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2018 | Book

Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik

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About this book

Das Handbuch bietet einen wissenschaftlich fundierten Einstieg und Überblick in Geschichte und Gegenwart der Reformbestrebungen im Bildungsbereich. Thematisiert werden die historischen Erneuerungsimpulse und deren gesellschaftliche Einbettung und wirkungsgeschichtlichen Konsequenzen bis in die Gegenwart. Systematisch erschließt das Handbuch die vielfältigen, auch internationalen Ansätze von Reformpädagogik und Bildungsreform und stellt grundlegende Informationen für Forschung, Studium, Lehre und die Bildungspraxis für Schulverwaltung und Schulmanagement zur Verfügung.

Table of Contents

Frontmatter
Einleitung zum Handbuch Reformpädagogik und Bildungsreform

Jenseits der kritischen fachwissenschaftlichen Aufarbeitung und jenseits des Imageschadens in der Öffentlichkeit scheinen die Konzepte vieler reformpädagogischen Strömungen in den Praxisfeldern nach wie vor hohe Relevanz zu besitzen. Trotz oder gerade wegen ihrer Verwurzelung in einer Welt und Weltanschauung vor der digitalen Revolution. Und zwar international. Zahlreiche Schulneugründungen etwa in China beziehen sich auf Montessori- und Waldorfkonzepte. Auch im deutschsprachigen Raum werden nicht nur weiterhin regelmäßig neue Bildungseinrichtungen unter Bezugnahme auf reformpädagogische Ansätze gegründet. Eine neue Attraktivität erhalten Montessori- und Waldorfeinrichtungen nicht zuletzt durch ihre seit Jahrzehnten vorexerzierten Inklusionskonzepte und neuerdings auch durch eine ganze Reihe von Gründungsinitiativen, die sich explizit den interkulturellen Herausforderungen der Gegenwart programmatisch stellen. Aber auch von Stiftungen oder Unternehmen unterstützte Schulen wie Quinoa (Berlin) oder die „Neue Schule Wolfsburg“ oder die „Evangelische Schule Berlin-Zentrum“, gleichsam die Referenzschule der „neuen Reformpädagogik“, zeigen die fortdauernde Attraktivität pädagogischer Erneuerungsbemühungen.

Heiner Barz

Historische und systematische Bezüge

Frontmatter
Reformpädagogik im historischen Überblick

Der einführende Beitrag gibt einen historischen und systematischen Überblick über das pädagogisch wie politisch heterogene Phänomen Reformpädagogik. Auf der Grundlage einschlägiger Studien werden Begriff und Systematik, die Praxis der Reformpädagogik sowie ältere und neure Rezeptionsmuster behandelt. Der Beitrag plädiert für eine analytische Unterscheidung einer historischen und einer pädagogischen Lesart der Reformpädagogik. Historisch wird die Reformpädagogik als Epoche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verortet. Systematisch war sie ein Cluster pädagogischer und didaktischer Modelle und Praxen, mit denen sich subjektorientierte Lernwelten erfolgreich konstruieren lassen. Reformpädagogik kann v.a. durch eine historisch-empirische Analyse der pädagogischen Praxen verstanden werden.

Jörg-W. Link
Reformpädagogik vor der Reformpädagogik

Um eine Reformpädagogik vor der Reformpädagogik konstatieren zu können, muss man einen Begriff davon haben, was unter dieser verstanden werden soll. Unser Beitrag orientiert sich an den von Oelkers (1996) und Skiera (2003) herausgearbeiteten Reformmotiven, die schon lange vor Ende des 19. Jahrhunderts bei pädagogischen Theoretikern und Praktikern gefunden werden können; auf der Basis der Konstatierung einer jeweils „schlechten Gegenwart von Schule“ sind dies Ganzheit und Vollkommenheit der kindlichen Kräfte und Anlagen, die Bedeutung von Arbeit und Kunst für schulische Bildung, Harmonie von Körper und Geist, Anschauung als Grundlage der Methode und Schule als Schulgemeinde (vgl. 1996, S. 59). Der Beitrag macht dies exemplarisch an Reformbemühungen von Montaigne, Comenius, Francke, Rousseau, Pestalozzi, Salzmann, Fröbel und Stoy deutlich.

Eva Matthes, Sylvia Schütze
Ideologiekritik der Reformpädagogik

Ideologie bezeichnet im Marxismus “falsches Bewusstsein”. Die Schwierigkeit mit diesem Konzept ist das “richtige” Bewusstsein. Daher wird “Ideologie” anders gefasst, als kritikresistente Denkform oder pädagogische Dogmatik, die sich in allen Erfahrungen immer nur bestätigt. “Reformpädagogik” ist eine solche Dogmatik, die durch eine interessierte Geschichtsschreibung gesichert wird. Praktische Schulreformen stimmen damit nie überein, wie sich auch an der neuen ökonomischen Reformideologie zeigen lässt. Auch sie ist durch Erfahrung nicht belehrbar.

Jürgen Oelkers
Reformpädagogik und Nationalsozialismus

Der Artikel rekonstruiert die Diskussionen zur Thematik „Reformpädagogik und Nationalsozialismus“, die in der deutschen pädagogischen Geschichtsschreibung seit 1945 geführt wurden. Stand in der pädagogischen Geschichtsschreibung der Bundesrepublik nach 1945 zunächst die Überzeugung in Granit gemeißelt, mit der politischen Machteinsetzung der Nationalsozialisten habe die „pädagogische Bewegung“ ihr Ende gefunden, so wird man heute vor dem Hintergrund der neueren Forschungsergebnisse vom „Ende der Eindeutigkeit“ sprechen müssen. Im Fokus stehen dabei reformpädagogische Schulversuche nach 1933 wie die Jena-Plan-Schulen, jüdische Schulen in der NS-Diktatur und Schulen im Exil, die von reformpädagogischen Emigranten gegründet wurden.

Peter Dudek
Sozialistische Reformpädagogik und Reformpädagogik im real existierenden Sozialismus

Zunächst werden allgemeine Kriterien einer sozialistischen Reformpädagogik skizziert, die reformerisches Engagement immer zugleich auf gesellschaftspolitische Kategorien wie Chancengleichheit und Partizipation bezieht. Diese sich innerhalb der Sozialdemokratie am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts etablierte Reformpädagogik-Richtung zielte stets auf Weltlichkeit, Einheitlichkeit und Unentgeltlichkeit der schulischen Bildung. Ihre Vertreter(innen) orientierten sich an unterschiedlichen Sozialismus-Zugängen, so mit Ideen eines demokratischen oder religiösen Sozialismus u.v.a.m. – Sodann wird die Reformpädagogik-Rezeption am Fallbeispiel der DDR thematisiert, die sich, zunächst von einer anfänglichen Euphorie getragen, rasch durch die Zuspitzung des Ost-West-Konflikts in eine pauschale Abwertung wandelte. Interessanterweise betraf die vordergründige Reformpädagogik-Ausgrenzung vor allem die linke Tradition einer sozialistischen Reformpädagogik.

Andreas Pehnke
Reformpädagogik und Geschlecht

Der Beitrag fragt nach Konstruktionen des Geschlechterverhältnisses, nach Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern in reformpädagogischen Konzepten und deren Auswirkungen auf mono- oder koedukative Praxen in den Landerziehungsheimen von Hermann Lietz, Gustav Wyneken und Paul Geheeb.

