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2005 | Book

Schlüsselwerke der Geschlechterforschung

Editors: Martina Löw, Bettina Mathes

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Schlüsselwerke der Geschlechterforschung-das klingt nach Kanon. In der Tat ist der vorliegende Band ein Beweis für die Existenz eines (heimlichen?) Kanons im interdisziplinären Feld der Geschlechterstudien, wobei die hier versammelten Schlüsselwerke nicht identisch mit diesem Kanon sind. Vielmehr haben wir eine Auswahl getroffen, die die Geschichtlichkeit und Vielfalt der Geschlechterforschung betont. Der Band ist insofern ein Bekenntnis zum Kanon, weil Kanon stets auch die Reflexion der eigenen Geschichte und Tradition beinhaltet. Ein solches, Be- kenntnis’ ist in der Frauen- und Geschlechterforschung selbstverständlich nicht unumstritten.
Martina Löw, Bettina Mathes
1. Hedwig Dohm: Die wissenschaftliche Emancipation der Frau
Berlin: Wedekind & Schwieger 1874
Zusammenfassung
Diese Monografie will sich nicht so recht in die für diesen Band ausgewählten Schlüsselwerke einordnen lassen. Fast alle in diesem Rahmen besprochenen Schrif- ten erschienen in den vergangenen 30 Jahren. Offenbar verirrte sich eine histori- sche Quelle in den Korpus zentraler Texte der Frauen- und Geschlechterforschung der Gegenwart. Hedwig Dohms Schrift fallt aber nur auf den ersten Blick aus der Reihe. Sie verweist darauf, und damit begründet sich u.a. die Aufnahme, dass die Neue Frauenbewegung und die ebenfalls wieder entdeckte Frauen- und Geschlech- terforschung, zumindest in ihren universitären und auβeruniversitären Zusammen- hängen in den Anfangsjahren, immer auch historisch argumentierte, Vorbilder und Anknüpfungspunkte in vergangenen Zeiten suchte.
Edith Glaser
2. Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau
Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. Reinbek: Rowohlt 1992. Originalausgabe: Le Deuxième Sexe. Paris: Gallimard 1949
Zusammenfassung
Simone de Beauvoir gilt als die emblematische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts.1 Sie war Philosophin und Schriftstellerin. Sie wurde für ihre Schriften und ihr poli- tisches Engagement zeit ihres Lebens angefeindet und bewundert. Sie machte ihr privates Leben öffentlich wie keine andere Intellektuelle. Vor allem aber: Sie ver- öffentlichte 1949 mit 41 Jahren ein Buch, das weltweit rezipiert zu einem der poli- tisch wirksamsten Schlüsseltexte der zweiten Frauenbewegung und zu einem theo- retisch einflussreichen Hauptwerk der feministischen Theorie wurde. In Das an- dere Geschlecht fuhrt Beauvoir ihre früheren theoretischen Ausführungen zu einer existentialistischen Ethik weiter und arbeitet ihre eigene Situation als Frau und damit die Frage nach der Geschlechterdifferenz konstitutiv in einen normativen Entwurf zu einer kritischen Theorie gesellschaftlicher Praxis ein. Ihre existenzphi- losophisch begründete Auffassung der konkreten menschlichen Existenz als Frei- heit und die Ausarbeitung individueller Verantwortung der Handelnden verband Beauvoir in Das andere Geschlecht nicht nur mit einer materialistischen Geschichts- philosophie und mit den Diskussionen anderer Wissenschaften, die für die Beant- wortung ihrer Frage nach der Genese und Bedeutung der Geschlechterdifferenz und des hierarchischen Geschlechterverhältnisses zentral sind. Dies an sich war in einer philosophischen Abhandlung zum damaligen Zeitpunkt schon sehr ungewöhn- lich. Sie bezog darüber hinaus die gelebten Erfahrungen von Frauen, das „Frau werden“ in ihre Analyse der Situation der Frau mit ein.
