Beispiele für Reputationskrisen
Facebook: Cambridge-Analytica-Datenskandal
Im Fall Cambridge Analytica wurden illegal Nutzerdaten von 87 Millionen Facebook-Mitgliedern an die Firma Cambridge Analytica aus Großbritannien übermittelt (SRF Schweizer Radio und Fernsehen,
2018). In der Folge wurde gegen Facebook aufgrund des schweren Verstoßes einer unrechtmäßigen Datenweitergabe an Dritte in Großbritannien eine Strafzahlung von über 600.000 CHF verhängt, der 2019 eine weitere Strafzahlung der amerikanischen Behörden in Höhe von fünf Millionen Dollar folgte (Langer,
2019). Der Cambridge-Analytica-Fall wurde im Frühjahr 2018 bekannt (Böhm,
2019). Zu dieser Zeit belegte Facebook den Rang 51 des jährlichen RQ-Reports mit einem RQ von 74,07 (Harris Insights & Analytics LLC,
2018, S. 14).
Mark Zuckerberg beschreibt die Unternehmenskultur von Facebook als Hackerkultur, für welche er gut ausgebildete junge Programmierer anspricht. Facebook gibt den Mitarbeitenden die Chance, über ihre eigene Facebook-Version alles auszuprobieren, was nur möglich ist (Kugoth,
2017). Die Kultur von Facebook basiert auf fünf Grundsätzen: 1. das Etablieren einer Mission und der Fokus des Teams darauf, 2. die Stärken der Mitarbeitenden fördern, 3. Arbeitskollegen auch außerhalb des Arbeitsumfeldes unterstützen, 4. Authentizität des Vorgesetzten, 5. Eigeninitiative motivieren. Diese fünf Grundsätze zeigen den Communitygedanken, der bei Facebook stark verankert ist (Weck,
2017). Das Image von Facebook hat im Jahr 2019 Risse bekommen. Ehemalige Mitarbeitende behaupten, dass die Unterdrückung von kritischen Rückmeldungen innerhalb der Kultur von Facebook schuld an den Skandalen sei und dass diese Rückmeldungen vermieden hätten werden können, wenn Facebook die ehrlichen Feedbacks der Mitarbeitenden nicht unterdrückt und ignoriert hätte. Facebook führt außerdem zweimal jährlich ein Stack Ranking durch, welches die Mitarbeitenden in sieben Kategorien einordnet, indem von anderen Mitarbeitenden personenbezogene Noten vergeben werden. Es kann aber nur eine bestimmte Anzahl an Mitarbeitenden in einer Kategorie eingeordnet werden, was den Konkurrenzkampf untereinander verstärkt und teils verfälschte Bewertungen nach sich zieht (Winner,
2019).
Vor dem Hintergrund der erhobenen Informationen könnte man die Unternehmenskultur von Facebook unter Heranziehung der Typologie von Cameron und Quinn teils als Markt- und teils als Adhokratiekultur kennzeichnen. Die Unterdrückung der Feedbacks der Mitarbeitenden deutet auf eine fehlende beziehungsweise mangelhafte Feedbackkultur hin.
Die Reaktion auf den Datenskandal schwankte zwischen defensiver Ahnungslosigkeit und distanziertem Schweigen. Facebook wusste über den Skandal Bescheid und hat versucht, die negativen Ereignisse herunterzuspielen. Zudem reagierten die Verantwortlichen nicht auf Anfragen für eine Stellungnahme in den Medien. Der CEO Mark Zuckerberg hat sich während der Ereignisse distanziert verhalten und hat die Ereignisse in persönlichen Facebook-Posts, nicht aber in der Presse angesprochen (Rosoff,
2018; Schurter,
2018). Im Jahr 2019 fiel Facebook im RQ Report vor dem Hintergrund der illegalen Datenweitergabepraxis um 43 Ränge auf den Rang 94 mit einem RQ von 58,1 (Harris Insights & Analytics LLC,
2019, S. 9). Der Fall Cambridge Analytica legt einen direkten Zusammenhang zum Rückgang der Reputation nahe und ist auf gravierende Fehler im Bereich Governance und Leadership zurückzuführen. Die Führung von Facebook hat in der Außenwahrnehmung ihr Versprechen, die Daten der Kunden zu schützen, massiv gebrochen (The RepTrak Company,
2019, S. 78 ff.).
