Skip to main content
Top

2020 | Book

Handbuch Filmanalyse

insite
SEARCH

About this book

Bewegte Bilder begegnen uns heute jederzeit und überall – umso wichtiger ist es, die filmwissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Filmanalyse zu sammeln, zu systematisieren und kritisch zu evaluieren. Dieses Handbuch erschließt das Feld in ca. 30 Beiträgen auf dem aktuellen Stand der Ansätze, Praktiken und Debatten.

Table of Contents

Frontmatter

Aspekte filmischer Gestaltung

Frontmatter
Von der individuellen Gestaltung zum kollektiven Werk
Einleitung zu Sektion 1: Aspekte filmischer Gestaltung

Die Einleitung in Sektion 1 des „Handbuchs Filmanalyse“ geht von der Arbeitsteiligkeit des filmischen Produktionsprozesses aus und skizziert zentrale Gedanken der Einzelbeiträge zu Kamera, Farbe, Mise-en-scene und Montage, Ton und Musik, Raum, Kostüm, Requisite, Schauspiel und Postproduktion, die im Buch entfaltet werden. Das scheinbar kompakte Objekt Film wird als immer wieder neu konfigurierter Schnittpunkt seiner einzelnen Komponenten sichtbar.

Malte Hagener, Volker Pantenburg
Zur Analyse der Kameraarbeit
Zwischen Technik und Ästhetik

Kameraarbeit im narrativen Film wird definiert als umfassender Prozess der Bildgestaltung, als Mise en images, mit der die Mise en scène in ein Ensemble visueller und fotografischer Formen übertragen wird. Der endgültige filmische Text wird gesehen als Effekt einer Kooperation von Regie und Kamera. Dabei ist der Blick konzentriert auf den Director of Photography, der die Bildgestaltung verantwortet. Dessen Arbeitsfelder werden im System der Filmproduktion verortet und historisch perspektiviert. Schließlich wird ein Modell einer fotografischen Filmanalyse vorgeschlagen, das der Komplexität und Bedeutung der Mise en images gerecht wird.

Karl Prümm
Filmfarben

Filmfarben standen lange Zeit weder im Fokus eines analytischen noch eines kritischen Zugangs zum Film. Bis heute gibt es hauptsächlich zwei Forschungslinien zu Filmfarben, die in der Regel strikt voneinander getrennt sind. Die eine Perspektive fokussiert auf die technischen Verfahren aus naturwissenschaftlicher Sicht, während die geisteswissenschaftliche Forschung die ästhetischen und narrativen Aspekte untersucht. Ein umfassender analytischer Zugang zur Materie sollte die historischen wie auch die materiellen und kulturellen Grundlagen von Filmfarben berücksichtigen. Vor allem aber gilt es, die strukturelle wie auch die bildästhetische Organisation der Farbschemata mit Blick auf deren sensorische Qualitäten gegenüber einer hermeneutischen Interpretation von Farbbedeutungen zu privilegieren.

Barbara Flückiger
Montage

Einstellung und Montage sind die essentiellen Bausteine des Films. Im continuity editing systematisierten Filme seit den 1920er-Jahren den chronologischen und dramaturgischen Ablauf und die Logik von Raum, Zeit und Handlung der Diegese. In der Kontrastmontage, der Montage als Zwischenraum und der Montage als Dauer wurde das continuity editing auf kritische oder gar subversive, aber auch auf poetische und assoziative Weise von verschiedensten Filmen unterlaufen, variiert oder erweitert. Disjunktive und multiple Montageformen der Gegenwart zeigen diese als Mittel der Auseinandersetzung des Films mit neuen medialen (Video, Computer) und epistemischen Konstellationen der Gegenwart.

