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16-07-2019 | Versicherungswirtschaft | Interview | Article

"Digitalisierung ist kein IT-Projekt"

Author: Angelika Breinich-Schilly

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Interviewee:
Stephen Voss

Stephen Voss ist Gründer und Vorstand der Neodigital Versicherung AG.

Warum sehen sich Online-Versicherungen für die Zukunft besser aufgestellt als ihre großen traditionellen Mitbewerber? Ein Gespräch mit Stephen Voss vom Online-Versicherer Neodigital.

Springer Professional: Wie wird sich die deutsche Versicherungsbranche in den kommenden zehn bis 15 Jahren verändern?

Stephen Voss: Wir stehen gerade erst am Beginn einer grundsätzlichen Transformation der Versicherungsindustrie in Deutschland. Das hat vielerlei Gründe, ist aber maßgeblich von den gestiegenen Ansprüchen der Kunden getrieben. Schnelle Response-Zeiten, einfache Abwicklung und transparente Produkte außerhalb starrer Vertragslaufzeiten gehören für die rapide anwachsende Zielgruppe der Generation Y, also der Kundengruppe die in den 90er Jahren des letzten Jahrtausends geboren wurden, zum digitalen Alltag. Einfaches Beispiel: Ein Anfang der 90er geborener Kunde ist schon mit der CD groß geworden und hatte vielleicht schon mit 16/17 Jahren sein erstes Smartphone. Zur Erinnerung: Das erste iPhone wurde am 9. November 2007 in die europäischen Märkte eingeführt. Das ist gar nicht so lange her und wie wir wissen, wurde danach alles anders. Darauf muss und wird sich die Industrie mit onlinefähigen modularen Produkten anpassen und ebenso der Vertrieb einstellen. Die erlernten und zum Teil bereits stark ausgetretenen Pfade mit Kundenakquisition und -betreuung im physischen Vertrieb, also beim Kunden am Küchentisch zu Hause, werden an Bedeutung verlieren. Und dennoch steigt der Bedarf des Kunden – und auch der Anspruch des Gesetzgebers – nach umfassender Betreuung und Beratung. Vor allem die Betreuung wird durch digitale Tools und Kommunikationswege unterstützt. Komplett abgeschafft wird der Vermittler deswegen zwar nicht, aber er wird sich effizienter organisieren müssen.

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Der folgende Beitrag verschafft einen Überblick über verschiedene Facetten, Dimensionen und Auswirkungen der digitalen Transformation in Unternehmen. Dabei werden im ersten Teil verschiedene Definitionen, Studien und Modelle diskutiert, mit welchen Unternehmen die Ziele sowie ihren digitalen Reifegrad messen, bewerten und verbessern können.

Welche Technologien werden bei diesem Veränderungsprozess die treibende Kraft sein?

Hier gibt es ebenfalls mehrere Ebenen: Eine davon ist die Schnittstelle zum Kunden. Der jederzeit verfügbare, weil online organisierte Vertragsordner wird zum Standard. Kein Kunde wird mehr vor Antritt einer Reise, wie früher üblich, die wichtigsten Papierkopien seiner Versicherungen mit sich führen. Es muss alles im Zugriff auf seinem Smartphone sein. Über diesen Weg werden Änderungen vorgenommen oder auch Schäden gemeldet. Und zwar jederzeit. Bürozeiten von 8:00 bis 17:00 sind ebenso passé. Das Zauberwort hier ist Convenience. Daher werden wir vermehrt auch gesellschafts- und produktübergreifende Lösungen im Markt finden, mit denen der Kunde in einer App alle Themen rund um das Thema Finanzen und Absicherung organisieren kann. Erste Anbieter gibt es ja bereits. Eine weitere Ebene ist dann die technologische Struktur beim Produktanbieter selbst, also beim Versicherungsunternehmen. Die digitale Architektur muss so ausgelegt sein, dass vertragsrelevante Inhalte die eben zuvor besprochenen Kundenschnittstellen in Echtzeit und in bidirektionaler Kommunikation bedienen. Da hier alle Vertragsebenen betroffen sind, muss die Technologie untereinander zwingend vernetzt und durchlässig sein. Oder andersherum: Die Zeit autarker Teilsysteme, beispielsweise ein Kundenverwaltungssystem und ein separates Schadensystem, sind vorbei. Alles muss aus einer Datenbank durchlässig aufgebaut sein. Und hieraus ergibt sich dann die dritte Ebene der Technologie: Am Point of Sale, egal ob online oder über einen Vermittler, müssen alle User bis in die Zentralsysteme der Produktgeber durchgreifen können, um die Vertrags- und Kundendaten optimal und in Echtzeit verwalten zu können. Das erfordert einheitliche Standards zum Datenaustausch wie die BiPro EV Normen oder aber auch neue Hierarchie- und Authentifizierungsverfahren zu Abruf und Verarbeitung der Daten. Aber nur so wird Transparenz geschaffen.

