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2015 | Book

Ethnographische Erkundungen

Methodische Aspekte aktueller Forschungsprojekte

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About this book

In diesem Band werden methodische Aspekte ethnographischer Arbeit fokussiert. Unbeschadet dessen erscheint die Reinheit der je eingesetzten Erkundungs- und Deutungstechniken prinzipiell als nachrangig gegenüber der Aufgabe, so Vieles und so Vielfältiges wie möglich über die Welt, in der man sich jeweils bewegt, in Erfahrung zu bringen. Dies gelingt in Ethnographien vorzugsweise dadurch, dass die forschende Person am Leben in ihrem jeweiligen Feld tatsächlich teilhat und dass sie zugleich im Feld so agiert, dass sie es möglichst wenig von äußeren Wertsetzungen her beeinflusst und verändert.Die besondere forscherische Kompetenz der Ethnographie treibenden Person besteht dementsprechend vor allem darin, dass sie in der Lage ist, erkenntnisoptimierend zwischen existenzieller Nähe und analytischer Distanz zu changieren – was insbesondere deshalb so bedeutsam ist, weil Datenerhebung, Datenauswertung und Theoriebildung eben nicht in einer vorweg festgelegten, linearen Abfolge stehen, sondern weil der explorativ-interpretative Forschungsprozess in einer spiralförmigen Bewegung stattfindet.

Table of Contents

Frontmatter
Zur Einleitung
Methodologisch-methodische Aspekte ethnographischer Forschungsprojekte
Zusammenfassung
Als „Ethnographie“ bezeichnen wir die Erkundung, die Beschreibung und das Verstehen des Eigen-Sinns sozialer Lebenswelten. Ethnographien lassen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten auch ‚typisch‘ differenzieren.
Ronald Hitzler, Miriam Gothe

Teil 1 „Old School?“

Frontmatter
Bodybuilder, Brieftauben, Bayernfans
‚Kleine soziale Lebens-Welt‘, ‚Milieu‘ und ‚soziale Welten‘ im Konzeptbestand der hermeneutischen Wissenssoziologie
Zusammenfassung
Der Titel dieses Aufsatzes spielt auf drei empirische Studien an, von denen ausgehend der Konzeptbestand der hermeneutischen Wissenssoziologie erhoben wird. Dabei zeigt sich, dass die drei Begriffe ‚kleine soziale Lebenswelt‘, ‚Milieu‘ und ‚soziale Welten‘ auf die phänomenologische Fundierung der hermeneutischen Wissenssoziologie verweisen, zugleich jedoch in soziologischer Perspektive unterschiedliche Leistungen zu erbringen in der Lage sind.
Dariuš Zifonun
Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles?
Probleme medienethnographischer Forschung am Beispiel einer Kulturanalyse des Pokerns
Zusammenfassung
Heutzutage versteht es sich augenscheinlich beinahe von selbst, dass zahlreiche soziale Lebenswelten mehr oder weniger stark von vielfältigen Internet-Aktivitäten durchdrungen sind. Daraus ergibt sich für die ethnographisch Forschenden allerdings die Frage, wie sie diesem Umstand angemessen Rechnung tragen können, wenn sie sich über längere Zeit in einer bestimmten mediatisierten Kultur bewegen wollen, um deren Eigen-Sinn zu erkunden, zu beschreiben und zu verstehen. Dieses Problem erscheint vor allem dann als virulent, wenn man zu den Grundelementen ethnographischer Forschung nicht nur das Dabeisein zählt, sondern auch die „Herstellung von Forschungssituationen in physischer Kopräsenz mit den Akteuren des zu erforschenden Feldes“ (Strübing 2006, S. 248).
Gerd Möll
Territorialverhalten in einem Pflegeheim
Deutungen des Wohnerlebens von Menschen mit Demenz
Zusammenfassung
Ethnographie soll helfen, Handeln bestimmter Personen für andere „nachvollziehbarer, verständlicher zu machen bzw. Nichtbeteiligten wenigstens ein paar Einblicke und Eindrücke in ihnen mehr oder weniger fremde Welten zu vermitteln“ (Hitzler 2007, S. 215). Fremde Welten sind nicht nur räumlich weit entfernt vorzufinden, wie beispielsweise andere Kulturkreise, vielmehr konstituieren sie sich auch dadurch, dass sie mit einem „befremdenden Blick“ betrachtet werden. In diesem Beitrag ist diese (mehr oder weniger) fremde Welt ein Pflegeheim; genauer ein stationäres, auf das Krankheitsbild Demenz spezialisiertes Pflegeheim. Das bedeutet, dass in sogenannten Wohnbereichen in Pflegeheimen nur Menschen mit Demenz leben und diese Wohnbereiche – nach Meinung sogenannter Experten (beispielsweise Pflegewissenschaftler, Architekten, etc.) – speziell auf körperliche Veränderungen des Alters und auf die kognitiven Beeinträchtigungen der Menschen mit Demenz ausgerichtet sind (Heeg 2008, S. 99ff .). Mein Forschungsinteresse gilt dem Wohnerleben von Menschen mit Demenz, die in einer solchen Einrichtung leben.
Christine Striffler
Forschungsfeld ‚Eventisierte Hochschule‘
Vorüberlegungen zu einem Projekt
Zusammenfassung
Die ‚Wissensgesellschaft‘ sowie die sie flankierenden Hochschulreformen des 21. Jahrhunderts sind von einer steigenden Zahl (außer)universitärer Events aller möglicher Coleur (wie Science Slams, Kinder-Unis usw.) sowie einer generell ‚Spaß‘ suggerierenden Tonart begleitet worden. „Brain up – Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten“, der Slogan mit dem 2004 die Exzellenzinitiative ausgerufen wurde, sei hier exemplarisch genannt.
Tino Perlick

