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2007 | Book

Ernährungsalltag im Wandel

Chancen für Nachhaltigkeit

Authors: a.o.Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl-Michael Brunner, Mag. Sonja Geyer, Mag. Marie Jelenko, Mag. Dr. Walpurga Weiss, Mag. Florentina Astleithner

Publisher: Springer Vienna

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Table of Contents

Frontmatter
1.. Ernährungspraktiken und nachhaltige Entwicklung — eine Einführung
Auszug
Das folgende Kapitel wird in die Thematik des Buches einführen und das theoretische Rahmenkonzept der Studie verdeutlichen. Im ersten Abschnitt wird auf die Bedeutung nachhaltiger Entwicklung und nachhaltigen Konsums eingegangen. Der zweite Abschnitt ist dem Zusammenhang von Ernährung und nachhaltiger Entwicklung gewidmet. Im dritten Abschnitt werden in mehreren Schritten Bausteine zu einer Theorie der Ernährungspraktiken entwickelt, die den konzeptionellen Rahmen der empirischen Untersuchung bildet.
Karl-Michael Brunner
2.. Methodologie und methodische Vorgehensweise
Auszug
Zentrale Intention unseres Projekts war die Untersuchung der alltäglichen Ernährungspraktiken der Österreicherinnen und Österreicher. Folgende Leitfragen standen im Zentrum: Wie sind die Ernährungspraktiken strukturiert, aus welchen Gründen verändern sie sich, wie entwickeln sie sich in den Kontexten von Arbeit, Freizeit, Familie und öffentlichen Diskursen und welche Chancen und Restriktionen ergeben sich daraus in Bezug auf Nachhaltigkeit? Im Gegensatz zur bisherigen, weitgehend quantitativ-naturwissenschaftlich ausgerichteten Ernährungsforschung wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Während quantitativ orientierte Forschungsmethoden vorrangig das Ziel verfolgen, bestehende Theorien bzw. Hypothesen mittels vorab konstruierter Erhebungsinstrumente (z.B. anhand eines Fragebogens) zu überprüfen, sollte mit dem qualitativen Vorgehen eine Zugangsweise ermöglicht werden, ernährungsspezifische Phänomene aus praxistheoretischer Perspektive in das Blickfeld zu nehmen, diese tiefer gehend zu analysieren, eigene Theorien über den Untersuchungsgegenstand zu entwickeln und in Folge zu verallgemeinernden Aussagen über alltägliche Ernährungsprozesse im Nachhaltigkeitskontext zu gelangen (Flick 1995; Heinze 1992; Lamnek 1993).
Sonja Geyer
3.. Ernährungsorientierungen
Auszug
Einer der Ausgangspunkte unseres Projektes ist die Frage nach den Voraussetzungen von nachhaltigen Ernährungspraktiken im Alltag. Dies betrifft sowohl Orientierungen, die nachhaltige Ernährungspraktiken fördern bzw. hemmen als auch institutionelle und strukturelle Bedingungen, die die Umsetzung von Ernährungsorientierungen im Alltag beeinflussen. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf Ernährungsorientierungen.
Marie Jelenko
4.. Essen und Kochen im Alltag
Auszug
Was ist eine Mahlzeit? Wie und was wird gekocht? Wo und wann werden Speisen konsumiert? Wie gestaltet sich Ernährung im Berufsalltag und in der arbeitsfreien Zeit? Wie essen beispielsweise Alleinlebende, Familien mit Kindern oder ältere Personen? Welche Organisationsleistungen kommen im alltäglichen Umgang mit Ernährung zum Tragen? — Diese Leitfragen haben in Bezug auf Essen und Kochen unser Forschungsinteresse geleitet und sollen in diesem Abschnitt einer intensiveren Betrachtung unterzogen werden. Im Anschluss daran werden anhand des Faktors „Zeit“ als maßgeblicher, struktureller Determinante Anknüpfungspunkte und Hindernisse für nachhaltige Entwicklung diskutiert.
