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2017 | Book

Handbuch Verantwortung

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About this book

Das Handbuch Verantwortung vermittelt einen Überblick über Themen und Positionen der internationalen Verantwortungsforschung. Es befasst sich mit Geschichte und Etymologie der Verantwortung und zeigt, warum der Verantwortungsbegriff zum Grundvokabular des ethischen Denkens gehört. Wann immer von Verantwortung die Rede ist, spielen Begriffe wie Freiheit, Zurechnung, Schuld oder Pflicht eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus werden unterschiedliche Typen und Arten der Verantwortung wie individuelle und kollektive Verantwortung behandelt. Der Leser wird mit den wichtigsten Handlungsbereichen vertraut gemacht, zu denen die politische und rechtliche Verantwortung gehören, aber auch die Rolle des Verantwortungsprinzips in Erziehung, Medien, Technik und Wissenschaft. Nicht zuletzt geht es um den Beitrag, den das Verantwortungsprinzip für den Umgang mit Herausforderungen der Menschenrechte, der Weltarmut oder des Klimawandels leistet.

Table of Contents

Frontmatter

Grundlagen

Frontmatter
Definitionen und Voraussetzungen der Verantwortung

Der Begriff der Verantwortung ist alles andere als selbstverständlich. Definitionen und Voraussetzungen haben einen wesentlichen Einfluss auf das Verständnis und den Gebrauch des Verantwortungsbegriffs. In diesem Artikel geht es um die Frage, wie sich Verantwortung definieren lässt und auf welchen Voraussetzungen die Zurechnung und Übernahme von Verantwortung beruhen. Mit Blick auf individuelle, kollektive und systemische Handlungsprozesse werden insgesamt vier Definitionen von Verantwortung behandelt: Verantwortung als Zurechnungsfähigkeit und Zuständigkeit, als folgenbasierte Legitimation, als kontextualistisches Reflexionsprinzip sowie als Struktur- und Steuerungselement. Abschließend werden die konditionalen und generischen Voraussetzungen der Verantwortung thematisiert.

Ludger Heidbrink
Strukturen und Relata der Verantwortung

Dass die Verantwortung ein relationales Konzept darstellt, ist bekannt und kann mittlerweile sicherlich zum etablierten Kern des Verantwortungsdiskurses und der Verantwortungsforschung gerechnet werden. Doch um welche Relata es sich dabei konkret handelt und in welcher Weise sie strukturell miteinander verknüpft sind, hängt von der jeweils zugrunde liegenden Definition des Verantwortungsbegriffs ab. Diese jedoch wird nicht immer, wenn von Verantwortung die Rede ist, explizit genannt, sondern liegt dem Gesagten zumeist nur implizit zugrunde. Daher variieren die Relationselemente der Verantwortung in Anzahl, Art und Status zum Teil beträchtlich. Im Folgenden nehme ich die innerhalb des Verantwortungsdiskurses bekanntesten Anwärter_innen auf Relata in den Blick und untersuche ihre strukturellen Verknüpfungen innerhalb des Verantwortungskonzepts.

Janina Loh
Verantwortlichkeit und Verantwortungstypen: Arten und Polaritäten

Nach kurzer Diskussion vornehmlich sozialpsychologischer Attributions-Ansätze wird eine Strukturtheorie von Verantwortlichkeit und differenzierteren Verantwortungsformen und -typen als relationaler Zuschreibungsbegriffe in schematischer Sicht entworfen, um der Vielfalt unterschiedlicher Verwendungen der Verantwortungsbegriffe gerecht zu werden – z. B. Kausal- und Handlungsverantwortung, Rollenverantwortung, aber auch soziale, (universal-)moralische und rechtliche Verantwortlichkeit. Normative und deskriptive Verwendungen werden unterschieden. Diagramme von z. B. Rollen- und Aufgabenverantwortung sowie moralischer, rechtlicher und anderer Spezifizierungen können die abstrakten Schematypen näher unterteilen bzw. zur weiteren Konkretisierung dienen. Dasselbe gilt für analytisch-strukturelle Verantwortungspolaritäten und für Prioritätsregeln zur Behandlung von typischen Verantwortungskonflikten. Neuere Konzepte wie soziale, kollektive und korporative Verantwortung und gar Systemverantwortung erfordern künftig mehr Aufmerksamkeit.

Hans Lenk

Geschichte und Genealogie

Frontmatter
Der Begriff der Verantwortung in der Antike und im Mittelalter

In der Antike wurde nicht nur eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe verwandt, um menschliche Verantwortung zu fassen, auch die Bedeutung der Begriffe variiert oft genug von Autor zu Autor. Während Aristoteles verschiedene Aspekte der Verantwortung mit ‚Ursache‘, ‚freiwillig‘ und – für das, was in unserer Macht liegt – ‚bei uns‘ (eph’ hêmin, engl. up to us) einfängt, bewegt Platon sich ausschließlich im semantischen Feld von ‚Ursache‘. Für die Stoiker, Epikureer und späteren Aristoteliker ist der zentrale Begriff in der Annäherung an die Verantwortungsthematik ‚das, was bei uns liegt‘. Eine Ausnahme bildet der römische Stoiker Epiktet, indem für ihn ‚das, was bei uns liegt‘ ein ethisches Ideal darstellt, das selbst viele verantwortlich Handelnde nicht erreichen. Eine ähnlich normativ konnotierte Auffassung von dem, ‚was bei uns liegt‘, vertritt Plotin, der sie mit Platons Konzeption der Freiwilligkeit verbindet; formuliert er hingegen Fragen zur Verantwortung, spricht Plotin wie Platon von ‚Ursache‘. Im Verlauf der Antike stellen sich zwar Zweifel bezüglich der Kompatibilität von Verantwortung und Determination ein, doch rücken sie weder in dieser Zeit noch im Mittelalter ins Zentrum der Betrachtung. Für die Denker der Spätantike und des Mittelalters wird unsere Eigenverfügung zum sei es alleinigen, sei es mit dem Intellekt verbundenen Ausdruck unseres Willens, wobei jedoch die Meinungen über genaues Wesen und Funktion des Willens weit auseinandergehen. Verantwortung interessiert hier nicht nur im Hinblick auf eine rein theoretische Untersuchung der menschlichen Natur, sondern auch in praktischer, insbesondere geistlich-seelsorgerischer Hinsicht.