Ursula Konnertz
3. Janine Chasseguet-Smirgel (Hg.): Psychoanalyse der weiblichen Sexualität
Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Frankfurt a. M. Suhrkamp: 1974. Titel der Originalausgabe: La sexualité feminine. Paris: Payot 1964
Zusammenfassung
Vier Jahre vor dem berühmten Pariser Mai von 1968, der in Leben und Werk von Janine Chasseguet-Smirgel eine große Rolle spielten sollte (Stéphane 1969), ver- öffentlichte die in Paris geborene und lebende Psychoanalytikerin bei Payot eine Sammlung von Beiträgen zur weiblichen Sexualität. Ihr Ziel war es, die Freudsche Auffassung über die weibliche Sexualität, die von Begriffen wie „Penisneid“, „fe- mininem Masochismus“ und „Kastrations“- oder „Männlichkeitskomplex“ geprägt war, sowie die vor 1933 darum geführte Diskussion wieder in Erinnerung zu brin- gen und die Auseinandersetzung mit dem Freudschen Konzept fortzufuhren. Als Mitautorinnen treten Béla Grunberger, Christian David, Chatherine Luquet-Parat, Maria Torok und Joyce McDougall in Erscheinung. Ein im Vorwort zu diesem Buch angekündigter zweiter Band über die Psychoanalyse der weiblichen Sexua- lität, der die Diskussion fort führen und die im vorliegenden ersten Band fehlenden Literaturangaben in Verbindung mit einer umfangreichen Bibliographie zum Thema nachreichen sollte, ist nie erschienen.
Angela Moré
4. Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts
Aus dem Französischen von Xenia Rajewsky, Gabriele Ricke, Gerburg Treusch-Dieter und Regine Othmer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980. Titel der Originalausgabe: Speculum de l’autre femme. Paris: Edition de Minuit 1974
Zusammenfassung
Dieser Text basiert auf verschiedenen Entscheidungen. Er geht nicht auf die Biogra- phie von Luce Irigaray ein, die Psychoanalytikerin ist: „Ich versuche, das traditionel- le Funktionieren der Analyse ausgehend von deren Verkennung der weiblichen Se- xualität zu interpretieren“ (Irigaray 1977: 32).1 Der Text geht auch nicht auf die Rezeption von Irigaray ein, die in Westdeutschland im letzten Drittel des zwanzig- sten Jahrhunderts gegen Ende der siebziger Jahre beginnt, und die seit der ‘Wende’ beendet ist, denn seit dem Beginn der neunziger Jahre spielt diese Rezeption keine Rolle mehr. Sie setzte unter der Bedingung der sich auflösenden Neuen Frauenbewe- gung in der alten BRD ein und bewegte sich auf der universitären Ebene, bis die Seminare, die sich mit Irigarays „Durchqueren der Diskurse“ auseinandersetzten, wegen der damit verbundenen ‘Schwierigkeitsgrade’ zerfielen (vgl. Treusch-Dieter 2004). Irigarays Durchqueren der Diskurse umfasst in etwa zweitausendfunfhundert Jahre des abendländischen Denkens, soweit sie im Speculum auf die antike Meta- physik und die antike Mythologie im Kontext der griechischen Tragödie zurück- greift, um von da aus die Philosophiegeschichte in ihren wesentlichen Positionen bis hin zu Kant, Hegel, Marx zu durchlaufen: ausgehend von Freud, den sie nicht nur mit und gegen Lacan, sondern auch unter dem Einfluss von Deleuze und Guattari liest. Dass diese Referenzen nicht einholbar sind, außer die Arbeit von Irigaray würde noch einmal unternommen, versteht sich von selbst. Der Text geht darum nicht auf diese Referenzen ein, sondern stellt Irigarays Arbeit auf immanente Weise dar.