Elke Kleinau
Reformpädagogik und Orientalismus (1918-1933)

Akteure der Reformpädagogik begeisterten sich um 1920 für Indien, indische Glaubenskonzepte oder die Ideen Tagores und Gandhis. Im Artikel wird dieses meist indophile Interesse mittels des von Said konzipierten Theorems des Orientalismus mit der Absicht untersucht, die Verknüpfung orientalistischer und erzieherischer Diskurse freizulegen. Die Kopplung der Topoi Erziehung, Kindheit und Indien diente seit ca. 1800 zunächst Vertretern der Romantik, alternative Lebensbedingungen zu imaginieren, wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der Theosophie popularisiert und erschien zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur in Erzählungen Hesses, sondern auch in der Reformpädagogik. Die Wirkmacht des Orientalismus verunmöglicht jedoch bis heute eine differenzierte Wahrnehmung Südasiens.

Elija Horn
Reformpädagogik und Medien
Innovationsimpulse durch digitale Medien?

Das Kapitel erschließt zunächst zentrale kritische Argumente gegen den Einsatz digitaler Medien in aktuellen Ansätzen der klassischen Reformpädagogik. Unterstützend werden zwei Perspektiven herausgearbeitet: digitale Medien zum einen als interaktives multimediales “Material”, zum anderen als grundsätzlich neues, kollaboratives und ermächtigendes Medienformat für konstruktionistisches Lernen in einer mediatisierten Welt. Anhand von zwei Fallbeispielen der “neuen” Reformpädagogik (Steve-Jobs-Schule De Ontplooing, Amsterdam, NL; Quest to Learn, New York, USA) werden potenzielle Innovationsimpulse, aber auch Implementationsschwierigkeiten veranschaulicht. Als größtes Potenzial digitaler Medien werden schließlich die folgenden Aspekte reformpädagogischer Ansätze identifiziert: Selbsttätigkeit, soziales Miteinander, kritisch-diskursive Kollaboration und ästhetische Gestaltung.

Karsten D. Wolf
Bildungsreformen und sozialer Wandel
Rationale Analyse und begründete normative Prämissen nach „Schockerleben“

Bildungsreformen haben seit den 70er Jahren das Bildungssystem von der frühkindlichen Bildung bis zur Weiterbildung verändert und bis heute keinesfalls an Bedeutung verloren.Wird in der pädagogischen Debatte aktuell die Frage diskutiert, ob Bildungsreformen Fortschritt oder Innovation bedeuten, wird in diesem Beitrag die These vertreten, dass Bildungsreformen in die Dynamik des sozialen Wandels eingebunden sind, wobei sozialer Wandel nicht ausschließlich mit Ausdehnung, Differenzierung, Fortschritt oder Innovation von Bildung einhergeht. Bildungsreformen sind kein Abbild sozialer Modernisierung, denn der Wandel von formaler und non–formaler, aber auch informaler Bildung geht mit nicht intendierten Nebenfolgen einher, die immer wieder auch für die Bildungsreformen, also für intendierte Planungs- und Steuerungsüberlegungen eine Herausforderung darstellen. Bildungsreformen bedürfen daher der rationalen theoretischen und empirischen Analyse und begründeter normativer Prämissen.

Rudolf Tippelt
Bildungsreformen in der BRD

Zwischen der Diagnose „Bildungskatastrophe“ (1964) und dem „PISA-Schock“ (2001) bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Die im internationalen Vergleich zurückbleibenden Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler spielten in der Bildungsreformdiskussion der 1960er noch keine Rolle. Das „Abiturientendefizit“ bezog sich auf das Quantum der Abiturienten in einem Jahrgang, nicht aber auf fachliche, kompetenzbezogene Aspekte. Heute sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ins Bildungssystem zu integrieren, wodurch sich auch die Gruppen verändert haben, deren Bildungschancen als besonders beeinträchtigt gelten. Rainer Geißler bezeichnete diese Veränderung als „Metamorphose der Arbeitertochter zum Migrantensohn“. Neben einer Bilanz der tatsächlichen Erträge der mit anspruchsvollen Zielen realisierten Innovationsanstrengungen im deutschen Bildungssystem, kann eine deutliche Akzentverschiebung in der bildungspolitischen Agenda festgestellt werden. Waren gerade die 90er Jahre noch stark von Ideen wie Schulautonomie, Schulkultur und Schulleben, innere Schulreform und Unterrichtsentwicklung geprägt so wurden derartige Bestrebungen inzwischen in den Hintergrund gedrängt und v.a. in Hinblick auf die Verbesserung der Unterrichtseffektivität umgestaltet.

Sylva Liebenwein
Der Schulversuch in Geschichte und Gegenwart
Königsweg der Schulreform?

Die Reformpädagogik war besonders in ihrer Weimarer Blütezeit beherrscht von dem Gedanken, über Versuchsschulen und dort gewagter Experimente zu umfassenden Schulreformen zu gelangen. Seit den 1960er Jahren gehört der Schulversuch auch in der Bundesrepublik wieder zum Handwerkskasten deutscher Schulreformer. Freilich nutzt staatliche Schulpolitik ebenso seit jeher Schulversuche dazu, Reformideen vor ihrer Einführung in das Schulsystem zu erproben und dazu von geltendem Schulrecht abzuweichen. Die Entwicklung schwankt immerzu zwischen dem Schulversuch als Teil staatlich kontrollierter Reformen „von oben“ und als Instrument einer Schulreform „von unten“, als Werkzeug eines sich aus staatlichen Fesseln befreien wollenden pädagogischen Reformerimpulses. Die Bundesländer haben hierfür schulgesetzliche Ermächtigungen geschaffen und eine KMK-Vereinbarung zur Durchführung von Schulversuchen getroffen.

Günter Winands

Die Gründergeneration der Reformpädagogik

Frontmatter
Reformpädagogik am Anfang des 20. Jahrhunderts
Personen und Positionen

Die Bestimmung von Personen und Positionen der „Reformpädagogik“ basiert auf systematisch begründeten Ein- und Ausschließungen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Frage, ob es sich bei „Reformpädagogik“ um einen spezifisch deutschen oder einer internationalen Zusammenhang handelt. Gezeigt werden anhand einschlägiger Quellenbände die Zuordnungen von Personen im deutschen und im internationalen Kontext. Anhand der Diskurse von Religion und Arbeit im System Schule wird exemplarisch die Vielfalt an Positionen im Rahmen von „Reformpädagogik“ entfaltet.

Ralf Koerrenz
Rudolf Steiners pädagogischer Reformimpuls

In der Erziehungswissenschaft wird Rudolf Steiner primär als Begründer der Waldorfschule als einem der bis heute erfolgreichen und kontrovers diskutierten pädagogischen Reformkonzepte wahrgenommen. Dabei ist die Waldorfschule nur ein sichtbarer Ausdruck eines umfassenderen pädagogischen Systems, dass auch andere Bereiche wie die Heilpädagogik, die Erwachsenenbildung und die Lehrerbildung adressiert. Unter dem Titel „Steiners pädagogischer Reformimpuls“ geht der Beitrag diesen unterschiedlichen, aufeinander bezogenen pädagogischen Anregungen und Konzepten nach und stellt sie im Zusammenhang dar.

Henning Pätzold, Albert Schmelzer
Maria Montessoris pädagogischer Reformimpuls

Maria Montessori gehört zu den Klassikern der Pädagogik. Sie kam von der Medizin zur Pädagogik und entfaltete ein weltweites Wirken zur Verbreitung ihrer pädagogischen Ideen. Ihr Fundament haben diese in ihrer Anthropologie des Kindes, für deren Grundlagen sie trotz der unterschiedlichen Ausformungen durch kulturelle Einflüsse universale Geltung beansprucht. Ihre Grundgedanken zu Erziehung und Bildung sollen als Orientierung für alle pädagogischen Handlungsfelder gelten, modifiziert für die unterschiedlichen Entwicklungsabschnitte des Menschen von der Geburt bis zum Tod. Integriert werden diese Ideen in den Entwurf eines global orientierten Erziehungs- und Bildungsprogramms unter der Bezeichnung „Kosmische Erziehung“.