Tesla: Irreführender Tweet des CEO
Nachdem Elon Musk, CEO von Tesla, gegen eine Vereinbarung verstoßen hatte, welche ihn dazu verpflichtet, eine Vorabgenehmigung von Anwälten einzuholen, bevor er potenzielle marktspezifische Daten öffentlich twittert, hatte sich die Securities and Exchange Commission SEC an einen Bundesrichter gewandt (Lee,
2019). Musk twitterte: „Tesla made 0 cars in 2011, but will make around 500k in 2019“. In Wirklichkeit plante Tesla aber lediglich eine Produktion von 400.000 Autos für das Jahr 2019. Diese irreführende Information zur Geschäftstätigkeit wurde seitens der US-Rechtsprechung als illegal betrachtet. Musk stimmte in der Folge einer Gelstrafe von 20 Millionen Dollar zu und gab zusätzlich seine Position als Vorstandsitzender auf. Gegen Tesla wurde des Weiteren noch eine Geldstrafe von 20 Millionen Dollar verhängt. Vor dem Fehlverhalten des CEO im Jahr 2018 belegte Tesla den Rang 3 mit einem RQ von 81,96 des jährlichen RQ-Reports (Harris Insights & Analytics LLC,
2018, S. 14).
Elon Musk ist als stark prägender Unternehmenslenker für seine leistungsorientierte Arbeitsmoral bekannt, was sich unter anderem in hohen Anforderungen an die Mitarbeitenden äußert. Musk legt weniger Wert auf Diplome als auf Fähigkeiten, welche auf die Unternehmensziele ausgerichtet sind. Im Mitarbeiterhandbuch von Tesla werden weniger Verhaltensregeln aufgestellt, sondern primär Prinzipien des Handelns aufgezeigt. Tesla vertraut darauf, dass seine Mitarbeiter das Richtige tun, und pflegt aktiv eine offene Kommunikation mit täglichem Feedback. Dabei wird ausdrücklich festgehalten, dass Diskussionen inhaltlich lediglich darauf abzielen sollen, ein Hindernis mit geschäftlichem Hintergrund zu beheben. Musk setzt auf die Motivation der Mitarbeitenden. Sind diese nicht motiviert, sind sie bei Tesla in Musks Verständnis auch nicht am richtigen Platz (Weck,
2020). Zur Führungsperson Elon Musk heißt es, sein Verhalten sei unvorhersehbar, und er führe durch das Verbreiten von Angst. Er wisse alles besser, und niemand widerspreche ihm (Fuest,
2019). Tesla kann mit Bezugnahme auf die Kulturtypologie von Cameron und Quinn der Marktkultur zugeordnet werden. Die Kultur von Tesla weist aber auch deutliche Aspekte einer Söldnerkultur gemäß der Typologie von Goffee und Jones und, in Anlehnung an die Typologie von Handy, einer Powerkultur auf, was den Führungsstil und die besonderen Charaktereigenschaften von Elon Musk angeht. Letztere werden auch an seinem Verhalten in Bezug auf einen zweiten irreführenden Tweet mit der Ankündigung, Tesla von der Börse zu nehmen deutlich, die wiederum eine Strafzahlung in zweistelliger Millionenhöhe nach sich zog. Elon Musk twitterte daraufhin: „Das war es wert“ (Jacobsen,
2019). Allgemein ist Elon Musk eine Ausnahmeerscheinung, was Social-Media-Kommunikation angeht, andere CEOs verhalten sich hier deutlich zurückhaltender (Quadriga Media Berlin GmbH,
2019).
Im Jahr 2019 fiel Tesla in Verbindung mit den rechtlichen Auseinandersetzungen im RQ-Report um 39 Ränge auf den Rang 42 mit einem RQ von 75,4 (Harris Insights & Analytics LLC,
2019, S. 9). Dieser Fall ist nach Facebook der zweitgrößte Reputationsverlust eines Unternehmens innerhalb eines Jahres (Harris Insights & Analytics LLC,
2019, S. 10).
Johnson & Johnson: Illegale Kickbacks in Brasilien
Mehr als 20 Unternehmen, darunter Johnson & Johnson, aber auch Siemens und General Electric, sollen über 20 Jahre hinweg in Brasilien ein Kartell gebildet haben, um Preisabsprachen zu tätigen und Bestechungsgelder an Behörden zu zahlen, um der Regierung überhöhte Preise für medizinische Geräte in Rechnung stellen zu können (Hale,
2019). Die Untersuchungen des FBI und der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft dauern bis heute noch an. Johnson & Johnson belegte mit einem RQ von 82,57 und der Bezeichnung „exzellent“ vor der Korruptionsanklage im Jahr 2017 den 4. Rang im RQ Report von Harris Insights & Analytics LLC (
2017).
