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23-05-2023 | Kapitalmarkt | Schwerpunkt | Article

Dem Finanzplatz Deutschland mehr Geltung verschaffen

Author: Angelika Breinich-Schilly

5:30 min reading time

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Im Zuge des Brexit erhofften sich Politik und Unternehmen eine Stärkung Deutschlands als zentralem Finanzstandort Europas mit Frankfurt als Aushängeschild. Laut der aktuellen DVFA-Umfrage hat sich für viele Investmentprofis dieser Wunsch nicht erfüllt.

Laut der Anfang Mai veröffentlichten Monatsumfrage der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management, kurz DVFA, ist die Hälfte der rund 1.400 befragten Mitglieder der Meinung, dass der Finanzplatz Deutschland in den letzten zehn Jahren an Bedeutung verloren hat. 22 Prozent der Teilnehmer sehen hingegen eine Stärkung und für 28 Prozent ist seine Bedeutung unverändert geblieben. Als Grund geben die Befragten unter anderem an, dass die Zahl der Börsengänge tendenziell geringer ist als in anderen Ländern. 

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Zukunft Deutschland 4.0: Was es jetzt braucht

Vorstellungen von der Zukunft und die Grundannahmen, auf denen sie beruhen, sind weder richtig noch falsch. Das liegt in der Natur der Sache. Thesen zu Entwicklungen und Ereignissen, die fünf, zehn oder sogar 15 Jahre später eintreten können, sind zu keinem Zeitpunkt vollständig oder gar perfekt. Sie werden getroffen, wenn nur unvollständige Informationen vorliegen, und jede These muss viele Variable berücksichtigen, deren Einfluss höchst unsicher ist. Deutsche Perfektion läuft hier ins Leere. Das trifft besonders zu auf den Beginn eines neuen Innovationszyklus und eines neuen industriellen Zeitalters. Also wäre es besser, keine Thesen zu formulieren? Nein! Es ist viel besser, nur ein ungefähres Verständnis von dem zu haben, was kommen könnte, als gar kein Verständnis.

"Der Börsengang wird oft als Königsdisziplin der Finanzierungsoptionen gesehen und scheint globalen Konzernen und Unicorns vorbehalten zu sein. Er sollte aber durchaus im Finanzierungsspektrum eines jeden wachstumsorientierten, innovativen Unternehmens berücksichtigt werden", schreiben hierzu Christian von Dreising und Sven Meyer-Brunswick im Buch "Praxishandbuch Finanzierung von Innovationen" auf Seite 571. "So wird der Emittent durch die Börsennotierung der Aktien und die Verpflichtung, regelmäßig Informationen, Finanzzahlen und wesentliche Ereignisse zu veröffentlichen, transparent und greifbar für Investoren, Kunden, Lieferanten und potenzielle Arbeitnehmer", fassen die Springer-Autoren zusammen. 

Deutsche Firmen scheuen Börsengang

Dennoch scheuen deutsche Unternehmen den Schritt auf das Börsenparkett: 2022 gab es laut der Börse Frankfurt gerade einmal vier Neuemissionen im sogenannten Regulierten Markt, in dem das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) neben den Zugangsvoraussetzungen auch die Pflichten der Beteiligten regelt. Neben Porsche und der australischen Vulcan Energy Resources vervollständigten noch zwei Special Purpose Acquisition Companies, kurz SPACs, das IPO-Quartett. Diese Mantelgesellschaften betreiben kein operatives Geschäft. Ihr Börsengang dient der Beschaffung von Kapital für die Übernahme eines oder mehrerer Unternehmen.

Doch an allen großen Börsenplätzen der westlichen Industriestaaten sind seit Längerem rückläufige Notierungszahlen zu beobachten, stellen Dirk Schiereck und Anna Verena Hinrichsen im Buchkapitel "Aktie und Kapitalmarkt: Funktion und Wirkung" fest (Seite 70). Weniger Neuemissionen als auch eine Zunahme von Delistings, sogenannten Notierungseinstellungen, seien hierfür verantwortlich. Dies liege an einer steigenden Zahl an Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüssen, zum anderen aber auch an einem wachsenden Aufwand aufgrund regulatorischer Verpflichtungen.

DAX-Aussteiger Linde als Negativbeispiel

Als Beispiel für die genannte Entwicklung führen die Investmentexperten in der Umfrage den Rückzug des Industriegase-Spezialisten Linde aus dem DAX an. Das Unternehmen hatte im Herbst 2018 mit dem US-Konkurrenten Praxair fusioniert und firmiert seither als Linde plc mit Sitz in Irland. Anfang 2023 hat die Hauptversammlung mit großer Mehrheit entschieden, den deutschen Leitindex zu verlassen, zu dessen Gründungsmitgliedern der Konzern einst gehörte. Dieser spart sich mit diesem Schritt in Zukunft den Aufwand und die Kosten, die mit einer Mehrfachlistung verbunden sind. Damit werden die Papiere des Unternehmens, das mit einer Marktkapitalisierung von rund 150 Milliarden Euro zu den weltweit 100 wertvollsten gehört, nur noch am US-amerikanischen "S&P 500"-Index gehandelt.

