Die Digitalisierung schafft komplexere und vielfältige Steuerungsaufgaben in Vertriebsorganisationen. Wo der größte Handlungsbedarf liegt.
Alles könnte so perfekt sein: Vertriebsteams wickeln sämtliche Prozesse digital vernetzt mit modernen IT-Anwendungen ab. Die Vertriebsleitung steuert transparent alle relevanten Abläufe und gewinnt tiefgehende Kenntnisse zur Situation bei den Kunden. Aus den Daten zieht sie laufend Nutzen für Verkaufsgespräche und die Marktbearbeitung durch die Vertriebsmitarbeiter. "Bislang sind die Sales-Organisationen mit dem Einsatz dieser innovativen Technologien aber zurückhaltend", stellt allerdings Reinhard Hafner, Head of Sales bei Ai Informatics, in einem Whitepaper zum "Vertrieb in Zeiten der Digitalisierung" in einem Realitätscheck fest.
Komplexer, digitaler
Das Problem: Die Kundenanforderungen sind seiner Beobachtung nach deutlich schneller gestiegen, als Verkaufsorganisationen darauf reagieren konnten. Die Herausforderungen wachsen. Gerade bei den notwendigen Digitalisierungsprojekten im Vertrieb sollten Unternehmen daher strategisch vorgehen, auf innovative Lösungen, so genannte Cross-Channel-Lösungen setzen und mehrgleisig fahren, wie Matthias Stauch, Vorstand der Intervista AG, im Beitrag "Digitalisierung macht den Meister (Sales Excellence, Ausgabe 6 | 2020, S. 10) anführt.
Produkte und Services werden vor allem in den Reihen mittelständischer Industrieunternehmen immer komplexer. Das hat zur Folge, dass Vertriebsmitarbeiter zum Beispiel über ein immer breiteres Angebot Bescheid wissen müssen, um im Verkauf richtig zu beraten. Sie sind zudem die Steuerer und Enabler der Customer Journey. Auch hier trifft sie die digitale Transformation direkt an den Schnittstellen zwischen Vertriebsorganisation und Kunde.
Benchmark Digitalisierung
Gerade die Digitalisierung fordert Vertriebsteams und ihren Führungskräften also inzwischen deutlich mehr als früher im Vertrieb ab. Vertriebsmitarbeiter müssen sich etwa stärker mit anderen Abteilungen, wie Technik, IT, Produktion oder Einkauf vernetzen. Zudem müssen sie das Konditionenmanagement mit der Vertriebsleitung kundenspezifisch und engmaschig abstimmen. Das gilt besonders für digitale oder erklärungsbedürftige Güter. Ein entsprechender digitaler Dokumentenprozess zwischen Vertrieb, Kunde und weiteren Unternehmensbereichen wie etwa dem After Sales Service ist dafür nur eine der Voraussetzungen.
Dabei kann schon die normale Tagesarbeit für Vertriebsleiter oft stressig werden. Häufige Stressoren beschreibt Markus Euler im Springer-Buch "Der Anti-Stress-Trainer für Vertriebsleiter": Preislisten müssen etwa aktualisiert werden, der Zugriff aufs CRM-System hinkt jedoch oder geplante Prioritätenlisten können nicht nachverfolgt werden.
Erfolgsfaktoren für die Vertriebssteuerung
Mario Pufahl schaut in seinem Springer-Buch "Sales Performance Management" vor allem auf die inneren Stellschrauben in der Vertriebsorganisation und die Anforderungen, die im digitalen Wandel, den der Vertrieb gerade in vielen Märkten vollzieht, noch wichtiger werden. Im Kapitel "Organisation - Wie sich der Vertrieb organisiert" (Seite 115 f.) verweist er auf drei Erfolgsfaktoren in der Vertriebssteuerung und im Kundenmanagement:
1. Kunde als Dreh- und Angelpunkt sehen. Der Vertrieb weiß, wie er auf die Kunden zugeht, mit ihnen ins Gespräch kommt und auf sie eingeht. Kundenprobleme müssen verstanden und eine Perspektive geboten werden, bevor eine konkrete Lösung vorgeschlagen wird.
2. Zusammenarbeit intern und extern verstehen. Vertriebsmitarbeiter wissen, wie sie intern zusammenarbeiten, aber auch, wie sie mit den Kunden zusammenarbeiten können. Die Konzentration des Vertriebs liegt auf dem Kunden.
3. Erfolgsmessung nutzen, Erfolge belohnen. Die Leistungen des Vertriebs müssen gemessen, gewürdigt und Erfolge belohnt werden. Einzelne Messkriterien im Vertrieb sollten darüber hinaus auf die Unternehmensziele abgestimmt sein. Als Erfolgsformel nennt er dabei:
"Vertriebsmitarbeiter müssen Verkaufschancen generieren, indem sie potenzielle Neukunden auswählen, Zugang zu diesen erhalten und deren Bedürfnisse ausloten, um Verkaufschancen einschätzen zu können."
Mario Pufahl
Die vielfältigen Aufgaben für die Vertriebsleitung an der Schnittstelle zur Digitalisierung der Vertriebs- und Kundenprozesse und die Fäden, die an verschiedenen Stellen gezogen werden müssen, um die Vertriebsorganisation als Ganzes zu steuern, verdeutlicht die nachfolgende Übersicht:
Typische Aufgaben von Vertriebsleitern |
Digitalisierung:
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Strategisch:
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Operativ:
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Quelle: in Anlehnung an: "Vertrieb in Zeiten der Digitalisierung", AI Informatics, S. 11. |
Marktziele und Potenziale überprüfen
Nicht zuletzt sollten in der Vertriebsführung auch die personellen Weichen richtig gestellt sein, um den digitalisierten Vertrieb und die wachsenden Kundenanforderungen zu meistern. "Gefordert ist inzwischen ein ganzes Kompetenzportfolio", meint Sales Excellence-Autor Dr. Udo Kords in der Kolumne "Engpass Vertriebsleiter" (Ausgabe 3 | 2019, S. 35). Sein Credo in Richtung Vertriebsleitungen: Sie müssten mit ihrer Schnittstellenarbeit heute "nicht nur über Kunden- und Markt-Sensorik verfügen", sondern neue Anforderungen auch durch Organisationsveränderungen flexibel anpassen.
Pufahl rät, dass Vertriebsleitungen beispielsweise im Rahmen ihrer Strategie überprüfen sollten, ob die aktuellen organisatorischen Rahmenbedingungen und die Qualifikation der Mitarbeiter zu
- den Marktbearbeitungszielen,
- den identifizierten Markt- und Kundenpotenzialen sowie
- der Wettbewerbs- und Produktstrategie passen.
Kord sendet als Botschaft an Vertriebsleiter, dass Mitarbeiter nicht nur wie üblich in Abschlusstechniken oder der Einwandbehandlung fit gemacht werden müssen. Vielmehr sollten sie trainiert werden, sich mit dem Kundenbedarf zu beschäftigen und die richtigen Fragen im Verkaufsgespräch zu stellen. Das wird in einem komplexer vernetzten digitalen Vertriebs- und Produktumfeld wichtiger denn je.