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2003 | Book

Das rot-grüne Projekt

Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998–2002

Editors: Christoph Egle, Tobias Ostheim, Reimut Zohlnhöfer

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter

Vorwort

Vorwort
Zusammenfassung
Im Herbst 1998 fand zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein richtiger Regierungswechsel statt: Bei den vorangegangenen Regierungswechseln war jeweils eine Partei schon an der Vorgängerregierung beteiligt gewesen: 1966 verblieb die CDU in der Regierung, regierte aber in einer Großen Koalition mit der SPD, 1969 blieben die Sozialdemokraten an der Regierung und bildeten eine Koalition mit der FDP, und diese verließ 1982 wiederum die SPD, um gemeinsam mit der CDU eine neue Regierung zu bilden. Erst durch die Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurden erstmals die Parteien, die bisher die Regierung gestellt hatten, komplett durch bisherige Oppositionsparteien ersetzt. Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob diesem ersten wirklichen Regierungswechsel auch ein ebenso prägnanter Politikwechsel folgte, wie dies der Begriff des „rot-grünen Projekts“ suggeriert, oder ob ein solcher durch die häufig beschriebenen Grenzen und Schranken des deutschen Regierungssystems verhindert wurde. Die Beantwortung dieser Frage ist das Ziel des vorliegenden Sammelbandes.
Christoph Egle, Tobias Ostheim, Reimut Zohlnhöfer

Einführung: Eine Topographie des rot-grünen Projekts

Einführung: Eine Topographie des rot-grünen Projekts
Zusammenfassung
Der Regierungswechsel vom Oktober 1998 brachte eine ganze Reihe von Neuheiten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit sich: Zum ersten Mal wurde ein Regierungswechsel durch eine Wahl und nicht durch einen Koalitionswechsel einer Partei herbeigeführt, und erstmalig wurde eine Regierung gebildet, der keine Partei angehörte, die schon Teil der vorangegangenen Regierungskoalition gewesen war. „Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik war das eigentlich Selbstverständliche selbstverständlich geworden. Das war der Zauber, der diesem Anfang innewohnte“ (Prantl 1999: 9). Deshalb wurde dieser Machtwechsel auch „historisch“ genannt -; seine Geschichtlichkeit konnte man ihm jedoch kaum anmerken, dazu verlief der Wechsel von Kohl zu Schröder zu unspektakulär. Nach 16 Jahren wurde die christlich-liberale Koalition ersetzt durch eine Koalition aus der SPD und den Grünen, die — ein weiteres Novum — zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte im Bund mitregierten. Auch regierte mit den Grünen nun erstmals eine Partei, deren historische Wurzeln nicht bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen, sondern die ein ausschließliches Kind der Bundesrepublik ist. Außerdem wurde an der Spitze des Staates ein Generationenwechsel vollzogen: Viele Kabinettsmitglieder haben ihre politische Sozialisation im 68er-Umfeld und in den frühen 70er Jahre erfahren, während die Kabinette Kohl noch von der Nachkriegsgeneration geprägt waren. Der vielzitierte „Marsch durch die Institutionen“ war durch das Ergebnis der Bundestagswahl von 1998 Wirklichkeit geworden, und nun sollten die Marschierer zeigen, was sie konnten. Dabei durften so viele Frauen mitmarschieren wie noch nie zuvor in einer bundesdeutschen Regierung: immerhin 5 Ministerinnen und 9 parlamentarische Staatssekretärinnen. Der Regierungswechsel 1998 war somit nicht nur ein politischer, sondern auch ein kultureller Wandel. Dies alles schlug sich im Begriff des „rot-grünen Projekts“ nieder, das nun verwirklicht werden sollte. Auch aus diesem Grund erweckte die rot-grüne Bundesregierung bei einigen besondere Hoffnungen, bei anderen große Befürchtungen.
Christoph Egle, Tobias Ostheim, Reimut Zohlnhöfer

