Textilien sind ein Produkt der Superlative. Kaum ein anderes Produkt kann auf eine so lange Geschichte zurückblicken. Funde von wilden Flachsfasern in der Dzudzuana-Höhle in Georgien konnten auf ein Alter von 30.000 Jahren datiert werden (Kvavadze et al.
2009). Jede der sogenannten Hochkulturen entwickelte eigene Textilherstellung und setzte dabei auf unterschiedliche Naturfasern – Indien und Peru auf Baumwolle, Ägypten auf Flachs, Mesopotamien auf Wolle oder China auf Seide (Wilson
2021). Nach letzterer wurde sogar eine der wichtigsten Handelsrouten der Globalgeschichte benannt, was wiederum zeigt, dass Textilien auch über lange Zeit eines der wichtigsten Handelsgüter und somit Motor der Globalisierung wurden (Wilson
2021). Die Art und Weise jedoch, wie dieser Handel besonders in der frühen Neuzeit und Moderne ausgestaltet wurde, ist eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte der Menschheit. Um sich Luxusgüter aus Asien wie Baumwolle und vor allem Seide leisten zu können, brauchten die Europäischen Handelsnationen im 15. Jahrhundert große Mengen and Gold und Silber. Die Suche nach diesen Edelmetallen führte etwa Portugal und im Anschluss daran auch Spanien, die Niederlande, England oder Frankreich, bis an die Westküste Afrikas. Dort diente wiederum die aus Indien importierte Baumwolle als Tauschmittel gegen Goldstaub. Nachdem sich das Außenhandelsbilanzdefizit der europäischen Handelsmächte gegenüber Indien, den Gewürzinseln und vor allem China trotzdem weiter verschlechterte, wurde nach anderen Möglichkeiten gesucht, wie etwa kürzeren Seerouten nach Asien, um die Transportkosten zu reduzieren. Gefunden, unter Anführungszeichen, wurden die Amerikas und damit nicht nur riesige Mengen an Gold und Silber. Beide wurden der ansässigen Bevölkerung geraubt, um weiter Luxuswaren aus Asien nach Europa importieren zu können. Weil sich die Handelsbilanz auch dadurch nicht verbesserte, entwickelten die europäischen Handelsmächte ein gänzlich neues System des Handels und der Produktion. Auf den riesigen Flächen der Amerikas wurden zunächst Zuckerrohr und später auch Baumwolle als
Cash Crop eingeführt. Verarbeitet wurde Letztere in Europa zu Stoffen, die zum Teil an die Westküste Afrikas exportiert wurden, jedoch nicht mehr zum Tausch gegen Goldstaub, sondern gegen den wichtigsten Produktionsfaktor für den Zuckerrohr- und Baumwolleanbau: Arbeitskraft in Form von Sklaven. Der große Atlantische Dreieckshandel war geboren und entvölkerte nicht nur große Teile Afrikas und der Amerikas, sondern ermöglichte erst das, was heute als industrielle Revolution bezeichnet wird (French
2021). Tatsächlich war die industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts eine Textilrevolution, die nicht nur technische Innovationen befeuerte, sondern auch zu einer neuen Einteilung der Gesellschaft in Kapitalistinnen und Proletariat führte (O’Brien et al.
2012). Dass sich daraus auch neue gesellschaftliche Ideen und politische Kräfte formten, ist in Anbetracht der Evolution des Menschen kein Wunder und es ist auch nicht überraschend, dass mit Robert Owen und Friedrich Engels zwei Textilunternehmer hier an vorderster Front standen (Rogers
2018). Textilien beziehungsweise deren Herstellung wurde somit zum Politikum, und das blieb auch so. Nachdem die britische Kolonialmacht die indische Textilproduktion zerstört und das Land zum Lieferanten billiger Baumwolle für die Textilfabriken im Mutterland degradiert hatte, forderte Mahatma Gandhi seine Landsleute auf, es ihm gleichzutun, sprich Textilien aus britischer Produktion zu boykottieren und nur mehr in Indien produzierte Baumwolltextilien zu tragen (Shikwati
2011). So entstand nach der Unabhängigkeit in Südasien und später auch in China oder Südostasien ein riesiger Textilsektor. Grundvoraussetzung dafür waren neben der Baumwollindustrie sowohl billige neue Rohstoffe wie Polyester, aber auch ausländische Direktinvestitionen multinationaler Konzerne und vor allem eines: günstige Arbeitskraft. Damit war auch die Vormachtstellung der europäischen Textilindustrie gebrochen, weil ein Großteil der Produktion nach China, Indien, Vietnam, oder Bangladesch ausgelagert wurde (Gleba und Ulla
2012). Und da sich die Menschheit zwar durch große Innovationskraft auszeichnet, jedoch oftmals wenig aus Fehlern der Vergangenheit lernt, ist es kein Wunder, dass die unmenschlichen Arbeitsbedingungen des Manchesterkapitalismus in Ländern wie Bangladesch auch heute noch zu finden sind (Saxena
2014). Doch nicht nur die Textilverarbeitung, auch die Produktion von Naturfasern wie Baumwolle hat sich verlagert, wenn auch mit geringerer Ausprägung. Zwar dominieren immer noch Indien, China, die USA, Brasilien, Pakistan und die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens den Weltmarkt, jedoch nimmt der Marktanteil von Produzenten wie Argentinien oder verschiedenen Ländern in Sub-Sahara Afrika stark zu (Mollaee et al.
2019). Gemessen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche etwa ist das Westafrikanische Benin heute einer der größten Baumwollproduzenten der Welt (FAOSTAT
2023).