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07-02-2018 | Abgasnachbehandlung | Schwerpunkt | Article

Streitpunkt SCR-Kat-Nachrüstung beim Dieselfahrzeug

Author: Patrick Schäfer

4:30 min reading time

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Streit um zu hohe NOx-Emissionen bei Dieselfahrzeugen: Ist die Nachrüstung mit SCR-Kats die Lösung für "schmutzige" Euro-5-Motoren oder ist ein unverhältnismäßig hoher technischer Aufwand mit entsprechenden Kosten zu befürchten?

Vor allem Dieselfahrzeuge mit zu hohen Stickoxid-Emissionen sorgen dafür, dass sich die Luftqualität in deutschen Ballungsgebieten seit Jahren kaum verbessert. Von der Einhaltung der NOx-Grenzwerte ist man weit entfernt. Der Öffentlichkeit wurde medienwirksam bereits eine sehr einfache Lösung präsentiert – die Nachrüstung eines SCR-Katalysators, wie er auch in neueren Euro-6-Dieselfahrzeugen bereits serienmäßig verbaut ist. 

Im aktuellen DAT-Report geht etwa die Hälfte der befragten Autofahrer davon aus, dass sich Industrie und Politik auf bezahlbare Nachrüstlösungen einigen werden. Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ist sich da überhaupt nicht sicher. "Eine Nachrüstung mag möglich sein, aber mit welchem Aufwand und zu welchen Kosten?", fragt er bei seinem Vortrag "Eine technische Bewertung der Nachrüstlösung" auf der HDT-Tagung "motorische Stickoxidbildung".

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Konnten frühere Abgasgrenzwerte allein durch innermotorische Maßnahmen erreicht werden, im Falle von NOetwa mit einer Abgasrückführung, ist nun durch die strengere Gesetzgebung mit Einhaltung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb eine komplexe Abgasnachbehandlung inzwischen obligatorisch. Um Stickoxide zu reduzieren, gilt der SCR-Katalysator derzeit sowohl im Nutzfahrzeug- als auch im Pkw-Bereich als unverzichtbar: "Ein Dieselmotor mit einer SCR-Abgasnachbehandlung ist nach wie vor eine zielführende Lösung zur Verringerung der CO2-Emissionen und zur konsequenten Kraftstoffeinsparung bei ausgezeichnetem und stabilem Emissionsverhalten", sagt auch Patrice Marez, Vice President Powertrain System Design und Senior Expert bei PSA im Interview Innovative Technik muss für unsere Kunden erschwinglich bleiben in der MTZ 1/2018. Gerade um die NOx-Immissionen der großen Städte (Stuttgart, Düsseldorf, München oder Berlin) zu senken, wäre die Umrüstung entsprechender Euro-5-Fahrzeuge ein wirksames Mittel und einem drohenden Fahrverbot vorzuziehen.

Kritische Eingriffe in hochkomplexe Systeme

Was spricht also gegen den Einbau eines SCR-Katalysators in einen Euro-5-Dieselmotor, der die NOx-Emissionen erheblich senken könnte? Auch wenn es "grundsätzlich technisch möglich" ist, wie das Umweltbundesamt etwas vereinfachend schreibt, stellt sich die Lage nicht ganz so einfach dar.

Branchenexperten zeigen sich skeptisch, vor allem, was einen Eingriff in die Hardware betrifft. Die Applikation eines Motors ist eine sensible Aufgabe, die Systeme werden präzise aufeinander abgestimmt", erklärt Angelina Hofacker in ihrem Beitrag Die Zukunft des Verbrennungsmotors - Jetzt mal zur Sache in der ATZ 9/2017

Denn die Abgasnachbehandlung stellt ein komplexes System mit einer Vielzahl von aufeinander abgestimmten Komponenten wie Katalysatoren, Sensoren oder Filter dar, in das man nicht beliebig eingreifen kann. "Die Betriebsstrategie zur Minimierung der Schadstoffbildung wird üblicherweise eingefroren, sobald ein Dieselmotor die Produktion verlässt. Somit kann die Emissionscharakteristik des Motors nicht mehr aktiv verändert werden", heißt es im Beitrag Adaptive Regelung der Real-Driving-Emissionen von Dieselmotoren aus der MTZ 12/2017.

Flottendurchdringende Lösung wird angezweifelt

Ein näherer Blick auf die komplexe Thematik zeigt limitierende Faktoren, angefangen vom vorhandene Bauraum auch für den AdBlue-Tank sowie dem Einbauort der nachgerüsteten Systeme. Der SCR-Katalysator müsste am Ende der mehrstufigen Abgasreinigung installiert werden. Das schafft Probleme für die Regeneration der Abgasreinigungssysteme: "Dazu sind definierte Abgastemperaturen erforderlich, die im normalen Fahrbetrieb in der Regel selten erreicht werden", heißt es im Kapitel Steuerung und Regelung von Dieselmotoren im Buch Grundlagen Fahrzeug- und Motorentechnik. Auch Koch sieht die Ingenieure vor "große Herausforderungen" gestellt, die zwar im Einzelfall gelingen mögen, aber eine Flottendurchdringung über alle Modelle unter Berücksichtigung jeglicher Motor-Getriebe-Version hält er für kaum abbildbar. 

Wie schon bei der Nachrüstung von Dieselpartikelfiltern sind die technischen Voraussetzungen alles andere als einfach: "Nachrüstung aber ist mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, mit Motoren aller Leistungen […], unterschiedlichsten Konstruktionen, Alters- und Laufzeitunterschieden, verschiedenen Emissionsniveaus, unterschiedlichen Applikationsprofilen, Flotten- und Infrastrukturen", heißt es im Beitrag Qualitätsstandards und Prüfverfahren für Partikelfilter zur Nachrüstung von Nutzfahrzeugen. Ein offener Punkt betrifft auch die Wechselwirkungen mit dem Motormanagement. Koch schätzt den Entwicklungsaufwand der Autohersteller pro Modell demnach auf mindestens ein Jahr. 

Wer kommt für die teuren Maßnahmen auf?

Der finanzielle Aufwand läge außerdem deutlich höher als in der Öffentlichkeit präsentiert – der Umbau des Prototypen eines Zulieferers sollte ohne Werkstattkosten auf einen Betrag von etwa 2000 Euro ohne Mehrwertsteuer kommen. Koch geht davon aus, das die realen Kosten an die 5000 Euro reichen könnten, denn es werden unter anderem auch neue Leitungen, Kabelsätze, Steuergeräte und Sensoren benötigt. Die Frage nach der Kostenübernahme ist ein ebenso spannendes Thema wie die ungeklärten Haftungsfragen – der Eingriff in das Abgasreinigungssystem der Hersteller kann durchaus zu unerwarteten Problemen führen. Koch sieht demnach auch die Betriebssicherheit der nachgerüsteten Fahrzeuge gefährdet. Kaum vorstellbar, dass sich die Autohersteller bei einer Nachrüstung auf eine Garantieleistung einlassen.

Bislang waren Verkehrsministerium und Automobilindustrie gegen eine Nachrüstung. Nun soll ein Gutachten der Bundesregierung sich für die SCR-Lösung in alten Euro-5-Dieseln aussprechen, wie "Spiegel online" vorab berichtete. Inzwischen zogen wohl auch die Koalitionäre von CDU und SPD eine Hardware-Nachrüstung in Betracht, wie die Nachrichtenagentur dpa vermeldete. Man darf gespannt sein auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Emissionsreduzierung bei den im Verkehr befindlichen Fahrzeugflotten" des nationalen Dieselforums.

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