Parteien und Strategien

Frontmatter
Das rot-grüne Projekt an der Wahlurne: Eine Analyse der Bundestagswahl vom 22. September 2002
Zusammenfassung
Das rot-grüne Projekt ist in der Abstimmung am 22. September nicht gescheitert, aber die Wahl war für die Regierung ein Sieg ohne Lorbeeren. Die SPD blieb stärkste Partei mit wenigen tausend Stimmen Vorsprung vor der Union, aber nur dank der Überhangmandate für die Sozialdemokraten und dem besseren Abschneiden der Grünen, vor allem im Westen, bleibt die Regierung im Amt, mit vier Sitzen über der absoluten Mehrheit (der sogenannten Kanzlermehrheit). Das ist nicht viel, es muss aber nicht zwangsläufig eine schwache Regierung bedeuten. Knappe Mehrheiten hatten auch frühere Koalitionen (zum Beispiel nach der Bundestagswahl 1994), ohne dass dadurch große Bestandsgefährdungen auftraten, aber sie verlangen viel Abstimmung, viel Disziplin und Geschlossenheit innerhalb der Regierungsfraktionen. Hinzu kommt, dass der Bundesrat wohl für einige Zeit von der Opposition dominiert sein wird. ‚Reine‘ rot-grüne Vorhaben werden nur schwer durchzusetzen sein, auch wenn die Union versprochen hat, keine Blockade-Politik zu betreiben. Die Fortsetzung der ‚Reformpolitik‘ der Bundesregierung wird demnach viel Überzeugungsleistung verlangen, denn Einschnitte in lieb gewonnene Bereiche sozialer Sicherung stehen weiter auf der Agenda, um den Anforderungen der Zukunft in den Bereichen Renten, Gesundheit, Steuer- und Lastengerechtigkeit und vor allem Arbeitsmarkt gerecht zu werden. Jeder Angriff auf den Status quo wird mit Schmerzensschreien der Lobbyisten beantwortet werden. Es sind dieselben Themen, mit denen die rot-grüne Koalition ihre Regierungszeit 1998 begonnen hat, die die Diskussion beherrschen. Es gibt — im Gegensatz zum Wahlkampf — für die Regierungsperiode keine Entlastung über einen Themenwechsel.
Dieter Roth
Die Entwicklung des Parteienwettbewerbs
Zusammenfassung
Im Zeitalter der ideologisierten Massenparteien und zum Teil auch in der Ära der Volksparteien gab es langfristige Positionierungsversuche der Parteien im Wettbewerb, vor allem durch ideologische Programmarbeit und organisatorische Verzahnung der Parteiorganisation mit wichtigen sozialen Segmenten etwa in Zubringeorganisationen (conveyer-organizations). Beides existiert nur noch als Rückzugsnische. Nur noch mittelfristig sind die Anstrengungen der Parteien. In der Programmarbeit haben sich selbst in der SPD, die vergleichsweise die am stärksten ideologische Partei war, schon in den 70er Jahren als Antwort auf die neo-marxistischen Ideologisierungsversuche die losen „Orientierungsrahmen“durchgesetzt, die nur noch für eine Dekade galten. „Ewige Programme“ waren seit Godesberg nicht mehr gefragt.
Klaus von Beyme
Später Sieg der Modernisierer über die Traditionalisten? Die Programmdebatte in der SPD
Zusammenfassung
Ist Rot-Grün ein Projekt? Das Fragezeichen verdeutlicht das Irritierende angesichts des Wirkens dieser Koalition. Während der gesamten 14. Legislaturperiode blieb es den professionellen Politikbeobachtem und der interessierten Öffentlichkeit unklar, inwieweit die handelnden Akteure grundlegende Konzepte hatten, nach denen sie ihre Politik ausrichteten. Sind aber die Gmndlagen und Ziele des eigenen politischen Handelns unsicher, werden gerne inhaltlich nur schwer fassbare Begriffe in den Diskurs gebracht (Merkel 2000a: 263). Der„Dritte Weg“im europäischen und die „Neue Mitte“ im deutschen Kontext sind solche Metaphem. Besonders innerhalb der SPD war zu Beginn der Legislaturperiode nicht geklärt, welche Politik sie mit der erlangten Regierungsmacht verfolgen wollte. Diese Politik sollte zwar „besser“, aber nicht unbedingt „anders“ sein — wobei offen blieb, mit welchen programmatischen Kriterien sowohl das eine als auch das andere zu messen sei.