Susan Sauvé Meyer, Jeffrey P. Hause
Der Begriff der Verantwortung in der Neuzeit und in der Aufklärung

Der Artikel behandelt den Zeitraum zwischen dem frühen 16. und dem beginnenden 19. Jahrhundert, berücksichtigt also noch Hegel. Er beginnt mit Erasmus von Rotterdam und Luther, behandelt Verantwortung im Kontext der Theodizee und thematisiert vor allem die unterschiedlichen Interpretationen von Freiheit in ihrer Beziehung zur Naturnotwendigkeit. Die Kantische Philosophie markiert gewissermaßen den Ausklang neuzeitlichen Denkens, während Hegel die problematischen Aspekte in der Beziehung zwischen Vorsatz und Handlung hervorhebt.

Luca Fonnesu
Der Begriff der Verantwortung in der Moderne: 19.-20. Jahrhundert

Angesichts der Schlüsselposition, die der Verantwortungsbegriff in der heutigen Moralphilosophie einnimmt, und angesichts seiner Allgegenwart im öffentlichen Leben muss die Beobachtung überraschen, dass er erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts größere Verbreitung findet, um dann im 20. Jahrhundert in den Rang einer ethischen Schlüsselkategorie aufzusteigen. Diese Entwicklung hängt mit fundamentalen strukturellen Umwälzungen der menschlichen Lebens- und Handlungsweise zusammen, die in diesem Zeitraum auftreten und neue Probleme aufwerfen, deren Lösung einen neuen Begriff von Verantwortung erforderlich macht. Der vorliegende Beitrag resümiert die Entwicklung des Verantwortungsbegriffs seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, ausgehend von einem ‚klassischen Modell‘ der Verantwortung, das lange vor der Einführung und allgemeinen Durchsetzung des Ausdrucks ‚Verantwortung‘ Lösungen für das moralische und rechtliche Problem der Zurechenbarkeit bereitstellte. Im Zuge der im 19. Jahrhundert zunehmenden Komplexität sozialer, wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen im Übergang zu modernen Gesellschaften verliert das klassische Modell mehr und mehr an Praktikabilität hinsichtlich der Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme und wird daher von einem ‚nachklassischen Modell‘ ergänzt, aus dem schließlich ein prospektiver Begriff der Vorsorgeverantwortung hervorgeht. Dieser wiederum steht Pate für das moderne Verständnis von Verantwortung, welches im 20. Jahrhundert maßgeblich durch frühe Verantwortungstheoretiker wie Max Weber geprägt wird.

Kurt Bayertz, Birgit Beck
Der Begriff der Verantwortung in der Gegenwart: 20.-21. Jahrhundert

Der Beitrag zeichnet die Problemstellungen und Entwicklungen im Verantwortungsdiskurs der Gegenwart nach. Die wichtigsten Konzepte werden nach Themenfeldern geordnet vorgestellt. Verantwortung wird durch die Weiterentwicklung von einem subjektbezogenen zu einem systemischen Verständnis zu einem tragfähigen Leitbegriff einer zeitgemäßen Philosophie der Praxis, der den Komplexitätsanforderungen moderner Gesellschaften gerecht wird.

Günter Banzhaf

Theorien und Ansätze

Frontmatter
Deontologische Theorien der Verantwortung

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die beiden wichtigsten Typen deontologischer Normierungstheorien, nämlich Rechte-basierte Moraltheorien und Kants Würde-basierte Moraltheorie. Rechte-basierte Moraltheorien werden allgemein charakterisiert und ihre wichtigsten Theorieentscheidungen aufgezeigt. Es wird auf ihre spezifische Folgenorientierung eingegangen und herausgestellt, wie Probleme der Anzahl, die Rechte zukünftiger Menschen und der Umgang mit Risiken behandelt werden können. Anschließend wird Kants Moraltheorie skizziert. Es wird gezeigt, wie Kant zufolge die Würde primär Pflichten und nur in einem eingeschränkten Sinne Rechte begründet.

Klaus Steigleder
Teleologische Ethik: Utilitarismus und Verantwortung

Der Beitrag stellt die besondere Nähe des Verantwortungsbegriffs zur teleologischen Ethik heraus. Verantwortung und teleologische Ethik treffen sich in ihrem inhärenten Zukunftsbezug. Außerdem bezieht sich (proaktive) Verantwortung primär auf zu bewirkende Ereignisse und Zustände und nicht primär auf Handlungen. Die teleologische Ethik und ihre meistdiskutierte Form, der Utilitarismus, werden in ihren Grundzügen dargestellt, mit den Haupteinwänden gegen diese Ethikformen konfrontiert und neuere Varianten als Versuche präsentiert, diesen Einwänden gerecht zu werden. Am Ende stehen Überlegungen, wie sich eine teleologische Ethik auf die Zuschreibung von Verantwortung auswirkt.

