2.1 Leader-Member Exchange
Die aktuelle Führungsforschung begreift Führung als interaktives Geschehen, wobei die dyadische Beziehung sowie der Austausch zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeitenden wesentlichen Einfluss auf die Einstellungen und das Verhalten der Mitarbeitenden nimmt (Liden et al.
1997). Die auf diesen Erkenntnissen aufbauende LMX-Theorie wurde von Graen und Cashman in den 1970er Jahren entwickelt (Graen und Cashman
1975). Kern der Theorie ist die Qualität der Beziehung zwischen einer Führungskraft und ihren jeweiligen Mitarbeitenden. Dabei wird Führung als eine sich im Zeitverlauf entwickelte Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden verstanden (Graen und Uhl-Bien
1995).
Ein wichtiger Aspekt dieser Theorie ist die Differenzierung der qualitativ unterschiedlichen Beziehungen. Die dyadischen Austauschprozesse sind von Mitarbeitenden zu Mitarbeitenden qualitativ unterschiedlich ausgeprägt und können dementsprechend positiv oder negativ sein. Führungskräfte differenzieren ihre Mitarbeitenden im Wesentlichen hinsichtlich der Motivation, den Kompetenzen, den Fähigkeiten und dem Ausmaß an Vertrauen, das ihnen entgegengebracht werden kann. Werden Mitarbeitende in diesen Aspekten nach einer gewissen Zeit durch die Führungsperson positiv eingeschätzt, dann gelangen diese in die sogenannte
Ingroup. Mitarbeitende in der Ingroup erhalten von der Führungsperson verstärkte Zuwendung, Aufmerksamkeit und Entwicklungschancen. Im Gegenzug zeigen die Mitarbeitenden der Ingroup positivere Arbeitseinstellungen sowie bessere Leistungen, um der besonderen Behandlung durch die Führungskraft gerecht zu werden (Erdogan und Enders
2007).
Zu Mitarbeitenden, die aufgrund mangelnder Kompetenzen von der Führungskraft nicht in die Ingroup aufgenommen werden, ist die Beziehungsqualität geringer und durch weniger Vertrauen sowie stärkerer Formalität geprägt. Häufig fühlen sich Mitarbeitende, die sich in der sogenannten
Outgroup befinden, autoritärer durch ihre Vorgesetzten geführt und erhalten zudem Aufgaben mit geringerer Verantwortung. Graen und Uhl-Bien (
1995) konnten früh nachweisen, dass die Fluktuation bei Mitarbeitenden in der Ingroup niedriger ist als bei Mitarbeitenden in der Outgroup. Hinzu kommt, dass die Qualität des Austausches zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden positiv mit der Zufriedenheit, dem Arbeitsengagement und der Leistung der Mitarbeitenden zusammenhängt (Dulebohn et al.
2012).
2.2 Empowerment
Empowerment wird häufig als Sammelbegriff für unterschiedliche Maßnahmen, die Autonomie und Selbstbestimmung gewähren und Mitarbeitende anregen ihre eigenen Stärken zu nutzen, beschrieben. Somit gleicht es dem Trendthema New Work mit dem ebenfalls eine Vielzahl an Konzepten verbunden sind (Schermuly
2016b). In der Arbeits- und Organisationspsychologie wird jedoch deutlich differenzierter zwischen strukturellem und psychologischem Empowerment unterschieden (Spreitzer
2008).
Unter strukturellem Empowerment werden organisationale Strukturen und Praktiken verstanden, die darauf abzielen, Machtunterschiede abzubauen (Schermuly
2016b). Demgegenüber fokussiert der psychologische Empowermentansatz auf das individuelle Erleben eines Mitarbeitenden. Zum Durchbruch des psychologischen Empowermentansatzes trug maßgeblich Gretchen Spreitzer (
1995) von der Ross School of Business in Michigan bei, indem sie konsequent eine individuumszentrierte Perspektive vertrat. Dabei stehen nicht die Organisationsstrukturen und Managementpraktiken selbst im Mittelpunkt, sondern das subjektive Erleben des Mitarbeitenden selbiger. Spreitzer (
1995) verdeutlicht dabei, dass dieselben Strukturen von verschiedenen Mitarbeitenden unterschiedlich wahrgenommen werden können. Zusätzlich zeigt sie, dass Empowerment nicht nur auf das Kompetenzgefühl und das Erleben von Einfluss reduziert werden kann. Für Spreitzer besteht die Gestalt psychologischen Empowerments aus vier Wahrnehmungsdimensionen. Es handelt sich um das Erleben von Kompetenz, Bedeutsamkeit, Einfluss und Selbstbestimmung. Kompetenz ist der Glaube einer Person an ihr Können, Aufgaben mit Fähigkeiten auszuführen. Bedeutsamkeit ist der Wert eines Arbeitsziels oder -zwecks, welcher in Bezug auf die eigenen Ideale einer Person beurteilt wird (Thomas und Velthouse
1990) und beinhaltet die Passung zwischen den Anforderungen einer Arbeitsrolle mit den eigenen Werten und Verhaltensweisen (Hackman und Oldham
1980). Einfluss ist der Umfang, in dem Mitarbeitende administrative, strategische und operative Resultate bei der Arbeit beeinflussen können. Selbstbestimmung beschreibt das Gefühl der Person, die Wahl zu haben, Handlungen zu regulieren (Deci et al.