Oliver Fahle
Mise en Scène

Es existieren verschiedene Verwendungsweisen des Begriffs Mise en Scène, die in diesem Beitrag zunächst unterschieden und erläutert werden. Anschließend geht der Autor anhand eines engeren Begriffsverständnisses auf den Beitrag der Mise en Scène zur Bildkomposition und zur Narration, sowie auf autothematische Konstruktionen und auf das Verhältnis zum Nachbarkonzept der Découpage ein. Verstanden wird Mise en Scène dabei als Organisation jener Parameter, die die profilmische Situation visuell strukturieren: Dekor, Lichtsetzung, Kostümierungen und Choreografie der Darsteller. Die Mise en Scène entfaltet ihre Wirkung allerdings erst im weiteren Zusammenhang mit anderen Gestaltungsebenen (Découpage, Montage, Sounddesign etc.). Das Konzept der Mise en Scène ist so im emphatischen Sinn ein analytisches: Im Sinne der Analyse der Gesamtwirkung eines Films oder eines andersartigen audiovisuellen Werkes werden einzelne Aspekte isoliert, um sie genauer zu erfassen und sie in ihrer Wechselwirkung miteinander und ihrem Zusammenspiel mit anderen Ebenen untersuchen zu können – also die reale Synthese der Elemente konzeptuell zu entfalten.

Guido Kirsten
Ton, Geräusche, Sound

Was leistet die auditive Ebene des Films und wie lässt sie sich analytisch erschließen? Diesen Fragen geht der Beitrag in drei Schritten nach. Der erste Abschnitt untersucht das technologische und ästhetische Vermittlungsverhältnis von Akustischem und Visuellem, der zweite behandelt das mediale Selbstbewusstsein des Tons, und der dritte befasst sich mit digitalen Soundtechnologien und der Erweiterung von akustischen Raumarchitekturen.

Lisa Gotto
Musik im Film, Musik für den Film: Analysefelder und Methoden

Filmmusik ist Teil des Soundtracks eines Films. Insofern ist das Verhältnis von Musik zu den anderen Elementen – Geräusche und Sprache – eine der ersten Bestimmungen jeder Analyse von Filmmusik. Filmmusik wird verstanden als Musik im Film, nicht ausschließlich als Musik für den Film. Das Kapitel gibt eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Filmmusik, über Analysemethoden und zentrale Begrifflichkeiten. Dabei werden vor allem die Beiträge der rezenten Forschung berücksichtigt.

Claus Tieber
Architektur/Raumgestaltung

Jede Filmsichtung konfrontiert die Zuschauer mit verschiedenen Aspekten und Elementen der Raumwahrnehmung. Zu diesen gehören die Räume und Architekturen der Filmrezeption, die mit dem Stichwort „Kino“ bezeichnet werden, ebenso wie die Settings, von denen das Kino als Sichtungsort abgelöst worden ist, aber auch das filmische Bild als Raum, der auf sehr verschiedene Weise organisiert werden kann, außerdem: die Räumlichkeiten und Lokalitäten, die im Film als Handlungsumgebungen figurieren, und schließlich: die spezifisch filmische Raumerfahrung, zu beschreiben als Mobilisierung des Blicks durch die Operationen der Kamerabewegung und der Montage.