Dieter Birnbacher
Verantwortung in der Tugend- und Wertethik

Dieser Beitrag untersucht das Verhältnis des Verantwortungsbegriffs zu tugendethischen und zu wertethischen Ansätzen. Hierbei wird zum einen die Rolle des Verantwortungsbegriffs als Strukturmoment tugendethischer und wertethischer Ethikkonzeptionen betrachtet und zum anderen Veranwortungsvollsein als mögliche Tugend und Verantwortung als potentieller Wert beleuchtet.

Hilmar Schmiedl-Neuburg
Diskursethik und Verantwortung

Der Artikel charakterisiert die Diskursethik hinsichtlich ihrer Traditionen, ihres Theoriekerns, ihrer Methodik und ihrer Entfaltung zu einem Theorienetz, das auch Konzepte für diskursive Verfahren und ein Verantwortungskonzept beinhaltet.

Konrad Ott

Begriffe und Aspekte

Frontmatter
Verantwortung und Pflichten

Die Begriffe der Pflicht und der Verantwortung zeichnen sich durch ihre grundlegende Bedeutung sowohl für die praktischen Selbstverhältnisse des Menschen als auch für reflektierte Intersubjektivität aus. Das zwischen diesen Begriffen bestehende systematische Verhältnis ist vielschichtig: Einerseits müssen sie voneinander unterschieden werden, da sie sich nicht auf genau dieselben praktischen Phänomene beziehen, andererseits verweisen sie oftmals aufeinander. Trotz ihrer Leistungskraft erweisen sich beide Konzepte als problematisch, wenn es um die Zuschreibung von konkreter moralischer Verbindlichkeit bzw. Zuständigkeit angesichts von Schädigungsfällen im Kontext von komplexen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Systemen geht.

Corinna Mieth, Christoph Bambauer
Verantwortung und Schuld

Wir sind heute gewohnt, unter Schuld die moralische oder strafrechtliche Verantwortung des einzelnen Täters für vorwerfbare Entscheidungen zu verstehen, auf die mit Strafe oder sozialen Sanktionen reagiert wird. Wenn hingegen von kollektiver Schuld die Rede ist, dann wird dies in der Regel entweder als eine abkürzende Redeweise verstanden, die die moralische und rechtliche Schuld vieler Einzelner zusammenfasst, oder als eine primitive Denkweise beurteilt, die unsinnigerweise Personen nicht aufgrund ihrer eigenen Entscheidungen, sondern als Mitgliedern einer Familie, Ethnie oder Nation eine Schuld an etwas zuschreibt, das zu verhindern gar nicht in ihrer Macht lag. Der Artikel behandelt wichtige Veränderungen der Schuldsemantik seit der Antike bis zum heutigen Verständnis persönlicher Schuld im moralischen und rechtlichen Bereich. Im letzten Teil geht es um die Schwierigkeiten, die sich aus der modernen Individualisierung und Moralisierung des Schuldbegriffes sowohl für die Alltagspraxis als auch für den angemessenen Umgang mit kollektiven Verbrechen ergeben.

Maria-Sibylla Lotter
Verantwortung und Zurechnung

Der Artikel verweist zunächst auf die enge historische wie systematische Verbindung der Begriffe Zurechnung und Verantwortung und stellt in einem kurzen historischen Überblick die Entwicklung des Zurechnungsbegriffs aus antiken und mittelalterlichen Ursprüngen bis in die Naturrechtsdiskussion des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihren differenzierten Untersuchungen vor. Die Untersuchung der definierenden Elemente und unterschiedlichen – objektiven oder subjektiven – Deutungen der Zurechnung impliziert die Benennung der diversen theoretischen Probleme, etwa des verwendeten Kausalitätsbegriffs. Eine erhebliche theoretische wie rechtspraktische Herausforderung stellt ferner die Zurechnung kollektiver Handlungen unterschiedlicher Art dar. Abschließend wird gezeigt, an welchen Stellen man von Verantwortung sprechen kann und muss, auch wenn der Rückgriff auf die Zurechnung schwierig oder unmöglich wird, und wie es den Verantwortungsbegriff zu erweitern gilt, wenn er den Bedingungen moderner Gesellschaften gerecht werden soll.

Matthias Kaufmann
Verantwortung, Freiheit und Wille

Der Artikel behandelt die kausale Rolle des Willens im Blick auf moralische Verantwortung. Untersucht wird, welche Bedeutung in diesem Kontext Handlungsfreiheit und Willensfreiheit haben, wie sie sich zueinander und zu alternativen Möglichkeiten verhalten und ob sie mit dem Determinismus vereinbar sind.

Julius Schälike
Verantwortung, Determinismus und Indeterminismus

Der dem Strafrecht zugrunde liegende alternativistische Begriff der Willensfreiheit schreibt dem Menschen die Fähigkeit zu, sich in seinen Entscheidungen über die Grenzen des naturgesetzlichen Geschehens hinwegzusetzen. Eine solche Zuschreibung widerspricht jedoch gegenwärtigen psychologischen und neurobiologischen Erkenntnissen über die Steuerung menschlichen Verhaltens. Dabei ist es irrelevant, ob Vorgänge in unserem Gehirn streng deterministisch ablaufen oder zumindest auf unterer Ebene indeterministisch bzw. chaotisch-deterministisch ablaufen. Es bleibt aber die Tatsache, dass sich Menschen frei fühlen, indem sie ihrem personalen Willen folgen können. Dies setzt die Abwesenheit von äußerem und innerem Zwang voraus. Ein Abwägen tritt auf, wenn widerstreitende Motive vorhanden sind. Es erweist sich als sinnvoll, den im Strafrecht vorherrschenden alternativistischen Begriff der Willensfreiheit durch den zivilrechtlichen Begriff der Verantwortung für das eigene Tun unabhängig von einer persönlichen Schuld zu ersetzen. Hierbei muss nicht die Existenz und Wirkung eines metaphysisch (d. h. jenseits des Naturgeschehens) wirkenden freien Willens angenommen werden.

