Der demografische Wandel zwingt Unternehmen dazu, neue Recruitingstrategien zu entwickeln. Doch noch fehlt vielen der Mut, auf hochmotivierte Quereinsteiger zu setzen, sagt Syliva Knecht im Gespräch mit Springer Professional.
Springer Professional: Sie raten Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels auf Quereinsteiger zu setzen. Wann gilt jemand als beruflicher Quereinsteiger?
Sylvia Knecht: Quereinsteiger sind Arbeitnehmer, die sich freiwillig oder unfreiwillig neu in einem beruflichen Umfeld orientieren, für das ihnen die formale Qualifikation eines Studien- oder Berufsabschlusses nach einer Studien- oder Berufsordnung fehlt. Also jemand, der nicht in dem Berufsfeld tätig ist, für das er ausgebildet wurde.
Damit ist klar, das Quereinsteiger beruflich etwas tun, wofür ihnen de facto nach allgemeinem Verständnis die Kompetenz fehlt. So mag man meinen. Denn damit sind wir eigentlich auch schon direkt mitten im Dilemma: Denn es geht im Kern darum, dass Menschen sich in Berufe einbringen, für die ihnen die entsprechende Ausbildung fehlt. Und die hat ja nicht immer mit Kompetenz zu tun. Nur weil jemand mal in seinem Leben Goldschmied gelernt hat, seine Ausbildung sauber mit Gesellenbrief und Lehrstück absolviert hat, muss er nicht unbedingt ein guter, kreativer Goldschmied sein. Aber genauso denken und handeln wir beim Einstellungsprozess.
Welche Bedenken hindern Unternehmen, berufliche Quereinsteiger einzustellen?
In der Tat wird das Thema fehlende Qualifikation beim Einsatz von Personen mit einem nicht zu dem Anforderungsprofil passendem Hintergrund als häufigster Einstellungshinderungsgrund genannt. Einerseits kann man das verstehen, denn Risikobereitschaft wohnt nicht hinter der Tür des Personalers. Andererseits ist ein gewisses Maß an Risikofreudigkeit auch bei Einstellungen oft viel wert. Ideal wäre bei Quereinsteigern genauso offen zu sein wie bei fachlich passenden Bewerbern.
Denn ein Unternehmen ist bei einem konventionellen Bewerber oft bereit, zum Beispiel eine Qualifikation in einem Automatisierungsprogramm zu genehmigen und ihn dabei unterstützen, damit man ihn als Mitarbeiter gewinnt. Bei Quereinsteigern ist das dann ein Problem. Solange wir dieses Denken nicht aufgeben, werden gute Quereinsteiger als Bewerber keine Chance haben. Das ist bedauerlich – nicht nur für die Quereinsteiger selbst, sondern auch für die Unternehmen, denen echte Chancen entgehen.
Ganz ehrlich: Diese Bedenken kann ich gut verstehen. Wie muss der Prozess der Personalauswahl gestaltet werden, damit es nicht zu kosten- und ressourcenintensiven Fehlgriffen kommt?
Personalauswahl ist immer ein Glücksspiel. Rund 30 Prozent der Bewerber reichen Fakebewerbungen ein. Denen muss man erst mal auf die Schliche kommen. Bei einem Quereinsteiger weiß man, was an fachlicher Qualifikation fehlt. Hilfreich ist in jedem Fall, die Prozesse im Unternehmen neu aufzusetzen, wenn man sich neuen Zielgruppen widmen möchte. Im Buch habe ich diesem Prozess weit über 50 Seiten Praxistipps gewidmet, denn es gilt, von den Fachabteilungen bis hin zur Geschäftsführung den Rekrutierungsprozess völlig neu zu denken.
Ein Beispiel: Die Standardfrage: "Wo möchten Sie in fünf Jahren stehen?", kann einem Quereinsteiger nicht gestellt werden. Denn er muss sich erst im neuen beruflichen Umfeld die fachlichen Qualifikationen aneignen, die ihn dann zu einem konventionellen Mitarbeiter im Unternehmen macht. Wie baut man ein Bewerbungsgespräch auf? Wie die Stellenanzeige? Wie kann die Einarbeitung mit der Weiterbildung und Qualifizierung kombiniert werden? Das heißt, man muss den klassischen Bewerbungsprozess beim Quereinsteiger ad acta legen.
Welchen Einfluss haben Quereinsteiger auf das Gehaltsgefüge im Unternehmen? Oder anders gefragt: Können sie genau so viel verdienen wie ihre Kollegen, die mehr fachliche Erfahrung für einen vergleichbaren Job mitbringen?
Quereinsteiger haben es gerade am Anfang auch finanziell schwer. Eigentlich erstaunlich, wenn man sich den Ehrgeiz und die Motivation der Beteiligten ansieht, die sich mit berufsbegleitenden Zusatzmaßnahmen dem Thema Wechsel widmen. Über viele Monate und Jahre arbeiten Quereinsteiger an ihrer zweiten beruflichen Karriere. Sie investieren Freizeit und Geld in ihr Ziel. Damit stellen sie eine Gruppe von Bewerbern dar, die sich jeder Firmenchef in Deutschland wünscht, findet man die Attribute doch deutlich in jeder ihrer Stellenanzeigen: motiviert, engagiert und ehrgeizig.
Aber die Unternehmen sind nicht bereit, sich vom klassischen Denken bei der Bezahlung zu lösen. Das bedeutet für die Quereinsteiger zumindest in der Einstiegsphase mit Gehaltseinbußen leben zu müssen. Im Sinne eines fairen Miteinanders sollte das Thema Gehalt offen in der Einstellungsphase diskutiert werden, auch mit den Möglichkeiten gerechter Anpassung. Nur so wird man beiden Seiten gerecht.