Stefanie Diekmann
Kostüm

In vielen klassischen Filmtheorien fristet das Kostüm ein Nischendasein; vor diesem Hintergrund unternimmt der Beitrag eine Spurensuche nach vergessenen und alternativen Aushandlungsorten zum Filmkostüm (in Fandiskursen, Filmzeitschriften und filmtheoretischen Ansätzen) und fragt danach, über welche Denktraditionen und Paradigmen das Kostüm zu unterschiedlichen Phasen der Filmgeschichte analysiert und theoretisiert wird. Besonders in den Blick genommen sind dabei zwei Ansätze, die die Kostümanalyse bis heute prägen: Einerseits wird die Kleidung im Film als hocheffizientes Zeichen innerhalb der filmischen Sinn- und Erzählökonomie verstanden, das den sozialen Status von Figuren und Milieus auf den ersten Blick erfassbar macht. Phänomenologische Theorien stellen andererseits heraus, wie Texturen, Materialien und Oberflächen der Kostüme die Zuschauer sinnlich adressieren und sich mit anderen filmischen Gestaltungsebenen – wie Raum und Dekor, Licht, Schauspiel – regelrecht ‚verweben‘. Erst durch die Kombination beider Ansätze, so das methodologische Plädoyer des Beitrags, lassen sich die komplexen Sinn- und Sinnlichkeitsangebote des Filmkostüms in ihrem Zusammenspiel erfassen. Diese doppelte Herangehensweise wird am Beispiel von Chaplins The Gold Rush (US 1925, Chaplin, Goldrausch) veranschaulicht, der ein „doppeltes Spiel“ mit den Sinn- und Sinnlichkeitsangeboten des Kostüms treibt und sich dabei an einem kulturell wie materiell besonders auffälligen Kleidungsstück abarbeitet: dem Pelzmantel.

Kristina Köhler
Requisite/Props

Die Requisite ist nicht nur eine oft unterschätzte Produktionskategorie, ein eigener Arbeitsbereich des Films wie Regie, Schauspiel oder Kameraarbeit. Requisiten, die als wirkungsvolle Dinge in den Händen der Akteure erscheinen, sind ebenso für die fiktionale Handlung wie für die Erzählung wie schließlich für die Wirkung eines Films relevant. Über die Requisite erschließt sich eine ganz eigentümliche Wirklichkeit: das Netzwerk der Dinge, das Zusammenspiel der Dinge und der menschlichen Figuren, das normalerweise unbeobachtbare Eigenleben der Dinge. Eine Analyse der Requisite geht davon aus, dass der Film nicht nur ein Illusionsmedium ist, sondern dass er die Welt der Objekte beobachtbar und lesbar macht.

Lorenz Engell
Schauspiel/Darstellung

Von rhetorischen Impulsen der Deskription und Ekphrasis ausgehend, entwickelt die Filmanalyse des Schauspiels und der Darstellung über die zwei Grundzüge Kraft und Eloquenz sowie Sichtbarkeit und Sichtbarmachung ein phänomenologisches Denken, dass die präreflexive, sinnhafte Leibhaftigkeit von der reflexiven, symbolischen Zeichenhaftigkeit ab-, voran- und voraussetzt. Was auf diese Weise ins Zentrum des Interesses rückt, ist die Frage, wie Beweglichkeit, Mimik, Stimme und Gestik Effekte schaffen, wie sie Affekte generieren.

Jörg Sternagel
Postproduktion

Im klassischen Kino war die Postproduktion sowohl in der zeitlichen Abfolge als auch was die Aufmerksamkeit anging ein nachgelagerter Bereich. Notwendige Schritte zur Fertigstellung umfassten Bereiche wie den Negativschnitt, die Lichtbestimmung oder Möglichkeiten der Fehlerkorrektur. Mit der schrittweisen Umstellung vom analogen auf den digitalen Produktionsprozess nahm die Wichtigkeit dieses Bereiches deutlich zu, inzwischen ist es keine Seltenheit, dass sein zeitlicher und finanzieller Rahmen dem des Drehs gleichgestellt ist. Der Beitrag gibt einen Überblick über die einzelnen Felder und stellt die Veränderungen und die sich damit auch für die Filmanalyse ergebenden Aufgaben vor.

Florian Krautkrämer

Filmanalytische Ansätze

Frontmatter
Die Lenkung der Aufmerksamkeit
Einleitung zu Sektion 2: Filmanalytische Ansätze