Teil 2 „Kombination von Methoden“

Frontmatter
Im Studio
Felderkundungen zur alltäglichen Praxis des Bodybuildings
Zusammenfassung
Der Einstieg ins praktische ‚Feld‘ erfolgt in einem weiten Verständnis von ‚Teilnahme und Beobachtung‘, das auch eine kleine, quasi ‚präliminarische‘, Fragebogenaktion einschließt. Im zweiten Teil führe ich dann exemplarisch einige ‚Selbst-Bilder‘ von in diesem ‚Feld‘ verorteten, mehr oder weniger ‚normalen‘ Bodybuildern vor, die ich mit der Methode des ‚off enen Interviews‘ evoziert habe und die ich vor allem kategorial ‚zur Sprache bringe‘.
Anne Honer
Praktische Deutungen
Eine komplexe Ethnographie zum Umgang mit Menschen im Wachkoma
Zusammenfassung
Im Folgenden skizziere ich Problemstellungen und Erträge relativ komplex ineinandergreifender ethnographischer und ethnographiebasierter Studien zum Umgang mit Menschen im Wachkoma, die wir seit insgesamt fünf Jahren und die wir intensiv seit Juli 2012 (und bis Juni 2015) in einem von der DFG unter dem Titel „Deutungsmuster ‚Wachkoma‘“ geförderten Forschungsprojekt durchführen (vgl. dazu Grewe 2012). In diesem Projekt geht es uns darum, je die lokale Diagnose- und Therapiepraxis leitende Deutungen bzw. Definitionen des Phänomens in Akutkliniken, Reha-Kliniken, Pflegeheimen und häuslichen Pflegesettings zu registrieren und zu rekonstruieren, in denen Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen behandelt, gepflegt und betreut werden.
Ronald Hitzler
Ethnographische Erkundungen zwischen Sehen und Nicht-Sehen
– im Kontext einer Studie zur Situation von Menschen mit Sehverlust im Alter
Zusammenfassung
Sehen als alltägliche Handlung bewegt sich zwischen geteiltem Sichtbaren im Sinne der Repräsentation einer sozial geteilten Welt und der Konstruktion eines individuellen Wirklichkeitsraumes. An der Vielschichtigkeit des Sehens interessiert üblicherweise bevorzugt seine erkenntnisgenerierende Funktion, weniger der praktische Vollzug.
Carsten Bender, Marion Schnurnberger