Christoph Egle, Christian Henkes
Lernen unter Stress: Politik und Programmatik von Bündnis 90/ Die Grünen
Zusammenfassung
Nahezu alle politischen Parteien haben leidvolle Erfahrungen gemacht mit dem Spagat zwischen einer programmatischen Profilierung einerseits und der Anpassung an die Funktionslogiken des Parteienwettbewerbs, des Wählermarktes und die institutionellen Zwänge einer Regiemngsbeteiligung andererseits. Dieser Spagat mag für linke Parteien größer sein als für konservative, denn sie sind in höherem Maße darauf aus, die bestehenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Die Ziele der Regiemngsbeteiligung (vote- und office-seeking) und die Bewahmng der programmatischen Identität der Partei (policy- seeking, vgl. dazu Müller/Strøm 1999) können dabei leicht in Konflikt miteinander treten. Und selbst wenn eine Partei Regiemngsmacht erlangt hat, so können institutionelle Schranken der Exekutive, ein Koalitionspartner, die öffentliche Meinung und viele andere Faktoren die intendierte Umsetzung der Programmatik in Regiemngspolitik erschweren. Je weiter die programmatischen Positionen einer Partei vom aktuellen Status quo eines Landes abweichen, umso spannungsreicher wird sich dieses Verhältnis zwischen Programmatik und tatsächlicher Regiemngspolitik gestalten.
Christoph Egle
Des Kanzlers Macht: Zum Regierungsstil Gerhard Schröders
Zusammenfassung
„Der Bundeskanzler ist der Liebling des Grundgesetzes“ und „in der Absage an jede Präsidialdemokratie schufen die Väter des Grundgesetzes die Kanzlerdemokratie“ (Rapp 1959: 38 und 39). Die Verfassung kennt den Begriff bekanntlich nicht, sie ist aber der „Taufstein der Kanzlerdemokratie, des demokratischen Kanzlerregimes“ (Rapp 1959: 49), oder wie es Hennis (1999: 106f.) formulierte, vom Kanzler wird die Kunst und Technik politischer Führung von Verfassung wegen verlangt. Jeder Kanzler ist ein politischer Führer sui generis. Nur bedingt kann man sich auf diese Aufgabe vorbereiten (Elcock 2001: 193). Für die deutschen Kanzler ist festzustellen, dass nur Politiker mit Regiemngserfahmng (zumindest auf Länderebene) es in dieses Amt geschafft haben (König 2001: 19). Darin kann einer der Vorzüge des föderalistischen Regiemngssystems gesehen werden. Gleichwohl müssen Persönlichkeit und Amt erst zusammenfinden. Von daher ist es normal und zu erwarten, dass sich beim Kanzlerwechsel auch die Art und Weise des Regierens ändert, sich ein im Vergleich zu seinen Vorgängem anderer Regiemngsstil entwickelt (Elgie 1995: 9). Die Rolle des Kanzlers in ihrer dynamischen Beziehung zur Öffentlichkeit und den Institutionen des Regierungssystems soll im Folgenden in programmatischer, organisatorischer und personeller Hinsicht erörtert werden. Die individuelle Handschrift des Kanzlers im Regiemngsgeschäft versorgt uns mit Informationen über die Voraussetzungen effektiven Regierens (Hargrove 2001: 68).
Axel Murswieck