Worin besteht der Zweck der Filmanalyse? Ist sie ein pures Hilfsmittel, das uns bei der Beantwortung von Fragen hilft, die außerhalb ihres eigentlichen Bereichs liegen, oder zielt sie zuallererst auf ein erweitertes Verständnis eines ästhetischen Objekts ab? Gibt die Analyse normativ Aspekte vor, die zu untersuchen sind, oder lässt sie sich bei der Festlegung der Kategorien ganz auf den Gegenstand ein, aus dem heraus diese zu entwickeln sind? Geht man also bei der Filmanalyse eher deduktiv oder induktiv vor? Auch wenn sich diese und vergleichbare Fragen bei jeder Filmanalyse stellen, so haben sich doch im Laufe der disziplinären Geschichte der Filmwissenschaft (und jenseits von ihr) Zugriffe entwickelt, die derartigen Fragen mit einer systematischen Haltung begegnen und ihr Erkenntnisinteresse oft schon im Namen annoncieren. Diese Ansätze stehen in diesem Teil des Handbuchs im Zentrum. Sie reichen von eher am empirischen Material orientierten Zugriffen wie in der Filmphilologie bis hin zu stärker theoriegeprägten Methoden wie im Fall des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion.

Malte Hagener, Volker Pantenburg
Filmphilologie

Der vorliegende Beitrag untersucht die Filmphilologie als historisches Phänomen und arbeitet die Besonderheiten der Filmphilologie als einer Methode der Beschreibung und Analyse von Filmen heraus. Die Filmphilologie zielt darauf, über die Mikrobetrachtung des Films und die protokollarische Beschreibung aller Einstellungen und der als bedeutungsrelevant eingestuften Phänomene die sprachliche Ausdrucks- und Formulierungsfähigkeit der Forschenden zu schulen, um audiovisuelle Eindrücke zu kommunizieren. Sie ist demnach nicht mit der Filmanalyse gleichzusetzen, sondern unterscheidet sich durch ihre deskriptiven Verfahren und den Versuch, in erster Linie Beschreibungsmodelle zu entwickeln. Als Methodik findet die Filmphilologie u. a. in Theorie und Praxis einer auf wissenschaftliche Kriterien gestützten Restaurierung und Rekonstruktion von Filmen konkrete Anwendung. Sie brachte das Konzept Überlieferung in die Filmwissenschaft ein und leistete einen Beitrag zur Herausbildung einer auf wissenschaftlichen Prinzipien fundierten Theorie der kritischen Filmedition bzw. multimedialen Edition.

Anna Bohn
Frühe Filmwissenschaft: Von der Filmologie zu Strukturalismus/Semiotik

Der Beitrag fokussiert Forschungsbestrebungen einer frühen Filmwissenschaft, die sich im Frankreich der Nachkriegszeit und in den späten 1940er-Jahren zu konstituieren beginnt. Konzentriert auf die Arbeit der so genannten filmologischen Schule (École de filmologie) und ihres Versuchs einer interdisziplinären Forschung zwischen Rezeptionsästhetik und Soziologie, wird das Wirken zentraler Protagonisten wie Gilbert Cohen-Séat und Etienne Souriau ebenso dargestellt wie die Verdienste von Randgängern wie Edgar Morin und Eric Rohmer. Insbesondere Letztere sind als cinéphile Theoretiker charakterisiert, deren komplexes Erbe es nach Konstitution einer modernen Filmwissenschaft seit Beginn der 1970er-Jahre wiederzuentdecken gilt.