Gerhard Roth
Verantwortung, Identität und Autonomie

Fragen von Identität und Autonomie werden heute auf vielfache Weise in unterschiedlichen Disziplinen behandelt. In diesem Beitrag werden diese Themen unter normativen Gesichtspunkten erörtert, insbesondere unter Berücksichtigung der praktischen Frage, welches Leben wir führen und wie wir uns verstehen wollen. Die Unterscheidung zwischen einem klassischen und einem modernen Verantwortungsbegriff gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf eine Begriffsbildung, durch die Identität als Selbstverständnis konkretisiert werden soll.

Claus Langbehn
Verantwortung und Kontrolle

Nach traditioneller Sicht setzt Zuschreibung von Verantwortung eine Form von Kontrolle auf Seite der als verantwortlich erachteten Person voraus. Umstritten ist jedoch sowohl die Art als auch die Reichweite einer solchen Kontrollbedingung von Verantwortung. So kann sich die für Verantwortung notwendige Kontrolle auf das eigene Handeln der Person beziehen und dabei ihre handlungsrelevanten mentalen Einstellungen, wie etwa Wünsche, Urteile und Überzeugungen, oder auch die Konsequenzen ihres Handelns umfassen. Kontrolle kann genuine alternative Handlungsmöglichkeiten voraussetzen oder diverse mögliche Welten betreffen, mehr und weniger bewusst und überlegt sein, sowie sich über verschieden lange Zeiträume erstrecken.

Monika Betzler, Nina Scherrer
Verantwortung für Überzeugungen

Die Tradition der Ethik des Glaubens, wonach wir für unsere Überzeugungen verantwortlich sind, wurde durch ein Argument von Alston erschüttert. Laut ihm sind wir für unsere Überzeugungen nicht verantwortlich. Dies folge daraus, dass wir 1. nur für das verantwortlich sind, was wir willentlich steuern können, und 2. unsere Überzeugungen nicht willentlich steuern können. Zur Rettung der Verantwortung für Überzeugungen haben sich zwei kompatibilistische Strömungen herausgebildet: eine, die sich auf Reasons-Responsiveness stützt, und eine, die das Sollen-impliziert-können-Prinzip angreift. Eine umfassende Theorie doxastischer Verantwortung bleibt jedoch ein Desiderat.

David Deml-Müller
Verantwortung, Rationalität und Urteil

Dieser Beitrag untersucht die Gründe, die dafür sprechen, Verantwortung mit den Fähigkeiten des moralischen Denkens und Urteilens in Verbindung zu bringen. Er stellt fünf verschiedene Ansätze vor, die Verantwortung und Rationalität miteinander verknüpfen: die Arbeiten von Susan Wolf, R. Jay Wallace, Angela M. Smith und Pamela Hieronymi sowie die Gemeinschaftsarbeit von John Martin Fischer und Mark Ravizza. Am Leitfaden dieser Autoren wird gezeigt, dass der Begriff des rationalen Vermögens zentral ist für das Verständnis und die Begründung unserer Verantwortungspraxis. Die Debatte über diesen Zusammenhang hat bereits deutliche Fortschritte gezeitigt, doch wirft der Begriff eines rationalen oder moralischen Vermögens nach wie vor erhebliche Verständnisprobleme auf. Ein denkbarer Grund hierfür, der erörtert wird, ist der, dass dieses Vermögen in einem konstitutiven Verhältnis zur Praxis des Zur-Verantwortung-Ziehens und Verantwortung-Übernehmens stehen könnte – und dass dieses Verhältnis noch gründlicher Erforschung harrt.

Garrath Williams
Verantwortung, Gerechtigkeit und Solidarität

Dieser Beitrag untersucht erstens den Stellenwert des Konzepts persönlicher Verantwortung in verschiedenen Theorien der Verteilungsgerechtigkeit und zweitens die Beziehung zwischen dem Gedanken der persönlichen Verantwortung und dem der Solidarität im Rahmen einer Gerechtigkeitskonzeption. Dabei wird der Glücksegalitarismus als stellvertretender Versuch erörtert, die Theorie der Verteilungsgerechtigkeit als Funktion einer eigenständigen Konzeption persönlicher Verantwortung zu fassen. Im Anschluss an eine Klärung der Struktur des glücksegalitaristischen Ansatzes wird die Möglichkeit einer Konzeption persönlicher Folgenverantwortung, die nicht ihrerseits schon eine Theorie der Gerechtigkeit voraussetzt, in Frage gestellt. Dem folgt eine Gegenüberstellung der strukturellen Rollen von persönlicher Verantwortung im Glücksegalitarismus und in Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit. Abschließend wird gezeigt, wie diese verschiedenen strukturellen Rollen wiederum sehr unterschiedliche Auffassungen des Verhältnisses der Ideale von persönlicher Verantwortung und Solidarität begründen.

Stephen J. White
Verantwortung, Macht und Anerkennung

Der Beitrag befasst sich mit der Rolle von Macht und Anerkennung in Verantwortungsrelationen. Dabei wird zum einem beleuchtet, welche Bedeutungen von Macht und Anerkennung in Verantwortungsrelationen relevant sind. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert Macht- oder Anerkennungsaspekte in der Begründung verschiedener Verantwortungstheorien einnehmen.

