosigkeit der Thinspiration von TeilnehmerInnen geschätzt, da sie sich auf diese Weise leichter in ihr Gegenüber, d. h. die fotografierte Person, versetzen können, wie etwa das mpa-Mitglied Zelandoni mir gegenüber im Online-Interview erklärt: „I personally prefer faceless thinspo because it allows me to focus on their body and not their face. A thin body is achievable but you can’t change much about your face“ (Zelandoni; Online-Interview).
 
13
Die vorgestellten Strategien lassen sich im Kontext der Forschung zu Online-Communities auch als Maßnahmen lesen, mit denen Gemeinschaften ihr Überleben zu sichern versuchen. Zu diesen gehört etwa die Etablierung von Normen, die Verhaltenskontrolle und die Bestrafung derjenigen TeilnehmerInnen, die abweichen (Honeycutt 2005; Yeshua-Katz 2015).
 
14
URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​348635-history-of-pro-ed-internet-communities/​?​hl=​%20​return2darkness2​; Zugriff: 18.07.2016. Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 18.12.2019) nur für registrierte Mitglieder einsehbar.
 
15
URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​69292-do-you-miss-old-pro-ed-sites/​page-5#entry1107213; Zugriff: 18.07.2016. Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 18.12.2019) nur für registrierte Mitglieder einsehbar.
 
16
URL: https://​web.​archive.​org/​web/​20060715044732/​http://​www.​plagueangel.​net/​grotto/​id1.​html; Zugriff: 18.12.2019. Die Website ist archiviert bei archive.org. Die Webseite, von der das Zitat stammt, wurde am 15.7.2006 bei archive.org erfasst.
 
18
Konkrete Zahlen über das Wachstum Pro-Anas liegen meines Wissens nicht vor. Auf der Grundlage der Forschungsliteratur, von mir geführter Interviews, aber auch einschlägiger mpa-Threads zur Geschichte Pro-Anas kann jedoch die These formuliert werden, dass ab den frühen 2000er Jahren ein starker Wachstumsprozess einsetzte, der auch neue, unerfahrene Interessierte anzog. Vgl. etwa Giles (2006, 464) und Bachmann (2012, 68). Als Beispiel für einen einschlägigen mpa-Thread kann hier der Thread „First wave of pro-ana...“ [URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​479406-first-wave-pro-ana/​, Zugriff: 19.12.2019] angeführt werden.
 
20
Siehe zum Begriff der „Subjektposition“ Abschnitt 3.​2.
 
21
Bei Pica bzw. dem Pica-Syndrom handelt es sich um eine seltene Form der Essstörung, bei der Personen Substanzen zu sich nehmen, die eigentlich nicht für den Verzehr geeignet sind, wie z. B. Erde, Exkremente oder Kreide.
 
22
Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 2.1.2020) nur für registrierte Mitglieder einsehbar. https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​1618186-eating-disorder-heirarchy/​page-3; Zugriff: 2.1.2020.
 
23
URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​1618186-eating-disorder-heirarchy/​; Zugriff: 4.05.2017. Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 2.1.2020) nur für registrierte Mitglieder einsehbar.
 
25
URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​1260385-ednos-people-on-the-an-forum/​; Zugriff: 7.1.2019. Das mpa-Mitglied JanJan hat inzwischen seinen Forennamen in „Maybe_I’m_CraJay“ [Stand: 30.07.2021] geändert.
 
27
Die Regel wurde zunächst allein in den „General Announcements“ hinterlegt. Im Jahr 2017 wurde sie schließlich noch einmal im Unterforum „General ED Discussions“ verlinkt, weil sich dort seit längerer Zeit ein sogenanntes „Neulinge schikanieren“ („Newbie Hazing“) etabliert hatte, in dessen Zuge neue Mitglieder, welche nach Tipps und Tricks zu fragen wagten, als Wannabe Anas diffamiert und beschimpft wurden. [URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​1606626-newbie-hazing-the-bullshit-ritual-that-stops-now/​; Zugriff:5.8.2019]. Der zitierte Thread ist zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit (Stand: 3.1.2020) nur noch für registrierte Mitglieder einsehbar.
 
31
Die Netiquette bezeichnet „vor allem diejenigen Regeln […], die sich bereits weitgehend etabliert und bewährt haben, entfalten aber gerade gegenüber neuen Nutzern und bei Streitfällen auch präskriptive Steuerungsfunktionen. Ihre Wirkung basiert nicht auf Gesetzen und rechtlichen Sanktionen, sondern auf der Macht der Überzeugung, das heißt es lassen sich für alle Regeln ‚gute‘ Gründe im praktisch-moralischen Sinne finden. Verstöße gegen die Netiquette können nur sozial sanktioniert werden, also durch die anderen Nutzer und ggf. auch durch Moderatoren (Chat) oder Systemoperatoren. Die Mittel der Wahl sind Hinweise auf Verstöße, auch das öffentliche Anprangern, die Androhung der ‚Exkommunikation‘ und der zeitweilige oder dauerhafte Ausschluss aus der Nutzergemeinschaft durch Ignorieren der Beiträge oder gar durch das technische Löschen des Accounts“ (Beck 2010a, 148).
 
35
Wie ich aus Interviews mit TeilnehmerInnen an Pro-Ana und aus Forenthreads herausarbeiten konnte, gibt es jedoch Orte, an denen das Kommunikationsverhalten der sogenannten Wannarexics nicht bzw. weniger auf Kritik stößt. Dies sind vor allem Social Media Sites, wie Tumblr, auf denen vorwiegend Thinspiration-Bilder und Thinlines gerebloggt werden und es weniger um die Performanz eines essstörungsbezogenen Wissens geht.
 
36
Die pro-anorektische BMI-Grenze wurde hier mit 18,5 bestimmt. Dieser Wert wird von den TeilnehmerInnen an Pro-Ana in der Regel als erster Meilenstein auf dem Weg zu einem anorektisch-dünnen Körper betrachtet, da er die Grenze zum Untergewicht bestimmt. Im 2022 erschienenen Diagnosemanual ICD-11 wurde der Wert zudem als neue Gewichtsgrenze für die Anorexia nervosa eingeführt. Diese neue Grenzziehung wurde zur Zeit der Datenerhebung in Pro-Ana bereits zur Kenntnis genommen, wodurch auch der Grenzbereich zwischen 18,5 und 17,5 eine gewisse Aufwertung unter den TeilnehmerInnen erfahren zu haben scheint.
 
37
Auch diese Pole können das Ziel von Körperprojekten werden, etwa bei BodybuilderInnen oder bei „FatgainerInnen“. Letztere streben zum Beispiel bewusst durch eine hochkalorische Ernährung einen (häufig stark) übergewichtigen Körper an (vgl. Kapitel 8).
 
38
In Abbildung 7.6 sind die Projektverläufe erneut durch Pfeile gekennzeichnet.
 
39
Der dazugehörige BMI-Wert wird dabei in der Regel bei ca. 17 verortet, wie etwa „FruitWhore“ im Webforum mpa erklärt: „[…] regular thinspo is usually no lower than 17 or 18 […]“ (FruitWhore; mpa-Thread: “Thinner than thinspo, but not bonespo” [URL: https://​www.​myproana.​com/​index.​php/​topic/​408550-thinner-than-thinspo-but-not-bonespo/​page-125#entry9298702; Zugriff: 9.1.2020].
 
Metadata
Title
Die Parallelprojektierung als Sozialform der Pro-Anorexie
Author
Anja Schünzel
Copyright Year
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42842-6_7

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