Ivo Ritzer
Narratologie

Der Beitrag stellt die Narratologie bzw. Erzähltheorie als interdisziplinäres, medienübergreifendes Feld der Geistes- und Kulturwissenschaften vor. Da die Narratologie generell an anwendungs- und gegenstandsbezogenen Theorie- und Modellbildungen interessiert ist, eignen sich die abgeleiteten erzähltheoretischen Kategorien und Konzepte zur Analyse sämtlicher narrativer Artefakte und Medienprodukte, insbesondere auch für die Filmanalyse und die Untersuchung anderer audiovisueller Medien.Nach einer Einführung in das Wissenschaftsfeld der Narratologie werden die grundlegenden Prämissen erzähltheoretischer Analyse und das narrative Potenzial des (Spiel-)Films erörtert. Die komplexen Prozesse filmischen Erzählens auf visueller, auditiver und sprachlicher Ebene können unterschiedlich modelliert werden. Eine für die Analyse besonders effektive Variante bildet ein Ebenen- und Instanzenmodell, das einschließlich grundlegender Begriffe zur Analyse des Zusammenspiels der Instanzen vorgestellt wird. Darauf aufbauend können Kategorien zur Analyse der Perspektivierungs- und Fokalisierungsstruktur sowie zur Analyse der Zeitstruktur narrativer Spielfilme aufgezeigt werden. Schließlich wird der erzähltheoretische Zugang zu komplexen Ebenenstrukturen und -übergängen erläutert, bevor für eine Weiterentwicklung genre-, gattungs- und mediensensibler Ansätze der Erzähltheorie im Rahmen einer umfassenden audiovisuellen Narratologie plädiert wird.

Markus Kuhn
Auteurismus: Film als Artefakt

Während die Autorentheorie eine theoretische Konzeption originärer und autonomer Kreativität im Film anstrebt, ist Auteurismus eine Haltung und ein methodischer Ansatz in der Filmrezeption und Filmanalyse. Der Autor ist dabei in vieler Hinsicht eine Diskursfunktion, wie Michel Foucault sie beschrieben hat (Foucault 2000 [1969], Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 198–229. Stuttgart: Reclam). In einem Barthes’schen Sinne – aber gerade nicht durch seinen Tod – ermächtigt der Autor die Betrachter zur freien Lektüre des Films und hält zugleich zu ständiger Sensibilität und Aufmerksamkeit an (Barthes 2000 [1968], Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 185–193. Stuttgart: Reclam). Darin liegt ein unauflösbares theoretisches Paradox des Auteurismus. Da Autor und Urheberschaft selbstverständliche und zentrale Konzepte der abendländischen Kultur sind, verstellen zudem oft Vorannahmen darüber, was ein Autor ist, das Verständnis für den spezifischen Charakter des Auteurismus im Filmdiskurs.Auteurismus hat seinen historischen Ursprung in der französischen Cinephilie der 1950er-Jahre, ist aber noch heute virulent und für die Filmanalyse ein fruchtbarer Ansatz. Die Konstruktion ist im Grunde einfach: Der Filmemacher wird als Künstler angesehen und Filmemachen somit als künstlerische Tätigkeit. Auteurismus hat einen Ort vor allem in der Debatte um den Kunstwert des Films: Aus der Konzeption des Films als Artefakt ergibt sich eine besondere Aufmerksamkeit für Darstellungs- und Inszenierungsformen. So hat sich im Auteurismus aus der Beobachtung der Machart vor allem eine spezifische Sprache für die Beschreibung und Analyse der ästhetischen Verfahrensweisen des Films herausgebildet.

Simon Frisch
Agent im Kreis

Bei dekonstruktiven Filmanalysen kann man sich nie sicher sein. Das macht ihre Beweglichkeit aus. Schaut man sich exemplarische Lektüren von 1971, 1986, 2012 und 2016 an, taucht James Bond plötzlich an Orten auf, wo man ihn nicht vermutet hätte. Kein Film bleibt, wie er ist. Das ist immer so, aber die Dekonstruktion hilft, sich das klar zu machen.

Rembert Hüser
Ideologiekritik und/als analyse textuelle

Inspiriert von Linguistik, Literaturwissenschaft und Psychoanalyse versteht die analyse textuelle den Film als ein Geflecht von Zeichen, die es als solche und in ihrer gegenseitigen Bezogenheit zu lesen gilt. Dabei geht es – wie anhand der verschiedenen Exponenten dieser Methode gezeigt werden soll – weniger darum, eine bestimmte, universell gültige Syntax des Films zu bestimmen, als vielmehr darum, den Film als dynamisches Gewebe zu untersuchen, das sich unentwegt selber um- und fortschreibt. Das ideologiekritische Potenzial einer solchen Herangehensweise liegt somit nicht bloß darin, dass Filme als Ausdruck herrschender Ideologien untersucht werden können, sondern auch darin, dass eine solche dynamische Textanalyse an sich die Vorstellung einer positiv zu fixierenden „Wahrheit“ oder „Botschaft“ des Films radikal in Frage stellt.

