Skip to main content
Top

2012 | Book

Handlung

Neue Versuche zu einem klassischen Thema

Editors: Johann August Schülein, Gerald Mozetič

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SEARCH

About this book

Die Texte versuchen auf verschiedenen Wegen die soziologische Handlungstheorie kritisch zu beleuchten und ihre Entwicklung voranzubringen. Das Spektrum der Beiträge reicht von Versuchen, klassische handlungstheoretische Ansätze weiter zu entwickeln, bis zur Frage nach der Relevanz der Neurowissenschaften für die soziologische Handlungsanalyse; von der Verbindung des Handlungsbegriffs mit dem Konzept der sozialen Mechanismen bis zur Diskussion des Funktionsniveaus von Handlungen.

Table of Contents

Frontmatter
Soziologie und die „Theorie des Handelns“*
Zusammenfassung
Ich habe im Titel des Aufsatzes die Th eorie des Handelns bewußt in Anführungszeichen gesetzt. Der Grund ist, daß zwar – wenn auch nur bedingt – Konsens darüber besteht, was die Soziologie ist, aber innerhalb der Soziologie es keine Einigkeit darüber gibt, was die „Th eorie des Handelns“ oder „Handlungstheorie“ ist und welcher Stellenwert ihr in der Soziologie zukommt. Ich möchte einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten, indem ich drei Ebenen der Problematisierung unterscheide, für die die Beschäft igung mit Handlungen und Handeln zentral ist. (Ich werde diese Begriff e synonym verwenden).
Andreas Balog
Die sozialtheoretische Position und das Mechanismenkonzept Andreas Balogs
Rekonstruktion und weiterführende Kritik
Zusammenfassung
(1) Andreas Balog war in verschiedenen Hinsichten ein Grundlagenforscher. Als solcher wollte er mit seinen Arbeiten auch dazu beitragen, die ausgeprägte und unkoordinierte Paradigmenvielfalt der Soziologie bewältigbarer zu machen. Die dauernde Unklarheit darüber, in welchen Verhältnissen die verschiedenen Ansätze zueinander stehen, hielt er für ein großes Problem der Sozialwissenschaften. In vielen Gesprächen hat er dies immer wieder betont und den Kopf darüber geschüttelt, dass es bis dahin nicht gelungen ist, eine Entwicklung einzuleiten, die hier Abhilfe schaff en kann. Seine Aussage, dass es keine weithin „akzeptierte Antwort auf die Frage gibt, ob die verschiedenen Th eorieansätze einander ergänzen oder ob sie überhaupt miteinander kompatibel sind“ (Balog 2001: 5), macht deutlich, was die Konsequenzen einer solchen Paradigmenvielfalt sind: eine zersplitterte Disziplin, die Forschungsergebnisse anbietet, von denen man nicht weiß, ob sie sich widersprechen oder nicht bzw. wie sie miteinander in Beziehung zu setzen sind. Eine solche Disziplin läuft Gefahr, den Eindruck zu erwecken, dass ihre Produkte beliebig sind.
Rainer Greshoff
Handlungstheoretische Soziologie
Grundlagen und Aussichten eines Forschungsprogramms. Der Beitrag von Andreas Balog
Zusammenfassung
Die (philosophischen und metawissenschaft lichen) Grundlagen der Soziologie sind überaus strittig, denn es existieren mehrere Grenzlinien oder Bruchstellen zwischen augenscheinlich unvereinbaren Ansprüchen. So ist durchweg unentschieden, ob die Soziologie als eine erklärende oder vielmehr beschreibende, typifi zierende, historisch-narrative oder normativ-kritische Wissenschaft zu betreiben sei, ob zu solchen Zwecken Strukturbetrachtungen oder handlungstheoretische Analysen im Vordergrund zu stehen haben und ob sie sich einer realistischen Erkenntnislehre oder doch eher einer konstruktivistischen oder instrumentalistischen Epistemologie verschreiben müsse. Man kann sich angesichts dieser Problemlage leicht ausrechnen, dass die Frage, auf welche theoretische Grundlage die theoretische Soziologie zu stellen ist bzw. wie ihre Forschungsprogramme angelegt werden können, letztlich unbeantwortet geblieben ist. Tatsächlich will es nicht gelingen, die (im Detail ganz unbestimmte) Vielzahl der Paradigmen oder „Soziolekte“, wie Schülein (2008, S. 41) sagt, miteinander ins Gespräch zu bringen, die Kakophonie der epistemologischen Begleitmusik zu beheben und, damit zusammenhängend, den Dauerstreit um die „richtige Methode“ beizulegen.