Harald Ludwig
Peter Petersens pädagogischer Reformimpuls

Der Beitrag beschreibt mit Blick auf die Zeit der Weimarer Republik das reformpädagogische Konzept des Jenaer Erziehungswissenschaftlers Peter Petersen (1884-1952), das unter dem Namen Jenaplan international bekannt wurde. Es entstand an der Universitätsschule Jena zwischen 1924 und 1932. Die Pädagogik Petersens prägten einerseits historische Vorbilder wie die Idee der autonomen Schulgemeinde von Friedrich W. Dörpfeld, andererseits Neuansätze, wie sie die Hamburger Schulbewegung, das soziale Lernen in John Deweys Laboratory School, die Pädagogik Maria Montessoris, der Arbeitsschulgedanke Georg Kerschensteiner und die Landerziehungsheimbewegung deutlich machten. Petersens Vorstellung von „neuer Erziehung“ verlangte nach einer Schule, die Kinder nicht nach Leistung und Begabung trennte, sondern sie zusammenführte. Schule sollte nicht nur Lernort, sondern Lebensstätte für Kinder sein.

Hein Retter
John Deweys pädagogischer Reformimpuls

John Dewey hat wichtige Beiträge zur Reform der Erziehung, zur Humanisierung der Schule und zur Vitalisierung des Unterrichts geleistet. Er formulierte und propagierte vor allem die Postulate der konstruktivistischen Pädagogik, der demokratischen Erziehung und des problemzentrierten Arbeitsunterrichts. Festzuhalten ist jedoch auch, dass die Umsetzung seines Konzepts in die Erziehungs- und Unterrichtspraxis Schwierigkeiten bereitet und wegen der Vernachlässigung wesentlicher psychologischer, pädagogischer und soziologischer Gegebenheiten leicht scheitern kann.

Michael Knoll
Alexander S. Neills pädagogischer Reformimpuls und die Alternativschulen der Gegenwart

In dem Beitrag „Alexander S. Neills pädagogischer Reformimpuls und die Alternativschulen der Gegenwart“ werden Grundzüge der Antiautoritären Pädagogik nach Neill und die Entstehung des Schulprojektes Summerhill vorgestellt. Anschließend wird der Frage nachgegangen, wie sich die Ideen Neill‘s auf die Gründung von Kinderläden und Freie Alternativschulen in Deutschland ausgewirkt haben. Alternativschulen werden mit ihren zentralen pädagogischen Inhalten wie dem Freien Spiel und der demokratischen Mitbestimmung von SchülerInnen beschrieben. Wesentliche Aspekte der Antiautoritären Pädagogik wie jenes der Selbstregulation werden erklärt und ihre Umsetzung in Alternativschulen erörtert. Kritische Positionen gegenüber den Alternativschulen werden zusammengefasst.

Matthias Hofmann
New Schools – Écoles Nouvelles – Landerziehungsheime
Zum historischen Auftakt reformpädagogisch motivierter Schulversuche

Die Landerziehungsheime stellen die früheste Form jener Neuen Schulen der klassischen Reformpädagogik auf deutschem Boden dar, die in England New Schools und im französischen Sprachraum ÉcolesNouvelles genannt wurden. Zunächst noch tief in der Kaiserzeit verwurzelt, werden sie schnell zum Inbegriff einer neuen Schulkultur, die in der Selbstbeschreibung der Akteure durch den Einbezug praktischer Arbeiten und künstlerischer Prozesse ein ganzheitliches und entwicklungsgerechtes Lernen ermöglicht, ein persönliches Schüler-Lehrer-Verhältnis praktiziert, koedukative und soziale Erziehungsformen ausprobiert – und sich dabei als Internat in einer natürlichen und gesunden Umgebung organisiert. Diskutiert werden vor allen Dingen die wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Schulen – die Lietz’schen Land-Erziehungsheime, die Freie Schulgemeinde Wickersdorf, die Odenwaldschule Oberhambach sowie die Schule Schloß Salem. Daneben werden dabei auch einige kleinere Schulen vorgestellt und in den internationalen Kontext reformpädagogisch motivierter Schulversuche eingeordnet.

Andreas Lischewski, Janne Fengler

Reformpädagogische Schulen heute

Frontmatter
Waldorfpädagogik

Waldorfpädagogik wird meist im Zusammenhang mit Reformpädagogik behandelt, obwohl sie hier eine Sonderstellung einnimmt. Gemeinsamkeiten bestehen in dem Anspruch einer „Pädagogik vom Kinde aus“, dem Entwicklungsgedanken sowie im „Lernen durch Erfahrung“. Durch andere essentielle Merkmale lässt sich die Sonderstellung der Waldorfpädagogik begründen: Die erhebliche Diversität von Waldorfschulen lässt eine große Offenheit gegenüber divergenten gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Rahmenbedingungen erkennen. Gemeinsam sind ihnen dagegen die herausgehobene Stellung der Lehrpersonen und die Bedeutung der Anthropologie sowie bestimmter Kernthemen der anthroposophischen Menschenkunde. Die Gleichwertigkeit der Waldorfpädagogik gegenüber staatlichen Bildungsangeboten wird durch den Diskurs mit Vertretern der Erziehungswissenschaft untermauert.

Peter Loebell
Jenaplanpädagogik heute

Jenaplanschulen verstehen sich als Schule der Erziehung. 20 Basisprinzipien über Gesellschaft, Mensch und Schule verbinden alle Einrichtungen. Pädagogische Situationen entwickeln im Idealfall Spannung und Faszination. Erkenntnisse sollen in den persönlichen Erfahrungsschatz übernommen werden. Im Jenaplan wird auf die innere Auseinandersetzung mit Problemkreisen Wert gelegt, äußerlich manifestiert durch die Urformen des Lernens Gespräch, Spiel, Arbeit und Feier. Organisatorisch setzt das Jenaplankonzept auf den rhythmischen Wochenarbeitsplan. Jenaplan bedeutet vor allem jahrgangsübergreifenden Unterricht in Stammgruppen. Unter Anwendung gruppenunterrichtlicher Verfahren wird an fachübergreifenden, weltorientierten Themen gearbeitet. Jenaplanschulen verfassen Lernentwicklungsberichte.

Jens Bitterlich, Bärbel Bitterlich
Montessori-Pädagogik
Das System der Montessori-Institutionen – Nationale und internationale Verbreitung

Maria Montessori (1870-1952) hat ausgehend von einer entwicklungspsychologisch, soziologisch und anthropologisch orientierten Analyse von Kindheit und Jugend ein Schul- und Bildungssystem entworfen, das diesen Ergebnissen auf der Basis der von ihr entwickelten Arbeitsmaterialien folgt. Das Lernen geschieht in vier aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen von jeweils fünf bis sieben Jahren, mit denen aufeinanderfolgende Erziehungspläne korrespondieren: das Montessori-Kinderhaus, die Montessori-Grundschule, der ‚Erdkinderplan‘ und die Universität.In Deutschland arbeiten zurzeit etwa 217 Primarschulen und 111 Sekundarschulen ernsthaft nach dem Montessori-Konzept. Weltweit schätzt man rund man 25.000 Montessori-Einrichtungen in 126 Ländern (mit China 60.000 – 70.000).