Eva Buddeberg

Typen und Arten

Frontmatter
Individuelle Verantwortung

Nach einer einleitenden Erläuterung zum systematischen Vorrang der individuellen Verantwortung wird an die Entstehung des Begriffs aus der selbstbewussten Stellung des Menschen vor Gott erinnert. Darauf folgt der Hinweis auf den Einfluss der wachsenden Bedeutung bürgerlicher Gerichtsbarkeit als zweiter großer Einflussgröße. Nach Hinweisen auf die erste Verwendung des Begriffs bei Leibniz und im Denken der Aufklärung wird die Vorklärung, die in den Freiheitstheorien von Kant bis Hegel erfolgt, übersprungen. Die Darstellung des philosophischen Wortgebrauchs setzt mit Nietzsche ein und ist dann auf wichtige Stationen der Begriffsverwendung im 20. Jahrhundert konzentriert.

Volker Gerhardt
Kollektive Verantwortung

Was ist kollektive Verantwortung? Dieser Beitrag betrachtet moralische Verantwortung als die Löblichkeit oder Schuldigkeit von Akteuren in Bezug auf ihre Handlungen. Das Hauptziel besteht in der Identifikation dreier zentraler Positionen zur kollektiven moralischen Verantwortung. Die erste versteht kollektive Verantwortung als die Verantwortung kollektiver Akteure wie etwa Unternehmen, Regierungen oder eher lose strukturierter Kollektive, deren Angehörige sich zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zusammentun. Die zweite Position ist stärker individualistisch angelegt und behauptet, dass kollektive Verantwortung am ehesten als die Verantwortung einzelner menschlicher Akteure zu verstehen ist, es aber in Fällen kollektiver Verantwortung ein irreduzibles kollektives Moment wie etwa eine partizipatorische Absicht oder eine mitwirkende Handlung gibt. Die dritte Position nimmt der kollektiven Verantwortung gegenüber einen eliminatorischen Standpunkt ein, indem sie behauptet, dass es sie gar nicht gibt. Im Anschluss an die Skizzierung dieser drei zentralen Ansichten zur kollektiven Verantwortung diskutiert dieser Beitrag kurz einige Einwände gegen die kollektive Verantwortung und gibt einen knappen Überblick darüber, wie diese in Fällen von unternehmerischer und staatlicher Verantwortung für internationale Verbrechen und von Wiedergutmachungen für historische Ungerechtigkeiten zur Anwendung kommt. Abschließend betrachtet dieser Beitrag den Begriff der „zukunftsorientierten kollektiven Verantwortung“, das heißt der kollektiven Verpflichtung.

Tracy Isaacs
Korporative und kooperative Verantwortung

In diesem Artikel diskutiere ich kollektivistische und individualistische Theorien korporativer und kooperativer Verantwortung. Dabei stelle ich in (1) die spezifischen Herausforderungen vor, mit welchen kollektivistische bzw. individualistische Theorien konfrontiert sind. In (2) führe ich kollektivistische und individualistische Theorien gemeinsamen Handelns auf, da diese die handlungstheoretischen Grundlagen für jede Theorie korporativer und kooperativer Verantwortung darstellen. Im Anschluss daran diskutiere ich in (3), ob man einem engen Verantwortungsbegriff anhängen sollte, der Verantwortung an Verursachung zurückbindet, oder ob ein weiter Verantwortungsbegriff plausibler ist, durch den auch zukünftige Handlungen und Ereignisse Gegenstand von Verantwortungszuschreibungen werden können. In (4) stelle ich kollektivistische und individualistische Theorien korporativer und kooperativer Verantwortung einander gegenüber. Wie sich diese mit Blick auf ihre in (1) aufgeführten spezifischen Herausforderungen schlagen, evaluiere ich abschließend in (5).

Christine Bratu
Systemverantwortung

Je komplexer und risikoreicher die gesellschaftlichen Bedingungen im Zuge der Neuzeit geworden sind, desto drängender und problematischer wird die Frage nach der Verantwortung des Menschen. Die persongebundene Verantwortung verliert sichtlich an Bedeutung und Legitimationskraft und bedarf der Ergänzung durch eine Regelverantwortung, die sich auf Strukturen und auf subjektlose, anonyme Prozesse beziehen lässt. Der Begriff „Systemverantwortung“ kann dabei helfen, die handelnden Personen über solche Prozesse aufzuklären und entsprechende Gestaltungsoptionen zu entwerfen.

Günter Wilhelms
Globale Verantwortung

Die Fragen, was globale Gerechtigkeit ist und wer die Verantwortung dafür trägt, sind begrifflich nicht voneinander zu trennen. Deswegen lässt sich die Debatte über globale Gerechtigkeit als eine Debatte über den Skopus und die Zurechnungsgründe von Verantwortung rekonstruieren. Auf den ersten Blick schreiben Kosmopolitisten globale Verantwortung aufgrund der Fähigkeit zu, Missstände zu beseitigen (Peter Singer), während Partikularisten den Skopus der Verantwortung auf besondere Beziehungen beschränken, die es nur in Nationalstaaten gibt (David Miller). Auf den zweiten Blick stellt sich die Diskussion aber komplizierter dar. Globale Verantwortung lässt sich nämlich auch als Problem der Haftbarkeit für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer ungerechten Weltordnung (Thomas W. Pogge) oder als eine Frage assoziativer Verantwortung für geteilte Gesellschaftsstrukturen (Iris M. Young) begreifen. Im Durchgang durch ausgewählte Positionen wird deutlich, dass es eine Pluralität von Gründen zur Zurechnung globaler Verantwortlichkeiten gibt. Wir leben in einer globalen Verantwortungsgesellschaft und können uns unserer weltbürgerlichen Verantwortung auch dann nicht entziehen, wenn sie mit unserer persönlichen Freiheit und unseren partikularen Pflichten widerstreitet.