Gerburg Treusch-Dieter
5. Ute Gerhard: Verhältnisse und Verhinderungen
Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978
Zusammenfassung
Ute Gerhard, geboren 1939, ist Professorin mit dem Schwerpunkt Frauen- und Ge- schlechterforschung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und seit 1997 geschäftsführende Direktorin des Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse an der Universität Frankfurt. Ute Gerhard ist Mitbegründerin der Feministischen Studien und Mitherausgeberin von L’Homme, Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft. Ihre Forschungsgebiete sind Geschichte und Theorie des Feminismus, Sozialpolitik, Frauen und Recht, Rechtsoziologie.
Marianne Friese
6. Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit
Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1979
Zusammenfassung
Als Silvia Bovenschens Buch Die imaginierte Weiblichkeit 1979 im Suhrkamp Verlag erschien, war die Verfasserin keine Unbekannte. Zusammen mit Helmut Brackert u.a. hatte sie 1978 den Band Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes 1 herausgegeben und mit ihrem Beitrag Die aktu- elle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos. Die Hexe: Subjekt der Na- turaneignung und Objekt der Naturbeherrschung für Aufsehen gesorgt (Becker/ Bovenschen/Brackert 1978). Bereits der etwas barock anmutende Titel signali- sierte den hohen Anspruch der Verfasserin: Es ging um nichts weniger als um eine historische und theoretische Auseinandersetzung mit einem Bild von Weiblich- keit, dessen Wirkmächtigkeit bis in die Gegenwart reicht. Die Stichworte „Sub- jekt“ und „Objekt“ sowie „Naturaneignung“ und „Naturbeherrschung“ verweisen auf die Dialektik derAufldärung (Horkheimer/Adomo 1944) von Horkheimer und Adorno, die - angestoβen durch die Studentenbewegung nach 1968 - in den sieb- ziger Jahren in der damaligen Bundesrepublik eine verspätete Rezeption erfuhr (vgl. Reiyen/Schmid-Noerr 1987; Kunneman/Vries 1989; Kulke/Scheich 1992). Neben solchen bereits durch die Begrifflichkeit markierten Bezügen auf eine durch Faschismus und Nachkriegszeit verdrängte Tradition kritischen Denkens, lässt sich aus dem Titel auch das Bestreben ablesen, einen Anschluss an einen akademischen Diskurs zu finden, der in der auf politische Praxis ausgerichteten Studenten- und Frauenbewegung der Zeit durchaus umstritten war.
Inge Stephan
7. Gruppe „Frauen, Steine, Erde“: Frauen-Räume-Architektur-Umwelt
Heft 4 der beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, herausgegeben von Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. Verlag Frauenoffensive: München 1980
Zusammenfassung
In den 1970er Jahren war die Unzufriedenheit mit dem rasanten Wandel der Städte in der Bevölkerung weit verbreitet. In der neuen Frauenbewegung spielte die Aus- einandersetzung mit der bebauten und unbebauten Umwelt zunächst kaum eine Rolle. Das wollten die Frauen der Gruppe „Frauen, Steine, Erde“ mit ihrer Schrift, deren Titel das Akrostichon FRAU bildet, ändern. Ganz unbescheiden verkünde- ten sie mit einem programmatischen Paukenschlag: „Raum, Architektur und Um- welt werden von Männern beherrscht, sie bestimmen Bauen und Planen in Praxis und Wissenschaft, ihren Inhalt, ihre Form. Frauen leben darin“ (Gruppe „Frauen, Steine, Erde“ 1980: 5). Diese Erkenntnis, die einen Bruch mit der herkömmlichen Sichtweise des Planens und Bauens darstellte und die Wende zur geschlechterdif- ferenzierenden Analyse in Architektur und Planung einläutete, begründeten sie damit,
„dass die gegenwärtige Wirtschaft und Politik auch durch das Patriarchat bestimmt sind; dass Männerherrschaft sich nicht nur im direkten Umgang mit uns Frauen äuβert, sondern auch durch die materielle Gestaltung der Umwelt, in der wir leben (…) viele Lebensvollzü- ge spielen sich im Bereich der Wohnung ab. Frauen sind sehr ‘häuslich’. Kaum freiwillig, wie die historische Analyse zeigt. Der Ausschluss von Frauen aus der Öffentlichkeit, die Domestizierung auf Privatheit und stilles Glück sind Resultat einer gewaltsamen Zurich- tung“ (ebd.).