„Spezielle Methoden“

Frontmatter
Interkulturelle Gruppenarbeit im internationalen Studienalltag
Ansätze einer anwendungsorientierten lebensweltanalytischen Ethnographie
Zusammenfassung
Der zweisprachige (deutsch-englische) Master-Studiengang ICEUS (Intercultural Communication and European Studies) an der Hochschule Fulda gehört zu jenen Studiengängen, in denen internationale Studierende die Mehrheit bilden und ca. ein Viertel bis ein Drittel der Studierenden Deutsche sind. ICEUS wurde im Wintersemester 1999/2000 gegründet und vom DAAD sowie aus Mitteln der EU gefördert. Mit dem Wintersemester 2013/2014 nahm in Fulda bereits die 15. Kohorte das Studium auf. Eine Studienkohorte bzw. ein Jahrgang umfasst in der Regel zwischen 25 und 32 Studierende. Ihre Mitglieder sind über eineinhalb bis zwei Jahre – in Teilen auch in privaten Kontexten – als Gruppe zusammen sowie aufeinander verwiesen und bilden eine „kleine [interkulturelle] soziale Lebens-Welt“ (Luckmann 1970; Honer 1993, S. 14–32).
Norbert Schröer, Volker Hinnenkamp
Log- und Tagebücher als Erhebungsmethode in ethnographischen Forschungsdesigns
Zusammenfassung
„Einstweilen wird es Mittag“ – wer kennt nicht das berühmte Zitat aus der Marienthal- Studie (Jahoda et al. 1960, S. 70)? Es entstammt einem logbuchartigen Zeitverwendungsbogen, der se inerzeit eingesetzt wurde, um sowohl Tagesverläufe als auch das subjektive Zeitempfindender Marienthaler rekonstruieren zu können. Auch Robert K. Merton (1957) setzte in seiner Studie über die Soziologie der medizinischen Ausbildung ein Tagebuch als Instrument der Alltagsdokumentation ein und wurde über die Einträge der Studierenden dafür sensibilisiert, auf welch unterschiedliche Arten und Weisen das gleiche Ereignis (etwa ein Klausurergebnis) von verschiedenen Personen in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit gedeutet werden kann (vgl. ebd., S. 45f.).
Alexa Maria Kunz
Videodaten interpretieren
– auf der Suche nach Merkmalen von Kreativität
Zusammenfassung
Ausgehend von Daten aus einem laufenden Forschungsprojekt zu Handlungsmustern der Bestimmung von Kreativität wende ich mich in diesem Text den Problemen der Interpretation von audiovisuellem Material zu. Neben Schwierigkeiten, die aus der Eigenart der verwendeten Technologie entstehen, werden die vielschichtigen Interpretationsebenen thematisiert, auf denen die Forschenden agieren, wenn sie Videodaten produzieren, transkribieren und analysieren.
Felix Albrecht
Ethnographie und Bildhermeneutik
Visuelle Daten im Rahmen lebensweltanalytischer Forschung
Zusammenfassung
Visuelle Daten stellen bedeutende und eigenständige Quellen sozialwissenschaftlicher Erkenntnis dar. Daher lohnt es, sich auch in lebensweltanalytischen Forschungskontexten mit den je spezifischen Erzeugungs-, Betrachtungs- und Interpretationspraktiken im Umgang mit visuellen Daten auseinander zu setzen. Aufbauend auf insbesondere seit der letzten Jahrtausendwende zahlreichen beschriebenen und begründeten Verfahren und Herangehensweisen der Bildinterpretation plädieren wir für einen methodischen Dreischritt aus (1) der aus dem Bild heraus begründeten Segmentierung des Materials, (2) der sequenziell vorgehenden hermeneutischen Rekonstruktion des Bildes und (3) der Interpretation des Entstehungs- und Verwendungskontextes im Feld.
Babette Kirchner, Gregor Betz

