Skip to main content
Top

30-11-2022 | Globalisierung | Schwerpunkt | Article

Ist weniger Handel mit China mehr?

Author: Michaela Paefgen-Laß

4 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
loading …

Sich abhängig zu machen, ist für Staat und Firmen keine gute Idee. Erst recht nicht, wenn der Partner die Beziehung politisch instrumentalisiert und gegen Menschenrechte verstößt. Die Frage ist, wie sich Handel, etwa mit China, neu ausrichten lässt.

Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie gefährlich Abhängigkeiten sind. Russland ist nicht einmal Deutschlands wichtigster Handelspartner, aber seitdem Putin den Gashahn zugedreht hat, ist klar, dass Deutschland seine wirtschaftlichen Verbindungen breiter aufstellen muss und sich nicht an wenige mächtige Handelspartner ausliefern darf. Das betrifft vor allem die Beziehung zu China. Im Jahr 2021 wurden laut Statistischem Bundesamt Güter im Wert von 246,5 Milliarden Euro zwischen Deutschland und China gehandelt. Mehr Umsatz macht Deutschland mit keinem anderen Land. 

Editor's recommendation

2022 | OriginalPaper | Chapter

Folgen der Globalisierung

Globalisierung beeinflusst wirtschaftliche, politische und soziale Prozesse. Die Effekte sind in der Regel nicht neutral, sie beinhalten Vor- oder Nachteile für die betroffenen Länder, Gruppen, Institutionen oder Individuen. Viele der …

Aber Geschäfte mit China lassen sich nicht lösen von Fragen nach wirtschaftlicher Erpressbarkeit, missachteten Menschenrechten, fragilen Lieferketten und kritischen Rohstoffen. Hinzu kommt die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung sowie der Konflikt mit Taiwan, international dominierender Lieferant von Mikrochips. Das alles steht schon längst zur Klärung an, wurde während der Pandemie aber auf die lange Bank geschoben. 

Weniger abhängig und breiter aufgestellt

Nicht Abkopplung, sondern wirtschaftliche Diversifizierung ist das politische Signal, mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz im November Vietnam und Singapur bereiste und zu dem er sich in seiner Rede auf der Asien-Pazifik-Konferenz bekannte. Die neue Chinastrategie der Bundesregierung, deren Entwurf Mitte November durchsickerte, soll es nun regeln. Es geht darum, weniger abhängig zu sein und die eigene Industrie zu schützen. 

Einer Umfrage des ifo Instituts zufolge sind 46 Prozent aller Unternehmen, die Rohstoffe oder Produkte weiter verarbeiten, auf Vorleistungen aus China angewiesen. Allerdings überdenkt jedes zweite Unternehmen seine Lieferketten und plant, die Importe aus China zu reduzieren und stattdessen auf Vorleistungen aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern zu setzen. Die Gründe dafür sind: 

  • der Wunsch nach Diversifizierung (knapp 80 Prozent), 
  • der störungsanfällige Transport  (54 Prozent),
  • die kostspieliger gewordene Logistik (66 Prozent),
  • sowie politische Unsicherheit (41 Prozent). 

Allen voran sind die Automobil-, Chemie- und Elektroindustrie auf Importe aus China angewiesen. Eine kritische Abhängigkeit besteht auch bei Medikamenten und Seltenen Erden. 

Lieferengpässe kosten Industrie 64 Milliarden Euro

Die chinesische Regierung hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie Handelsbeziehungen für ihre geopolitischen Ziele instrumentalisiert. Dies auszublenden, ist nach Ansicht des ifo Instituts "schlicht naiv". Ein vollständiges Decoupling von China halten die Experten allerdings für "zu kurz gedacht". Zwar führten weitreichende ökonomische Verflechtungen im Konfliktfall zu größeren negativen Auswirkungen. Auf der anderen Seite reduzierten sie aufgrund ihrer Bedeutung die Wahrscheinlichkeit für Konflikte. 

Weltwirtschaftliche Stresssituationen kommen die deutsche Industrie derzeit teuer zu stehen. Güter im Wert von knapp 64 Milliarden Euro konnten ab Anfang 2021 bis Mitte 2022 nicht hergestellt werden, weil Vorprodukte aus dem Ausland fehlten. Diese Konsequenzen der Lieferengpässe rechnet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung im IMK Policy Brief, November 2022 vor. Die IMK-Experten fordern die deutsche Industrie zum Umdenken auf. Zu stark sei die Ausrichtung des Managements auf Kosteneffizienz. Sie raten: "Eine stärkere Resilienz, mehr Lagerreserven, Diversifikation und Nachhaltigkeit der Lieferketten können in einem solchen Umfeld zukünftig bessere Resultate bringen."

Resiliente Lieferketten scheitern an Kosten

Die Springer-Autoren Florian Butollo und Cornelia Staritz diskutieren dagegen die Möglichkeit einer verstärkten Lokalisierung und Regionalisierung von Produktionsnetzwerken. In "Deglobalisierung, Rekonfiguration oder Business as Usual?" stellen sie "erhebliche Beharrungskräfte" (Seite 408) fest, die einem Rück- oder Umbau von globalen Produktionsnetzwerken entgegenwirkten. Auch wenn im Zuge von punktuellen Schocks oder Krisen in der Vergangenheit der Absicherung von Lieferketten immer wieder ein hoher Stellenwert eingeräumt worden sei, überwiege am Ende stets die Kostenfrage.

"Ursächlich dafür ist nicht nur die ungebrochene Orientierung auf Just-in-time-Produktion und kurzfristige Effizienzgewinne, sondern sind auch die Pfadabhängigkeiten der bestehenden internationalen Arbeitsteilung und die Ballung von Produktionskapazitäten und -kompetenzen in nur schwer zu substituierenden Clustern (Seite 408)." 

Kurzum: Viel Rhetorik, wenig Wille zur konsequenten geografischen Neuordnung der "Investitions- und Beschaffungsstrategien von Leitunternehmen" (Seite 408), so lautet die Kritik der Autoren. Darunter fallen auch viel zitierte resilienzorientierte Lieferkettenstrategien wie die Lieferantenüberwachung, verstärkte Lagerhaltung oder Diversifizierung. 

Sie zielten nämlich weniger auf den Rückbau, als auf die Absicherung globaler Produktionsnetzwerke. "Eine verstärkte Diversifizierung könnte außerdem das Machtgefüge weiter zugunsten von Leitunternehmen verschieben, da diese dann eine höhere Anzahl von Zulieferfirmen noch leichter gegeneinander ausspielen können" (Seite 409). 

Supply Chain neu ordnen oder abkoppeln?

Muss also die Politik die Restrukturierung globaler Produktionsnetzwerke vorantreiben, weil Unternehmen die mittelfristigen Auswirkungen der Pandemie bald wieder durch ein Business as usual kompensieren und sie die Fragilität ihrer Lieferketten gedanklich beiseite schieben? 

Als Möglichkeit, sich von kritischen Abhängigkeiten zu befreien, die lokale industrielle Basis zu erweitern und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu stärken, schlagen Butollo und Staritz die "sektoral differenzierten Deglobalisierung", also selektive Abkopplung vor. Der Weg dahin sei über eine neue Generation fairer Handelsabkommen und eine auf globale Gerechtigkeit zielende weltwirtschaftliche Neuordnung zu beschreiten. (Seite 419)

Related topics

Background information for this content

Premium Partner