Henning Hahn

Bereiche

Frontmatter
Ethische Verantwortung

Der Begriff der ethischen Verantwortung bezieht sich auf die Verantwortung des Individuums gegenüber dem Anderen, da sich ethische Verantwortung in der Interaktion des Individuums mit Anderen entfaltet, während die davon zu unterscheidende moralische Verantwortung sich auf konkrete moralische Normen bezieht, die in den Anwendungsgebieten der Ethik (z. B. Umweltethik, Wirtschaftsethik) auf unterschiedliche Objekte angewendet werden können.Im Hinblick auf die ethische Verantwortung wird zwischen Selbstverantwortung und Fremdverantwortung unterschieden. Desweiteren gibt es in der neueren Forschung Ansätze der Kollektiv- und Systemverantwortung, die sich ebenfalls der ethischen Verantwortung zurechnen lassen.

Verena Rauen
Rechtliche Verantwortung

Die Rechtswissenschaft ist eine Wissenschaft von der Verantwortung. Sie handelt von der Weitergabe von Verantwortung von Person zu Person in der Sprache des Rechts. Im Recht wird die Verantwortung „scharf gestellt“. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Verantwortung muss deshalb die rechtswissenschaftliche Dimension einbeziehen.

Jan Henrik Klement
Soziale und politische Verantwortung

In diesem Beitrag diskutieren wir Probleme der Verantwortungszuschreibung in politischen und sozialen Fragen. Allerdings lässt sich nicht von vornherein festlegen, welche Fragen als politische oder soziale anzusehen sind; dies hängt von der normativen Hintergrundtheorie ab, die man anlegt (1). Da sich also kein unumstrittener Bereich politischer und sozialer Verantwortung identifizieren lässt, diskutieren wir die folgenden kleinteiligeren Fragen: Wer ist dafür verantwortlich, ein politisches Gemeinweisen zu schaffen bzw. zu erhalten (2)? Welche sozialen Aufgaben gehören in den Verantwortungsbereich eines politischen Gemeinwesens (3)? Und wer ist innerhalb eines politischen Gemeinwesens verantwortlich für konkrete politische Handlungen wie Wahlentscheidungen, die Beschlüsse von politischen Institutionen oder die Handlungen der gesamten Bürgerschaft (4)?

Julian Nida-Rümelin, Christine Bratu
Ökonomische Verantwortung

Der Beitrag geht verschiedenen Verständnissen des Begriffs ökonomischer Verantwortung im Verhältnis zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen bzw. der Ökonomie nach: Zunächst wird die Gleichsetzung von gesellschaftlicher mit ökonomischer Verantwortung als Profitmaximierung thematisiert. Sodann wird ökonomische Verantwortung als eine so notwendige wie selbstverständliche Voraussetzung von gesellschaftlicher Verantwortung verstanden. Abschließend wird das zu Grunde liegende Verhältnis von Ökonomie und Verantwortung problematisiert.

Ralf Köhne
Historische Verantwortung

Die Thematik der historischen Verantwortung ist primär auf geschichtlich-moralische Desaster bzw. historisches Unrecht bezogen. Dabei nimmt der Holocaust (Schoa) sowohl an moralischer Negativbedeutung wie internationaler Relevanz eine Sonderstellung ein. Am Leitfaden der Schoa lassen sich Besonderheiten von deutscher historischer Verantwortung wie auch verallgemeinerbare Maßstäbe herausarbeiten. Nähere Bestimmungen zu kollektiver Verantwortung gehören in den Rahmen einer politischen Verantwortungsethik, die weitere Differenzierungen in rechtlicher und kultureller Hinsicht sowie Detailbetrachtungen zu gravierenden Ereignissen erfordert.

Rolf Zimmermann
Verantwortung in Religion und Kultur

Der Verantwortungsbegriff ist in kultureller und ethischer Hinsicht ein Krisenbegriff. Als solcher wurde er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kulturphilosophie und der politischen Ethik aufgrund damaliger zivilisatorischer und gesellschaftlicher Verwerfungen geprägt. Danach ist er dann auch in der theologischen Ethik und im Kontext von Religion rezipiert worden. Kulturell sind unterschiedliche Ausformungen der Verantwortungsidee zu bedenken. Kritisch ist zu beurteilen, ob die religiöse Vorstellung einer „Verantwortung vor Gott“ in heutigen Staatsverfassungen erwähnt werden soll. Angesichts der modernen sozioreligiösen Pluralisierung und sonstiger gesellschaftlicher Umbrüche ist gegenwärtig vor allem die kulturelle Verantwortung für Toleranz und für eine humanverträgliche Zukunftsgestaltung zu betonen.

Hartmut Kreß
Verantwortung in Erziehung und Bildung

Erst spät wird das Verantwortungskonzept innerhalb der Pädagogik aufgegriffen und findet sich sogleich in zwei verschiedenen Varianten, die einerseits die Stifterfigur von Subjektivität und andererseits die Beziehung zum anderen betonen. Unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ertönt gegenwärtig vermehrt der neoliberale Ruf nach Eigenverantwortung.

Egbert Witte
Verantwortung in der Kunst

Gemäß dem radikalen Autonomismus erfüllen Kunstwerke nicht die Bedingungen, um für das, wofür sie moralisch kritisiert werden, verantwortlich zu sein. Kunstwerke werden für ihre moralische(n) Haltung(en) und/oder ihr moralisch-kognitives Potenzial kritisiert. Beide Möglichkeiten der moralischen Kritik an Kunstwerken kann man gegenüber Bedenken des radikalen Autonomismus verteidigen. Kunstwerke können somit sinnvoll moralisch kritisiert werden.