Marianne Rodenstein
8. Frigga Haug (Hg.): Frauen - Opfer oder Täter?
Diskussion. Studienheft 46. Berlin: Argumentverlag 1981
Zusammenfassung
1981 erscheint im Argument-Verlag ein von der Soziologin Frigga Haug herausge- gebenes Studienheft, dessen zentraler und einziger Aufsatz von der Herausgeberin selbst verfasst ist: „Opfer oder Täter? Über das Verhalten von Frauen“2. Es han- delt sich um den Abdruck eines Vortrags, den Frigga Haug auf der Berliner Volks- uni im Jahr zuvor gehalten hat, um eine Mitschrift der Diskussion des Vortrags sowie um eine Dokumentation der Debatte, die in den politisch links orientierten Medien im Anschluss an den Vortrag geführt wurden. Die Tatsache, dass bereits ein Jahr später ein weiteres Studienheft (Frauenredaktion, Projekt Frauenbewe- gung und Arbeiterbewegung 1982) Diskussionen um und Repliken auf die mittler- weile unter dem Stichwort „Opfer-Täter-Debatte“ verhandelte Auseinandersetzung veröffentlicht, zeigt erstens die ungeheure Provokation, die von Haugs Vortrag ausging, wie auch zweitens den Glauben der Frauen im Umfeld des Argument- Verlags an die gesellschaftsverändernde Kraft der Diskussionskultur.
Martina Löw
9. Carol Gilligan: Die andere Stimme
Lebenskonflikte und Moral der Frau, aus dem Amerikanischen von Brigitte Stein. 1984. Titel der Originalausgabe: In a Different Voice. Psychological Theory and Women’s Development, Cambridge: Harvard University Press 1982
Zusammenfassung
Carol Gilligans Studie Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau -1982 in den USA und 1984 in deutscher Übersetzung erschienen - hatte in der westdeutschen Frauenforschung bzw. feministischen Wissenschaft1 der 80er Jahre eine besondere Bedeutung: In vielen universitären Frauenzusammenhängen wurde sie zunächst ebenso begeistert rezipiert wie sie von männlichen Wissenschaftlern abgelehnt wurde, geriet dann aber zunehmend auch in die Kritik feministischer Wissenschaftlerinnen. Die emotionale Dynamik, die mit Gilligans Studie verbun- den war, spiegelt zugleich wichtige Entwicklungsprozesse universitärer Frauen- forschung und feministischer Wissenschaft.
Karin Flaake
10. Regina Becker-Schmidt, Gudrun-Axeli Knapp, Beate Schmidt: Eines ist zuwenig — beides ist zuviel
Erfahrungen von Arbeiterfrauen zwischen Familie und Fabrik. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft 1984
Zusammenfassung
Als Eines ist zuwenig - beides ist zuviel. Erfahrungen von Arbeiterfrauen zwi- schen Familie und Fabrik 1984 publiziert wird, bricht es mit den vorherrschenden und in der Regel negativ konnotierten Klischees über die Lebenssituation von Fa- brikarbeiterinnen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde zumeist angenommen, die Er- werbstätigkeit niedrig qualifizierter Arbeiterinnen sei in erster Linie finanziell motiviert, da - anders als z.B. bei Frauen mit Hochschulausbildung — die persönli- che Befriedigung im Beruf keinen hinreichenden Grund darstellen könne. Zudem halte die Lohnarbeit insbesondere Mütter von ihrer eigentlichen Bestimmung, der Sorge um Haushalt und Kinder, ab.