Gudula Meisterjahn-Knebel
Reformpädagogik an katholischen und evangelischen Schulen

Schulen in freier Trägerschaft haben die Aufgabe, Neues zu entwickeln und in die Welt zu tragen. Zu dieser Gruppe gehören evangelische und katholische Schulen. Die Katholische und die evangelische Kirche sind die größten Anbieter allgemeinbildender Privatschulen. Im Rahmen der katholischen Schulen hat sich ein reformpädagogischer Ansatz entwickelt und verbreitet, der im Marchtaler Plan niedergelegt ist und von mehr als 30 Schulen umgesetzt wird. Die Vielfalt an Schulprofilen an evangelischen Schulen spiegelt die große innere Vielfalt der reformatorischen Kirchen und des Protestantismus wider. In den letzten Jahren wurden drei evangelische Schulen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Eine exponierte Stellung hat insbesondere die Evangelische Schule Berlin Zentrum als Leuchtturm der Neuen Reformpädagogik erlangt. Mit dem „Schulfach Herausforderung“ oder dem „Projekt Verantwortung“, dem „Lernbüro“ und vielen weiteren innovativen Konzepten stellt sie gleichzeitig den Prototyp einer „Schule im Aufbruch“ dar.

Margret Rasfeld
Schulreform als Selbsthilfe
Deutsch-Türkische Schulen

Inspiriert von der sozialreligiösen Botschaft hizmet (türk. Dienst) tritt seit den 1990er Jahren in Deutschland zunehmend ein Netzwerk in Erscheinung, dessen Akteure den Bildungserfolg von türkisch-muslimischen Kindern und Jugendlichen „in die eigene Hand“ nehmen wollen, indem sie u.a. private Schulen gründen. Während erste Forschungen diskutieren, wie hizmet im informellen Bildungsbereich des Netzwerks vermittelt und angeeignet wird, wird die Diskussion um die Schulgründungen bislang v.a. journalistisch geführt. Der vorliegende Artikel skizziert das Netzwerk in historisch-politischer Perspektive, zeigt migrationsgesellschaftliche Diskurse auf, in die seine Aktivitäten verwoben sind und trägt erste Ergebnisse zu den Schulgründungen zusammen.

Thomas Geier, Magnus Frank
Interkulturelle Reformschulen
Interkulturelle Waldorfschule Mannheim, Quinoa-Schule Berlin

Interkulturelle Bildung gilt heute als Querschnittsaufgabe für schulische Bildung. Dementsprechend entwickeln sich alle deutschen Schulen tendenziell in Richtung interkulturelle Öffnung. Interkulturelle Schulen können durch folgende grundlegende Merkmalen charakterisiert werden (KMK 2013): Sie betrachten die Heterogenität der Schülerschaft als Normalität, tragen bewusst zur interkulturellen und bildungssprachlichen Kompetenzentwicklung aller Schüler/innen bei, bemühen sich um eine konstruktive Kooperation mit der Elternschaft und evaluieren sich regelmäßig. Durch die interkulturelle Öffnung der Schulen kann einerseits einer institutionellen Diskriminierung von Schüler/innen mit Migrationshintergrund entgegen gesteuert und andererseits ein friedliches Zusammen-leben in einer demokratischen und multikulturellen Gesellschaft gefördert werden. Die hier vorgestellten Schulen können als Vorreiter unter den interkulturellen Reformschulen in Deutschland betrachtet werden.

Andrea Óhidy

Empirische Forschung zur Reformpädagogik

Frontmatter
Empirische Forschung zu Waldorfschulen

Der Beitrag gibt einen Überblick der Empirie zur Waldorfpädagogik. Die Forschungslage stellt sich aufgrund der Forschungsanstrengungen aus der Waldorfschulbewegung selbst im Vergleich zu anderen reformpädagogischen Schultypen als komfortabel dar. Die Studien zeigen eine hohe Akzeptanz aller beteiligten Akteure und sprechen für die Qualität und Wirksamkeit der Waldorfpädagogik als Alternative zur Staatsschule. Sie erfüllen damit eine Legitimationsfunktion und geben Hinweise auf Problemstellungen und Entwicklungsaufgaben. Forschungsperspektiven werden in Detailstudien gesehen und in einer Öffnung zu einer komparativen Reformschulforschung.

Till-Sebastian Idel
Empirische Forschung zu Montessori-Schulen

Der Forschungsstand zu Montessori-Schulen wurde gelegentlich so zusammengefasst, dass den Montessori-Schülern durch alle Schulstufen hindurch in den meisten Schulfächern ein Leistungsvorsprung attestiert wurde. Eine nähere Überprüfung ergibt, dass dies kaum evidenzbasiert ist, wurden doch in drei von sechs vorliegenden Studien keine wesentlichen bzw. keine konstanten Unterschiede zugunsten der Montessori-Schüler festgestellt, und auch in den anderen drei Studien konnten Leistungsvorteile für die Montessori-Schüler meist nur im mathematischen Bereich nachgewiesen werden. Dieser tendenzielle mathematische Vorteil wird oft mit dem Einsatz spezieller anschaulicher und sinnlich erfahrbarer Arbeitsmaterialien erklärt, die typischer Weise in der Montessori-Pädagogik Verwendung finden. Die Stärken der Montessori-Schulen scheinen aber insgesamt eher im Bereich des überfachlichen Lernens und der Gestaltung zufriedenstellender Lernsituationen zu liegen. Hier zeigen die Studien relativ übereinstimmend deutliche Vorteile zugunsten der Montessori-Schulen.

Sabine Gruehn, Thomas Koinzer
Empirische Forschung zu Freien Alternativ-Schulen

Berichtet wird über ausgewählte Befunde einer repräsentativen Befragung von Schülern, die im Schuljahr 2013/14 die Sekundarstufe I einer Freien Alternativschule besucht haben. Die wichtigsten Fragestellungen sind: Welche Qualitäten hat eine Schulform, die v.a. auf Eigenständigkeit, Selbstmotivation und Selbstverantwortung ihrer Schüler setzt und ihnen viel Freiheit beim Lernen lässt? Wie kommen die Schüler mit dieser Freiheit zurecht? Welchen Stellenwert nehmen Leistungserwartungen und -kontrollen ein? Werden die dort Lernenden hinreichend gefördert und gefordert? Die Ergebnisse geben Anlass zu Diskussionen über die Vor- und Nachteile der Freien Alternativschulen und deren reformpädagogischer Konzeption.

Dirk Randoll, Ines Graudenz, Jürgen Peters
Privatschulen: Unerwünschte Segregation oder willkommener Wettbewerb?

Private Schulen sind in Deutschland zwar grundgesetzlich verankert, stehen aber unter dem Verdacht, die ethnische und soziale Segregation in den Schulen zu verstärken. Der wachsende Privatschulanteil zeigt jedoch auch eine steigende Nachfrage nach privaten Schulen und private Schulen können das Schulsystem durch Wettbewerbselemente bereichern. Der Beitrag beleuchtet die verschiedenen Facetten eines wachsenden Privatschulsektors, der Finanzierung von Privatschulen und des Privatschuleffekts auch im internationalen Vergleich und diskutiert die Argumente aus bildungsökonomischer Perspektive.