1989) und bezieht sich auf den Grad an Autonomie bei der Ausführung einer Aufgabe. Diese vier arbeitsbezogenen Kognitionen sollen die Wahrnehmung der Arbeitsrolle eines Mitarbeitenden maßgeblich bestimmen (Spreitzer
1995).
Untersuchungsergebnisse aus den letzten Jahren sprechen für einen positiven Zusammenhang zwischen psychologischem Empowerment und LMX. In Bezug auf die Kompetenzdimension verbringen Mitarbeitende, die ein gutes Verhältnis zur Führungskraft besitzen, weniger Zeit mit Routineaufgaben (Graen und Cashman
1975), haben einen größeren Anteil bei Entscheidungsprozessen (Yukl und Fu
1999), berichten über anspruchsvollere Tätigkeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten (Aryee und Chen
2006; Dulebohn et al.
2012) und erhalten mehr Informationen (Gómez und Rosen
2001). Des Weiteren führt die Ausführung von nicht routinemäßigen Aufgaben dazu, dass Mitarbeitende mehr Bedeutsamkeit am Arbeitsplatz erfahren. Das Job Characteristics Model nach Hackman und Oldham (
1976) postuliert einen Zusammenhang zwischen Anforderungsvielfalt und empfundener Bedeutung. Diese Annahme wird durch die Metaanalyse von Humphrey et al. (
2007) gestützt. Die Elemente des psychologischen Empowerments konvergieren mit den kritischen psychologischen Zuständen (erlebte Sinnhaftigkeit, erlebte Verantwortung und Kenntnis der Ergebnisse), die dem Job Characteristics Modell zugrunde liegen und als intrinsisch motivierend gelten (Hackman und Oldham
1980).
In Bezug auf die beiden Dimensionen Einfluss und Selbstbestimmung zeigen frühere Untersuchungen, dass Vorgesetzte Mitarbeitenden, zu denen sie eine gute Beziehung haben, in größerem Umfang vertrauen, sie mit höheren Freiheitsgraden belohnen und ihre tägliche Arbeit weniger einschränken (Vecchio und Gobdel
1984). Aus der Perspektive der Mitarbeitenden nehmen diese einen größeren Entscheidungsspielraum wahr, da sie mehr Einfluss haben (Bauer und Green
1996). Wo Entscheidungsverantwortung übertragen wird, erfahren Mitarbeitende ein größeres Ausmaß an Selbstbestimmung (Laschinger et al.
2007), was im Einklang mit früheren Untersuchungen steht, die zeigen, dass LMX und Empowerment miteinander verbunden sind (Aryee und Chen
2006; Liden et al.
2000).
2.3 Organizational Citizenship Behavior
Der Begriff Organizational Citizenship Behavior wurde erstmalig im Jahr
1983 von Smith et al. geprägt. Im Deutschen wird der Fachbegriff OCB oftmals sinngemäß als extraproduktives Arbeitsverhalten oder als freiwilliges Arbeitsengagement übersetzt (Gerhardt et al.
2011). Dieses freiwillige Arbeitsverhalten, das über die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten hinausgeht, geht aus der Einsatzbereitschaft und Eigeninitiative der Angestellten hervor und entzieht sich weitgehend der Kontrolle und Steuerung der Organisation. Dabei werden freiwillige Handlungen weder explizit gelobt, noch bei Ausbleiben bestraft (Podsakoff et al.