Lisa Katharin Schmalzried
Verantwortung in den Medien

Verantwortung ist eine Funktion von Personalität und bedeutet normengeleitetes Denken und Handeln, welche das Einstehen für die aus beidem erwachsenden Folgen mitbeinhalten (Kap. Definitionen und Voraussetzungen der Verantwortung). Im medialen Bereich erfordert verantwortliches Tun eine besondere Berücksichtigung der Eigenart und Reichweite des jeweiligen Mediums sowie der Unkalkulierbarkeit der Rezipientenreaktionen. Der rechtliche Rahmen des Medienschaffens bedarf einer Ergänzung durch die Selbstkontrolle. Letztere ist vor allem im Bereich des Internets nötig, das den Nutzern aufgrund seiner fehlenden Binnenstruktur und Intransparenz ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung auferlegt.

Barbara Zehnpfennig
Verantwortung in Technik und Wissenschaft

Verantwortung und Mitverantwortung werden zunächst als prominente Grundbegriffe der Ethik allgemein charakterisiert. Dabei lassen sich interne und externe Verantwortung in Technik und Wissenschaft unterscheiden; Arten der Institutionalisierungen in Technik und Wissenschaft – Ethikkodizes und organisatorische Formen – werden verglichen. Am Beispiel technisch-wissenschaftlicher Großprojekte wird das Zusammenwachsen von Technik, Wissenschaft und Wirtschaft gezeigt. Der differenzierte Relationsbegriff Verantwortung eignet sich, um u. a. Strukturähnlichkeiten in Fragen der ‚Verantwortung‘ in Technik und Wissenschaft zu verdeutlichen. Pragmatische Aufgaben einer Verantwortungsethik in Technik und Wissenschaft werden abschließend skizziert.

Hans Lenk, Matthias Maring

Anwendung und Praxis

Frontmatter
Konsumentenverantwortung

Ziel dieses Beitrags ist es, schrittweise ein Konzept der Verantwortung von Konsumenten für eine nachhaltige Entwicklung zu entwickeln. Als größte Herausforderung hierfür werden die strukturellen Bedingungen des individuellen Handelns im Wirtschaftssystem identifiziert. Neben der grundsätzlichen Verantwortungsfähigkeit der Konsumenten stehen deshalb Modelle geteilter Verantwortung im Vordergrund, die die Konsumentenverantwortung begründen können. Aus diesen theoretischen Grundlagen lassen sich weiterhin ihre praktischen Handlungsbereiche ableiten.

Imke Schmidt
Unternehmensverantwortung

In der Öffentlichkeit wird das Thema der Unternehmensverantwortung vor allem unter dem Stichwort Corporate Social Responsibility (CSR) diskutiert. Auch die wissenschaftliche CSR-Debatte bewegt sich hauptsächlich im sozialwissenschaftlichen Feld der deskriptiven Ethik. Dasselbe gilt für verwandte Begriffe wie Corporate Citizenship, Corporate Social Performance und Stakeholder-Theorie. In diesem Artikel werden diese Modelle der Unternehmensverantwortung dargestellt und kritisiert sowie explizit auf ihren normativen Gehalt hin untersucht. Dabei zeigt sich, dass Unternehmensverantwortung als Begriff der angewandten Ethik philosophische und sozialwissenschaftliche Ansätze bzw. Erkenntnisse zusammenführt. Vor diesem Hintergrund werden dann mit der ökonomischen Ethik, der integrativen Wirtschaftsethik und der Governanceethik drei dominante wirtschaftsethische Modelle als mögliche normative Hintergrundtheorien für die Unternehmensethik diskutiert. Dabei kommen auch die Grenzen der Unternehmensverantwortung zur Sprache. Abschließend wird noch diskutiert, wer eigentlich die Akteure der Unternehmensverantwortung sind, wobei die Frage im Vordergrund steht, ob nur individuelle Menschen oder auch die Unternehmen selbst als verantwortungsfähige Akteure verstanden werden können.

Christian Neuhäuser
Verantwortung und Governancestrukturen

In diesem Beitrag geht es nicht allgemein um das Verhältnis von Governance und Verantwortung, sondern um Governancestrukturen und Governanceregime von Verantwortung als Bausteine der Verantwortungsarchitektur des modernen Verwaltungsstaates. Ein prominenter Platz gebührt insoweit dem anvertrauten öffentlichen Amt als einem Kristallisationspunkt institutionalisierter Verantwortung. Diskutiert wird ferner das Konzept der Verantwortungsteilung, das das klassische und neue interplay between the state, business and civil society in institutionalisierten Verantwortungsstrukturen umzusetzen sucht, sowie das normative Konzept von Good Governance, das der Verantwortlichkeit des Regierungs- und Verantwortungshandelns einen hohen Stellenwert einräumt.

Gunnar Folke Schuppert
Verantwortung und Menschenrechte

Mit der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ von 1948 kommt ein historischer Prozess zu einem vorläufigen Abschluss. Mittels dieser politischen und rechtlichen Institutionalisierung werden die Menschenrechte zur genuinen Verantwortung des jeweiligen Staates. Zwar gab es auch schon vor dieser völkerrechtlichen Einrichtung der Menschenrechte eine moralische Entwicklung der Menschenrechte. Es zeigt sich hierin eine doppelte normative Struktur, die sowohl der historischen Entwicklung der Menschenrechte als auch dem Begriff der Verantwortung eingeschrieben ist. Besonders hinsichtlich dieser normativen Struktur sind Verantwortung und Menschenrechte in bemerkenswerter Weise ineinander verschlungen.