Das „Bündnis für Arbeit“ — Innovativer Konsens oder institutionelle Erstarrung?
Zusammenfassung
Beiräte und Kommissionen wie das „Bündnis für Arbeit“ werden von der Bundesregierung unter Kanzler Schröder in verstärktem Maße bei zentralen strategischen Fragen eingesetzt. Ein solcher Formwandel der Politik in Richtung Verhandlungsnetzwerke und Konsensrunden provoziert natürlich Kritik aus demokratietheoretischer Sicht. So sorgen sich nicht nur Verfassungsjuristen und Politikwissenschaftler um eine schleichende Entmachtung des Bundestages durch die Kommissionen und Beiräte, die einen,Bypass um das Parlament legen. Publizisten diskutieren bereits die „neue Deutsche Räterepublik“ oder einen „neuzeitlichen Ständestaat“. Körte (2002) spricht von einem neuen „präsidentiellen“ Regierungsstil und einem Wandel der repräsentativen Demokratie in eine Verhandlungsdemokratie, in der außerhalb des Bundestages Interessengruppen in Netzwerken Politik mitgestalten. Sicherlich haben auch Zahl und Bedeutung der ‚nebenparlamentarischen’ Gremien in der letzten Legislaturperiode zugenommen und die ‚Kanzler-Kommissionen’ wurden bewusster als jemals zuvor als temporär funktionale Instrumente der Regierungspolitik eingesetzt (vgl. auch Murswieck i.d.B.). Neu sind diese korporatistischen Arrangements in allen westlichen Demokratien allerdings nicht. Ein Funktionswandel vom hierarchischen zum moderierenden Staat ist schon länger zu beobachten, da über die Einbeziehung gesellschaftlicher Organisationen und Experten auch neue Ressourcen, Informationen und damit Handlungsoptionen erschlossen werden können. Die ‚Räterepublik’ zeigt sich zudem nicht nur auf Bundesebene.
Rolf G. Heinze
Institutionen und Reformpolitik: Drei Fallstudien zur Vetospieler-Theorie
Zusammenfassung
Eine neue Theorie geht um in der vergleichenden Politikwissenschaft und hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen: die Theorie der Vetospieler. George Tsebelis veröffentlichte 1995 seinen ersten Beitrag zu diesem Thema im British Journal of Political Science. In nachfolgenden Artikeln (1995b; 1997 (mit J. Money); 1999; 2000) hat er seine Theorie weiter ausgearbeitet. Sie gipfelte schließlich in seinem Buch Veto Players: How Political Institutions Work (2002). Mehrere Autoren haben Tsebelis’ Vetospieler-Theorie in verschiedenen Policy-Analysen angewendet oder getestet. Themen dieser Untersuchungen waren u.a. die Höhe der Regierungsausgaben in der Bundesrepublik (Bawn 1999), die Senkung von Unternehmens- und Einkommenssteuern in westlichen Industrieländern (Hallerberg/Basinger 1998), die Gesetzgebung in Italien (Kreppel 1997), Arbeitsgesetze in den OECD-Ländern (Tsebelis 1999), die Wirtschaftspolitik der Kohl-Regierungen (Zohlnhöfer 2001), die Verändemngen in den Haushaltsstrukturen der OECD-Staaten (Tsebelis/Chang 2002), die sozialpolitischen Veränderungen in der Bundesrepublik (Siegel 2002) oder die Verfassungspolitik und Gesetzgebung in Ostasien (Croissant 2002). Tsebelis selbst kam bald zu dem Schluss, dass die empirische Forschung die meisten seiner Vorhersagen bestätigt habe „und dies sowohl hinsichtlich der Policy-Stabilität als auch im Hinblick auf andere politisch relevante Variablen“ (Tsebelis 2000: 467). Das ist eine ebenso stolze wie kühne Behauptung.2 Ich möchte deshalb seine „Theorie“3 einem weiteren Test unterziehen und sie damit erneut zur Diskussion stellen.
Wolfgang Merkel