Regina Siemers, Wera Pretzsch
11. Carol Hagemann-White: Sozialisation: Weiblich — Männlich?
Opladen: Leske + Budrich 1984
Zusammenfassung
Biographisch gesehen war dieses Buch die Wende, die dann zehn Jahre später konstatiert wurde: Mit dem Fragezeichen im Titel begann die Einwanderung kon- struktionstheoretischer Perspektiven in die damals zwischen den polarisierten Be- zugspunkten Gleichheit und Differenz festhängende Debatte der Frauenforschung. Die beginnenden 1980er Jahre waren eine Hoch-Zeit der „Positivierung der Diffe- renz“, in der es vor allem darum ging, als „weiblich“ angesehene Eigenschaften und Merkmale aufzuwerten und zur Basis einer identitätspolitischen Programma- tik in der Frauenbewegung zu machen. Für diesbezüglich eher skeptische Geister war das eine unbefriedigende Situation - mit dem auf den ersten Blick schmalen, gerade 100 Seiten starken Buch von Carol Hagemann-White eröffneten sich dage- gen neue Perspektiven, in denen gedacht werden konnte. Das war insbesondere für den damaligen Nachwuchs von einer heute kaum zu überschätzenden Bedeutung. Für mich ermöglichte dieses Buch eine Verbindung von zwei nebeneinander beste- henden biographischen Linien: der Frauenbewegung bzw. der darauf bezogenen und daher hochpolitisierten Frauenforschung einerseits und der interaktionstheo- retisch-wissenssoziologischen Theoriesozialisation in der Soziologie andererseits. Ohne diesen Text hätte ich vermutlich ein anderes Thema für meinen Habilitati- onsvortrag vorgeschlagen (Gildemeister 1988) - so aber lag ein Werk vor, das fur mich in vielerlei Hinsicht anschlussfähig war.
Regine Gildemeister
12. Christina von Braun: Nicht ich. Logik, Lüge, Libido
Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik 1985
Zusammenfassung
Mit diesen Sätzen beginnt Nicht ich. Logik, Lüge, Libido. Es scheint sich um einen sehr persönlichen Einstieg zu handeln - der Prolog trägt die Überschrift „Das Ich und das Buch“, und ist der Einleitung vorangestellt. Bald jedoch melden sich Zwei- fel: ist dieses weibliche Ich „echt“? Hat man je eine Mutter in dieser Weise über die Geburt ihres Sohnes sprechen hören? Die Zweifel bleiben bis zum Schluss. Im wiederum sehr persönlichen Epilog „Das Buch und das ich“ lesen wir: „Wenn ich jetzt rückblickend beschreiben soll, was die Arbeit an diesem Buch mir gebracht hat, so würde ich sagen: eine gewisse Narrenfreiheit. Wenn es mich ohnehin nicht gibt, kann ich eigentlich auch denken, was ich will“ (ebd.: 489). Anfang und Ende von Nicht ich sind repräsentativ für die dazwischen liegenden 486 Seiten. Die Autorin will Denkzwänge aufheben, sie möchte unsichtbar gewordene Paradoxien und Widersprüche sichtbar machen und scheinbare Gewissheiten radikal in Frage stellen. Auf diesen 486 Seiten erzählt Christina von Braun die Kulturgeschichte einer Schwangerschaft der ganz anderen Art: die Geschichte von der‚Mutterschaft’ des Logos und der ‚Entbindung’ der Frau vom Mann.
Bettina Mathes
13. Barbara Duden: Geschichte unter der Haut
Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730. Stuttgart: Klett-Cotta 1987
Zusammenfassung
Im Jahr 1987 erschien Barbara Dudens Studie Geschichte unter der Haut über den Eisenacher Arzt Johannes Pelargius Storch und seine Patientinnen um 1730. Diese Studie hat in der deutschsprachigen historischen Forschung erstmals den Körper als historisch und kulturell bedingtes Konzept begriffen und nach zeitspezifischen Erfahrungen des „Leibesinneren“ gefragt. Für die Rezeption des Buches sind Bar- bara Dudens wissenschaftspolitisches Engagement sowie ihre späteren Schriften, in denen sie sich kritisch zur postmodernen feministischen Theorie äußert, von entscheidender Bedeutung. Daher werde ich sowohl näher auf ihre Person als auch auf ihre übrigen Publikationen eingehen. Doch halte ich es für wichtig, zudem die Erkenntnisschritte und Thesen ihrer ersten Studie unabhängig von Dudens wissen- schaftlichen, journalistischen und politisch streitbaren Positionen, die sie nicht im Werk selbst geäußert hat, herauszuarbeiten und zu würdigen.