Johannes Binotto
Feministische Filmanalyse

Die feministische Filmanalyse setzt sich mit gesellschaftlichen Marginalisierungsprozessen auseinander, indem sie die Konstitution dominanter Bilder und Ideen erforscht. Sie geht davon aus, dass die Repräsentation von Differenzen in audiovisuellen Medien untrennbar mit der alltäglichen Lebenswelt verschränkt ist. Zugleich politische Bewegung, filmische Praxis und institutionalisierte Theorie ist der feministischen Filmforschung die Analyse von Präsenz und Absenz ein zentrales, sowohl intellektuelles als auch aktivistisches, Anliegen. Wer sieht und wer oder was angesehen oder nicht gesehen wird, sind essenzielle Fragen, die von Anfang an die sich durch Pluralität und Heterogenität auszeichnende feministische Filmforschung bestimmen. Sie wendet sich gegen essenzialistische Subjekt- und Identitätskonzepte und Dichotomien. Differenzen wie gender, race, class oder sexuality werden nicht als neutral begriffen, sondern als Effekt und Re/Produktion von Machtstrukturen.

Sarah-Mai Dang
Neoformalismus/Kognitivismus

Wohl kaum ein filmanalytischer Ansatz veranschaulicht in seiner (Rezeptions-)Historie die Wechselwirkungen von Theorie-, Film- und Mediengeschichte, diskursiven Konjunkturen und fachdisziplinären Positionierungen wie der filmwissenschaftliche Neoformalismus und Kognitivismus. Der vorliegende Beitrag skizziert zentrale Aspekte, die das neoformalistisch und kognitivistisch geprägte Feld der Filmanalyse als ein Set von Praktiken und als Standardrepertoire des Faches definieren – geprägt von methodischen Debatten, bewussten Referenzen an bestimmte Denktraditionen sowie von jüngeren Aktualisierungsstrategien.

Franziska Heller
Phänomenologie und Filmanalyse

Dieser Text geht aus von einer Problematisierung des Spannungsverhältnisses zwischen Filmphänomenologie und Filmanalyse. Definiert man nämlich das Ziel der Filmphänomenologie als Beschreibung invarianter Strukturen des bewussten subjektiven Erlebens von Filmen, scheint das Vorhaben einer phänomenologischen Filmanalyse beinahe widersprüchlich. Erweitert man jedoch die Bedeutung der Begriffe ‚Filmphänomenologie‘ und ‚Filmanalyse‘, eröffnen sich zahlreiche erkenntnisfördernde analytisch-phänomenologische Spielräume. In einem Ausblick geht der Beitrag auf Herausforderungen und Chancen der phänomenologischen Filmanalyse im universitären Lehrbetrieb ein.

Julian Hanich
Cultural Studies und Filmanalyse

Die Cultural Studies stellen einen interdisziplinären, zuerst in Groβbritannien entwickelten Werkzeugkasten für die Analyse von Medien und anderen Formen der Populärkultur dar, der in den Film Studies der 1980er- und 1990er-Jahre auf beiden Seiten des Atlantiks zunehmend an Einfluss gewann und die Ansätze der psychoanalytischen und ideologiekritischen Filmtheorie der 1970er-Jahre in Frage zu stellen half. Statt die abstrakte Positionierung des Zuschauers und der Zuschauerin durch die Strukturen des filmischen „Texts“ und des kinematografischen Apparats zum Ausgangspunkt zu machen, orientieren sich die Cultural Studies am empirischen Rezeptionsverhalten des Publikums und betonen dabei Momente des Eigensinns und der Subversion intendierter Bedeutungen. Film und Cultural Studies blicken auf eine von gegenseitiger Kritik und wechselseitiger Inspiration geprägte Geschichte zurück, die inzwischen lang genug ist, um beide Forschungsperspektiven im Folgenden einer selbstkritischen Reflektion und Historisierung zu unterwerfen.