Was bedeutet dieser Wandel für die Prozesse innerhalb der Unternehmen, für deren Mitarbeiter und schließlich für den Kunden?

Innerhalb der Unternehmen muss der technologische Wandel einher gehen mit einer offenen Unternehmenskultur. Weil die Technologie die Prozesse transparent gestaltet und nun Bereiche direkt und in Echtzeit miteinander verzahnt werden, für die früher der kleine Dienstweg über Hauspost ausreichte. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen Vertragsabteilungen ein Kundenanliegen per Hausboten an die Schadenabteilungen geschickt haben. Die Email kam erst später. Aber der Austausch war trotzdem manuell und musste in mehreren Systemen händisch eingepflegt werden. Das kann sich heute kein Unternehmen ernsthaft mehr leisten. Durch die digitale Transformation wird alles schneller und dient auch dem Kunden sowie der Transparenz. Aber die Mitarbeiter einer Versicherung müssen auch bereit sein, diesen digitalen Weg zu gehen. Immerhin wirkt diese Transformation in alle Unternehmensbereiche bis hin zum Vertrieb. Dieser wird schneller und transparenter arbeiten und mit den veränderten Kundenansprüchen umgehen müssen. Das System muss vom Kunden her ticken, denn er sitzt letztendlich am Hebel: Er entscheidet, wo sein Vertrag, seine Absicherung, seine Dienstleistung geführt wird. Und der Wechsel der Versicherung schreckt heute keinen Kunden mehr ab.

Nicht alle Versicherer agieren in der gleichen Geschwindigkeit und auch die Strategien sind unterschiedlich. Welches Unternehmen nimmt die Entwicklungen leichter und wo liegen die praktischen Hürden?

Die Geschwindigkeit und Strategie einer Transformation wird stark von der Größe, Finanzkraft und auch dem Marktzugang der Unternehmen bestimmt. Dabei kann jeder einzelne Punkt Vor- und Nachteile haben. Prinzipiell ist aber festzuhalten, dass größere Unternehmen mit stabilen Bilanzen es einfacher haben werden. Aufbauend auf einem starken, gewachsenen Bestand können die Kosten, aber auch die Ressourcen für den digitalen Umbau besser gestemmt werden. Das Einzige, was hier einschränkend agiert, ist die Komplexität und der Aufbau der Strukturen inklusive der Mitarbeiter. Zu einer digitalen Transformation gehört daher immer auch ein rigide geführtes Change Management dazu. Digitalisierung ist keine Vorstandsentscheidung, die vom Fachbereich IT durchgeführt wird. Es handelt sich hier um ein ganzheitliches Projekt für die gesamte Organisation. Neue Versicherer hingegen haben diese Altlasten der Organisation nicht, aber ihnen steht das ökonomische Risiko gegenüber, erstmal Bestand aufbauen zu müssen. Wie sie sehen, ob Schnellboot oder Tanker, so einfach ist das nicht.

Werden langfristig sogar große Wettbewerber vom Markt verschwinden, weil sie mit den technologischen Trends nicht mithalten können?

Das kann durchaus passieren. Größe alleine reicht nicht aus, wenn die Transformation in den Köpfen und damit einhergehende Veränderung in den Personalstrukturen nicht angegangen werden. Wie gesagt: Digitalisierung ist kein IT-Projekt. Die IT ist ein Baustein, aber der Weg ist viel breiter und weiter. Natürlich werden große Unternehmen noch lange vom aufgebauten Bestand zehren können. Wenn der Umbruch im Zugang zum Kunden und in der Kommunikation nicht gelingt, wird die demographische Entwicklung ihr übriges tun. Flexible Kunden werden den Anbieter wechseln, ein Teil der Kunden überaltert, und der letzte Teil der Kunden wechselt wegen der Schadenhistorie nicht, weil er keinen anderen Anbieter für sein Risiko findet. Ergebnis: Ein überalterter Bestand, im schlimmsten Fall mit einer negativen Risikoselektion ohne den notwendigen Ausgleich durch neue Kunden. Ich würde da nicht ruhig schlafen.

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