Karen Nolte
14. Gertrud Koch: „Was ich erbeute, sind Bilder“
Zum Diskurs der Geschlechter im Film. Frankfurt a. M.: Stroemfeld / Roter Stern 1989
Zusammenfassung
Gertrud Koch gehört zu den Begründerinnen der feministischen Filmtheorie und beeinflusste wesentlich die Entstehung und Etablierung der Filmwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die feministische Filmtheorie entwickelte sich parallel zu vergleichbaren Theorieformationen in den USA und in England, mit denen sie immer auch in intensivem Austausch stand. Gertrud Kochs Arbeit ist hierfür exemplarisch; Koch ist eine der wenigen Repräsentantinnen der bundes- deutschen Filmwissenschaft mit breiter internationaler Anerkennung.
Heike Klippel
15. Judith Butler: Gender Trouble
Feminism and the Subversion of Identity, New York: Routledge 1990. Titel der Originalausgabe: Das Unbehagen der Geschlechter; aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991
Zusammenfassung
Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity wurde 1990 in den USA veröffentlicht und erschien ein Jahr später in Deutschland unter dem Titel Das Unbehagen der Geschlechter.1 Dieses Buch kann als akademischer Bestseller gel- ten, der seine Autorin zu einem „Superstar“2 der feministischen Wissenschaft mach- te. Das Buch popularisierte einen postmodernen, poststrukturalistischen Anti-Es-sentialismus, demzufolge das biologische und das soziale Geschlecht nicht natür- lich vorgegeben, sondern sozial konstruiert sind.
Heike Jensen
16. Claudia Honegger: Die Ordnung der Geschlechter
Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, 1750–1850. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991
Zusammenfassung
Claudia Honegger hat sich mit ihren Arbeiten zur Erforschung historischer Ge- schlechterverhältnisse innerhalb der Frauenforschung bereits in den 1980er Jahren einen Namen gemacht. In dem viel rezipierten Band Listen der Ohnmacht (1981) arbeitet sie gemeinsam mit Bettina Heintz subversive Widerstandsformen bürger- licher Frauen im 19. Jahrhundert heraus, mit denen es diesen gelang, Freiräume innerhalb des ihnen auferlegten Weiblichkeitsentwurf zu erschließen. Dieser Pu- blikation geht die Hexen der Neuzeit (1979) voraus, eine Untersuchung, in der sich Honegger mit der Entstehung und dem Zerfall des europäischen Hexenglaubens auseinandersetzt. Darin begreift sie den Hexenwahn als kulturelles Deutungsmu- ster im „Prozess der okzidentalen Rationalisierung“ (Honegger 1979:137). Beför- dert Honegger auf diese Weise ans Licht, wie mit Hilfe spezifischer Wissensfor- men zu Beginn der Neuzeit soziale Machtstrukturen befestigt werden, verschreibt sie sich in dem gemeinsam mit Theresa Wobbe herausgegebenen Band Frauen in der Soziologie (1998) einer weiteren „Ausgrabungsarbeit“: Dabei greift sie eine vergessene Tradition von Frauen auf, die sich in der Anfangsphase der Soziologie mit Fragen der sozialen Ordnung und des Geschlechterverhältnisses beschäftigt haben. Honegger dokumentiert sowohl ihren Beitrag zur soziologischen Theorie- bildung als auch die biographische Entwicklung und das Werk jener Pionierinnen der Sozialwissenschaft, von denen sich nur ein Teil auf kulturelle Institutionen berufen konnte, die die wissenschaftliche Arbeit von Frauen ermöglichten.