Tobias Nagl

Handwerk, Werkzeuge, Methoden, Arbeitsmittel

Frontmatter
Die Medialität der Filmanalyse
Einleitung zu Sektion 3: Handwerk, Werkzeuge, Methoden, Arbeitsmittel

Die Einleitung in Sektion 3 des „Handbuchs Filmanalyse“ betont die historischen und materiellen Voraussetzungen der Filmanalyse und führt kurz in die folgenden Beiträge ein. Welchen Stellenwert hat es, dass immer mehr – aber bei weitem nicht alle – Filme heute als Datenpakete vorliegen? Welche neuen Zugriffe auf Filme ermöglicht dies? Welche Arten von Analyse, welche Typen von Film schließt dies ein, aber möglicherweise auch aus?

Malte Hagener, Volker Pantenburg
Qualitative Verfahren der Filmanalyse

Filmanalyse ist eine Tätigkeit, die kognitive Leistungen ebenso verlangt wie technische und darstellende (sprachliche) Fertigkeiten. Wesentlich für jede Analyse ist der Vorgang der Umschrift oder Transkription, der aus dem Phänomenbereich der Bewegtbilder eine Menge von Eigenschaften, Merkmalen oder Strukturen auswählt, diese versammelt, systematisiert und (meist) schriftlich niederlegt. Insofern mediale Differenzen zum Tragen kommen, muss Filmanalyse als eine intermediale Praxis verstanden werden. Der Beitrag diskutiert grundlegende Verfahren, Techniken und Werkzeuge wie Standbildvergrößerungen, Filmprotokolle, Zeichnungen, Diagramme oder statistische Messungen (Cinemetrics).

Dietmar Kammerer
Quantitative Werkzeuge

Der Text widmet sich der Funktion digitaler Methoden in der filmwissenschaftlichen Analyse von Filmen. Was wird unter „digital tools“ verstanden, seit wann gibt es und wie verbreitet sind sie? Mithilfe eines historischen Überblicks zeigt das Kapitel zunächst, aus welchen Gründen Ansätze der computergestützten Filmanalyse im Zeitraum 1985–2005 in der Filmwissenschaft entwickelt worden sind. In einem zweiten Schritt wird vor dem Hintergrund dieser Historisierung die Gemengelage der gegenwärtig unter dem Schlagwort Big Data versammelten Phänomene kritisch in den Blick genommen. Dabei wird deutlich, dass Verfahren zur Quantifizierung der Filmanalyse heute paradoxerweise eine geringere Rolle spielen, als sie dies noch vor zwanzig Jahren taten.

Patrick Vonderau
Visualisierungsstrategien: Das Diagramm

Der folgende Beitrag setzt sich mit dem Verhältnis des Filmischen zum Diagrammatischen auseinander und stellt das Diagramm als Visualisierungsstrategie im Kontext der Videographic Film Studies vor. Hierbei soll das Diagramm zwischen Anschauungs- und Erkenntnisform, Entwurfs- und Beschreibungstechnik verortet werden. Als Modell sowohl der Wahrnehmung wie auch der Gegenstände der Wahrnehmung, als Musterung des Visuellen, die mit dem Setzen eines Punktes und dem Ziehen einer Linie beginnen könnte, dienen Diagramme der Erzeugung, Beschreibung und Übersetzung von Verhältnissen, Strukturen und Ordnungen. Vor allem auch begegnen sich in Diagrammen zwei Ordnungen: die Ordnung des Sichtbaren und des Sagbaren, des Bildlichen und des Diskursiven.