2000). Zudem geht der OCB-Ansatz davon aus, dass der Unternehmenserfolg zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil davon abhängig ist, ob sich Mitarbeitende über die formalen, vertraglich geregelten Anforderungen hinaus für das Wohl der Organisation einsetzen (Six und Felfe
2004).
Eine frühe Studie von Liden und Graen (
1980) beleuchtet die Zusammenhänge zwischen LMX und OCB noch bevor sich diese Konzepte in der Forschungsliteratur etablierten. Die Forscher befragten hierbei 41 Dyaden von Führungskräften und Mitarbeitenden an mehreren Zeitpunkten. Die Studie illustriert anschaulich, dass eine qualitativ hochwertige soziale Austauschbeziehung dadurch gekennzeichnet ist, dass Mitarbeitende der Ingroup Aufgaben übernehmen, die über die formalen Anforderungen hinaus gehen und dass dabei zudem ein ungeschriebener psychologischer Vertrag innerhalb der Dyade ausgehandelt wird. Darüber hinaus zeigen diese Mitarbeitenden abteilungsübergreifende Kommunikationsaktivitäten und engagieren sich für eine positive Außendarstellung der eigenen Organisation. Dies hängt wiederum positiv mit Verhaltensweisen der Führungskräfte, wie z. B. tätigkeitsbezogenem Feedback und interpersonaler Zuwendung, zusammen. Die Verhaltensweisen des Mitarbeitenden ähneln sehr dem von Organ (
1988) einige Jahre später operationalisierten OCB.
In einer weiteren Studie konnten Alge et al. (
2006) zeigen, dass psychologisches Empowerment sowohl mit dem organisationsbezogenem als auch mit dem individuumsbezogenen extraproduktiven Verhalten zusammenhängt. Als Auffälligkeit stellte das Forscherteam heraus, dass der Zusammenhang mit dem organisationsbezogenen extraproduktiven Arbeitsverhalten stärker ausgeprägt war.
Im Einklang mit den dargestellten Studien, die die hypothetische Beziehung zwischen LMX und OCB unterstützten, zeigen sowohl die Metastudie von Ilies, Nahrgang und Morgeson (
2007) eine mäßig starke positive Korrelation zwischen LMX und OCB (
ρ = 0,37) als auch die Metastudie von Podsakoff et al. (
2000) eine ähnlich starke, positive Korrelation (
ρ = 0,30).
Gemäß des psychologischen Empowermentansatzes ist es wahrscheinlich, dass Mitarbeitende, die ein Gefühl von Empowerment empfinden, ihre Arbeit aktiv gestalten und arbeitsbezogene Tätigkeiten verrichten, die über den Arbeitsvertrag hinaus gehen (Spreitzer
2008). Sinnvolle Arbeit, in der Mitarbeitende eigene Handlungsspielräume haben, führt demzufolge zu OCB, weil diese dabei ein Gefühl der Beteiligung erfahren und nicht nur die vorgegebene Arbeitsrolle erfüllen. Es wird davon ausgegangen, dass Einfluss und Kompetenz OCB weiter fördern, da sich dann Mitarbeitende in der Lage fühlen, positive Ergebnisse in der Arbeit zu erzielen (Bandura
1997). Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass psychologisches Empowerment mit OCB verbunden ist.
Insgesamt gesehen kann auf den zuvor dargestellten Zusammenhängen angenommen werden, dass psychologisches Empowerment eine Mediatorfunktion einnimmt. In der Metaanalyse von Dulebohn et al. (
2012) zeigt sich, dass LMX in einem positiven Zusammenhang mit psychologischem Empowerment steht und in einer weiteren Metaanalyse, dass letzteres OCB positiv beeinflusst (Seibert et al.
2011).
2.4 Fluktuationsabsicht
Auf der Suche nach einer geeigneten Antwort, warum Menschen freiwillig kündigen, wurde in der Vergangenheit eine Vielzahl von Antezedenten und Korrelaten der Fluktuation untersucht (Griffeth et al.
2000). Die Entscheidung von Arbeitnehmenden, ihren Arbeitgeber zu verlassen, ist sowohl für das Unternehmen als auch für den Mitarbeitenden ein unerwünschtes Ergebnis. So produziert eine hohe Fluktuationsrate unternehmensseitig Kosten für Neueinstellungen sowie Arbeitsunterbrechungen und geht bei den Mitarbeitenden mit einem erhöhten Stresserleben einher (Cunningham
2006). Dabei kann zwischen der Fluktuationsabsicht und der tatsächlichen Fluktuation unterschieden werden.