Johnson & Johnson (
2020a) wird durch den Leitsatz „Für die Welt sorgen, beim Einzelnen beginnen“ geprägt und vermittelt nach innen und außen, dass das Unternehmen großen Wert auf die Leistungen jedes Mitarbeitenden legt. Johnson & Johnson (
2020b) sieht sich aufgrund der besonderen Unternehmenskultur als beliebter Arbeitgeber. Teamgeist und Offenheit werden großgeschrieben. Ferner ist das Unternehmen geprägt durch flache Hierarchien und ein weltweites Netzwerk. Mit Bezugnahme auf die Unternehmenskulturtypen von Cameron und Quinn weist Johnson & Johnson Züge einer Clankultur auf. Darüber hinaus sind auch Merkmale einer Netzwerk- und Gemeinschaftskultur nach Goffee und Jones erkennbar.
Lediglich Philips hat offiziell die laufenden Ermittlungen bestätigt, während alle anderen angeklagten Firmen in der Außenkommunikation auf Unwissenheit beziehungsweise Nichtbetroffenheit abheben. Johnson & Johnson bestätigte zwar Anfragen im Zusammenhang mit den Ermittlungen, mehr aber nicht (Brooks,
2019). Auch in Verbindung mit den Medienberichten zum Korruptionsfall fiel Johnson & Johnson im RQ-Report 2018 auf den Rang 40 mit einem RQ von 76,49. Dies war erst das zweite Mal innerhalb von 18 Jahren, in welchen Johnson & Johnson nicht in den Top 10 platziert war (Harris Insights & Analytics LLC,
2018, S. 14 ff.). Im Jahr 2019 verbesserte Johnson & Johnson sich allerdings wieder um 7 Ränge auf Platz 33 (Harris Insights & Analytics LLC,
2019, S. 9).
3M: Abwasserskandal
Mit dem Erfolg von 3Ms Scotchgard und anderen Produkten entstanden bei deren Herstellung Tausende von Litern Nassabfall. Ein Teil davon floss in den Mississippi, andere Teile wurden direkt bei der Fabrik in Cottage Grove entsorgt. So wurde von 1956 bis 1974 der chemische Abfall an diversen Standorten, welche in der Nähe von Wasserbrunnen lagen, vergraben. Die Chemikalien flossen außerdem in vier unterirdische Trinkwasseranlagen und haben umliegende Seen verschmutzt (Kary & Cannon,
2019). Als die Bedrohung durch die Chemikalien den Behörden aufgefallen war, bestritt 3M alle Vorwürfe. Nach dem Ausrufen des Notstands in der Stadt Cottage Grove lehnte 3M die geforderte Hilfe vom Bürgermeister zur Installation von Wasserfiltern in der ganzen Stadt ab. 3M lehnte aber nicht nur ab, sondern behauptete auch, dass die chemischen Abfälle nicht aus dem Werk der Firma ausgetreten wären. Zeitgleich lief bereits eine mehrjährige Untersuchung gegen 3M, gemäß der 3M schuld an erhöhten Krebsraten und geringerer Fruchtbarkeit rund um die Gebiete des Werks Cottage Grove habe. Beweismaterialien wie E-Mails oder interne Dokumente deuten stark auf eine Kenntnis der Gefahren bei 3M und Vertuschungsaktionen hin. Zudem verzögerte 3M offenbar zahlreiche Studien mit kritischen Resultaten (Kary & Cannon,
2019). 2018 wurde gegen 3M auf Grundlage der langjährigen Ermittlungen zu den Verschmutzungen ein Klageverfahren des Staats mit Forderung einer Strafzahlung in Höhe von 5 Milliarden Dollar eingeleitet. 3M war seit 2012 nicht mehr in den RQ-Reports vertreten (Harris Insights & Analytics LLC,
2017). Im Jahr 2011 belegte 3M noch Rang 3, mit einem RQ von 82,56 (Harris Insights & Analytics LLC,
2013, S. 11).