Matthias Wittmann
Paraanalytische Methoden

Wo endet Film und mit ihm seine Analyse? Gehört der Abspann noch dazu? Gehören Filmplakate im Kinofoyer schon dazu? Wie beziehen Filme ihr Umgebungswissen ein, wie kann sich Filmanalyse ihrerseits darauf beziehen? Der Beitrag macht Angebote zum Umgang mit den vielfältigen Paratexten des Films. Er versammelt Möglichkeiten aus dem Feld der Literaturwissenschaften, der Archivforschung, Akteur-Netzwerk-Theorie und der Produktionsstudien, um zu einem Konzept filmwissenschaftlicher Paratextanalyse zu gelangen.

Linda Waack
Analyse nicht-fiktionaler Filmformen

Die Analyse nicht-fiktionaler Filmformen hält spezifische methodologische Herausforderungen bereit. Aufgrund der weiten Verbreitung in und außerhalb des Kinos und der vielfältigen Verwendung in diversen institutionellen Kontexten sind nicht-fiktionale Formen eng verstrickt in mediale, soziale, politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und private Zusammenhänge. Deshalb greifen Analysen, die ausschließlich auf den Film als Text fokussieren, zu kurz. Wie die jüngere Forschung filmische Form und kontextuelle Faktoren analytisch verbindet, skizziert dieser Beitrag.

Yvonne Zimmermann
Experimentalfilm

Die Analyse von Experimentalfilmen erfordert ein Bewusstsein für mediale Differenz, das mit der Konvertierbarkeit aller Medien in digitale Daten verloren zu gehen droht. Der vorliegende Beitrag plädiert für einen filmanalytischen Zugang, der den medialen Spezifika analoger künstlerischer Praktiken Rechnung trägt und Fragen von Ästhetik, Materialität und Technik verschränkt. Die filmischen Beispiele sind um drei Problemfelder gruppiert (Produktionsdispositiv, Material, Filmton), die in der Analyse von Avantgardefilmen besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

Gabriele Jutz
Geschichte der filmanalytischen Standardwerke

Die Filmanalyse, das zeigt diese kurze historische Übersicht von Ansätzen und Standardwerken im deutsch-, französisch- und englischsprachigen Raum, wird ganz unterschiedlich behandelt: zum Teil als ein transparentes Werkzeug, zum Teil auch als Bestandteil einer kritisch zu reflektierenden Praxis. Sie wird jedoch selten als eigenständiges Problem in den Blick genommen. In England und Nordamerika dominiert eine pragmatische Tradition der „film appreciation“, in Deutschland geht es entweder um die konkrete Methodik des Vorgehens oder um die (informationelle) Systematik des Analyseaktes, während in Frankreich die starke filmkulturelle Verankerung auffällt. Dabei unterscheidet sich jeweils der Grad, zu dem die Analyse als eine erlernbare Kompetenz oder als jeweils neu und anders am jeweiligen Gegenstand zu erprobende Lektürearbeit verstanden wird.

Malte Hagener
Videographic Film Studies

Analytisch-essayistische Formate begleiten die Filmgeschichte seit mindestens fünfzig Jahren: als TV-Produktionen, DVD-Extras, Ergebnisse bildungspolitischer Initiativen oder reflexiver Zweig des Experimentalfilms und der Videokunst. Seit etwa 2007 allerdings hat sich unter digitalen Vorzeichen und durch die umfassende Verfügbarkeit von Filmen und Schnittprogrammen der Video Essay als Genre konsolidiert, das von filmwissenschaftlicher Seite mehr und mehr Aufmerksamkeit erfährt. Nach einer Beschreibung und Historisierung des Felds konzentriert sich der Text auf die Potenziale und Verfahren, aber auch die Grenzen dieser Erweiterung des filmanalytischen Instrumentariums.

Volker Pantenburg
Metadata
Title
Handbuch Filmanalyse
Editors
Prof. Dr. Malte Hagener
Prof. Dr. Volker Pantenburg
Copyright Year
2020
Electronic ISBN
978-3-658-13339-9
Print ISBN
978-3-658-13338-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13339-9