Politikfelder

Frontmatter
Rot-grüne Finanzpolitik zwischen traditioneller Sozialdemokratie und neuer Mitte
Zusammenfassung
Die Finanzpolitik ist eines der ganz entscheidenden Politikfelder für den Erfolg einer Regierung, denn bekanntlich gilt: „Money is not all there is to policy, but there is precious little policy without it“ (Klingemann et al. 1994: 41). Die Steuerpolitik bestimmt entscheidend mit, wie viel Geld der Regierung zur Verfügung steht, die Haushaltspolitik legt fest, fär welche Zwecke es ausgegeben werden soll. Daher hat sich eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten mit der Analyse von Staatseinnahmen und -ausgaben in Deutschland wie im internationalen Vergleich beschäftigt und die meisten von ihnen haben gezeigt, dass politische Parteien unterschiedliche Steuer- und Haushaltspolitiken betreiben oder jedenfalls zu betreiben versuchen. Und auch die neue rot-grüne Bundesregiemng strebte gerade in der Finanzpolitik an, „nicht alles anders, aber vieles besser“ zu machen als ihre Vorgängerin, ja, die SPD (1998: 29f) wollte die Bundestagswahl 1998 sogar zu einer Abstimmung über die Steuerreform machen — eine „Neuausrichtung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“ stand aus Sicht der neuen Regiemng an (JWB 1999: 5).
Reimut Zohlnhöfer
Bilanz der Bundesregierung Schröder in der Arbeitsmarktpolitik 1998 — 2002: Ansätze zu einer doppelten Wende
Zusammenfassung
Das Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsystem stellt ein zentrales Feld materieller Reproduktion und politischer Legitimation entwickelter Industriestaaten dar. Insofern ist es naheliegend, dass Regiemngen versuchen, auf diesem Gebiet gute Ergebnisse vorzulegen. Dann verbinden sich funktionale Problemlösung und Wiederwahlchancen, was dem Credo liberaldemokratischer Systeme entspricht. Allerdings existieren dabei einige Hürden, die es zu überwinden gilt, wenn die Devise „Arbeit für alle“ realisiert werden soll. So lässt sich eine kapitalistische, international verflochtene Ökonomie nicht einfach steuern, staatliche Interventionen bedürfen politischer Mehrheiten und finanzieller bzw. organisatorischer Ressourcen. Dass gerade dieses ein Problem ist, zeigt der bundesrepublikanische Fall mit dem ausgeprägten Hang zur Einschränkung der Regiemngsmacht und langwierigen Verhandlungen. Insofern stellt sich die Frage, welche Handlungs- und Reformspiehäume denn für die rotgrüne Koalition bestanden haben, welche Restriktionen am Werk waren und — last but not least — welche „windows of opportunity“ (Kingdon 1984) sich geöffiiet haben. Dabei konzentrieren wir uns vorrangig auf die aktive Arbeitsmarktpolitik; darunter fallen alle Maßnahmen der Vermittlung, Beratung, Qualifiziemng und Arbeitsbeschaffung (ABM). Sie werden vor allem im SGB III (früher AFG) normiert und über die Bundesanstalt für Arbeit implementiert.1.
Susanne Blancke, Josef Schmid
Rot-grüne Sozialpolitik (1998–2002)
Zusammenfassung
Welchen sozialpolitischen Kurs wählte die rot-grüne Bundesregierung in der von 1998 bis 2002 währenden 14. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages? Inwieweit kennzeichneten Diskontinuität und Kontinuität ihre Politik der sozialen Sicherung? Inwiefern folgte die rot-grüne Sozialpolitik dem Lehrsatz der Parteien-differenzlehre, der zufolge Regierungsparteien tiefe Spuren in der Staatstätigkeit hinterlassen?
Manfred G. Schmidt
Patientennah, leistungsstark, finanzbewusst? Die Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung
Zusammenfassung
Das Gesundheitssystem stellt eine der zentralen Säulen des deutschen Wohlfahrtsstaates dar. So waren im Jahr 2000 rund 4 Mio. Personen in diesem Sektor beschäftigt; insgesamt wurden 218 Mio. € umgesetzt, was einem BSP-Anteil von 10,7% bzw. einem Ausgabenvolumen von 2660 € je Einwohner entspricht (Statistisches Bundesamt 2002). Wäre das Gesundheitssystem ein Wirtschaftssektor im klassischen Sinne, so würde es einen ‚Zukunftsmarkt‘mit überdurchschnittlichen Innovationsund Beschäftigungspotenzialen repräsentieren. Da es sich aber um ein Feld der sozialen Sichemng handelt, werden Umfang und Wachstum des Systems mit Sorge registriert, da sie mit einem Anstieg der Lohnnebenkosten verknüpft sind und somit eine Belastung für den Wirtschaftsstandort darstellen.
Anja K. Hartmann
Die Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierung 1998–2002
Zusammenfassung
Wenn die politischen Leistungen einer Bundesregierung retrospektiv betrachtet werden, spielt die Bildungspolitik in der Analyse oftmals eine nur untergeordnete oder gar keine Rolle (vgl. z.B. Wewer 1998). Geschuldet ist dies meist dem Umstand, dass Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung wie der grundgesetzlichen Aufgabenzuweisung zunächst und in erster Linie in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt. Allerdings zeigte bereits der Bundeswahlkampf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 1998, dass Bildung, Ausbildung und Forschungsförderung zu einem bundespolitischen Thema werden können. Nach dem Vorbild des Slogans von Tony Blair im Vorfeld des britischen Wahlkampfes 1997 („Education, Education, Education“) hatten auch Gerhard Schröder und die SPD die Bildung als ein zusätzliches Wahlkampfthema für sich entdeckt. So enthieh die im Wahlkampf verwendete Karte mit neun Versprechen der SPD im Falle eines Wahlsieges („9 gute Gründe, SPD zu wählen“) unter anderem auch die Ankündigung, die Investitionen in Bildung, Forschung und Wissenschaft innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Spätestens der sogenannte „PISA-Schock“1 und die sich daran entzündende Diskussion über die Qualität des bundesdeutschen Schulsystems und seiner Schüler im Dezember 2001 bzw. im Sommer 2002 sorgte dann dafür, dass das zwischenzeitlich von der öffentlichen Agenda verschwundene Thema Bildung wieder den Weg zurück auf die bundespolitische Bühne fand — und das, obwohl ja gerade die Schulpohtik in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesländer fällt.2