Sonja Geyer
5.. Geschlechtsspezifische Ernährungspraktiken
Auszug
Nahrungsmittel und Speisen können als geschlechtsspezifisch codierte Zeichen gesehen werden, über die Bedeutungen kommuniziert werden. Sie dienen der symbolischen Positionierung als Mann bzw. Frau. Bei der sozialen Konstruktion von Geschlecht (Gender) spielen „alimentäre Praktiken“ eine bedeutende Rolle, denn Ernährungshandeln hat einen direkten Körperbezug und kann deshalb gut dazu instrumentalisiert werden, unter Rückgriff auf die „natürliche“ Qualität von Ernährung den Konstruktionscharakter von Geschlecht zu verschleiern (Setzwein 2004). Nach Geschlecht differenzierende Ernährungsstudien weisen auf starke Unterschiede der Ernährungsgewohnheiten von Frauen und Männern hin. Typisch weibliche Vorlieben sind demnach frisches Obst und Gemüse sowie Vollkorn- und Milchprodukte. Männer bevorzugen demgegenüber rotes Fleisch und Alkohol sowie deftige, stark gewürzte Speisen (Prahl/Setzwein 1999). Männliche Orientierungspunkte beim Essen sind Sättigung und Genuss, weibliche dagegen Schlankheit und Gesundheit (Setzwein 2004). Hier wird ein Bild von kräftigen, aktiv-männlichen und zurückhaltenden, passiv-weiblichen Essenden vermittelt, das sich jedoch sehr schnell ändert, wenn Ernährungsverantwortlichkeiten ins Blickfeld geraten. Denn Ernährung ist einer jener Bereiche im Haushalt, der weitgehend unangetastet in weiblicher Hand liegt, und das trotz rapide gestiegener weiblicher Erwerbsbeteiligung. Während sich Frauen aktiv um das kulinarische und gesundheitliche Wohlergehen der Haushaltsmitglieder kümmern (müssen), treten Männer in erster Linie als „Verzehrer“ in Erscheinung. Die Rolle des Mannes in diesem Zusammenhang als rein passiv zu bezeichnen, würde aber seiner realen Gestaltungsmacht beim Essen nicht gerecht werden.
Marie Jelenko
6.. Gesundheit
Auszug
In diesem Kapitel geht es um die Zusammenhänge von Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit. Was Gesundheit mit Nachhaltigkeit zu tun hat, verdeutlicht folgendes Zitat: „Der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Gesundheit liegt auf der Hand: Gesundheit ist auf eine nachhaltige Entwicklung, die ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliche Lebensbedingungen und den Respekt von kulturellen Charakteren anstrebt, angewiesen. Umgekehrt kann das gesellschaftliche Ziel der Nachhaltigkeit nicht ohne die Erfahrung individuellen Wohlbefindens und die Erkenntnis von Zusammenhängen zwischen diesem und ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Fragen dauerhaft erreicht werden“ (Paulus/Stoltenberg 2002, 8).
Walpurga Weiss
7.. Alimentäre Biographien — Kontinuitäten, Umbrüche, Veränderungen
Auszug
Wir haben im Einleitungskapitel im Zuge der Entwicklung unseres Kontextualisierungsmodells auch auf gesellschaftliche Makrotrends in ihren Auswirkungen auf Ernährungspraktiken verwiesen. Der gesellschaftliche Wandel wirkt sich auf Ernährungsprozesse aus, wenn auch meist nicht in linearer Weise, sondern vielfältig gebrochen. Auch alimentäre Sozialisationsprozesse und Biographien spielen sich innerhalb der von Entwicklungstrends eröffneten Handlungsspielräume ab. Gleichzeitig haben Biographien aber immer auch etwas unreduzierbar Individuelles, da sie mit subjektiven Erfahrungs- und Verarbeitungsprozessen zu tun haben. Geschmack ist zwar sozial geformt, aber immer auch eine Form des leiblichen Befindens, eine komplexe Sinneswahrnehmung, die individuelle Züge trägt (Setzwein 2004).