Hinsichtlich der bei 3M vorherrschenden Unternehmenskultur wird besonders auf die Talentförderung der Mitarbeitenden abgehoben. Alle Mitarbeitenden können 15 % ihrer Arbeitszeit für Projekte verwenden, die ihnen persönlich wichtig sind. Diese Freiheit wird als Symbol des Vertrauens und der Wertschätzung verstanden. Wertschätzung ist als Leitmotiv bei 3M schon lange in der Kultur explizit verankert. Die Leitsätze aus den 40er-Jahren mit Fokus auf Vertrauen, Wertschätzung und Eigeninitiative gelten heute immer noch unverändert weiter. Bei 3M soll eine Förderung der Stärken der Mitarbeitenden im Vordergrund stehen und nicht deren Schwächen. Auch die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden wird bei 3M stark beachtet und soll über entsprechende Arbeitsmodelle gewährleistet werden (Wiegand,
o. J.). Die Unternehmenskultur kann mit Bezug auf die Typologie von Cameron und Quinn als klassische Clankultur gekennzeichnet werden. In der Begriffswelt von Deal und Kennedy könnte man diese auch vereinfacht als „Harte Arbeit/Viel Spaß“-Kultur charakterisieren.
Trotz der reputationsschädigenden Effekte des Abwasserskandals konnte 3M sich nach über sechs Jahren 2017 wieder mit einem RQ von 81,50 im RQ-Report auf Rang 10 platzieren (Harris Insights & Analytics LLC,
2017).
Volkswagen: Abgasskandal
Mithilfe einer Software hat Volkswagen (VW) die Abgastests seiner Autos über Jahre hinweg manipuliert. Der Skandal wurde 2015 öffentlich, als die amerikanische Umweltbehörde dem VW-Konzern die Manipulation der Abgaswerte vorgeworfen hatte. Daraufhin gab dies der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn öffentlich zu, der in Verbindung mit dem Abgasskandal zurücktreten musste. Zweifel daran, dass das Topmanagement von VW nichts von dieser Manipulation wusste, führten zu Untersuchungen und Klagen gegen den VW-Konzern und involvierter Topmanager (Steiner,
2019). Volkswagen erzielte im Jahr 2015, noch bevor der Abgasskandal sich in größerem Maße niederschlagen konnte, einen RQ von 75,21 mit der Bewertung „sehr gut“ (Harris Insights & Analytics LLC,
2016).
Die Unternehmenskultur von Volkswagen hebt auf eine starke Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen ab. Die Unternehmenskultur wurde in einem breit verankerten, gemeinschaftlichen Prozess über Jahre hinweg unter Einbindung aller Mitarbeitenden aktiv entwickelt. Prägende Werte sind Kundennähe, Effizienz und Aufrichtigkeit (Arbeitgeber-Ranking.de,
2020). Der VW-Konzern hat beim Aufarbeiten des Dieselskandals ein neues Programm „Together4Integrity“ ins Leben gerufen, welches bis 2025 im gesamten Konzern implementiert werden soll, das eine offene Unternehmenskultur in den Mittelpunkt stellt (dpa-infocom GmbH,
2018). Gemäß der Typologie von Goffee und Jones könnte man bei Volkswagen eine Gemeinschaftskultur ausmachen, die allerdings auch Elemente einer Machokultur aus der Systematik von Deal und Kennedy enthält.
In Verbindung mit der Abgasmanipulationskrise bemühte sich Volkswagen um interne Aufklärungen und eine sachbezogene professionelle Kommunikation (Buschart,
2015). In den ersten Tagen nach den Vorwürfen reagierte Volkswagen zunächst mit Sprachlosigkeit, wurde aber dann im weiteren Krisenverlauf unter Einbezug externer Kommunikationsberater zusehends offensiver und transparenter und hat auch auf der personellen Seite konsequent mit Entlassungen reagiert (Handelsblatt,
2015). Im Jahr 2016 verlor Volkswagen insgesamt 20,5 Punkte in der RQ Bewertung und landete nach dem sehr guten Reputationswert des Vorjahrs mit 54,75 Punkten nur noch auf Rang 100. Volkswagen hatte als einziges einbezogenes Unternehmen im Jahr 2016 die Reputationsbewertung „sehr schlecht“ erhalten und bei den Bewertungskriterien „Vertrauen und Respekt“ sowie „soziale Verantwortung“ besonders schlecht abgeschnitten (Harris Insights & Analytics LLC,
2016).