Christian Henkes, Sascha Kneip
Extensive Politik in den Klippen der Semisouveränität: Die Innen- und Rechtspolitik der rot-grünen Koalition
Zusammenfassung
Der Themenbereich Innen- und Rechtspohtik stand bei ihrem Regienmgsantritt im Jahr 1998 ohne Zweifel nicht im Zentrum der politischen Programmatik der rotgrünen Regierungskoalition.1 Bei ihrem Amtsantritt im Herbst 1998 sah die neue Regierung ihren Aufgabenschwerpunkt vielmehr in Reformen im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik, wie eindeutig aus den damaligen programmatischen Äußerungen — etwa dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen und der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder — hervorgeht.
Andreas Busch
Ökologische Modernisierung und Vorreiterrolle in der Energie- und Umweltpolitik? Eine vorläufige Bilanz
Zusammenfassung
Nach dem Wahlerfolg von SPD mid Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl im September 1998 standen Themen der Energie- und Umweltpolitik zuvorderst auf der Agenda der deutschen Politik. Reformvorhaben wie die Ökologische Steuerreform, der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie und eine Wende in der Energiepolitik, ein nationaler Nachhaltigkeitsplan sowie die ökologische Modernisierung der Volkswirtschaft flössen in die Koalitionsverhandlungen ein. Das Regierungsprogramm der neuen Regierung orientierte sich am Leitbild der Nachhaltigkeit und benannte zugleich auf dem Feld der Energie- und Umweltpolitik, welche Reformvorhaben in der 14. Legislaturperiode umgesetzt werden soüten. Im Koalitionsvertrag wurden u.a. vereinbart: der Ausstieg aus der Atomenergie, der Einstieg in die Ökologische Steuerreform, die Einführung einer formellen Nachhaltigkeitsstrategie und eines Umweltgesetzbuches. Den Umweltverbänden sollte die Möglichkeit einer Verbandsklage eingeräumt werden.
Lutz Mez
Praxis und Rhetorik deutscher Europapolitik
Zusammenfassung
Von manchem Beobachter wurde im Gefolge des politischen Generationenwechsels im Jahr 1998 ein Kurswechsel auch in der Europapolitik erwartet (Müller-Brandeck-Bocquet 2002: 170f; Schmalz 2002b: 556f; Piepenschneider 2002: 346; Pfetsch i.d.B.). Annahmen eines neuen europapolitischen Kurses nach der Ablösung Helmut Kohls, des „Ehrenbürgers Europas“, wurden beispielsweise durch europakritische Aussagen des vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder wie die im Frühjahr 1997 geäußerten Überlegungen zur Verschiebung der Euroein-fíihrung geweckt. Die Skepsis des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine gegenüber der als neoliberal assoziierten Europäischen Gemeinschaft war gleichfalls bekannt. Ein Kurswechsel ließ sich auch mit Blick auf Dominanz sozialdemokratischer oder sozialdemokratisch geführter Regierungen im Rat erwarten. Daneben wurde mit Bündnis 90/Die Grünen im Herbst 1998 eine Partei an der Regierung beteiligt, die bestimmte Elemente der europäischen Integration — vor allem die Entwicklung europäischer Verteidigungskapazitäten — bisher abgelehnt hatte.
Tobias Ostheim
Die rot-grüne Außenpolitik
Zusammenfassung
Als das rot-grüne Bündnis im Herbst 1998 die Regierung übernahm, zeichneten sich in der Außenpolitik zwei große Herausforderungen ab: Zum einen musste über die Beteiligung und die Art der Beteiligung an einem militärischen Einsatz im Kosovo entschieden werden, eine Aufgabe, die aus der Zeit der Vorgängerregierung übernommen werden musste; zum anderen stand die Erweiterung der Europäischen Union imd, damit im Zusammenhang stehend, die Reform ihrer Strukturen an. Auf beiden Gebieten hatte es die neue Regierung schwer, ein einheitliches Profil zu zeigen, und dies hatte zum einen mit dem außenpolitisch noch unerfahrenen neuen Personal, zum andern mit ihren jeweiligen Parteien zu tun.
Frank R. Pfetsch
Rot-grüne Regierungspolitik in Deutschland 1998–2002. Versuch einer Zwischenbilanz
Zusammenfassung
Viele Anhänger von SPD und Bündnis 90/Die Grünen erwarteten nach dem Wahlsieg der beiden Parteien bei der Bundestagswahl 1998 einen die meisten Politikfelder umfassenden Politikwechsel, der sowohl die politischen Inhalte als auch den Regierungsstil umfassen sollte.1 Vom „rot-grünen Projekt“war die Rede, das eine kohärente Neuausrichtung der Regierungstätigkeit über die Politikfelder hinweg evozierte. Doch konnte aufmerksamen Beobachtern schon vor der Bildung der neuen Regierung nicht verborgen bleiben, dass ein solcher tiefgreifender Politikwechsel weder von der Mehrheit der Wahlbevölkerung gewünscht noch vom großen Koalitionspartner angestrebt wurde, der vielmehr gerade damit warb, nicht alles anders, sondern vieles besser machen zu wollen (vgl. Egle et al. i.d.B.).
Reimut Zohlnhöfer