„New School?“

Frontmatter
Zurück in den Lehnstuhl
Lebensweltliche Ethnographie in interaktiven Medienumgebungen
Zusammenfassung
Die Forschungspraxis der Ethnographie ist streng genommen keine für sich stehende Methode der ‚qualitativen‘ Sozialforschung. Ethnographisches Forschen beschreibt viel mehr eine „auf gegebene Feldbedingungen sensibel reagierende Vorgehensweise“ (Hitzler 2013, S. 1). Sensibel meint in diesem Fall, dass das, was erforscht werden soll, und die dabei eintretenden Situationen maßgeblich sein sollen dafür, worauf bei der Forschung aus dem Fundus des „gesamten Methoden- Arsenals“ (ebd.) zurückgegriffen wird. Dabei verfolgen Ethnographierende nicht das Ziel, eine wie auch immer geartete „Wahrheit über das Feld zu erfassen“ (Dellwing und Prus 2012, S. 54).
Heiko Kirschner
Auf feindlichem Terrain
Gewissheiten und Irritationen infolge existenzieller Eingebundenheiten
Zusammenfassung
Während Anne Honer (1993a, S. 39ff .) noch Anfang der 1990er Jahre gewagt – weil innerwissenschaftlich einigermaßen häretisch – dafür eingetreten war, die subjektiven Erfahrungen stärker in die empirische Sozialforschung einzubeziehen und infolgedessen, in methodischer Hinsicht, für ein praktisches (Mit-)Tun votierte, ist in den letzten zwanzig Jahren genau dieser Ruf, sich nämlich mehr auf das und in das Feld einzulassen (zuletzt Hegner 2013; Schröer et al. 2012), zum mindestens bekannten und zunehmend akzeptierten Ansatz avanciert. Im englischsprachigen Raum hatte etwa der Kriminologe Jeff Ferrell (1998, S. 25) nahezu zeitgleich mit Honer eindrücklich „a research agenda of engagement with subjetcts of study, a methodology that moves beyond objectivity to immersion“ gefordert.
Paul Eisewicht, David Emling, Tilo Grenz
Freundschaftliche Forschung?
Annäherung und Distanzierung beim Betreiben von Ethnographie
Zusammenfassung
Das aufsteigende Hitzegefühl, der Kloß in meinem Hals und der vibrierende Herzschlag während einer Interviewsituation sind die körperlichen Reaktionen, die mir meine Involviertheit als Ethnographin im Rahmen meines explorativ-interpretativen Dissertationsprojektes deutlich signalisierten. Die Bedeutung dieser Situation für meine Forschung, sowohl methodisch als auch inhaltlich, bemerkte ich dann während der (distanzierten) Interpretation der – unten zitierten – Interviewstelle. Bei diesem Aspekt, der sich, retrospektiv betrachtet, wie ein roter Faden durch meine Forschungsarbeit zieht, sich mir jedoch erst durch die analytische Auseinandersetzung in seiner ambivalenten Problematik im Verlauf des Forschungsprozesses erschloss, geht es um die methodische Bedeutung von Annäherung und Distanzierung.
Christine Keller
Ethnographische Gameness
Reflexionen zu extra-methodologischen Aspekten der Feldarbeit im Rockermilieu
Zusammenfassung
Die Möglichkeit, hier meine Erfahrungen mit und meine Ideen zu methodischen Aspekten explorativ-interpretativer Forschung darzulegen, verdanke ich weniger der Zuschreibung als anerkannter Experte der Methodologie und Methodik ‚qualitativer‘ Sozialforschung. Was meine Sprecherposition legitimiert, ist nicht mehr und nicht weniger, als dass ich mit großem Engagement unter schwierigen Umständen jahrelang das gemacht habe, worüber ich jetzt schreiben werde: ethnographische Feldarbeit. Dazu theoretisiere ich nicht nur oder lasse meinen Worten Beschreibungstaten folgen, sondern vice versa.
Christian J. Schmid
Backmatter
Metadata
Title
Ethnographische Erkundungen
Editors
Ronald Hitzler
Miriam Gothe
Copyright Year
2015
Electronic ISBN
978-3-658-07257-5
Print ISBN
978-3-658-07256-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-07257-5