Karl-Michael Brunner
8.. Waldhausen — Ernährungsprozesse in einer ländlichen Kleingemeinde
Auszug
Zur Kontrastierung mit dem großstädtischen Kontext haben wir eine Gemeindestudie in einer kleinen österreichischen Landgemeinde durchgeführt. 32 Dabei wurden neben KonsumentInnen auch Personen aus dem Ernährungssektor (Gastronomie, Landwirtschaft, Ernährungsgewerbe, Handel) und aus dem öffentlichen Leben (GemeindefunktionärInnen, Angestellte im Dienstleistungsbereich der Gemeinde) befragt. Diese Interviewten waren in doppelter Hinsicht relevant: Zum einen als InformantInnen über die Gemeinde und den jeweiligen beruflichen Bereich, zum anderen aber auch als alltägliche KonsumentInnen, die ihren Ernährungsalltag zu bewältigen haben. Großstädtische Ernährungspraktiken sind dadurch gekennzeichnet, dass KonsumentInnen meist nur mehr geringe direkte Beziehungen zur Landwirtschaft haben und in hohem Maße auf Fremdversorgung angewiesen sind. Deshalb wurde als Kontrastfolie bewusst eine Gemeinde ausgewählt, die geschichtlich auf eine landwirtschaftliche Struktur zurückblicken kann und auch heute noch zumindest teilweise landwirtschaftlich geprägt ist.
Karl-Michael Brunner
9.. Fleischkonsum als Kriterium für nachhaltige Ernährungspraktiken
Auszug
Fleischprodukte zählen zu jenen Lebensmitteln, denen eine große emotionale Bedeutung zugemessen wird, das heißt, sie sind symbolisch aufgeladen, haben eine hohe kulturelle Wertigkeit und sie wecken starke Reaktionen. Der Fleischkonsum erhält als Kriterium für nachhaltige Ernährungspraktiken aber auch deshalb besonderes Gewicht, weil insbesondere die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen durch die industrielle Fleischproduktion einen beträchtlichen Anteil am nicht-nachhaltigen Entwicklungstrend der Gegenwartsgesellschaften haben. Außerdem verschärft der weitgehend uneingeschränkte Fleischkonsum der Reichen die globale soziale Ungleichheit, da u.a. die mit Kraftfutter (Getreide, Soja etc.) gemästeten Nutztiere zu Nahrungskonkurrenten der Menschen und die benötigten Flächen für Futtermittel immer zahlreicher in den Ländern des Südens beansprucht werden, wo gleichzeitig mehr als 800 Millionen Menschen unterernährt sind (FAO 2004). Dieser Zahl stehen laut Schätzungen des Worldwatch Institutes 1.100 Millionen Menschen gegenüber, die überernährt sind (Krämer/Scheffler 2001), nicht zuletzt aufgrund eines sehr hohen Fleischkonsums.
Florentina Astleithner
10.. Der Konsum von Bio-Lebensmitteln
Auszug
Der Produktion und dem Konsum biologischer Lebensmittel kommt als Nachhaltigkeitskriterium eine große Bedeutung zu. Im Bewusstsein vieler Menschen ist „biologisch essen“ gleich „nachhaltig essen“. Der Anteil des Bio-Konsums am gesamten Lebensmittelkonsum wird oft als zentraler Nachhaltigkeitsindikator für den Bereich Ernährung gesehen (Lass/Reusswig 1999; Rösch 2002).