Michael Schmid
Handlungen in der soziologischen Analyse
Zusammenfassung
Es gibt zentrale Fragen der Soziologie, von deren Beantwortung es abhängt, welche Art und welcher Grad von Wissenschaft lichkeit in diesem Fach überhaupt für erreichbar gehalten werden. Alle, die Soziologie betreiben, gehen explizit oder implizit von bestimmten Annahmen aus, die über Ontologie, Th eorie und Methodik entscheiden. Nach solchen Weichenstellungen bewegt sich die soziologische Arbeit in bestimmten Bahnen und auf bestimmte Ziele hin, welche als Teile eines disziplinären Selbstverständnisses truistischen Charakter annehmen. Die Geschichte der Soziologie zeigt uns ein permanentes Ringen um die Herstellung eines disziplinären Common sense, und sie demonstriert auch ein permanentes Scheitern bei diesem Unternehmen, so etwas wie ein allgemeinverbindliches Paradigma zu fi xieren. Ob hier die Rede von einem „Scheitern“ tatsächlich angemessen ist oder durch eine positivere Beschreibung, etwa im Sinne eines fruchtbaren Pluralismus, ersetzt werden sollte, hängt natürlich davon ab, welche Erwartungen, Ansprüche, Kriterien und dgl. der Beurteilung zugrunde gelegt werden. Im Hinblick auf die lebhaft en Th eorie-Debatten in den letzten Jahren ist es instruktiv, sich zunächst einmal zu fragen, ob nicht hinter den Kontroversen, Kritiken und Divergenzen allgemein zustimmungsfähige Prämissen gefunden werden können, auf die sich zumindest jene einigen können sollten, die eine handlungstheoretische Fundierung der Soziologie als unverzichtbar ansehen. Dies erlaubte es, genauer zu bestimmen, wo die gemeinsame Basis verlassen wird. Für die nachstehenden Ausführungen bleiben jene „scharfen“ Konfl ikte ausgespart, die entstehen, wenn man die Relevanz und Zentralität von Handlungsanalysen für die Soziologie bestreitet.
Gerald Mozetič
Die Rekonstruktion von Handlungen und der Voluntarismus
Zusammenfassung
Andreas Balog streicht in seinem Buch „Rekonstruktion von Handlungen“ (1989) die wesentliche Bedeutung der intentionalen Defi nition des Handelns heraus. Das heißt, zur Rekonstruktion von Handlungen bedarf es eines identifi zierbaren Zwecks und einer Zweck-Mittel-Relation. Intentionen streben einen spezifi schen Eingriff in die Welt an. Dies wird durch intentionsausdrückende Verben wie möchten, beabsichtigen oder &zum Ausdruck gebracht. Der Voluntarismus ist also konstitutiv für die akteurszentrierte Soziologie. Ohne ihn kann weder die soziologische Th eoriebildung noch die Empirie auskommen. Tatsächlich aber ist der Voluntarismus auf zwei Ebenen unter Beschuss geraten.
Manfred Gabriel
Handlungstheorien und Theorieverständnis in der methodologisch-individualistischen Tradition
Deren Wandel und der Bezug zur Wirklichkeit
Zusammenfassung
Die Entwicklung soziologischer Theorie kann nicht als einheitlich bezeichnet werden. Dies ist bereits darauf zurückzuführen, dass der Th eoriebegriff innerhalb der Sozialwissenschaften in keinster Weise einheitlich gebraucht wird (vgl. Acham 1983: 145). Weiters ist es umstritten, ob die Soziologie bzw. die Sozialwissenschaften danach streben sollen, Th eorien zu entwickeln, die sich dem (scheinbaren?) Ideal der Naturwissenschaft en annähern.
Jürgen Fleiß
Kompetenz und Funktionsniveaus
Subjekttheoretische Erweiterungen der Handlungstheorie
Zusammenfassung
