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16-03-2022 | Industrie 4.0 | Schwerpunkt | Article

Was die Industrie 4.0 hemmt – und wie sie an Fahrt gewinnt

Author: Thomas Siebel

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Die digitale Transformation kommt in Teilen der Industrie kaum voran. Das liegt neben dem Mangel an Digitalkompetenz und Problemen im Management auch an der guten wirtschaftlichen Lage vieler Unternehmen.

Wie kein zweites Land hängt Deutschland von seiner Industrie ab. Mit circa 23 % trugen der Automobilbau, der Maschinenbau, die Chemie oder die Metallerzeugung vor der Corona-Krise zur gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Dieser Anteil ist mehr als doppelt so hoch wie in den USA, Großbritannien und Frankreich. Im Rahmen der Nationalen Industriestrategie der Bundesregierung soll der Wertschöpfungsanteil der Industrie bis 2030 noch auf 25 % wachsen, während er in vielen hochentwickelten Ländern nur noch bei 10 bis 15 % liegt.

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Herausforderungen in Konzeption und Umsetzung der digitalen Transformation

Dass die digitale Transformation als generelles Thema für alle Gesellschafts- und Wirtschaftsbereich von Bedeutung ist, und gerade für den Mittelstand und zahlreiche Hidden Champions eine besondere Herausforderung darstellt, wurde in den vorausgehenden Unterkapiteln bereits deutlich.

Infolge der weltweit starken Nachfrage nach Fahrzeugen, Maschinen und elektrischen Ausrüstungen hat die deutsche Industrie stark von der Globalisierung profitiert. Insbesondere nach der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008/2009 hat Deutschland entgegen der Entwicklung vieler anderer Industrieländer eine Reindustrialisierung erfahren. Der Wertschöpfungsanteil der Industrie wuchs und stützte damit das Wachstum der gesamten Volkswirtschaft.

Gute Geschäfte contra Zukunftsfähigkeit?

Der wirtschaftliche Erfolg birgt jedoch auch ein Risiko, wie das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) IfW Kiel in einer Analyse aus dem Jahr 2020 festhält. Die ungewöhnlich lange Phase der wirtschaftlichen Prosperität behindere die "schöpferische Zerstörung" in der Volkswirtschaft. Unternehmen befassten sich in der Folge zu wenig mit die Steigerung ihrer Effizienz, da ihnen angesichts guter Geschäfte der Rationalisierungsdruck fehle.

Diese Ausgangslage trifft auf eine Industrie, die sich nach Einschätzung von Experten dringend dem digitalen Wandel stellen muss, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Steigender Innovationsdruck, hohe Personalkosten in Deutschland und der Wunsch nach Variantenvielfalt und kleineren Losgrößen drängen das produzierende Gewerbe sowie klassische Industriezweige mit Blick auf ihre Zukunft zum Handeln. Dabei geht die Bedeutung einer gelungenen industriellen Transformation über die rein unternehmerische Komponente hinaus, denn sie ist auch eine Schlüsselfrage für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und der wirtschaftlichen Strukturen im Land, wie der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Breyer-Mayländer im Kapitel Industrie 4.0 – Idee, Technologien, Perspektive des Buchs Industrie 4.0 bei Hidden Champions schreibt.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Ruswurm, bringt es im Beitrag Die Industrie als Basis für nachhaltigen Wohlstand stärken des Buchs Neue Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft so auf den Punkt: "Unser Wohlstand hängt maßgeblich von der Wettbewerbsfähigkeit einer starken Industrie und der industrienahen Dienstleistungen ab. Ungefähr 56 Prozent der Arbeitsplätze hängen am Export in Drittländer. Eine reine Dienstleistungsgesellschaft ist deshalb keine Alternative."

Viele Unternehmen wollen oder können nicht Digitalisieren

Vor diesem Hintergrund wurde unter dem Begriff Industrie 4.0 vor zehn Jahren die vierte Stufe der industriellen Revolution eingeläutet. Die seither erzielten Fortschritte auf diesem Feld lassen sich durchaus als Erfolgsgeschichte schreiben. Der Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0, die zur Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatech) gehört, hat die Ergebnisse aus zehn Jahren Forschung und Entwicklung analysiert und dabei erhebliche Fortschritte beispielsweise im Bereich flexibler, modularer Produktionssysteme oder der KI-gestützten Fertigung ausgemacht. Forschungsmittel seien in weite Teile der Wissenschaft und Wirtschaft geflossen. Unternehmen profitierten dabei vom Wissenstransfer aus der Forschung, wenngleich hohe Investitionskosten, Unklarheit über den Nutzen digitaler Lösungen oder fehlende geeignete Geschäftsmodelle die meisten Unternehmen daran hinderten, Industrie-4.0-Prozesse umfassend zu implementieren.