Kerstin Schneider
Neue Erziehung, neuer Mensch, neue Gesellschaft
Die Kinderladenbewegung

Die Kinderladenbewegung fand ihren Ausgang in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 1960er Jahre. Ziel der meist studentischen Kinderladengründer_innen war eine repressionsfreie und antiautoritäre Erziehung ihrer Kinder, die den Eltern nicht selten als Schlüssel zu einer neuen und besseren Gesellschaft galt. Historische Anknüpfungspunkte fanden die Aktivist_innen in reformpädagogischen Ansätzen der 1920er Jahre, u.a. bei Alexander Sutherland Neill, Siegfried Bernfeld und Vera Schmidt. Der Beitrag von Bock / Göddertz fokussiert auf die Entstehung der Kinderläden und die historischen reformpädagogischen Bezüge sowohl der Theorie als auch der Praxis in den Kinderläden.

Nina Göddertz, Karin Bock

Praxis reformorientierter Schulen

Frontmatter
Wie gründet man eine Privatschule?

Der Erfolg einer Schulgründung knüpft an viele Voraussetzungen und Faktoren, die es zu beachten gilt. Die Schulgründungsinitiative muss sich zwingend mit den jeweiligen Konditionen (u.a. Rechtslage) in dem jeweiligen Bundesland vertraut machen. Eine vorausschauende Planung und die rechtzeitige Abstimmung mit der zuständigen Schulbehörde sind unumgänglich. Standortfragen, die pädagogischen Ziele, Wirtschaftlichkeit des Vorhabens – die Planung der Betriebsphase aber auch der Vorlaufkosten – und eine entsprechende Vorbereitung des Schulbetriebes sind sehr wichtig. Gerade bei dem letzten Punkt kommen viele Aspekte auch rechtlicher Art zusammen. Der Schulträger übernimmt ab dem Schulbeginn mehrere Funktionen: er ist Ansprechpartner für die Schulbehörde und die gesamte Schulöffentlichkeit und u.a. Arbeitgeber und Vertragspartner. Mit der betriebenen Ersatzschule erfüllt der Schulträger den öffentlichen Bildungsauftrag.

Magdalena Schäfer
Wer bezahlt die Reformpädagogik?
Privatschulfinanzierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die reformpädagogische Bewegung in Deutschland ist untrennbar mit der Geschichte der Privatschulen verbunden. In der Regel überzeugen Schulen in freier Trägerschaft mit ihren (reform-)pädagogischen Konzepten und sie erweisen sich als genauso leistungsfähig wie staatliche Schulen – und das zu deutlich günstigeren Preisen. Die Bundesländer haben eine grundgesetzliche Institutsgarantie der Privatschulen zu erfüllen. Doch die dafür von der öffentlichen Hand gezahlte Finanzhilfe ist vielfach so gering, dass sie die tatsächlichen Schulbetriebskosten deutlich unterschreitet. An fast allen Privatschulformen liegen die durch Schulgeld zu kompensierenden Finanzierungslücken über der verfassungsrechtlichen Sonderungsschwelle. Dies zwingt die freien Schulträger, Schulgeld zu erheben.

Helmut E. Klein
Privatschulrecht als Chance und Bremse reformpädagogischer Initiativen

Der Beitrag beleuchtet die Möglichkeit reformpädagogischer Initiativen, im Rahmen des Rechts ihre Ideen in den von ihnen betriebenen Schulen umzusetzen. Nach Darstellung der Voraussetzungen zum Betrieb der Schulen gem. Art. 7 Abs. 4 GG werden die Konfliktpunkte aufgezeigt, welche in der Praxis immer wieder beobachtet werden. Auch wenn die Voraussetzungen des Grundgesetzes sinnvoll sind, um vor ungenügenden Bildungseinrichtungen zu schützen, plädiert der Beitrag für eine Anerkennung der autonomen Verwirklichung innovativer Reformideen. Gerade bei der Voraussetzung der gleichwertigen Lehrziele sollten Aufsichtsbehörden innovative Reformideen berücksichtigen, wenn die Schulvielfalt erhalten bleiben soll.

Christiane C. Wegricht
Schulen in freier Trägerschaft im bildungspolitischen Kontext

Seit dem Entstehen des modernen Staates ist das Modell „Privatschule“ immer wieder heftig umstritten gewesen. Dennoch bekommen die Schulen in freier Trägerschaft vom Staat finanzielle Förderung - schließlich entlasten sie auch das öffentliche staatliche Schulsystem. Das Grundrecht der Privatschulfreiheit begründet die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Ersatzschulen zu schützen und zu fördern. In welcher Weise der Gesetzgeber dieser Förderungspflicht aber nachkommen muss, schreibt ihm das Grundgesetz nicht vor. Die Parteien positionieren sich zu den Privatschulen und deren Finanzierung ganz unterschiedlich – doch nicht immer ist Anspruch gleich Wirklichkeit.

Teresa Maria Tropf
Lehrerbildung für reformpädagogische Schulen

Reformpädagogische Konzepte werden allgemein im Rahmen staatlicher Lehramtsstudiengänge behandelt. Als einzige Schulform unterhalten Waldorfschulen eine eigene grundständige Lehrerausbildung, die im Rahmen akkreditierter Studiengänge von besonderen staatlich anerkannten Hochschulen angeboten werden. Zu ihren Merkmalen gehören neben einer diskursiven Auseinandersetzung mit aktuellen bildungswissenschaftlichen Themen ein fachliches, bereits im Ansatz didaktisch orientiertes Studium, Persönlichkeitsbildung durch künstlerische Übung, anthropologische und anthroposophische Grundlagen der Pädagogik sowie Schulpraktika im gesamten Studienverlauf. In einem empirischen Forschungsprojekt werden die Effekte der Waldorflehrerausbildung im Vergleich zu staatlichen Lehramtsstudiengängen untersucht.

Peter Loebell
Reformpädagogik im Zwielicht
Sexueller Missbrauch an der Odenwaldschule

Die Enthüllungen der Missbrauchsvorfälle an der Odenwaldschule haben eine Diskussion über sexualisierte Gewalt in pädagogischen Institutionen und eine Debatte über die die „dunklen Seiten der Reformpädagogik“ ausgelöst. Die Odenwaldschule stieg in der Anfangszeit der Bundesrepublik kometenhaft zu einem Leuchtturm der Schulreform auf und geriet danach in eine beispiellose „asoziale Degression“ durch die lange verschwiegenen Tätlichkeiten pädophiler Lehrer nach 1970. Diese wurde begünstigt durch eine verbale Glorifizierung des pädagogischen Eros und der sexuellen Befreiung nach den 68er-Jahren. Die Rezeption der Odenwaldschule in großen Teilen der Fachwelt war über lange Zeit von Verklärung und Verkennung bestimmt – einem Muster, das sich vermutlich auch im Umgang mit anderen Schulen der Reformpädagogik nachweisen lässt.

Heiner Ullrich
Reformpädagogik am Pranger
Positionen der Privatschulkritik

Während im Zuge der Internationalisierung die nationalen Märkte zunehmend entgrenzt und liberalisiert werden, kommt es parallel dazu zu einer verschärften Regulierung und Standardisierung. Der Druck zur Vereinheitlichung von Systemen und Ideen wächst – auch im Bildungsbereich. Entsprechend schwer haben es derzeit Konzepte, die auf Bildungspluralismus und Deregulierung setzen. Dass Schulen in freier Trägerschaft eine zentrale Säule des deutschen Bildungssystems darstellen und gerade in puncto Innovationspotential eine wichtige Schrittmacherfunktion haben, droht dabei in Vergessenheit zu geraten. Dass ihre Schülerinnen und Schüler meist bessere Leistungen in internationalen Vergleichstests erzielen und ihnen auch unter ökonomischen Gesichtspunkten immer wieder höhere Effizienz bescheinigt wird, muss demgegenüber betont werden. Dass der vielzitierte Elitevorwurf bestenfalls auf einen kleinen Teil der Schulen in freier Trägerschaft zutrifft und gerade dem staatlichen gegliederten Schulsystem unverändert deutliche Segregationstendenzen zu bescheinigen sind, daran muss erinnert werden.