Karl-Michael Brunner
11.. Regionalität und regionale Lebensmittel
Auszug
Das Sprechen über Regionen, Regionalisierung und Regionalität ist ein relativ junges Phänomen. Die Begriffe stammen ursprünglich aus der Fachsprache von GeographInnen und RaumplanerInnen der 1960er Jahre. Im Laufe der 1980er Jahre gewinnt das „Regionale“ zunehmend an Bedeutung, was in politischen (z.B. „Europa der Regionen“), ökonomischen (z.B. Regionalisierung als Antwort auf die Globalisierung, Wettbewerb der Regionen) und soziokulturellen (z.B. regionale Kultur und Identität, Heimat als Vermarktungsinstrument) Diskussionen zum Ausdruck kommt. Vor allem in der Neuorientierung der Agrarpolitik als integrierte ländliche Entwicklung fand der Gedanke der Regionalisierung Eingang. Auch im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsgedanken (gemäß dem Motto „Think globally, act locally“) gewannen sowohl die Idee einer eigenständigen Regionalentwicklung als auch verschiedene Strategien zur Nutzung endogener Potenziale von Regionen und zur Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe an Bedeutung (Blotevogel 2000; Ermann 2005).
Walpurga Weiss
12.. Ernährungskompetenz und -verantwortung
Auszug
Das normative Konzept von nachhaltigem Konsum ist eng mit der Vorstellung von KonsumentInnen als kompetenten und verantwortlichen AkteurInnen verknüpft. Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Konsumkompetenz zielen auf den Ausbau von produktivem statt passivem und kompensatorischem Konsum, auf Bedürfnisorientierung statt Produktorientierung und auf Zufriedenheit statt Entfremdung ab (Scherhorn et al. 1997). Dabei werden Konsumentinnen (und seltener Konsumenten) als Haushaltsakteurinnen (bzw. Haushaltsakteure) gedacht, die in ihren Handlungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt beeinflusst sind und umgekehrt auch auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt einwirken. In Zusammenhang mit diesen Mikro-Makro-Wechselwirkungen sind komplexitätsverarbeitende Daseinskompetenzen wichtig, welche „die Qualität der Beteiligung an allen gesellschaftlichen Teilsystemen unter den gegenwärtigen komplexen Bedingungen maßgeblich bestimmen“ (Kaufmann 2000, 46). Im Zuge gesellschaftlicher Transformationsprozesse und der zunehmenden Verflechtung der Haushalte mit marktlichen und nichtmarktlichen Institutionen spricht Thiele-Wittig von der „Neuen Hausarbeit“ 47, die vermehrt Orientierungs-, Abstimmungs- und Integrationsfähigkeit von den HaushaltsakteurInnen verlangt. Dabei unterscheiden sich die für die „Neue Hausarbeit“ erforderlichen Kompetenzen insofern von jenen für „traditionelle Hausarbeit“, als „sie sich auf die Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen und auf zunehmende Vermittlungsleistungen gegenüber verschiedenen Institutionen beziehen“ (Thiele-Wittig 2003, 4). Die „Neue Hausarbeit“ kann auch in Bezug zu dem in diesem Buch mehrfach erwähnten Konzept alltäglicher Lebensführung gesehen werden (vgl. 1.3.3.).
Marie Jelenko
13.. Chancen und Restriktionen für nachhaltige Ernährung in Österreich. Ein Resümee
Auszug
In diesem abschließenden Kapitel wollen wir in einem ersten Schritt zentrale Ergebnisse unserer Studie nochmals im Hinblick auf Anknüpfungspunkte und Hemmnisse für nachhaltige Ernährung aufgreifen und in nachhaltigkeitspolitischer Perspektive diskutieren. In einem zweiten Schritt werden wir unter Bezugnahme auf unseren theoretischen Ansatz Schlussfolgerungen zu den Bedingungen der Veränderbarkeit von Ernährungspraktiken ableiten und Maßnahmen für nachhaltige Ernährung in Österreich vorschlagen.
Florentina Astleithner, Karl-Michael Brunner
14.. Literaturverzeichnis
Backmatter
Metadata
Title
Ernährungsalltag im Wandel
Authors
a.o.Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl-Michael Brunner
Mag. Sonja Geyer
Mag. Marie Jelenko
Mag. Dr. Walpurga Weiss
Mag. Florentina Astleithner
Copyright Year
2007
Publisher
Springer Vienna
Electronic ISBN
978-3-211-48606-1
Print ISBN
978-3-211-48604-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-211-48606-1