Die Kritik am Impfmanagement bei Herstellern und öffentlichen Institutionen reißt nicht ab. Zurecht? Springer Professional sprach mit dem Healthcare-Experten Stefan Fischer über die Herausforderungen bei der Impforganisation und der Impfstofflogistik.
Springer Professional: Das Corona-Impfmanagement ist für Organisationen eine komplexe Angelegenheit. Wo lauern nach Ihren Erfahrungen die größten Risiken?
Stefan Fischer: Organisationen verfügen nicht über etablierte Prozesse, um Self-Service-Funktionen anzubieten, proaktiv Termine zu planen, Prozesse stationärer Impfzentren oder mobiler Impf-Teams abzubilden und dabei die verschiedenen Phasen des Impfstofflebenszyklus sowie die festgelegten Richtlinien zu berücksichtigen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, kurzfristig relevante Daten zu verbinden und Arbeitsabläufe abzubilden, in die verschiedene interne und externe Fachverfahren, Register, Mitarbeiter, Call Center, Hersteller, Lieferanten, Logistiker und nicht zuletzt Bürger integriert sind.
Wie können Organisationen die nötige Infrastruktur für Corona-Schutzimpfungen zügig und effizient aufsetzen?
Das Impfmanagement verlangt die Orchestrierung vieler Komponenten. Im Bereich IT sind das Fachverfahren, Spezialsysteme und Applikationen zur Kommunikation und Interaktion über alle Beteiligten hinweg. Solche Herausforderungen sind nicht neu, aber sie sind bisher noch nie so massiv an einem Punkt kollidiert. Damit eine Organisation in der Lage ist, auf plötzliche Ereignisse zu reagieren, sind für die Skalierung von Informationstechnologie zwei Punkte entscheidend: Cloud-Infrastrukturen für Flexibilität, technologische Aktualität, Skalierbarkeit und Technologie-Plattformen für den Aufbau agiler Applikationen sowie die Integration einer vielfältigen Fachverfahrens-Landschaft an einem Punkt.
Welche Rolle spielt der Digitalisierungsgrad von Organisationen beim Impfstoffmanagement?
Der Digitalisierungsgrad zeigt, welche Rolle digitale Prozesse für ein Unternehmen und sein Geschäftsmodell spielen. Der Digitalisierungsgrad spiegelt aber auch die Denkweise innerhalb der Organisation wider. Es genügt nicht, dass ein Prozess mit Software unterstützt oder automatisiert wird oder Fachabteilungen mit IT-Systemen arbeiten. Es geht darum, wie digitale Prozesse die Zusammenarbeit im Unternehmen mit Kunden und Partnern verändern und wie daraus neue Geschäftsmodelle entstehen.
Was bedeutet das etwa für Behörden?
In der öffentlichen Verwaltung geben die Themen Onlinezugangsgesetz-Umsetzung und Verwaltungsmodernisierung den Ton an. Mit OZG sollen die Bürger digitale Services nutzen können. Die Verwaltungsmodernisierung zielt auf effiziente digitale Prozesse. Dass beides zusammengehört, zeigt das Impfmanagement deutlich. Soll der Service für den Kunden Bürger in den Mittelpunkt stehen, müssen die IT-Technologien darauf ausgerichtet sein und ein flexibles Zusammenspiel der internen Fachsysteme und deren transparente Integration an einem Punkt ermöglich. Hinzu kommen eine flexible, sichere Integrations-Ebene nach Außen, um externe Integration zu ermöglichen sowie eine kundenorientierte Schicht, um sich auf die jeweiligen Bedürfnisse des Kunden einzustellen. Beim Impfmanagement gibt es all diese Komponenten.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Hemmnisse bei der Implementierung von digitalen Prozessen im öffentlichen Sektor?
Seit Pandemie-Beginn sprechen öffentliche Organisationen darüber, dass Prozesse und IT bei unvorhersehbaren Ereignissen widerstandsfähig sein und sich in kürzester Zeit auf neue Bedingungen einstellen müssen. Gerade die Corona-Impfsituation macht bewusst, dass es dabei nicht nur um Ausfallsicherheit, den Schutz kritischer Infrastrukturen oder die Absicherung von Herstellungs- und Verteilungsmechanismen geht, sondern darum, Menschen zu erreichen, sie zum Teil von interaktiven Prozessen zu machen. Egal, ob das die massenhafte Erfassung von Infektionen ist, Homeoffice, die Rückkehr an den Arbeitsplatz oder die Impforganisation.
Über Jahrzehnte gewachsene IT-Strukturen dürfen aber nicht bestimmend dafür sein, was der Anwender in einem Prozess zu tun hat, sondern die Frage, was ein Mensch in einer bestimmten Situation benötigt. Für die Verwaltung ist es ein Vorgang, für den Bürger Service, der unterstützen soll. Die Herausforderungen in der öffentlichen Verwaltung bestehen in der Konsolidierung vorhandener IT-Systeme und -Verfahren und darin, diese in Cloud-Anwendungen mit Datenschutz, Datensicherheit und Unabhängigkeit in Einklang zu bringen, um Menschen digital zu erreichen.
Funktionierende Prozesse basieren auf strukturierten und digitalisierten Daten. Wie bewerten sie hier die aktuelle Situation in den öffentlichen Verwaltungen?
Mit dem Onlinezugangsgesetz haben sich Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, die Qualität ihres digitalen Angebots bis Ende 2022 auf ein neues Niveau zu heben. Die Technik dazu ist da. Der Zugang zu den unterschiedlichen öffentlichen Leistungen lässt sich online für praktisch alle Bürgerinnen und Bürger stark vereinfachen. In der Binnensicht erhalten die Betriebe der öffentlichen Hand mit einer solchen Lösung einen einheitlichen Blick auf alle damit verbundenen Vorgänge. Das ist ein riesiger Schritt in Sachen Effizienz. Aber nicht nur das Gesetz ist ein Treiber der digitalen Transformation, wachsende Datenmenge, die steigende Zahl intelligenter Hackerangriffe, steigende Kosten für das Management kaum integrierter Bestandssysteme und nicht zuletzt natürlich auch die gestiegenen Erwartungen der Bürger erhöhen den Druck auf öffentliche Einrichtungen.
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