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29-04-2020 | Energie + Nachhaltigkeit | Schwerpunkt | Article

Wie die Corona-Krise die Luft in Ballungsräumen verändert

Author: Frank Urbansky

3:30 min reading time

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Berichte über sauberere Luft während der Corona-Krise klingen logisch. Während die CO2-Emissionen tatsächlich zurückgehen, ist das bei Feinstaub und Stickoxiden jedoch nicht der Fall.

2018 und 2019 prägte eine Debatte um Fahrverbote die Mobilitätspolitik. Das lag zum einen an den Tricksereien der Autoindustrie, zum anderen an der sehr stark verschmutzten Luft in einigen Ballungsgebieten. "Die Aufgabe umweltpolitischer Instrumente besteht […] darin, umweltpolitische Qualitätsziele in individuelles Handeln zu transformieren […]. Die Instrumente wirken in der Regel auf die Emissionen, können sich aber auch an den Immissionen orientieren, wie etwa Fahrverbote, die beim Überschreiten von Feinstaubbelastungen der Luft in städtischen Ballungsräumen erlassen werden", beschreibt Springer-Gabler-Autor Roland Menges in seinem Buchkapitel Umweltökonomik auf Seite 663 einige politische Mittel dagegen.

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Umweltökonomik

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Mit der Corona-Krise wird Verfechtern und Gegnern solch drastischer Maßnahmen ein Experimentierfeld geboten, anhand dessen man überprüfen kann, was Fahrverbote bringen würden. Denn der Individualverkehr nahm deutlich ab.

Beobachtungen über langen Zeitraum nötig

Der Klima- und Atmosphärenforscher Johannes Orphal vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bestätigt, dass sich die Luftverschmutzung in Ballungsgebieten um den Faktor zehn reduziert habe. "Das nimmt man wahr. Das war ja schon die ganze Zeit ein großes Thema – Luftqualität, Feinstaub – und jetzt sieht man das mal", so der Wissenschaftler. Welche Auswirkungen diese Verbesserung der Luftqualität habe, müsse man allerdings über einen längeren Zeitraum beobachten.

Das wäre auch gut, denn so eindeutig ist die Sache mit der sauberen Luft, die man aufgrund des etwa eineinhalbmonatigen Lockdowns sehen könnte, eben nicht. Einer der Schwerpunkte in der Diskussion um die Luftbelastung ist Stuttgart. Die Stadt sorgt regelmäßig für Negativ-Schlagzeilen aufgrund schlechter Luftwerte. Die Messungen der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) geben eine Luftverbesserung durch den Lockdown, bei dem die täglichen Verkehrsspitzen um die Hälfte reduziert wurden, jedoch überhaupt nicht her. Im Gegenteil: Vor dem 16. März 2020 war die Luft in Stuttgart sogar sauberer als während des Lockdowns – und das, obwohl damals noch mehr geheizt wurde als in der relativ warmen zweiten März- und der ersten Aprilhälfte.

So lag in Stuttgart-Bad Cannstatt die NOx-Belastung vom 8. bis 15. März nur an einem Tag über 50 Mikrogramm je Kubikmeter, vom 15. bis 22. März und vom 23. bis 30. März jeweils an vier Tagen, vom 31. März bis 6. April an sechs Tagen und vom 7. bis 13. April an fünf Tagen. Bei Feinstaub  zeigt sich ein ähnliches, parallel zur NOx-Belastung verlaufendes Bild (mehr dazu hier).

Verbrenner haben weniger Einfluss als angenommen

Ähnliche Messungen und Beobachtungen wurden auch in Berlin gemacht. Ein Grund könnte sein, dass das Wetter seit Beginn des Lockdowns von Hochdruckgebieten geprägt und damit relativ windarm war, wodurch die Schadstoffe nicht großflächig verteilt wurden. Allerdings bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass Verbrennungsmotoren keinen so starken Einfluss auf die Luftqualität in Ballungsräumen haben wie bisher angenommen, sondern dass das Wetter eine deutlich größere Rolle spielt.

Auf der anderen Seite beweisen Satellitendaten aus dem Copernicus-Programm der europäischen Raumfahrtagentur ESA, dass seit März 2020 einige Ballungszentren in Frankreich, Spanien, Norditalien und Westdeutschland bis zu 30 Prozent weniger mit NOx belastet sind als ein Jahr zuvor. Allerdings müssten auch hier die Wetterlagen miteinander abgeglichen werden. Ein Rückschluss, inwieweit der Lockdown für die geringere Belastung verantwortlich ist, ist derzeit nicht möglich. Gesicherte Erkenntnisse sind sowieso nur durch bodennahe Messungen möglich, etwa durch die weiter oben beschriebenen in Stuttgart.

Für voreilige Schlüsse ist es also noch zu früh. "Noch ist der Zeitraum zu kurz, um valide Schlüsse zu ziehen", schätzt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts (UBA). Experten brauchen die Daten von mehreren Monaten, um halbwegs verlässlich einen Einfluss verschiedener Faktoren auf die Luftqualität zu bestimmen.

Unabhängig von eventuellen Corona-Effekten müssen Städte jedoch auch weiterhin aktiv handeln, um die Belastung durch Luftverschmutzung für ihre Bewohner zu senken. "Im Kontext des voranschreitenden Klimawandels nimmt die stadtklimatische Belastung zu. Klimaschutz und Klimaanpassung in der Stadt sind deshalb zurzeit wichtige Aktionsfelder der nachhaltigen Stadtentwicklung", beschreibt dies Springer-VS-Autor Jörg Dettmar in seinem Buchkapitel Stadtnatur auf Seite 723.

Alle tagesaktuellen Beiträge rund um die Corona-Krise finden Sie hier

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