Im Allgemeinen beschreibt die Fluktuationsabsicht den Wunsch oder die Bereitwilligkeit eines Mitarbeitenden, die Organisation oder den Beruf zu verlassen (Rafferty und Griffin
2006). Die tatsächliche Fluktuation ist darauffolgend die permanente Bewegung eines Mitarbeitenden über die Grenzen des Unternehmens hinaus (Rahman und Nas
2013). Die Absicht kündigen zu wollen, entwickelt sich bei den meisten Mitarbeitenden, wenn sie dauerhaft Stress auf der Arbeit erleben. Diese Annahme wird gestützt durch Studien im Veränderungskontext, die einen positiven Zusammenhang zwischen Stresserleben und Kündigungsabsicht herausstellten (Cunningham
2006). Hinzu kommt, dass die Kündigungsabsicht einerseits mit vielen arbeitsbezogenen Faktoren verbunden ist, wie zum Beispiel der Arbeitsumgebung. Auf der anderen Seite kann die Kündigungsabsicht auch aus persönlichen Faktoren, wie z. B. Konflikten in der Familie resultieren (Luthans et al.
2010).
Aus der Literatur zu LMX und Commitment lässt sich ableiten, dass Mitarbeitende, die nicht an ihre Führungskräfte oder Kollegen und Kolleginnen gebunden sind, auch gleichzeitig kein Gefühl der Verpflichtung gegenüber ihrer Organisation empfinden. Dies bedeutet, dass eine niedrig ausgeprägte Austauschbeziehung zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft mit einer schwächeren Bindung des Mitarbeitenden an die Organisation einhergeht (Lee
2005). Unterstützt werden diese Annahmen durch Cogliser et al. (
2009): Laut dem Forschungsteam führt eine geringe LMX-Qualität zu schwächerem Commitment und niedriger Arbeitszufriedenheit bei Mitarbeitenden. In einer Metaanalyse von Griffeth et al. (
2000) erwiesen sich genau diese beiden Aspekte bei niedriger Ausprägung als Hauptprädiktor der Kündigungsabsicht.
Verschiedene Argumente sprechen zudem für einen negativen Zusammenhang zwischen psychologischem Empowerment und Fluktuationsabsicht. Wenn Mitarbeitende im Arbeitskontext psychologisches Empowerment erfahren, kann im Sinne des sozialen Austauschs ein Gefühl der Verpflichtung dem Unternehmen gegenüber entstehen (Blau
1964). Als Konsequenz entwickeln Mitarbeitenden eine stärkere Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und eine geringere Fluktuationsabsicht. Letztere wird zudem noch dadurch verringert, dass Mitarbeitende mit starkem psychologischen Empowerment erwarten, dass wenige alternative Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt existieren, die vergleichbare Bedingungen bieten. Somit sinkt die Fluktuationsabsicht weiter (Seibert et al.
2011). Laut Schermuly (
2016b) ist psychologisches Empowerment „ein Faktor, der Menschen dagegen immunisieren kann, sich mit einem Arbeitgeberwechsel zu beschäftigen“ (S. 76).
Metaanalytische Befunde stützen diesen negativen Zusammenhang zwischen psychologischem Empowerment und Fluktuationsabsicht (Seibert et al.
2011).
Zuletzt kann eine Mediatorfunktion psychologischen Empowerments angenommen werden. In der Metaanalyse von Seibert et al. (
2011) bildet positive Führung, die u. a. hochqualitative LMX-Beziehungen enthält, einen Prädiktor psychologischen Empowerments, welches wiederum zu verringerten Fluktuationsabsichten führt. Darauf aufbauend regen die Autoren an, die vermittelnde Funktion psychologischen Empowerments in weiteren Studien zu untersuchen. Vergleichbare Annahmen liegen dem Job Characteristics Modell (Hackman und Oldham
1976) zugrunde, wonach bestimmte Arbeitsmerkmale, wie z. B. Autonomie über vermittelnde Erlebniszustände in positive Konsequenzen, wie gesteigerte intrinsische Motivation und verringerter Fluktuation resultieren.
Aufbauend auf den vorangegangenen Argumenten, die eine hohe LMX-Qualität und Empowerment mit Fluktuationsabsicht verbinden, liegt die Annahme nahe, dass Empowerment eine mediierende Rolle in der LMX-Fluktuationsabsicht-Beziehung besitzt.