Alfred Hirsch
Verantwortung für globale Armut

Dieser Artikel verfolgt zwei Absichten. Die erste besteht darin, verschiedene Quellen moralischer Verantwortung für den Kampf gegen weltweite Armut oder deren Linderung zu beschreiben, d. h. die möglichen Gründe darzulegen, warum Akteure eine solche Verantwortung tragen. Bei der zweiten Absicht handelt es sich darum, herauszufinden, welche Art von Akteur eine jeweilige Verantwortung trägt, vor allem, ob es kollektive Akteure wie Staaten, Gesellschaften und Unternehmen oder individuelle Personen sind. Es ist oft die Rede von unserer Verantwortung gegenüber den ärmsten Menschen der Welt oder davon, was wir ihnen schulden. Die Frage ist daher, wer dieses Wir ist. Ich werde im Folgenden darlegen, dass die Antwort darauf von der Quelle der Verantwortung abhängt. Manche Formen der Verantwortung gehören in erster Hinsicht Kollektiven an, obwohl sie auch eine Verantwortung von Individuen innerhalb des Kollektivs sein kann. Andere Formen der Verantwortung kommen in erster Linie Individuen zu, können jedoch, wie ich zeigen werde, zu Kollektiven, denen Individuen angehören, „aufsteigen“.

Judith Lichtenberg
Klimaverantwortung

Innerhalb der Klimawissenschaften gilt es als unstrittig, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf soziale und natürliche Systeme hat und diese in Zukunft massiv zunehmen werden. Diese faktischen wie prognostischen Aussagen erlauben jedoch noch keine begründete Zuschreibung und Übernahme von Verantwortung für die Ursachen und Folgen des Klimawandels. Um moralische Klimaverantwortung herausstellen zu können, wird im Text die spezifische Struktur der Klimaverantwortung aus einer umweltethischen Perspektive rekonstruiert. Im Fokus steht die Explikation der relationslogischen, technischen und normativen Bedingungen, in deren Rahmen eine Verantwortungszuschreibung hinsichtlich des Klimawandels begründet werden kann.

Florian Braun, Christian Baatz
Verantwortung und Risiko

In der Risikodebatte wird mehr oder weniger ausdrücklich die Ansicht vertreten, ein beträchtlicher Schaden für andere Menschen wäre dann zu verantworten, wenn dieser Schaden nur mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit einträte. Damit wird der Eintrittswahrscheinlichkeit eine eigene moralische Qualität beigemessen, die ethisch nicht zu rechtfertigen ist. Dieser Kalamität ist nur mit gesellschaftspolitischen Mitteln beizukommen.

Günter Ropohl

Grenzen

Frontmatter
Diffusion von Verantwortung

Verantwortungsübernahme ist das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, der Aufmerksamkeit, gedankliche Auseinandersetzung und die Entstehung von Motivation umfasst. Beobachter von Notlagen anderer werden durch hemmende Einflüsse veranlasst, Verantwortung abzulehnen. Unter den Hemmfaktoren spielt die Diffusion der Verantwortung eine zentrale Rolle. Sie wird durch die Anwesenheit anderer Beobachter, die auch eingreifen könnten, ausgelöst. Wenn sich andere Zeugen passiv verhalten, stellen sie ein Vorbild für Vermeidung von Verantwortung dar. Die Diffusion der Verantwortung kann aber auch unter bestimmten Bedingungen verringert werden oder ganz entfallen. Das ist dann der Fall, wenn die Kompetenz der anderen Zeugen relativ gering im Vergleich zu der eigenen Kompetenz ist, wenn die Zeugen untereinander befreundet sind und wenn die Notlage eine Gefahrensituation darstellt.

Hans-Werner Bierhoff, Elke Rohmann
Expansion von Verantwortung

Die moderne Expansion der Verantwortung bedeutet Ersetzung der traditionellen Pflichtethik durch eine Weberianische Verantwortungsethik. Der Globalisierungsprozess erfordert eine Reflexion auf die Handlungsfolgen, auch die entferntesten und die unbeabsichtigten. Beides, die Expansion der Verantwortung und die schwierige Vorhersehbarkeit von Konsequenzen, bedeutet eine außerordentliche Belastung individueller Entscheidungsfindung und führt zu Konzeptionen von Institutionenethiken, welche die traditionellen Ethikkonzepte verdrängen.

Walter Reese-Schäfer
Leugnung und Ablehnung von Verantwortung

Moralische Vorstellungen spiegeln sich nicht immer und vollständig im Verhalten wider. Allzu oft lässt sich sogar beobachten, dass Menschen ihre moralische Verantwortung bewusst oder unbewusst leugnen oder ablehnen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung in der Sozialpsychologie, Konsumentenforschung und Verhaltensökonomik zur Verantwortungsablehnung und -leugnung. Zunächst wird der konzeptionelle Hintergrund zu den Begriffen Verantwortung sowie Verantwortungsablehnung und -leugnung am Beispiel der Verantwortung von Unternehmen und Konsumenten aufgezeigt. Anschließend werden mit der Verantwortungsdiffusion, der Verantwortungsdelegation sowie dem Free Riding und dem sozialen Faulenzen verschiedene Formen der Verantwortungsablehnung beschrieben. Daraufhin diskutiert dieser Beitrag anhand der Mechanismen Rationalisierung, Motivated Reasoning und Moral Reasoning sowie moralische Entkopplung psychologische Prozesse zur Herstellung eines moralischen Gleichgewichts während oder nach der Verantwortungsablehnung.

Claudia Symmank, Stefan Hoffmann
Metadata
Title
Handbuch Verantwortung
Editors
Ludger Heidbrink
Claus Langbehn
Janina Loh
Copyright Year
2017
Electronic ISBN
978-3-658-06110-4
Print ISBN
978-3-658-06109-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-06110-4