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09-03-2023 | Wirtschaftspolitik | Schwerpunkt | Article

Top-Talente zieht es nicht nach Deutschland

Author: Andrea Amerland

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Mit einem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz will die Bundesregierung dem Personalmangel in Unternehmen begegnen. Doch wie der aktuelle OECD-Attraktivitätsindex 2023 zeigt, ist Deutschland für Top-Talente kein Magnet.

Ignoriert, weggeschoben, ausgesessen: Lange schien es den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel für viele deutsche Politiker nicht zu geben. Dabei liegen die Zahlen, wie sich der deutsche Arbeitsmarkt in Zukunft entwickeln wird, bereits lange auf dem Tisch: Positiven Berechnungen zufolge, die von einer zunehmende Geburtenzahl, einer moderaten Lebenserwartung und dadurch einer  Abbremsung des Alterungseffekts sowie einer sehr hohe Nettozuwanderung ausgehen, würde die Bevölkerungszahl im Jahr 2060 bei 84,5 Millionen Menschen liegen. 

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Die gesellschaftliche und soziale Umwälzung durch globale Neujustierungen ist auch im demografischen Wandel wiederzufinden. Insbesondere die Migration stand in den letzten Jahren wiederholt im Fokus von Medien und Wissenschaft.

"In der umgekehrten Konstellation würde die Bevölkerungszahl bis 2060 auf 74 Millionen zurückgehen", schreiben Doris Lindner-Lohmann, Florian Lohmann und Uwe Schirmer über die "Rahmenbedingungen der Personalpolitik". Die Springer-Autoren betonen: "Ohne Zuwanderung würde sich die Zahl an Erwerbstätigen bereits bis zum Jahre 2035 um neun Millionen Personen verringern" (Seite 13). 

Wanderungssaldo für Deutschland auf Tiefstand

Jetzt, da die Schlüsselindustrien hierzulande ihr Wachstum durch fehlende Personalressourcen gefährdet sehen, bekommt dieses Problem bereits eine hohe Dringlichkeit. Nun sollen es Einwanderer richten, aber bitte möglichst hochqualifizierte. Diese zieht es allerdings nicht unbedingt nach Deutschland. 

"Bedingt durch die Pandemie und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen sowie das ökonomisch unattraktivere Umfeld sank der Wanderungssaldo 2020 gegenüber dem Vorjahr um 136.078 (-35 Prozent) ausländische Personen. Zwar pendelte sich die Zahl 2021 mit 393.342 Personen wieder auf das Vor-Corona-Niveau ein, befindet sich allerdings auf einem niedrigeren Stand als 2013", heißt es in dem Artikel "Ausländische Fachkräfte im Blickfeld", der in der Open-Access-Zeitschrift "Wirtschaftsdienst", Ausgabe 8/2022 erschienen ist. Die Autoren verweisen darauf, dass die aktuelle Migrationsbewegung vor allem durch das Kriegsgeschehen in der Ukraine geprägt sei. Allerdings wollen viele geflüchtete Ukrainer schnellstmöglich wieder in ihre Heimat zurück. 

Wirtschaftsstandort Deutschland nicht attraktiv genug

Bleibt zudem das Problem, das Deutschland für viele gut ausgebildete Professionals einfach nicht attraktiv genug ist. So fällt die Bundesrepublik laut des aktuellen OECD-Attraktivitätsindex 2023 im internationalen Rennen um Top-Talente zurück und gehört nicht zu den zehn Ländern mit den ansprechendsten Rahmenbedingungen für ausländische Fachkräfte, Unternehmer und Gründer.

Die aktuelle Studie "OECD Indicators of Talent Attractiveness", die mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung erstellt wurde, hat für alle 38 OECD-Länder untersucht, wie günstig die Voraussetzungen für qualifizierte Migranten sind. Dabei wurden sieben Rahmenbedingungen in den Blick genommen: 

  1. Berufliche Chancen, 
  2. Einkommen und Steuern, 
  3. Zukunftsperspektiven, 
  4. Chancen für Familienangehörige, 
  5. das Kompetenzumfeld sowie
  6. Diversität und
  7. Lebensqualität. 

Bürokratie und Visa-Hürden kosten Punkte

Auch etwaige Schwierigkeiten wie bürokratische Hindernisse bei der Visa-Erteilung flossen mit in die Beurteilung ein. Im Endergebnis ist Deutschland im Vergleich zur Analyse von 2019 vom zwölften Platz auf Rang fünfzehn abgerutscht. Besonders anziehend für Einwanderer sind hingegen Neuseeland, Schweden, die Schweiz, Australien und Norwegen. 

Zwar haben sich die Bedingungen in Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland nicht verschlechtert, allerdings konnten sich andere Staaten klar verbessern. Gleichzeitig ist die Dringlichkeit für die Bundesrepublik gestiegen, den Wohlstand durch Migranten zu sichern. 

Verbessern sollten sich in der Bundesrepublik laut Analyse die Chancen für ausländische Akademiker, gute Jobs zu bekommen, die ihren Fähigkeiten entsprechen, die langsame Einbürgerungspraxis sowie die hinterherhinkende Digitalisierung. Letztere werde insbesondere auch beim Visa-Verfahren ersichtlich. Zudem gibt es wegen abgelehnter Anträge Hochqualifizierter einen Punkteabzug. Gleichzeitig wirken der Steuersatz von über 50 Prozent für Top-Verdiener sowie die geringe Diversität in Unternehmen abschreckend auf potenzielle Einwanderer. 

Start-ups mau, Studierende wow

Auch für Start-ups ermittelt die Studie Optimierungsbedarf. Während Kanada, die USA, Frankreich, Großbritannien und Irland bei dieser Zielgruppe überzeugen, belegt Deutschland auch hier nur den zwölften Platz. Denn es scheitert für Entrepreneure aus dem Ausland offenbar an geringeren beruflichen Chancen, in Relation weniger Erfinderinnen und maßgeschneiderten Visa.

Lediglich international Studierende zieht es an die deutschen Universitäten. In dieser Kategorie schafft es die Bundesrepublik hinter den USA auf Rang zwei und kann Großbritannien, Norwegen und Australien hinter sich lassen. Besonders gut schneidet Deutschland hier bei der Qualität der Hochschulen, den geringeren Kosten für das Studium sowie guten Arbeits- und Bleibemöglichkeiten während und nach dem Studium ab.

Young Professionals frühzeitig binden

Unternehmen, die das Fachkräfteproblem teilweise mit Hochschulabsolventen abfedern wollen, bieten sich hier daher Chancen. Da sich Studierende eher bei solchen Organisationen bewerben, deren Werte (etwa Ehrlichkeit oder Leistungsorientierung) ihrer eigenen Werteorientierung entsprechen, so Lars J. Jansen, Joachim Diercks und Kristof Kupka im Buchkapitel "Personalmarketing und Employer Branding" (Seite 26), sollten Unternehmen ihren Purpose und ihre Haltung klar kommunizieren. Zudem ist es unabdingbar, Recruiting- und Jobmessen an Hochschulen für das Anwerben hochqualifizierter Young Professionals zu nutzen

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