Heiner Barz
Reformpädagogik im Hochpreissegment
Internationale Schulen, internationale Bildungsmigration und Internatsschulen in Deutschland

In der Gruppe der hochpreisigen Angebote spielen internationale Schulen sowie Internate im In- und Ausland eine wichtige Rolle. An den internationalen Schulen werden in der Regel internationale Schulabschlüsse wie das IB angeboten. In Deutschland gibt es ca. 50 Internationale Schulen und ungefähr 230 Internate. Zu den besonders hochpreisigen Internaten zählen die konfessionellen Internate und die (ehemaligen) Landerziehungsheime, die heute häufig auf den Zusatz Landerziehungsheim verzichten.

Philipp Mohr

Pädagogische Innovationsimpulse der Gegenwart

Frontmatter
Pädagogische Innovationsimpulse der Gegenwart
Ein Überblick

Die großen, gewissermaßen klassischen Modelle der Reformpädagogik teilen das Schicksal, dass wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit ihren Gründungsfiguren und ihren pädagogischen Konzepten sich inzwischen fast häufiger mit kritischen Aspekten beschäftigen als mit bleibenden Errungenschaften. Gleichzeitig lässt sich ein erstaunlicher Kontrast konstatieren zwischen der zunehmend kritischen wissenschaftlichen Publizistik und dem anhaltenden, ja wachsenden Zuspruch des Publikums und einem weiter wachsenden Angebot. Während ein nicht unerheblicher Teil der Erziehungswissenschaft sich mit Konzepten der Reformpädagogik wenn überhaupt, dann nur noch in historisch-kritischer oder ideologiekritischer Absicht auseinandersetzt, zeigen die zahlreichen Beispiele neuerer Reformansätze, dass es einen durchaus noch immer fruchtbaren Anregungsreichtum der unter diesem Label zusammengefassten Ideen und Methoden auch für Gegenwart und Zukunft gibt.

Heiner Barz
Der internationale Trendreport von Schule im Aufbruch

Bittet man jemanden auf der Welt, Schule zu malen, wird das Ergebnis aller Wahrscheinlichkeit nach so aussehen: Eine Tafel, ein Erwachsener davor, viele Kinder an kleinen Tischen die in Richtung Tafel gucken und etwas in ein Heft schreiben. Dieses Bild von Schule ist tief verwurzelt. Doch Schulen weltweit sind aufgebrochen. Sie haben den Mut gehabt, sich vor ein leeres Blatt zu setzen und Schule wirklich neu zu denken. Was brauchen die Kinder? Was braucht die Gesellschaft? Was muss man im 21. Jahrhundert wissen, können, sogar sein? Was denken wir, wie Lernen eigentlich wirklich funktioniert? Viele Menschen an vielen Orten dieser Welt haben neue Lernorte geschaffen, die das klassische Bild von Schule auflösen. Und trotz großer Vielfalt lassen sich doch Gemeinsamkeiten entdecken, die der „Schule des 21. Jahrhunderts“ in der globalen Bildungsgemeinschaft zugrunde liegen. Der Trendreport Bildung von Schule im Aufbruch dokumentiert Trends und Praxisprojekte.

Monia Ben Larbi
Ein reformpädagogisches Netzwerk entwickelt internationale Strahlkraft

Längst hat das Netzwerk „Schulen im Aufbruch“ im August 2012 von Margret Rasfeld, Prof. Gerald Hüther und Prof. Stephan Breidenbach gegründet, international auf sich aufmerksam gemacht. Einzelne Lehrer aber auch ganze Schulen und Schulverwaltungen aus Österreich, Schweiz, Polen, Chile oder der Ostukraine greifen die Ideen und Konzepte einer nachhaltigen Transformation der Lernkultur auf. Schüler als Experten nicht nur für ihre eigenen Lernerfahrungen sondern auch als Vermittler neuer Lernkultur in Fortbildungen für Studierende, Lehrer und sogar Hochschullehrer – das ist einer der neuen Wege, die, ausgehend von der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, inzwischen in vielen Ländern Gleichgesinnte finden. Auch das hier entwickelte Programm Global Goals Curriculum geht ungewöhnliche Wege und knüpft internationale Netzwerke zwischen erfolgreichen Reformschulverbünden aus dem Bereich Kulturelle Bildung, Soziales Unternehmertum und Nachhaltigkeit.

Margret Rasfeld
Lernkompetenzförderung durch Methodentraining

Reformpädagogisch motivierte Lernverfahren wie Gruppenarbeit, Projektarbeit, Werkstattunterricht, Freiarbeit, Planspiele, Wochenplanarbeit, Stationenarbeit, Lernbüroarbeit und andere Formen des selbsttätigen Lernens der Schüler/innen setzen ein hohes Maß an methodischer „Abgeklärtheit“ voraus. Der Beitrag begründet und erläutert, wie das betreffende Methodenlernen in Schule und Unterricht institutionalisiert und konsolidiert werden kann. Vorgestellt werden bewährte Trainingswochen und Trainingsspiralen, aber auch konkrete Anregungen zur vertiefenden Methodenpflege im Fachunterricht. Ziel des Ganzen ist der Aufbau von Methodenbewusstsein und Methodenbeherrschung auf Schülerseite. Klippert gewährt Einblicke in sein langjährig erprobtes Schulungsprogramm, das sich in Hunderten von Schulen in mehreren Bundesländern bewährt hat.

Heinz Klippert
Offener Unterricht

Im Zusammenhang der Weiterentwicklung der Unterrichtspraxis im allgemein- und berufsbildendenden Schulsystem spielt Offener Unterricht eine wichtige Rolle. Vor allem zur Lösung der Frage, wie schulische Unterrichtsformen generell lernzentrierter gestaltet werden können, hat der Offene Unterricht vielfältige konzeptionelle und didaktische Anregungen geliefert. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass es mit diesem Unterricht besonders effektiv gelingt, instruktive und konstruktive Lehr- und Lernprozesse miteinander zu verbinden. Aufgrund der psychologischen Befundlage zur Erklärung menschlichen Lernens stellt Offener Unterricht somit eine ausgesprochen moderne Interpretation der Theorie des gemäßigten Konstruktivismus dar. Trotz allem kommt der Einsatz Offener Arbeitsformen nur langsam voran. Neben der Tatsache, dass es noch zu wenig empirische Studien zur Bewährung Offenen Unterrichts gibt, dürfte ein weiterer Grund darin liegen, dass sowohl die Lehrerrolle als auch das Schülerbild einem grundlegenden Wandel unterliegen, was die Abkehr von gewohnten epistemologischen Überzeugungen voraussetzt.

Eiko Jürgens
Unterrichts- und Schulentwicklung in Communities of Practice

„Reformpädagogik“ fordert nicht nur einen achtungsvollen Umgang der Erwachsenen mit den Schüler*innen und Formen des Unterrichts, die nachhaltiges Lernens der Heranwachsenden anregen und stützen. Zu dieser Tradition zählen auch kollegiale Formen der Schulentwicklung „von unten“ und ihrer Evaluation auf Augenhöhe durch „kritische Freunde“. Vor allem das „Archiv der Zukunft“ und der Verbund der Reformschulen „Blick über den Zaun“ sind aktuell wirksame Beispiele für ein professionelles Lernen in solchen „communities of practice“.

