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17-02-2020 | Führungsqualität | Kolumne | Article

Selbstorganisation funktioniert nur mit Autorität

Author: Frank H. Baumann-Habersack

3:30 min reading time

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Damit Selbstorganisation in einem Unternehmen funktioniert, muss sich die Idee von Autorität grundsätzlich ändern. Eine horizontale Haltung zu Autorität könnte hierfür der Schlüssel sein, erklärt Springer-Autor und Gastkolumnist Frank H. Baumann-Habersack.

Die sogenannte digitale Transformation ist im Kern eine soziale. Dies zeigen etliche Wissenschaftlerinnen wie Stefan Brunnhuber oder Maja Goepel mit ihren Arbeiten. Otto Scharmer, MIT-Professor und Begründer der Theorie U, konstatiert, dass wir dafür zunächst den inneren Ort unseres Bewusstseins verändern müssen. Denn dieser bestimmt maßgeblich, wie wir unsere äußere Welt interpretieren – und somit auch gestalten: Organisationsstrukturen und Algorithmen, Roboter und andere Maschinen. Das bedeutet ebenfalls, unser Zusammenleben zu überdenken und die damit verwobenen Vorstellungen des Führens und Folgens.

Das Bewusstsein ist noch nicht in der Gegenwart angekommen

Einiges, was aktuell über Selbstorganisation geschrieben wird, basiert auf dem Bewusstseinsstand der schwindenden Industriekultur. Dieser lässt uns maßgeblich in linearen Regelkreisen und einem vertikalen Autoritätsverständnis denken, was wir wiederum unter anderem dem Feudalismus, Taylorismus sowie der Kybernetik erster Ordnung verdanken. Und den darauf basierenden Lehrplänen von Schulen und Bildungseinrichtungen. Denn durch sie wurden und werden wir grundsätzlich für eine Industriekultur sowie die gesellschaftlichen Werte des 20. Jahrhunderts sozialisiert.

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Selbstorganisation braucht eine neue, eine horizontale Haltung zu Autorität

Selbstorganisation kann nur gelingen, wenn der soziale Reifegrad von Menschen solch ein Stadium erreicht hat, dass sie – unabhängig von einer personengebundenen Leitungsrolle – selbst die soziale Funktion von Führung wechselseitig ausüben. 

Daraus leitet sich ab, dass die Bewusstseinsebene unserer Zusammenarbeit überwiegend noch von einem paternalistischen Autoritätsverständnis durchdrungen ist. Das heißt, es gibt eine männlich dominierte, vertikale Hierarchie. Diese gibt strukturell ein unverhandelbares Oben-unten vor und koppelt Führungsautorität an eine Person, die auf Anweisungen meist eine unmittelbare Ausführung erwartet. Diese Merkmale beschreiben eine autoritäre Form der Autorität, auch wenn die kaum jemand bei sich selbst sehen mag. Wir verhalten uns vielfach nur kooperativ und verwechseln es dann mit Haltung. Die unterstützen immer neue Führungsstile, die bei genauerer Analyse jedoch nur wieder auf den Bewusstseinsstrukturen des letzten Jahrhunderts fußen.

Selbstorganisation braucht Hierarchie mit anderer Haltung

Diese Hintergründe könnten erklären, weshalb einige propagieren, es müssten sich die Rahmenbedingungen, also primär die Organisationsstrukturen, ändern, dann entstünde automatisch eine Selbstorganisation. Aber das ist nur eine von mehreren Wahrheiten. 

Jo Freeman, eine amerikanische Politikwissenschaftlerin und Feministin, untersuchte in den 1970er Jahren die amerikanische Frauenbewegung. In ihrem noch heute relevanten Essay "Die Tyrannei der Strukturlosigkeit" beschrieb sie unter anderem eine Erkenntnis: Wenn es in einer Gruppe keine offizielle Struktur gibt, also eine legitimierte und transparente Hierarchie, bildet sich eher früher als später aufgrund des Zusammenwirkens von Menschen eine informelle Hierarchie.

Das Problem an solchen intransparenten Hierarchien: Sie erzeugen verdeckte und somit nicht verhandelbare Machtungleichgewichte. Diese führen unter anderem dazu, dass nach einiger Zeit eine Gruppe, eine Art elitärer Zirkel, ihre Interessen der Gesamtgruppe überstülpt. Dieser Zirkel unterdrückt dadurch einen Teil der Gruppe mit diesen Interessen. 

In Unternehmen ist das alles andere als hilfreich, nicht nur aus ethischer Sicht, da bezweifelt werden kann, dass sich die Interessen dieser kleinen Gruppe auch mit den Unternehmensinteressen decken. Und eine solche Atmosphäre kaum Innovationen fördert. Daher stellt sich die Frage: Wie können Menschen eine Hierarchie gestalten, die eine offene, ethische sowie für die Unternehmensziele hilfreiche Form von Selbstorganisation begünstigt?

Bewusstseinstransformation bei Autorität nötig

Dafür braucht es bei allen Beteiligten zunächst eine andere Bewusstseinsebene, insbesondere zu Autorität. Denn Autorität beschreibt, vereinfacht gesagt, das Verhältnis von Über- und Unterordnung beziehungsweise Gleichwertigkeit in Beziehungen sowie freiwilligem Führen und Folgen. In Mit neuer Autorität in Führung wurde erstmalig in einem Buch beschrieben, dass wahre Autorität kein Oben-unten, keinen Gehorsam für eine dennoch wirksame Führung braucht. Mittlerweile bezeichne ich diese Haltung als die neue, transformative Autorität in der Führung. Denn der innere Ort von Führung ist die Haltung zu Autorität ‒ und die gilt es zu transformieren.

Erste Praxiserfahrungen zeigen, dass diese transformative Autoritätshaltung wahrscheinlich der hilfreiche und nötige Bewusstseinsgrad für Menschen ist, um nicht nur hilfreiche Rahmenbedingungen für Selbstorganisation zu gestalten, sondern es auch Führungskräften ermöglicht, die Führung schrittweise an die Gruppe abzugeben. Dies geschieht im gleichen Maß, wie deren gemeinsamer Grad an Bewusstsein und sozialen Kompetenzen steigt. Das geht meiner Einschätzung nach vorrangig über konstruktiv ausgetragene Konflikte. Doch dafür ist zunächst Anleitung und Führung essenziell, die als Model vorangeht und sichere Räume schafft ‒ mit einer neuen, transformativen Haltung zu Autorität.

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