Das Verhältnis der Soziologie zum Handeln (und damit soziologischer Th eorie zur Handlungstheorie) ist ambivalent. Bekanntlich vollzog sich die Entwicklung genuin soziologischen Denkens durch die Überwindung von externen Reduktionismen. Insbesondere die lange Tradition der Begründung sozialen Geschehens durch vorgebliche anthropologische Eigenschaft en des Menschen führte zu einer Kontraposition, die Gesellschaft ohne den Rekurs auf Psychisches erklärte. Seit Durkheim ist die Forderung, Soziales (nur) durch Soziales zu begründen, die Kernformel soziologischer Argumentation. – So gesehen sind Handlungen „Soziales“. Die Durkheim-Formel unterstellt dabei, dass sie grosso modo exekutieren, was ihre soziale Umwelt erwartet / vorschreibt. In Hegels Terminologie: Handeln ist die Erscheinung des Sozialen. Gleichzeitig ist Handeln jedoch auch das Nadelöhr, durch das alles Soziale hindurch muss – nochmal mit Hegel: das Wesen muss erscheinen. Dabei spiegelt sich im Handeln unübersehbar alles, was soziale Wirk lichkeit an Diff erenz, an Widersprüchen, an Heteronomie enthält. Handeln ist damit immer auch ein Stück unberechenbar und überraschend. Das erschwert die Versuche, Handeln begriff lich zu erfassen und macht überhaupt erst eine Handlungstheorie notwendig. Handeln ist jedoch nicht ohne Akteure denkbar. Die Handlungstheorie bringt daher das &mit sich – was wieder zurückverweist auf die aus guten Gründen abgelehnte Begründungsstrategie.
Johann August Schülein
Vom Nutzen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für die Soziologie
Zusammenfassung
Die Neurowissenschaft en1 konnten in den letzten Jahren große Erfolge feiern. Dies ist vor allem auf die neuen Methoden, die sogenannten. ‚bildgebenden Verfahren‘, mit deren Hilfe die Gehirnaktivität sozusagen sichtbar gemacht werden kann, zurückzuführen. Auch löst der Untersuchungsgegenstand des Gehirns große Faszination aus, zumal es der Sitz vieler Fähigkeiten ist, die dem Menschen vorbehalten sind.
Dominik Gruber
Der Standpunkt der Gesellschaftskritik
Zusammenfassung
Gesellschaft skritik ist wieder ein Th ema für die Soziologie. Während vieler Jahre gesellschaft skritischer Abstinenz der akademischen Soziologie war Kritik der global gewordenen Marktgesellschaft vorwiegend Sache der Feuilletons oder verschiedener globalisierungskritischer Bewegungen gewesen. In den Jahren der neoliberalen Transformation der Gesellschaft hatte sich die Überzeugung von der Alternativlosigkeit der globalisierten Marktgesetzlichkeit weitgehend durchgesetzt. (Goldschmidt u. a. 2000) Die Soziologie gab ihr aufklärerisch-kritisches Selbstverständnis vielfach auf und begnügte sich damit, die Begleitumstände dieser Transformation zu erforschen. In der jüngsten Zeit allerdings, da nicht allein mehr die sozialen Konsequenzen der neoliberalen Umstrukturierung des wohlfahrtsstaatlich verfassten Kapitalismus interessierten, sondern da angesichts der Finanzkrise von 2008 und der nachfolgenden Wirtschaft skrise, der historisch beispiellosen staatlichen Rettungsaktion des Bankensektors vieler Länder sowie der darauf folgenden drohenden Staatsbankrotte hier, der Währungskrisen dort viele Gesellschaft smitglieder die Erfahrung, auf der Seite der systematisch Benachteiligten zu stehen, am eigenen Leib erlebten, kehrte auch ein akademisches Interesse an einer kritischen Analyse der Gegenwartsgesellschaft langsam zurück (Dörre/Lessenich/Rosa, 2009, S. 21 ff., Vobruba 2009). Das alte Projekt, mit soziologischem Wissen aufzuklären und damit inakzeptable gesellschaft liche Zustände als nicht naturgegeben, sondern als veränderbar ins öff entliche Bewusstsein zu holen, scheint allmählich wieder zukunft strächtig.
Evelyn Gröbl-Steinbach Schuster
Metadata
Title
Handlung
Editors
Johann August Schülein
Gerald Mozetič
Copyright Year
2012
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-18792-1
Print ISBN
978-3-531-18791-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-18792-1