Hans Brügelmann
Interkulturelle Schulentwicklung

Eine interkulturelle, diversitätsbewusste Schule zeichnet sich durch ein reflektiertes, professionelles Ausbalancieren von unterschiedlichen Spannungsfeldern auf der Unterrichts- wie auf der Schulentwicklungsebene aus. Interkulturelles und Globales Lernen ist kein Additum, sondern eine Querperspektive in den Fachdidaktiken im Kontext eines integrierten Konzepts einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit, durchgängigen Sprachbildung, Vernetzung im Bildungsraum und einer wertschätzenden Lernkultur. Konstitutiv sind vor allem gut funktionierende Unterstützungssysteme für Lehrer/innen, Schüler/innen und Eltern.

Alfred Holzbrecher
Inklusive Pädagogik

Nicht erst seit Inkrafttreten der CRPD in Deutschland wird hier integrative bzw. inklusive Pädagogik praktiziert und entwickelt. Sie besitzt deshalb reformpädagogisches Potential, weil sie jede Schülerin und jeden Schüler qua ihres Menschseins in ihrer/ seiner Einzigartigkeit achten und berücksichtigen will: mit Stärken und Schwächen, Möglichkeiten und Grenzen. Somit hat eine inklusive, allgemeine Pädagogik das Potential, das stark nach unterschiedlichen Bildungszielen gegliederte Schulsystem stark zu beeinflussen bzw. zu verändern.Praktische pädagogische und curriculare, sowie methodische Ansätze werden beschrieben und können mit Begriffen wie Teamarbeit und Schulentwicklung, Differenzierung, sowie Eigenaktivität, Partizipation und Ganzheitlichkeit skizziert werden. Beispiele inklusiven Unterrichts illustrieren und verdeutlichen die theoretischen Ansätze.

Thomas Maschke
Die Bewegte Schule

Kaum eine schulische Innovation hat im didaktischen Diskurs so langanhaltend Aufmerksamkeit erhalten wie die „Bewegte Schule“. Entstanden vor über 30 Jahren aus der der Kritik an zu starren Schulstrukturen und den daraus resultierenden physisch-orthopädischen Beschwerden der Schülerinnen und Schüler, ist die „Bewegte Schule“ heute ein Konzept, das auf eine ganzheitliche Entwicklungsförderung abzielt und Bewegung als integratives Element in einem umfassenden schulpädagogischen Zusammenhang versteht. Im vorliegenden Beitrag geht es um die vielschichtigen Funktionen, die im wissenschaftlichen Diskurs der „Bewegten Schule“ im Allgemeinen und der Einbeziehung von Bewegung in den Unterricht im Besonderen zugeschrieben werden.

Ansgar Thiel, Hilke Teubert
Metamorphosen des Schulfachs Religion

Religion ist unter Jugendlichen zwar insgesamt eine konstante Größe, steht aber weiterhin nicht im Zentrum ihres Wertesystems. Vielmehr landet Religion in der Beliebtheit der Unterrichtsfächer auf dem letzten Platz. Gleichwohl scheinen grundlegende Fragen nach Normen menschlichen Handelns weiterhin notwendig schulische Aufgaben zu sein. Die hohe Diversität bekenntnisorientierterer Religionsunterrichte mit den jüngsten Angeboten von alevitischem und islamischem Religionsunterricht verdichtet bildungs- und gesellschaftspolitisch auf die Frage, ob Religionsunterrichtenicht eher eine Perspektive von Trennendem vermitteln. Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten haben jedoch dann eine Chance, wenn auf doktrinäre Katechese verzichtet und es Gläubigen unterschiedlicher Religionen ermöglicht wird, verbindliche Werte zu erlernen, die die Gesellschaft zusammenhalten.

Klaus Spenlen
Homeschooling

In Abgrenzung von lebensweltlichem, ständischem und additiven Homeschooling wird das moderne Homeschooling in Relation zur ordnungspolitischen Diskussion (Schulpflicht) und zu pädagogischen Begründung bzw. Kritik (Kollektivunterricht vs. Einzelunterricht) betrachtet. Unter aktueller Perspektive werden anschließend die Grundlinien juristischer, sozialer und internationaler Diskurse dargestellt.

Volker Ladenthin
Just Community-Schulen und Werteerziehung

Der Just Community-Ansatz knüpft an die demokratische Reformpädagogik an und richtet sich auf die Förderung der Moralentwicklung durch Erfahrungen demokratischer Teilhabe und sozialer Anerkennung in „gerechten Gemeinschaften“. Während dieses Modell auf die autonome und prinzipienorientierte Achtung moralischer Werte zielt, strebt das Konzept der Wertklärung eine Reflexion über Werte an, lehnt Werteerziehung jedoch ab. Der Beitrag skizziert zunächst Kohlbergs Theorie der Moralentwicklung und die Frage der Wertbindung. Nach Überlegungen zur Werteerziehung und deren Abgrenzung zur Wertklärung werden die Grundannahmen und Strukturen des Just Community-Ansatzes erläutert. Abschließend werden Gelingensbedingungen, Wirkungen und Schwierigkeiten des Ansatzes diskutiert.

Stefan Weyers
Der Reggio Emilia Approach
Partizipation in Geschichte und Gegenwart

Der Artikel „Der Reggio Emilia Approach: Partizipation in Geschichte und Gegenwart“ löst sich von der in Diskurs und Praxis in Deutschland weitverbreiteten Sichtweise auf die „Reggio-Pädagogik“. Er spürt in einer kritisch-historischen Perspektive den Auswirkungen der Resistenza bis in die Gegenwart nach. Neue Forschungsergebnisse unterstreichen, dass der Ansatz aus einem „Befreiungskampf“ der lokalen Bevölkerung heraus entstand. Dabei widmet sich der Artikel insbesondere dem Beitrag der Frauen. Präsentiert wird eine neue Sicht auf diesen Ansatz – jenseits der Projekte und Raumgestaltung, für die er am besten bekannt ist: Die Erfahrungen der Resistenza brachten in Reggio Emilia ein neues Frauenbild und mit ihm ein neues Bild vom Kind hervor, das seit den Anfängen (1943) untrennbar mit Partizipation verbunden ist.

Sabine Lingenauber
Bildung und Gesundheit

Traditionell wurde in der Schule nach dem Prinzip der Risikominimierung (z.B. richtiges Zähneputzen) gearbeitet. Später kamen die großen Präventions-Kampagnen z.B. über die Gefahren von Drogen- und Alkoholmissbrauch, über Jugendsekten oder Übertragung von Krankheitserregern wie HIV usw. Diese Bemühungen, bei denen es um die bloße Vermeidung von Gesundheitsrisiken ging, wurden nach und nach von einem auf die Begriffe Gesundheitsförderung und Resilienz fokussierten ganzheitlichen Verständnis abgelöst, in dem das individuelle Wohlbefinden mitsamt seinen sozialen und psychologischen Dimensionen miteinbezogen wird. Die Weiterentwicklung der klassischen pathogenen Betrachtungsweise hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, vollzieht sich vor allem im Modell der Salutogenese: Gesundheit und Gesundheitsempfinden werden nicht mehr allein als Resultat erfolgreicher Bildungsarbeit, sondern als Voraussetzungen und Motoren für erfolgreiche Bildungs- und Erziehungsprozesse verstanden. Investiert wird hierzu einerseits in die Strukturqualität (Infrastruktur) und andererseits in die Prozessqualität (z.B. soziales Klima) von Schulen.