Anhang

Frontmatter
Chronik der 14. Legislaturperiode
Heike Quader
Glossar
Zusammenfassung
Die Ankündigung einer Agrarwende war die Antwort der Bundesregierung und ihrer seit dem 9. Januar 2001 amtierenden Landwirtschafts- imd Verbraucherschutzministerin Künast auf den → BSE-Skandal. Bereits Ende November 2000 kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen grundlegenden Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik an: Weg von den „Agrarfabriken“, hin zu „einer anderen, verbraucherfreundlichen Landwirtschaft“. Ziel der neuen Agrarpolitik ist es, den Marktanteil von Produkten aus ökologiscsher Landwirtschaft von 2,5 auf 20% bis zum Jahr 2010 zu steigern. Für den Verbraucher gibt es zwei Qualitätslabel. Das eine kennzeichnet Produkte aus dem ökologischen Landbau, das andere Qualitätszeichen soll frir gewisse Mindeststandards (artgerechte Tierhaltung, Medikamente nur bei Krankheit und Vorrang für Produkte aus der Region) stehen. Im Bereich der Futtermittelindustrie soll mit Hilfe der offenen Deklaration und einer Positivliste die gläserne Produktion eingeleitet werden. Den Landwirten soll unabhängig von der Betriebsstmktur die Chance gegeben werden, „Klasse statt Masse“ zu produzieren. Die Agrarwende sollte zu einer nachhaltigen Landwirtschaft fähren. Landwirtschaft sollte verbraucherfreundlicher, ökologischer und artgerechter werden.
Heike Quader
Metadata
Title
Das rot-grüne Projekt
Editors
Christoph Egle
Tobias Ostheim
Reimut Zohlnhöfer
Copyright Year
2003
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-83375-4
Print ISBN
978-3-531-13791-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-83375-4