Die Vision der Industrie 4.0 ist in vielen Unternehmen bereits Realität geworden, und doch lässt die Geschwindigkeit der vierten industriellen Revolution noch zu wünschen übrig. Neben den Vorreiterunternehmen der Industrie 4.0 gibt es nämlich zahlreiche Unternehmen, in denen Digitalisierungsmaßnahmen kaum eine oder gar keine Rolle spielen. Die Gründe dafür haben Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute IPA und IAO im Rahmen einer weiteren, aktuellen Expertise des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0 untersucht. Zwei Ursachen machten sie aus: Ein Teil der Unternehmen entscheidet sich bewusst gegen Digitalisierungsmaßnahmen, während andere durch unternehmensspezifische oder branchenbedingte Faktoren gehemmt werden.

KMU und große Unternehmen mit spezifischen Hemmnissen

Vielen Unternehmen fehlt den Wissenschaftlern zufolge der Startimpuls für die Digitalisierung, entweder weil das Management nicht digitalaffin ist oder weil aufgrund der soliden ökonomischen Situation des Unternehmens kein Leidens- oder Wettbewerbsdruck bestehe. Zudem scheitere die Digitalisierung oftmals an mangelnder Strategiefähigkeit in den Unternehmen und an der Unklarheit über den Nutzen digitaler Projekte. Kommt es aber doch zur Umsetzung von Industrie-4.0-Ansätzen, dann fehlt es häufig an Mitarbeitern mit digitaler Kompetenz, die sich weder am Arbeitsmarkt noch – aufgrund fehlender Digitalkultur – unternehmensintern gewinnen lassen.

Ein spezielles Hemmnis für KMU stellt deren kurzfristige Erfolgsorientierung dar sowie die in dieser Hinsicht fehlende Rentabilität von Digitalisierungslösungen. Mittlere und große Unternehmen werden den Autoren zufolge durch fehlende Digitalisierungsaffinität im Management und veränderungsresistente Führungskräfte ausgebremst. Wer für die Entwicklung einer Digitalstrategie verantwortlich ist, sei zudem oftmals unklar. Große, bei der Digitalisierung fortgeschrittene Unternehmen werden durch Datenschutzbedenken, gesetzliche Beschränkungen und Rechtsunsicherheit gehemmt, während Unternehmen am Anfang der digitalen Transformation mit den unterschiedlichen Digitalisierungsfortschritten ihrer Partnerunternehmen und mit fehlenden Standards und Normen zu kämpfen haben.

Neben Hochtechnologie auch die Umsetzung stärker fördern

Die Wissenschaftler formulieren abschließend mehrere Handlungsoptionen, mit denen die Hemmnisse abgebaut und die Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Industrie 4.0 gesteigert werden könnten. Unternehmen sollten demnach eine Digitalisierungskultur etablieren und die digitale Bildung sollte integraler Bestandteil von Aus- und Weiterbildung werden. Verantwortlichkeiten für die Digitalisierung sollten auf oberster Managementebene und eindeutig benannt werden. Zudem werden neue Verfahren zur Nutzenbewertung digitaler Lösungen abseits klassischer Methoden der Wirtschaftlichkeitsbewertung benötigt, beispielsweise um den kurz- und langfristigen Nutzen neuer Technologien auch außerhalb ihrer direkten Wirkungsbereiche besser abschätzen zu können.

Die staatliche Förderlandschaft sollte stärker auf Nachzüglerunternehmen ausgerichtet werden, weswegen neben hoch innovativen Technologiekonzepten auch Umsetzungslösungen stärker in den Fokus rücken sollten. Zudem müsse ein gesamtwirtschaftliches Innovationsumfeld geschaffen werden, das Unternehmen beim Erkennen und Umsetzen digitaler Trends helfe. Nach dem Vorbild von Gaia-X könnten etwa Initiativen zur Unternehmensvernetzung über Plattformen oder ein Referenzrahmen zur Nutzung von KI hilfreich sein.

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