Heiner Barz, Britta Kroll
Neurowissenschaftliche Impulse

Die Hirnforschung sensibilisiert für den sozialen Charakter des Lernens. Das ist zum Beispiel auch von zentraler Bedeutung für das Gelingen von Inklusion, weil hier Perspektivwechsel und Empathie besonders gefordert sind. Diese Kompetenzen basieren schon von Geburt an auf vielfältigen Verknüpfungen von Spiegelneuronen mit Wahrnehmungs- und Emotionszentren des Gehirns. Bei Stress verkümmern diese angeborenen Kompetenzen. Deshalb ist eine Lernatmosphäre erstrebenswert, in der Perspektivwechsel und Einanderhelfen selbstverständlich sind. Inklusion ist meistens dann eine Erfolgsgeschichte, wenn zusätzlich die zentrale Erkenntnis der Reformpädagogik, dass Pädagogik vom Kinde ausgehen sollte, zum Tragen kommt. Viele reformpädagogisch ausgerichtete Schulen nehmen deshalb eine Vorreiterrolle in der Inklusionsbewegung ein.

André Frank Zimpel
Kulturelle Bildung

Die ästhetisch-kulturelle Bildung im schulischen wie im außerschulischen Bereich hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und wurde in vielfältiger Weise auch institutionell verankert, so etwa in Gestalt von Empfehlungen der deutschen Kultusministerkonferenz. Sie wird durch verschiedene Akademien für kulturelle Bildung, durch Berufs- und Interessenorganisationen, durch zahlreiche Publikationen und Tagungen auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Nationale und internationale Forschungskongresse rücken die Frage in den Blick, ob die behaupteten Wirkungen der kulturellen Bildung tatsächlich nachweisbar sind. Eine besonders konsequente reformpädagogische Variante ästhetisch-kultureller Bildung im schulischen Bereich wird durch die sogenannten Kulturschulen angestrebt, in denen alle Fächer auch durch künstlerische Akzente bereichert werden sollen.

Christian Rittelmeyer
Stiftungen als Agenten der Bildungsreform

Stiftungen gelten im Kontext der Bildungsreformen seit PISA mittlerweile als wichtige bildungspolitische Akteure. In dem Beitrag wird der Stiftungsboom beschrieben und die aktuell vorliegenden Daten zu den Aktivitäten von Stiftungen im Bildungsbereich vorgestellt. In der anschließenden Darstellung der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu Stiftungen dominieren zwei zentralen Positionen: Eine Position betont den hierarchisch-elitären Status von Stiftungen, während die andere Position die heterarchisch-zivilgesellschaftliche Funktion von Stiftungen hervorhebt. In feldtheoretischer und erziehungswissenschaftlicher Perspektive zeigt sich für den Bildungsbereich die Heterogenität des Stiftungsfeldes, bei der beide Funktionen von Bedeutung sind – je nach Position der Stiftung im Feld.

Thomas Höhne
Was lernen Regelschulen von Reformschulen?

Die ‚Reformpädagogik nach der Reformpädagogik’ will unsere Gesellschaft durch Bildung demokratisieren. Schule in der Demokratie – so die Überzeugung – muss die Gesellschaft im Kleinen abbilden, eine Schule für Alle sein, in der Teilhabe, Partizipation und Solidarität täglich erlebt und gelernt werden kann. Neben der Gesamtschulbewegung, die aufgrund von gesellschaftlichem Gegenwind Kompromisse eingehen musste, konnten einzelne Schulen in staatlicher Trägerschaft durch einen Versuchsschulstatus reformpädagogische Vorstellungen weiter entwickeln, erproben und wissenschaftlich evaluieren. Sie haben damit kontrollierte Wege für die Entwicklung des staatlichen Regelschulsystems aufgezeigt, u.a. wie die wichtigste Herausforderung der Zukunft, Umgang mit Verschiedenheit, bewältigt werden kann.

Susanne Thurn
Erfahrungslernen in der Lehrerbildung

Die Reformpädagogik lebt von der Fähigkeit und Bereitschaft der Lehrkräfte zur Implementierung handlungsbetonter Lehr- und Lernverfahren. Variabler Arbeitsunterricht heißt die entsprechende Reformperspektive. Der Beitrag zeigt, dass es zur Umsetzung dieser Reformoption vor allem eines braucht: Mut machende und Klarheit verschaffende Innovationserfahrungen der Lehrkräfte. Reformspezifische Kenntnisse und Einsichten reichen nicht! Nötig ist es vielmehr, dass die Lehrkräfte die betreffenden innovativen Lehr- und Lernmethoden in möglichst inspirierender Weise erleben und durch wegweisendes „Learning by Doing“ konkretisiert finden. Dann bildet sich auch der nötige Innovationselan. Genau daran aber mangelt es bis heute in der Lehrerbildung ganz eklatant. Klippert begründet und veranschaulicht, wie ein verstärktes Erfahrungslernen in der Lehreraus- und -fortbildung angelegt werden kann.Die Bestimmung von Personen und Positionen der „Reformpädagogik“ basiert auf systematisch begründeten Ein- und Ausschließungen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Frage, ob es sich bei „Reformpädagogik“ um einen spezifisch deutschen oder einer internationalen Zusammenhang handelt. Gezeigt werden anhand einschlägiger Quellenbände die Zuordnungen von Personen im deutschen und im internationalen Kontext. Anhand der Diskurse von Religion und Arbeit im System Schule wird exemplarisch die Vielfalt an Positionen im Rahmen von „Reformpädagogik“ entfaltet.

Heinz Klippert
Schulwettbewerbe als Innovationsmotoren?

Ein Instrument, das insbesondere von Stiftungen genutzt wird, um Konzepte der Schulentwicklung sichtbar zu machen und in die Breite zu tragen, sind Schulwettbewerbe. Der Beitrag analysiert das Potenzial von Schulwettbewerben und ihren Vernetzungsangeboten, Reform- und Veränderungsprozesse in Schulen zu initiieren und zu unterstützen. Dazu wird zunächst die intendierte Wirkungslogik von Schulwettbewerben beleuchtet. Anschließend wird anhand von zentralen Befunden aus der Bildungsforschung überprüft, inwiefern sich auch empirisch Wirkungen der Wettbewerbsteilnahme in der Schulentwicklungspraxis der Teilnehmerschulen beobachten lassen. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion des Potenzials der Wettbewerbe.

E. Dominique Klein, Isabell van Ackeren
Bildungsreform als Schulentwicklung

Es erscheint plausibel, dass die Reformpädagogik in der Weimarer Republik und in der Zeit davor auch deshalb keine Erfolgsgeschichte ist, weil es damals noch nicht den Ansatz der Schulentwicklung gab. Zentrale reformpädagogische Konzepte wie handlungsorientierter Unterricht und Förderung des selbstständigen Lernens wurden nur sporadisch in Pilot- und Versuchsschulen, aber nicht in der Breite realisiert. Das lag nicht nur am heraufziehenden Nationalsozialismus. Beispielsweise hatte ein Teil der Reformschulen schon aufgegeben, bevor der Nationalsozialismus der Reformpädagogik den Garaus machte. Daraus und aus einer Begriffsbestimmung der Schulentwicklung wird die These abgeleitet, dass das Gelingen einer anspruchsvollen und tiefgehenden Bildungsreform, wie es Reformpädagogik anstrebt, der Schulentwicklung bedarf.

Hans-Günter Rolff
Backmatter
Metadata
Title
Handbuch Bildungsreform und Reformpädagogik
Editor
Prof. Heiner Barz
Copyright Year
2018
Electronic ISBN
978-3-658-07491-3
Print ISBN
978-3-658-07490-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-07491-3