Doch nicht nur am Weggang eines DAX-Schwergewichtes stören sich die Investmentprofis, sondern auch daran, dass bestimmte Branchen, wie etwa die Biotechnologie, andere Finanzplätze bevorzugen. Laut der Studie "Deutscher Biotechnologie-Report 2022" von Ernst & Young (EY), ist die Marktkapitalisierung börsengelisteter deutscher Biotech-Unternehmen von 2019 bis 2021 von 23,5 Milliarden Euro auf 85,4 Milliarden Euro gewachsen - angschoben auch durch erfolgreiche Forschungsprojekte während der Pandemiejahre. Dabei entfalle der Löwenanteil mit gut 64 Prozent auf Biontech. Der Börsengang des Mainzer Unternehmens war 2019 an amerikanische Technologiebörse Nasdaq erfolgt. 

Steigende Aktionärszahlen noch kein Durchbruch

73 Prozent der DVFA-Mitglieder sagen deshalb, dass sich das volkswirtschaftliche Potenzial Deutschlands nicht in der Größe der Aktienmärkte widerspiegele. Obwohl die Zahl der Aktionäre seit Ausbruch der Corona-Pandemie gestiegen ist, werten 51 Prozent der Investment Professionals dies nicht als einen Durchbruch für die hiesige Aktienkultur. 45 Prozent sehen in dieser Entwicklung zumindest kein eindeutiges Zeichen für einen Umschwung.

Daher profitiert mit Blick auf den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union im Februar 2020 nach Meinung von 46 Prozent der Investmentprofis eher Paris als Finanzstandort statt Frankfurt (28 Prozent). 26 Prozent wollten sich noch nicht festlegen. Einen Grund hierfür sieht Britta Klagge unter anderem in der dezentralen Struktur und regionalen Orientierung im deutschen Banken- und Finanzsystem. Die Springer-Autorin schreibt im Buch "Wirtschaftsgeographie Deutschlands" (Seite 340): 

Sie stehen - trotz Konzentrations- und Zentralisierungsprozessen - weiterhin in einem auffälligen Gegensatz zur Situation in Frankreich und Großbritannien, deren Banken- und Finanzsysteme stark auf die jeweiligen Hauptstädte Paris und London orientiert sind. Zwar weist auch Deutschland mit Frankfurt ein dominierendes Finanzzentrum auf, welches als wichtigster Finanzplatz der größten Volkswirtschaft in der EU sowie Sitz der Europäischen Zentralbank und der international tätigen Deutschen Börse AG international sehr bedeutsam ist. Doch gibt es neben Frankfurt weitere wichtige Finanzstandorte und -konzentrationen in Deutschland."

Zu diesen zählt Klagge insbesondere die Regionalbörsen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart. Allerdings, so schränkt die Professorin für Wirtschaftsgeographie an der Universität Bonn ein, haben die genannten Standorte in den vergangenen Jahren gegenüber der Deutschen Börse in Frankfurt immer mehr an Bedeutung verloren. "Sie sind jedoch nach wie vor in bestimmten Nischen aktiv, wobei weniger regionale, sondern vielmehr auf bestimmte Kunden- oder Produktgruppen ausgerichtete Strategien dominieren", betont die Expertin.

Investition in börsennotierte KMU schwieriger

Zudem beklagt die Hälfte (52 Prozent) der befragten Asset Manager, dass es zunehmend schwieriger werde, in kleine und mittlere börsennotierte Unternehmen zu investieren. Dafür verantwortlich seien regulatorische Anforderungen an die Handelsliquidität, unzureichende ESG-Daten und eine eingeschränkte Research-Abdeckung. Dabei müsse der Finanzplatz Deutschland künftig an Bedeutung gewinnen, um die längerfristige klimatische Transformationsherausforderung finanziell zu gewährleisten, fordert der DVFA. 

Allen voran bei der Transparenz steigen die Ansprüche an KMU deutlich. Bisher galten die Vorschriften zur nichtfinanziellen Berichterstattung in Europa nur für "Unternehmen von öffentlichem Interesse" - neben börsennotierten Konzernen waren das auch Banken und Versicherungsgesellschaften. Im November 2022 verabschiedete das EU-Parlament die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Umfang als auch Art des Nachhaltigkeitsreportings deutlich erweitert. 

Mehr Transparenz für grüne Investitionen

Wenn der Markt für grüne Investitionen glaubwürdig sein soll, benötigen die Anleger umfassende Informationen über die Nachhaltigkeit der Unternehmen, in die sie investieren beziehungsweise investieren möchten. Fehlen solche Informationen, können Investitionen nicht in umweltfreundliche Aktivitäten und Unternehmen fießen. Eine hochwertige und zuverlässige öffentliche Berichterstattung der Unternehmen soll dazu beitragen, vergleichbare und belastbare Daten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen bereitzustellen", führt hierzu Ralf T. Kreutzer im Buchkapitel "Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen und Anforderungen für nachhaltiges Agieren" auf Seite 78 f. aus.

Die Vorgaben gelten ab 1. Januar 2026 für börsennotierte KMU. Ein erster Bericht muss hier im Jahr 2027 vorlegt werden, so der Springer-Autor. 

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