Walburga Hoff
17. Sander L. Gilman: Freud, Identität und Geschlecht
Aus dem Amerikanischen von H. Jochen Bußmann. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag 1994. Titel der Originalausgabe: Freud, Race, and Gender, Princeton: Princeton University Press 1993
Zusammenfassung
Freud, race, and gender - mit seinen drei prägnanten Schlagworten signalisiert der englische Titel des hier als „Schlüsselwerk der Geschlechterforschung“ zu prä- sentierenden Buches das Anliegen des Autors: einen Beitrag zu den intrikaten Zu- sammenhängen zwischen den Kategorien race und gender zu liefern. Die deutsche Übersetzung des Titels, die das englische race nicht mit dem im Deutschen kaum mehr verwendbaren „Rasse“1 wiedergibt, sondern durch „Identität“ ersetzt, ver- weist darüber hinausgehend darauf, dass es in Gilmans Buch nicht allein um die Kategorien race und gender geht, sondern auch um deren Zusammenspiel mit an- deren Identität konstituierenden Kategorien wie Sexualität, Körper, Krankheit und nicht zuletzt der Wissenschaft.
Stefanie von Schnurbein
18. Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen
Hg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Fink, Carmen Hammer, Helga Kelle, Anne Scheidhauer, Immanuel Stieß, Fred Wolf. Frankfurt a. M.: Campus Verlag 1995
Zusammenfassung
Mit diesem Buch, das den Untertitel „Primaten, Cyborgs und Frauen“ trägt, will eine Gruppe von Wissenschaftlerlnnen einem deutschen Lesepublikum die Arbei- ten der amerikanischen Wissenschaftsforscherin und Biologin Donna Haraway vorstellen.1 Der Band versammelt vier ausgewählte Essays aus den Jahren 1985–1989 und wird ergänzt um ein Interview mit der Autorin aus dem Jahre 1993. Das Interview wurde im Anschluss an den Kongress „Geschlechterdifferenz und Na- turkonzepte in der Moderne“, der vom Hamburger Institut für Sozialforschung veranstaltet worden war, geführt. Als Rahmen für das Buch fungiert eine gemein- sam formulierte Einleitung, in der Carmen Hammer und Immanuel Stieß eine theo- retische Einordnung von Haraways Arbeiten vornehmen.
Ulrike Teubner
19. Silke Wenk: Versteinerte Weiblichkeit
Allegorien in der Skulptur der Moderne. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 1996
Zusammenfassung
Was haben Lara Croft, die Computerspielfigur der 90er Jahre des 20. Jahrhun- derts, die Plastik einer Mutter mit Kind im sozialen Wohnbau der 50er Jahre und die Borussia auf der Berliner Siegessäule von 1873 gemeinsam? Und was daran ist für die Analyse von Geschlechterstrategien von Relevanz? Gemeinsam ist den Fi- guren ein weiblicher Körper, der allerdings nicht auf historische Subjekte verweist, sondern hegemoniale Werte der jeweiligen Gesellschaft repräsentiert, d.h. diese vertritt, darstellt und vor allem auch herstellt und sie so zur sozialen Wirklichkeit macht. Die Figur auf der Siegessäule verspricht Sieg der neuen Einheit der deut- schen Nation. Die Plastik in den Grünanlagen der Wohnbauten verspricht Sozial- staat, d.h. Rekreation, Reproduktion und familiäre Ordnung als gegenseitige so- ziale Verpflichtung von Subjekt und Staat. Die Computerfigur verspricht globale Handlungsfähigkeit, d.h. Navigierbarkeit von Globalisierung und neuer Technolo- gien (Pritsch 2000, 2001).1 Die antikisch gekleidete Borussia, die fast nackte Mutter und die mit Straps und Pistolenhalftern den Raum durchsausende postfeministi- sche Superheldin sind demnach Veranschaulichungen kollektiver Werte, die sich auf nationale und „transnationale Identitäten“ (Pritsch 2000) beziehen.
Irene Nierhaus
Backmatter
Metadata
Title
Schlüsselwerke der Geschlechterforschung
Editors
Martina Löw
Bettina Mathes
Copyright Year
2005
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80445-7
Print ISBN
978-3-322-80446-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80445-7