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04-09-2020 | Metalle | Schwerpunkt | Article

Neues aus der Welt der Kristalle

Author: Dieter Beste

3:30 min reading time

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Zu wissen, wie sich Kristalle auf atomarer Ebene bilden, ist entscheidend für das Verständnis und damit für die Kontrolle der Eigenschaften einer Vielzahl von Materialien. Jetzt gelang es, das Keimen einer Kristallstruktur in Echtzeit beobachten.

Das Verhalten von Metallen unter wechselnden Einflüssen sind zwar recht gut erforscht, allerdings war bislang nicht belegt, wie die Keimbildung von Kristallen abläuft: wie also einzelne Atome beginnen, sich zu einer dreidimensionalen Gitterstruktur zu formieren. Der Arbeitsgruppe Materialwissenschaftliche Elektronenmikroskopie der Universität Ulm ist es in Kooperation mit Kollegen aus England und Japan gelungen, genau diese "Geburtsstunde" eines Kristalls unter dem Mikroskop zu beobachten. In einem Video haben die Forscher dokumentiert, wie sich Eisenatome unter dem Einfluss eines Elektronenstrahls zunächst ungeordnet zusammenschließen, bevor sie sich zu einer regelmäßigen Gitterstruktur formieren. Die Wissenschaftler berichten über ihre Beobachtungen in der Fachzeitschrift Nature Chemistry.

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"In der Standardliteratur gab es bislang zwei Modelle, wie das Keimen eines Kristalls ablaufen könnte. Eines ging davon aus, dass sich Atome, ähnlich wie Legosteine, einer nach dem anderen aneinandersetzen und so das Kristallgitter bilden. Das zweite Modell nahm an, es könnte eine ungeordnete Zwischenphase geben, aus der heraus sich der Kristall bildet" erklärt Ute Kaiser, Professorin und Leiterin der Materialwissenschaftlichen Elektronenmikroskopie an der Universität Ulm. 

Metalle können wie alle Materie bei verschiedener Temperatur im thermodynamischen Gleichgewicht in vier Zuständen auftreten: Plasma, Gas, Flüssigkeit und Kristall. Die Übergänge zwischen den Aggregatzuständen beschreiben Erhard Hornbogen, Hans Warlimont und Birgit Skrotzki in "Metalle" ab Seite 13. Die Springer-Autoren stellen die thermodynamischen Zusammenhänge für Metalle vor und diskutieren die Keimbildung bei der homogenen und heterogenen Erstarrung. 

Obwohl Kristalle zu den härtesten Materialien der Erde gehören, entstehen sie auf eine sehr organisch anmutende Art und Weise: Sie wachsen. Kristallgitter sind äußerst regelmäßige Strukturen, in denen die Atome oder Moleküle für gewöhnlich stark aneinandergebunden sind. Die Entstehung eines Kristalls aus einer Schmelze, Lösung oder einem Gasgemisch nennt man Kristallisation." Benjamin Bahr, Jörg Resag, Kristin Riebe: "Faszinierende Physik", Seite 268

Dass die Ulmer Mikroskopie-Spezialisten "live" beim Keimen eines Kristalls zusehen konnten, war zunächst dem Zufall geschuldet. Für eine ursprünglich geplante Untersuchung hatte Andrei Khlobystov von der Universität Nottingham Eisenatome in Kohlenstoff-Nanoröhren eingebracht, die ihm als "Nano-Reagenzgläser" dienen. Beim Blick durch das bildfehlerkorrigierte Elektronenmikroskop "Titan" wurden die Ulmer Wissenschaftler dabei Zeuge, wie sich die einzelnen Eisenatome zusammenballten – bei einer Auflösung von einem Bild pro Sekunde praktisch in Echtzeit.

Ausgelöst wurde die Keimbildung durch Energieübertragung des Elektronenstrahls des Mikroskops auf die Eisenatome. Und dabei offenbarte sich schließlich, dass zunächst einige wenige Eisenatome eine amorphe Phase bildeten, also eine flüssigkeitsähnliche Häufung von Atomen ohne innere Struktur. "Wir haben herausgefunden, dass die Atome erst oberhalb einer kritischen Anzahl zwischen 10 und 20 beginnen, sich zu einer regelmäßigen Gitterstruktur zu ordnen. Damit konnten wir den Beweis erbringen, dass die Keimbildung von Kristallen auf einem zweistufigen Nukleationsmechanismus basiert", beschreibt Kecheng Cao seine Entdeckung einer Übergangsphase bei der Bildung metallischer Kristallstrukturen. Der Erstautor der Nature Chemistry-Studie ist Postdoc in der Abteilung Materialwissenschaftliche Elektronenmikroskopie an der Universität Ulm. "In weiteren Untersuchungen mit Eisen-, Gold- und Rhenium-Atomen haben wir diesen Prozess gezielt beobachtet und dabei immer ein ähnliches Verhalten gesehen“, berichtet Johannes Biskupek, ebenfalls Mitglied der Forschergruppe um Ute Kaiser. Beteiligt an dem Projekt waren zudem Forschende der Universität Leeds (Großbritannien) sowie des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (Japan).

"Salve", das neue Super-Mikroskop 

Ute Kaiser will nun auch komplexere Materialien wie beispielsweise Metalllegierungen auf ihr Kristallisationsverhalten untersuchen. Zum Einsatz soll dabei das neue Super-Mikroskop "Salve" kommen. Das an der Universität Ulm entwickelte und inzwischen fertiggestellte, zweifach bildfehlerkorrigierte Niederspannungs-Transmissionselektronenmikroskop (TEM) gehört weltweit zu den leistungsfähigsten Geräten seiner Art. Es hat eine um den Faktor drei höhere Auflösung als derzeitige einfach-korrigierte TEM. 
 

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